Zusammenfassung
- Definition:Gruppe von Erkrankungen, bei der es durch extrazelluläre Ablagerung von unlöslichen Proteinkomplexen (Amyloid) zu Organfunktionseinschränkungen kommt.
- Häufigkeit: In Europa Inzidenz etwa 1:100.000, häufigste Form AL-Amyloidose.
- Symptome:Abhängig von Organbefall.
- Befunde:Organomegalie, Proteinurie, Herzinsuffizienz, Neuropathie, Malabsorption.
- Diagnostik:Biopsie zur Diagnosesicherung und Typisierung der abgelagerten Proteine.
- Therapie:Abhängig von Subtyp, meistens palliativ.
Allgemeine Informationen
Definition
- Gruppe von Erkrankungen mit extrazellulärer Ablagerung von unlöslichem Proteinmaterial (Amyloid)1
- Die unlöslichen Proteinfibrillen haben immer eine Beta-Faltblatt-Struktur.2
- Makrophagen sind nicht in der Lage, die Proteine in ausreichendem Maße zu phagozytieren.
- Die Ablagerung von Proteinen führt zu eingeschränkten Organfunktionen, z. B. von Herz, Niere oder ZNA.
- Der Name Amyloid stammt vom griechischen ámylon = Stärke.
- Amyloid reagiert im Labor nach Zugabe von Iod mit Blaufärbung, ebenso wie Stärke.3
- Die Proteinablagerungen können verschiedene Ursachen haben:4
- anomale Proteine, z. B. durch Genmutation des TTR-Proteins
- vermehrtes Anfallen von Proteinen, z. B. Beta2-Mikroglobulin bei Langzeit-Dialyse (Beta2-Mikroglobulin kann nicht mit dialysiert werden) oder Serum-Amyloid-A als Akute-Phase-Protein bei chronischen Entzündungen
- Ablagerung von Proteinen als Begleiterscheinung im Alterungsprozess
- Klassifizierung auf Basis der unlöslichen Fibrillenproteine in den Amyloidablagerungen
- Momentan sind 9 Subtypen bekannt.4
- In den westlichen Ländern sind etwa 2/3 aller Amyloidose-Fälle durch einen vermehrten Anfall freier Leichtketten bei monoklonalen Plasmazellen verursacht.4
- AL(Light Chain)-Amyloidose, assoziiert mit multiplem Myelom/MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz)
- Klinische Manifestationen, Prognose und Therapie variieren je nach Form der Amyloidose erheblich.5
Häufigkeit
- Inzidenz für systemische Amyloidose in England etwa 1:100.0006
- Inzidenz für westliche Länder wird auf 5–13:1.000.000 geschätzt.3
- Häufigkeit der Subtypen der Amyloidose nach dem Nationalen Amyloidose Center Großbritanniens4
- 68 % AL-Amyloidose (Leichtketten)
- 12 % AA-Amyloidose (Amyloid A als Akute-Phase-Protein bei entzündlichen Erkrankungen)
- 8,8 % ATTR-Amyloidose (anomal gefaltetes TTR-Protein)
- 1,8 % A-Beta2-M-Amyloidose (exzessiver Anfall von Beta2-Mikroglobulin bei Langzeit-Dialyse)
- 1,7 % AFib-Amyloidose (anomal gefaltetes Fibrinogen)
- in den übrigen Fällen sehr seltene Ursachen
- Prävalenz der Subtypen variiert je nach Ort auf der Welt erheblich
- AA-Amyloidose in Entwicklungsländern häufigster Subtyp wegen hoher Prävalenz infektiöser chronischer Entzündungskrankheiten3
Ätiologie und Pathogenese
- Amyloidfibrillen sind normal vorkommende Proteine oder mutierte Varianten davon, die ihre dreidimensionale Struktur verändert haben.
