Zusammenfassung
- Definition:Infektion mit dem Bakterium Clostridium tetani, das ein Toxin mit der Bezeichnung Tetanospasmin produziert.
- Häufigkeit:Weltweit etwa 20.000 Fälle jährlich, in Deutschland unter 15 Fälle pro Jahr.
- Symptome:Anamnese mit Hautwunde und ggf. Kontamination. Im Verlauf Starre und Spasmen der Kau- und mimischen Muskulatur.
- Befunde:Frühe Symptome sind Schmerzen und Kribbeln an der Eintrittspforte, gefolgt von Spasmen der umliegenden Muskulatur. Später oft generalisierte Muskelspasmen.
- Diagnostik:Klinische Diagnose. In der Regel kein Erregernachweis aus Wunde möglich.
- Therapie:Chirurgische Sanierung der Eintrittspforte und möglichst schnelle Verabreichung von humanem Tetanus-Immunglobulin und Impfstoff.
Allgemeine Informationen
Definition
- Synonym: Wundstarrkrampf
- Infektion über kontaminierte Hautverletzungen mit dem Bakterium Clostridium tetani, das Neurotoxin Tetanospasamin produziert. 1
Klassifikation
- Vier klinische Formen:1
- Neonatal
- weltweit häufigste Form
- vor allem in Ländern mit mangelhafter intrapartaler Hygiene
- Generalisiert
- häufigste Form in Mitteleuropa
- generalisierte Muskelspasmen
- Lokal
- Auf die Extremität beschränkt, an der sich die kontaminierte Wunde befindet.
- Zephal
- bei Wunden im Kopfbereich, u. a. mit ipsilateraler N.-facialis-Parese.
Häufigkeit
- Inzidenz1
- weltweit: 20.000 Fälle pro Jahr
- in Industrieländern selten, in Entwicklungsländern häufig
- gehäuft bei Neugeborenen in Entwicklungsländern und älteren Personen ohne ausreichenden Impfschutz
- in Deutschland unter 15 Fälle jährlich
- weltweit: 20.000 Fälle pro Jahr
- Vorkommen des Bakteriums in den Exkrementen von Gras fressenden Tieren, z. B. Pferden2
Ätiologie und Pathogenese
- Kontamination einer Wunde mit Clostridium tetani
- grampositives, anaerobes, Sporen bildendes Bakterium
- Die Sporen sind sehr widerstandsfähig und können im Erdreich jahrelang überleben.
- Das Bakterium produziert unter anaeroben Bedingungen das Exotoxin Tetanospasmin.1
- Tetanospasmin wird an der motorischen Endplatte gebunden, endoneuronal aufgenommen und dann retrograd axonal ins Rückenmark transportiert.
- dort Hemmung der Ausschüttung inhibitorischer Transmitter (Glycin, GABA) am Alpha-Motoneuron
- Die Folge ist eine Enthemmung der Alpha-Motoneurone, die zu einem erhöhten Muskeltonus und zu Muskelspasmen führt.
Prädisponierende Faktoren
- Großflächig verschmutzte Wunden
- Unzureichende oder zu alte Immunisierung
- Intravenöser Drogenkonsum
- Patient*innen mit immunsupprimierender Medikation oder Erkrankung
- Unzureichende Hygiene bei der Entbindung
- z. B. Infektion über den Nabel bei Durchtrennung der Nabelschnur
- Hohes Alter: Der Antikörperspiegel sinkt im Laufe der Zeit.
- Bei über 60-Jährigen ist das Risiko bis zu 7-mal höher als bei 5- bis 19-Jährigen.1
ICPC-2
- N72 Tetanus
ICD-10
- A34 Tetanus während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes
- A35 Sonstiger Tetanus
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnose Tetanus wird anhand des klinischen Befundes gestellt.1
- Clostridium tetani kann typischerweise aus den Wunden nicht kultiviert werden.
- Die Behandlung sollte nicht durch Warten auf Laborergebnisse herausgezögert werden.
