Definition:Periphere Neuropathien sind Erkrankungen der motorischen, sensiblen oder autonomen Nerven außerhalb des ZNS. Bei generalisierten Erkrankungen als häufigster Manifestation spricht man von Polyneuropathien.
Häufigkeit: Häufige Erkrankungen mit 2,4 % in der Allgemeinbevölkerung und 8 % bei Menschen über 55 Jahren.
Symptome: Je nach Art der Neuropathie in unterschiedlicher Ausprägung und Kombination: Sensibilitätsstörungen, Schmerzen, Muskelschwäche und autonome Symptome.
Diagnostik: Neben Anamnese und Befund beruht die Diagnose auf neurophysiologischer Untersuchung und Laboruntersuchungen. Im Einzelfall Nervenbiopsie, Liquordiagnostik, genetische Untersuchung.
hereditäre Erkrankungen (z. B. hereditäre motorisch-sensible Neuropathie, HMSN I und II)
Die Pathogenese ist häufig noch ungeklärt. Funktionelle und strukturelle Beeinträchtigung der sensiblen, motorischen und autonomen Nervenfasern durch metabolische, toxische, immunologische, mikrozirkulatorische oder hereditär-degenerative Schädigungen.
erniedrigte CMAP-Amplitude, verlängerte CMAP-Dauer bei proximaler Stimulation
Spezielle Laboruntersuchungen
Bei entsprechender Verdachtsdiagnose empfehlen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie erweiterte Laboruntersuchungen im Hinblick auf die betreffende(n) Erkrankung(en)2
Funikuläre Myelose
ergänzend zu Vitamin-B12- und Methylmalonsäure-Bestimmung von Holo-Transcobalamin, Parietalzellantikörper, Antkörper gegen Intrinsic factor
Zeichen einer hereditären PNP (Hohlfuß, Krallenzehen, indolenter Verlauf, in der Regel junges Erkrankungsalter).
Indikationen zur Überweisung
Bei milden Symptomen ist eine Überweisung in der Regel nicht erforderlich.
Bei ausgeprägter und/oder rasch fortschreitender Polyneuropathie erfolgt eine Überweisung zur Neurologie.
Checkliste zur Überweisung
Polyneuropathie
Zweck der Überweisung
Diagnosesicherung? Therapie? Sonstiges?
Anamnese
Dauer und Verlauf? Progression?
Empfindungsstörungen, Schmerzen, Muskelschwäche oder Atrophie? Asymmetrie? Autonome Symptome? Lokalisation? Schweregrad der Beschwerden?
Frühere oder gleichzeitig auftretende, andere Beschwerden? Diabetes? Wurde kürzlich eine Infektionskrankheit durchgemacht? Erfolgte kürzlich eine Impfung? Derzeitige Medikamente? Exposition gegenüber Toxinen wiez. B. Alkohol, Schwermetalle oder organische Lösungsmittel?
Ähnliche Beschwerden bei anderen Familienmitgliedern?
Andere relevante Erkrankungen?
Auswirkung der Krankheit auf die Lebensqualität? Arbeitsfähigkeit?
Immuntherapie (beste Reihenfolge und Kombination unsicher)
IVIG (intravenöse Immunglobuline)
SClg (subkutane Immunglobuline)
Kortikosteroide
Optionen bei Unwirksamkeit der Immuntherapie
Plasmapherese
Immunsuppressiva (Cyclophosphamid, Azathioprin)
autologe Stammzelltransplantation
Paraproteinämische Neuropathien
IgG oder IgA-Paraprotein: Behandlung wie CIDP
IgM-Paraproteinämie: Bei schlechterem Ansprechen auf CIDP-Standardtherapie können intravenöse Immunglobuline, Plasmapherese, Rituximab oder Immunsuppressiva gegeben werden.