Disponierende Faktoren
- Chronische entzündliche Erkrankungen (Mittelmeerfieber, rheumatoide Arthritis) oder chronische Infektionen (Osteomyelitis)
- Vermehrte Entstehung von Akute-Phase-Protein und damit Risiko für AA-Amyloidose
- Multiples Myelom/MGUS
- Produktion monoklonaler Leichtketten und damit Risiko für AL-Amyloidose
- Langfristige Dialyse
- Retention von Beta2-Mikroglobulin und damit Risiko für A-Beta2-M-Amyloidose
- Positive Familienanamnese
- hereditäre Amyloidose mit Genmutation des TTR-Proteins
ICPC-2
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E85 Amyloidose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Als seltenes Krankheitsbild wird die Amyloidose häufig übersehen, aber sollte bei folgenden Befunden in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn mehrere Befunde gleichzeitig vorliegen:3
- Organomegalie (z. B. Zunge, Milz, Leber)
- neue Proteinurie unklarer Genese bei Patienten mit chronischer Entzündung
- Patienten mit MGUS/multiplem Myelom
- Ältere Patienten mit Herzinsuffizienz und hypertrophen Ventrikeln
- Neuropathie ohne ursächliche Grunderkrankung
- Malabsorption
Differenzialdiagnosen
- Multiples Myelom/MGUS
- Glomerulonephritis
- Niereninsuffizienz/nephrotisches Syndrom aus anderer Ursache
- Andere Ursachen für Herzinsuffizienz, Hepatomegalie, Splenomegalie, Neuropathie etc.
Anamnese
- Symptome und Befund entstehen aufgrund der Amyloidinfiltration in verschiedenen Organen.
- Aufgrund des uncharakteristischen Symptombildes wird die Diagnose meist verzögert gestellt.
- Mögliche Beschwerden durch Amyloid-Ablagerungen sind:
- Abgeschlagenheit, Belastungsdyspnoe
- Diarrhö, Malabsorption
- Gewichtsverlust
- Ödeme
- Karpaltunnelsyndrom
Klinische Untersuchung
- Organomegalie?
- Makroglossie?
- Leber oder Milz palpabel?
- Ödeme?
- Hinweis auf Herzinsuffizienz oder nephrotisches Syndrom
- Autonome und/oder periphere sensorische Neuropathie?
- Mukokutane Manifestation?
- Petechien, Ekchymosen, Purpura, Noduli, Papeln und Plaque möglich
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Kreatinin
- Hinweis auf Niereninsuffizienz?
- Urinteststreifen
- CRP und BSG
- bei AA-Amyloidose in der Regel erhöht
- EKG
- Freie Leichtketten im Serum und Urin (Kappa, Lambda) sowie Proteinelektrophorese
- bei AL-Amyloidose erhöht
Diagnostik beim Spezialisten/in der Klinik
- Goldstandard zur Diagnosestellung ist die Biopsie-Entnahme aus dem betroffenen Organ.
- Biopsie-Entnahme aus subkutanem Fettgewebe oder Rektum-Schleimhaut ist ebenfalls möglich, falls eine Organpunktion zu risikoreich ist (z. B. Herz).4
- SAP-Szintigrafie
- Bei AL-Amyloidose mit Vorliegen monoklonaler Leichtketten ist der Ausschluss eines multiplen Myeloms notwendig.9
- Knochenmarkbiopsie
- Bei Verdacht auf eine Amyloidose sollte laut dem Konsensus-Beschluss des internationalen Amyloidose-Symposiums bei allen Patienten ein Screening auf eine mögliche Beteiligung der folgenden 4 Organe erfolgen:10
- Niere
- 24-Stunden-Sammelurin: Proteinurie > 0,5 g/d
- Herz
- durchschnittliche linke Ventrikelwand > 12 mm
- NT-proBNP > 39 pmol/l (> 330 pg/ml)
- Leber
- Durchmesser > 15 cm oder AP > 15-fache der Norm
- Nerven
- klinische Hinweise auf periphere Neuropathie
- klinische Hinweise auf autonome Neuropathie
- erektile Dysfunktion
- Magenentleerungsstörung
- orthostatische Hypotonie.
- Niere
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf Amyloidose Überweisung zum Spezialisten/an ein Amyloidose-Kompetenzzentrum
Therapie
Therapieziele
- Aktuell: Reduktion der Vorläuferproteine, die sich als Amyloid ablagern („Precursor-product Concept“).3
- Zukünftige Ziele, die sich momentan noch in klinischen Studien befinden:
- Auflösen bereits vorhandener Amyloidablagerungen durch Markierung der Ablagerungen mittels Antikörpern2
- Interferenz mit den Vorläuferproteinen, um diese zu stabilisieren und an der Formation von Amyloid zu hindern.11
- Die Synthese von abnormalen Proteinen durch den Einsatz von interfering-RNA bei Genmutationen zur Gen-Stilllegung verhindern.12
- Symptomatische Therapie der Organmanifestationen, z. B. medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung von Amyloidose ist momentan in den meisten Fällen noch palliativ.