- Diagnostische Maßnahmen dienen vor allem dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen.1
Differenzialdiagnose
- Andere akute Infektionen des zentralen Nervensystems (z. B. bakterielle Meningitis)
- Medikamenteninduzierte Dystonien (bei Einnahme von L-Dopa-Hemmern)
- Vergiftung mit Strychnin oder E605
- Tonische epileptische Anfälle
- Tollwut
- Katatonie
- Bei neonatalem Tetanus3
Anamnese
Eintrittspforte der Infektion
- Neu zugezogene Wunde und ggf. Kontamination
- Intravenöser Drogenkonsum
- Verbrennung
- OP-Wunde
- Piercing
Symptome1
- Schmerzende, verunreinigte Wunde
- Im Verlauf Schmerzen und Steifigkeit der Muskulatur, typischerweise im Verlauf von kranial nach kaudal absteigend
- Bei Neugeborenen können Probleme beim Füttern auftreten.
Weitere wichtige Fragen
- Wie lange liegt die letzte Tetanus-Impfung zurück?
- Alkoholabusus?
- Entzugskrampf
- Medikamentenanamnese
- dystone Reaktionen bei L-Dopa-Hemmern möglich1
Klinische Untersuchung
- Suche nach Eintrittspforte
- Spastische Tonuserhöhung der Muskulatur1
- Kaumuskulatur (Trismus)
- mimische Muskulatur (Risus sardonicus)
- Nacken- und Rückenmuskulatur (Opisthotonus)
- Akustische, visuelle und taktile Reize können reflektorisch Spasmen auslösen und verstärken und zu einem lebensbedrohlichen Laryngospasmus führen.
- Funktionsstörung des autonomen Nervensystems mit Tachykardie, Hypertonie und Schwitzen1
- Meist normale Körpertemperatur
- Die Patient*innen sind während des gesamten Krankheitsverlaufs wach und orientiert.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Eine Zellkultur aus Wundmaterial kann angelegt werden, aber ein negativer Test auf Clostridium tetani bedeutet keinen Ausschluss der Tetanusinfektion.2
Diagnostik bei Spezialist*innen
- EMG: kontinuierliche, nicht unterdrückbare Muskelaktivität1
- Weitere Untersuchungen dienen dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen, z. B.:1
- V. a. Meningitis: Lumbalpunktion
- V. a. epileptische Anfälle: EEG.
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Therapie
Therapieziele
- Bakterien eliminieren.
- Toxin neutralisieren.
- Vitalfunktionen unterstützen, bis die Effekte des Toxins abklingen.
Allgemeines zur Therapie
- Die Therapie des Tetanus beruht im Wesentlichen auf drei Aspekten:1
- Identifizierung der Eintrittspforte und Wunddébridement
- Neutralisierung des zirkulierenden Toxins und Immunisierung
- Supportive/symptomatische Therapie unter Beachtung der möglichen Komplikationen.
Identifizierung der Eintrittspforte und Wunddébridement
- Umgehende und gründliche chirurgische Sanierung der Eintrittspforte1
- Insbesondere avitales Gewebe muss schnellstens aus dem Wundgebiet entfernt werden, da es das Wachstum der anaeroben Clostridien fördert.
Medikamentöse Therapie
Neutralisierung des zirkulierenden Toxins und Immunisierung1
- Gabe von humanem Tetanus-Immunglobulin
- Empfohlen wird die Einmalgabe von 500–3.000 IE i. m.
- Aktive Immunisierung mit Tetanus-Toxoid
- Empfohlen wird die einmalige Gabe von TTX-Td (z. B. Tetanol) i. m. in der Postakutphase.
- Die aktive Immunisierung mit TTX-Td sollte zusätzlich zur hTIG-Gabe erfolgen, dabei jedoch nicht in dieselbe Extremität wie die Immunglobulingabe appliziert werden.
- Applikation auch in Schwangerschaft möglich
Supportive symptomatische Therapie1
- Behandlung der Muskelspasmen
- Benzodiazepine: Standardtherapie zur Behandlung der Muskelspasmen
- Diazepam (z. B. Valium; Einzeldosen von 5–10 mg) oder Lorazepam (z. B. Tavor; Einzeldosen 1–2 mg) sind in oft sehr hohen Tagesdosen erforderlich (Diazepam bis zu 500 mg).