Multifokale motorische Neuropathie
intravenöse Immumglobuline für 2–5 Tage
Paranodopathien
Rituximab bei Nichtansprechen auf die Standardtherapie der CIDP
Vaskulitische Neuropathie
Kortikosteroide, evtl. Kombination mit Immunsuppresiva
Spezifische Art der Neuropathie ist bei der Medikamentenauswahl zu berücksichtigen.
Manche Substanzen sind nur bei bestimmten Formen der Neuropathie empfohlen!
Medikamente der Wahl bei der medikamentösen Therapie neuropathischer Schmerzen18
trizyklische Antidepressiva
SNRI (Serotonin-Adrenalin-Wiederaufnahmehemmer)
Antikonvulsiva
Capsaicin-Pflaster
Lidocain-Pflaster
bei starken Schmerzen evtl. Opioide
Cannabinoide gehören bei chronisch-neuropathischen Schmerzen trotz einiger ermutigender Studienergebnisse (u. a. HIV, MS, gemischtes Kollektiv mit neuropathischen Schmerzen) nicht zu den Mitteln der Wahl18, bei diabetischer Neuropathie nicht empfohlen.13
Einige empfohlene Substanzen und Dosierungen bei neuropathischen Schmerzen gemäß Leitlinien18
Antidepressiva
z. B. Amitryptilin (trizyklisch)
Startdosis: 10–25 mg
wirksame Dosis: 50–75 mg/Tag
z. B. Duloxetin (SNRI)
Startdosis: 30 mg
wirksame Dosis: 60 mg/Tag
Antikonvulsiva
Gabapentin
Startdosis: 300 mg
wirksame Dosis: 1.200–2.400mg/Tag (3.600 mg/Tag)
Pregabalin
Startdosis: 50–75 mg
wirksame Dosis: 150–250 mg/Tag (600 mg/Tag)
Opioide
z. B. Tramadol
Startdosis: 50–100 mg retard
wirksame Dosis:Titration (600 mg/Tag)
z. B. Oxycodon
Startdosis: 10–20 mg retard
wirksame Dosis: Titration
Topische Therapie
Lidocain-Pflaster
Startdosis: 1 x tgl., mind. 12 Stunden Pause
wirksame Dosis: bis 3 Pflaster täglich
Capsaicin-Hochdosis-Pflaster
Startdosis: 1 x 30 min bzw. 60 min, mindestens 90 Tage Pause!
wirksame Dosis: bis 4 Pflaster einmalig
Capsaicin-Salbe (0,025–0,075 %)
Startdosis: 3- bis 4-mal/Tag
wirksame Dosis: 3- bis 4-mal/Tag
Weitere Therapien
Behandlung von motorischen Ausfallerscheinungen durch Physiotherapie und Hilfsmittel (z. B. Orthesen)
Anpassung von individuellen Einlagen, angemessenes Schuhwerk
Im Einzelfall Besserung bei erfolgreicher Therapie der Grunderkrankung bzw. Eliminierung von Auslösern (siehe auch Artikel Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle)
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik bei Polyneuropathien. AWMF-Leitlinie 030-067. S1, Stand 2019. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Therapie akuter und chronischer immunvermittelter Neuropathien und Neuritiden. AWMF-Leitlinie 030-130. S2e, Stand 2018. www.awmf.org
NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlie nvl-001e. S3, Stand 2016. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Chronische neuropathische Schmerzen, Pharmakologische nicht-interventionelle Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114. S2k, Stand 2012. www.awmf.org
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Narayan KMV, Boyle JP, Thompson TJ, Sorensen, SW, Williamson DF. Lifetime risk for diabetes mellitus in the United States. JAMA 2003; 290: 1884-90. Journal of the American Medical Association
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Autoren
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
Definition:Periphere Neuropathien sind Erkrankungen der motorischen, sensiblen oder autonomen Nerven außerhalb des ZNS. Bei generalisierten Erkrankungen als häufigster Manifestation spricht man von Polyneuropathien.