- Abhängig vom Subtyp erfolgt die Therapie.
AL-Amyloidose
- Ziel: Reduktion der Leichtketten durch Bekämpfung der monoklonalen Plasmazellen
- Durchführung
- Stratifizierung der Patienten in verschiedene Risikogruppen13
- bei niedrigem bis mittleren Risiko häufig Hochdosis-Melphalan-Therapie mit anschließender autologer Stammzell-Transplantation14
- Mittlerweile sind viele neue Substanzen wie Thalidomid, Bortezomib oder Lenalidomid in Kombination mit Dexamethason im Einsatz.15
AA-Amyloidose
- Ziel: Absenken des Akute-Phase-Proteins Serum-Amyloid-A in den Normbereich3
- Durchführung
- Therapie der ursächlichen entzündlichen Grunderkrankung
- bei rheumatischen Erkrankungen z. B. TNF- oder IL1-Inhibitoren16-17
- bei familiärem Mittelmeerfieber Colchicin18
- bei Tuberkulose antibiotische Therapie
ATTR-Amyloidose (hereditäre Amyloidose)
- Ziel: Verhindern der Bildung des anomalen TTR-Proteins
- Durchführung
- Lebertransplantation, da dort Synthese von 99 % der fehlgefalteten TTR-Proteine.19
Sekundärbehandlung
- Chirurgische Entfernung lokalisierter amyloider Tumoren
- Dialyse oder Nierentransplantation bei Niereninsuffizienz
Prävention
- Behandlung chronischer Infektionen und chronisch entzündlicher Krankheiten
- Eine gute immunsuppressive Behandlung bei rheumatischen Erkrankungen scheint dem Risiko für die Entwicklung einer AA-Amyloidose vorzubeugen.3
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Der Verlauf hängt davon ab, um welche Form der Amyloidose es sich handelt.
Komplikationen
- Hepato- und Splenomegalie
- Makroglossie
- Autonome und periphere Neuropathie
- Nephrotisches Syndrom und Niereninsuffizienz
- Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz, Angina pectoris, Arrhythmien und Leitungsstörungen
- Karpaltunnelsyndrom
- Arthralgien
- Malabsorption, Diarrhöen
Prognose
- Die Prognose hängt vom Subtyp und der Ausbreitung der Amyloidose ab.
- Schlecht auf die Prognose wirken sich eine kardiale Beteiligung und der Befall von über 2 der nachfolgenden 4 Organe aus:
- Niere
- Leber
- Herz und
- Nerven.3
- Medianes Überleben ohne Therapie: 20
- AL-Amyloidose 6–12 Monate
- AA-Amyloidose 3–4 Jahre.
- Medianes Überleben mit Therapie: 21
- AL-Amyloidose 3 Jahre
- AA-Amyloidose 4 Jahre.
- ATTR-Amyloidose mit Lebertransplantation: 20 Jahres-Überlebensrate 55 %19
- Bei AA-Amyloidose abhängig von Serum-Amyloid-A-Spiegels22
- < 10 mg/l: 10-Jahres-Überlebensrate 90 %
- > 10 mg/l: 10-Jahres-Überlebensrate 40 %
Verlaufskontrolle
- Spezial- und Primärversorgung sollten bei der Behandlung der Patienten zusammenarbeiten.
- Bei AA-Amyloidose ist es wichtig, dass die Behandlung der Grunderkrankung optimiert wird.
Was sollte man kontrollieren?
- Betroffene und von der Amyloidose gefährdete Organe sollten regelmäßig untersucht und ggf. eine symptomatische Behandlung eingeleitet werden.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Patienten mit AA-Amyloidose sollten darüber informiert werden, dass die Behandlung der Grunderkrankung wichtig ist, um die Progression zu verzögern.
Patienteninformationen in Deximed
Weitere Patienteninformationen
- Informationsmaterial der Selbsthilfegruppe Amyloidose: Bewusstsein für Amyloidose
Illustrationen
Quellen
Kompetenzzentren
- Universitätsklinikum Heidelberg: Amyloidose-Zentrum
Literatur
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Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Bjørnar Grenne, PhD, konst. overlege, Klinikk for hjertemedisin, St. Olavs Hospital, Trondheim
- Gunnar Husby, professor i revmatologi ved Universitetet i Oslo og Revmatologisk avdeling, Rikshospitalet, Oslo