- Baclofen (Lioresal) intrathekal: bei unzureichender Kontrolle der Spasmen
- Botulinum-Toxin Typ A lokal: in mehreren Fallberichten erfolgreiche Behandlung der fokalen oro-laryngo-pharyngealen Spasmen durch lokale Injektion
- Magnesium i. v.: Stabilisierung der Sympathikus-Überaktivität
- Benzodiazepine: Standardtherapie zur Behandlung der Muskelspasmen
- Antibiotische Therapie
- Metronidazol 500 mg i. v. alle 6 Stunden für die Dauer von 7–10 Tagen zur Eradizierung von Clostridium tetani
Atemwegsmanagement
- Das Ausmaß der Spasmen, Dysphagie, Tachypnoe, Trismus oder Laryngospasmus erzwingt nicht selten eine rasche orotracheale Intubation und mechanische Ventilation.1
Maßnahmen für Patient*innen und Kontaktpersonen
- Besondere Maßnahmen für Patient*innen und Kontaktpersonen sind nicht erforderlich, da eine Übertragung von Mensch zu Mensch nicht möglich ist.2
- Ein überstandener Tetanus hinterlässt keine Immunität, deshalb sollten auch Personen nach einer Erkrankung geimpft werden.2
Meldepflicht
- In Deutschland besteht keine krankheits- oder erregerspezifische Meldepflicht gemäß IfSG.2
- Es gibt in einigen Bundesländern Sonderregelungen über die Meldepflicht.2
- In Sachsen besteht eine namentliche Meldepflicht über Erkrankung und Tod oder Virusnachweis im Labor an das Gesundheitsamt.
- In Mecklenburg-Vorpommern besteht eine Arzt- und Labormeldepflicht nichtnamentlich an das Gesundheitsamt.
- In Thüringen gibt es nur eine nichtnamentliche Arztmeldepflicht an das Gesundheitsamt.
Impfung/Prävention
Tetanus-Immunprophylaxe im Verletzungsfall
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
- Bei sauberen, geringfügigen Wunden
- Bei ungeimpften Personen oder unbekanntem Impfstatus ist eine aktive Impfung mit TDaP/Tdap und eine passive Immunisierung mit Tetanus-Immunglobulin erforderlich.
- Bei nur 1 oder 2 Impfstoffdosen bisher ist eine aktive Impfung mit TDaP/Tdap erforderlich.
- Bei 3 oder mehr Impfstoffdosen vor 10 oder mehr Jahren ist eine aktive Immunisierung aber keine passive Immunisierung erforderlich.
- Bei 3 oder mehr Impfstoffdosen und wenn seit der letzten Impfung weniger als 10 Jahre vergangen sind, ist bei der Akutversorgung keine aktive oder passive Tetanusimmunisierung erforderlich.
- Patient*innen mit allen anderen Wundarten (tiefe und/oder verschmutzte Wunden, Verletzungen mit Gewebszertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung oder Eindringen von Fremdkörpern) brauchen:
- Wenn sie weniger als 3 Impfstoffdosen erhalten haben oder bei unbekanntem Impfstatus eine aktive und passive Immunisierung.
- Auch wenn sie 3 oder mehr Tetanus-Impfstoffdosen erhalten haben, bereits nach mehr als 5 Jahren eine aktive Immunisierung.
- Bei 3 oder mehr Impfstoffdosen und wenn seit der letzten Impfung weniger als 5 Jahre vergangen sind, ist bei der Akutversorgung keine aktive oder passive Tetanusimmunisierung erforderlich.
- Aktive Immunisierung
- Als Impfstoff werden Kombinationsimpfstoffe (Tetanus, Diphtherie, Pertussis, ggf. auch Polio) empfohlen.
- Passive Immunisierung
- Tetanus-Immunglobulin 250 IE, Applikation kontralateral zur Impfseite
- Dosis-Erhöhung auf 500 IE u. a. bei tiefen, stark kontaminierten Wunden
Impfempfehlung des Robert Koch-Instituts
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.4-5
- Empfehlung zum reduzierten 2+1-Schema (vorher 3+1-Schema) einer Sechsfach-Impfung mit den Zielen:
- Den Impfplan zu vereinfachen.
- Arzttermine für Säugling und Eltern einzusparen und
- so die zeitgerechte und vollständige Umsetzung der Sechsfachimpfungen für Ärzt*innen und Eltern zu erleichtern.
- Grundimmunisierung
- reife Neugeborene
- Beginn der Grundimmunisierung im Alter von 2 Monaten
- Für die Sechsfach-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B empfiehlt die STIKO ein 2+1-Schema mit Impfungen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten.
- Um einen Langzeitschutz aufzubauen, ist es besonders wichtig, den Abstand von 6 Monaten zwischen der 2. und der 3. Impfung nicht zu unterschreiten.
- Frühgeborene (vor der 37. Schwangerschaftswoche)
- aufgrund des noch nicht ausgereiften Immunsystems 3+1-Impfschema, mit 4 Impfstoffdosen im Alter von 2, 3, 4 und 11 Monaten
- reife Neugeborene
- Auffrischimpfungen im Alter von 5–6 Jahren und von 9–16 Jahren
- Alle weiteren Auffrischimpfungen sollten in 10-jährigem Abstand zur vorangegangenen Impfung erfolgen.
- Siehe auch TrainAMed Impfen (Uni Freiburg).
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Inkubationszeit bei Tetanus variiert zwischen 4–30 Tagen.1
- Je weiter die Eintrittspforte/Wunde vom zentralen Nervensystem entfernt ist, desto länger ist die Inkubationszeit.
- Typischerweise kommt es zu Muskelspasmen, die von kranial nach kaudal absteigen (von Kau- und mimischer Muskulatur über Nacken- zur Wirbelsäulenmuskulatur).1
Komplikationen
- Nebenwirkung der Impfung
- Schmerzen an der Injektionsstelle
- Seltene, aber ernste Komplikationen einer Tetanus-Toxoid-Boosterimpfung1
- Anaphylaxie
- Plexus-brachialis-Neuropathie
- Guillain-Barré-Syndrom
- Obstruktion der Atemwege durch Laryngospasmus
- Die Spasmen können so massiv sein, dass Frakturen, insbesondere Wirbelkörperkompressionsfrakturen, auftreten können.1
- Harnverhalt und Obstipation aufgrund von Sphinkter-Spasmen
- Rhabdomyolyse
- Sepsis
Prognose
- Die Letalität liegt trotz moderner Intensivtherapie zwischen 10 % und 20 %. Todesursachen sind vor allem respiratorische Insuffizienz und kardiovaskuläre Komplikationen.2
- Prognostisch ungünstige Faktoren:3
- kurze Inkubationszeit
- Geschwindigkeit, in der sich die Symptome entwickeln.
- sehr hohes oder sehr niedriges Alter
- Tachykardie, hoher Blutdruck und Fieber.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Video
- TrainAMed Impfen (Universität Freiburg)
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Tetanus. AWMF-Leitlinie Nr. 030-104. S1, Stand 2017. www.awmf.org
RKI-Ratgeber
- Robert Koch-Institut. RKI-Ratgeber für Ärzte: Tetanus. Berlin, Stand 2017. www.rki.de
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Tetanus. AWMF-Leitlinie Nr. 030-104, Stand 2017. www.awmf.org
- Robert Koch-Institut. RKI-Ratgeber für Ärzte: Tetanus. Berlin, Stand 2017. Zugriff 26.01.2018. www.rki.de
- Harrisons Innere Medizin. – Dt. Ausg. der 19. Aufl./in Zusammenarbeit mit der Charité. Hrsg. der dt. Ausg. Vogtmann M, Suttorp N. Thieme Verlag 2017, S.1200ff
- RKI. Epidemiologisches Bulletin. Januar 2022. Letzter Zugriff 13.04.22. www.rki.de
- RKI. 2+1 statt 3+1: eine Impfstoffdosis weniger bei der Grundimmunisierung von Säuglingen. Stand 25.06.2020. Letzter Zugriff 17.07.2020. www.rki.de
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).