Neuropathische Schmerzen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Neuropathische Schmerzen werden als Schmerzen definiert, die als direkte Folge einer Schädigung oder Erkrankung somatosensorischer Nervenstrukturen im peripheren oder zentralen Nervensystem auftreten.1-2
  • Chronische Schmerzen können in 3 Kategorien eingeteilt werden, wobei es häufig Mischformen gibt:
    1. nozizeptive Schmerzen
      • Schmerzen aufgrund von Verletzungen oder Erkrankungen des Gewebes (z. B. Arthritis)
      • „physiologische“ Stimulation von Nozizeptoren bei intaktem afferentem somatosensorischem System3
    2. neuropathische Schmerzen
      • Schmerzen aufgrund von Verletzungen oder Erkrankungen des zentralen oder peripheren somatosensorischen Nervensystems (z. B. postzosterische Neuralgie)
    3. somatoforme oder noziplastische Schmerzen
      • Werden auch häufig als funktionelle oder idiopathische Schmerzen bezeichnet.4-5
      • Somatoform heißt, dass sich keine organische Ursache der Beschwerden finden lässt.
      • Können als dominierendes Symptom einer psychischen Störung auftreten.
      • Die International Association for the Study of Pain (IASP) empfiehlt, für die 3. mechanistische Kategorie der Schmerzentstehung den Begriff der noziplastischen Schmerzen zu verwenden. Diese sind definiert als „Schmerzen, die aus einer veränderten Nozizeption hervorgehen, ohne eindeutigen Nachweis einer bestehenden oder drohenden und periphere Nozizeptoren aktivierenden Gewebeschädigung und ohne Nachweis einer schmerzverursachenden Erkrankung oder Schädigung des somatosensorischen Systems".1,6
  • Die Diagnose des Schmerztyps ist wichtig für die Therapieentscheidung.
  • Bei neuropathischen Schmerzen kann die Schmerzempfindung gesteigert oder vermindert sein.
    • gesteigert: Hyperalgesie, Allodynie
    • vermindert: Hypästhesie, Sensibilitätsausfälle infolge der Nervenläsion
  • Näheres zur diagnostischen Abgrenzung verschiedener Schmerzsyndrome siehe auch Grundsätze der Schmerzbehandlung.

Häufigkeit

  • Zur Prävalenz neuropathischer Schmerzen in der Gesamtbevölkerung gibt es bislang keine aussagekräftigen Studien.
  • In Studien zur Validierung von Schmerzfragebögen lag der Anteil neuropatischer Schmerzen bei ca. 3–8 % aller Schmerzsyndrome. 

Pathophysiologie

  • Ausbildung einer pathologischen Spontanaktivität sowohl in lädierten als auch intakten nozizeptiven Afferenzen durch biochemische, physiologische, morphologische, genetische Veränderungen1
  • Induktion plastischer Veränderungen im peripheren und zentralen Nervensystem mit Verselbständigung und schließlich Irreversibilität7
  • Mögliche Noxen, die zu einem neuropathischen Schmerzsyndrom führen können:

Diagnostische Überlegungen

  • Gezielter holistischer Ansatz
    • Art der Schmerzen identifizieren (neuropathische, nozizeptive, somatoforme, gemischte).
    • Ursache der Schmerzen abklären.
    • Bedeutung verschiedener Komponenten (biologische, psychische, soziale Komponente) abklären.
    • Geeignete Therapie (auf Grundlage der Schmerzart und der anderen Faktoren) bestimmen.

ICPC-2

  • N81 Verletzung Nervensystem, andere
  • N94 Periphere Neuritis/Neuropathie

ICD-10

  • G50–G59 Krankheiten von Nerven, Nervenwurzeln und Nervenplexus
  • G60–G64 Polyneuropathien und sonstige Krankheiten des peripheren Nervensystems

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Diagnose beruht auf einer genauen klinischen Beurteilung, wobei eine gründliche und detaillierte Anamnese von zentraler Bedeutung ist.1
    • Charakterisierung des Schmerzsyndroms (Abgrenzung gegenüber anderen Schmerzformen)
      • Beginn und Dauer der Schmerzen
      • Schmerzcharakter
      • Schmerzlokalisation
      • Schmerzintensität
      • auslösende Faktoren
    • Informationen zu Läsion oder Erkrankung des peripheren oder zentralen somatosensorischen Systems
    • funktionelle Beeinträchtigungen
    • schmerzrelevante Begleiterkrankungen (Angst, Depression)
    • Chronifizierung des Schmerzes?
  • Typische Beschreibung der Schmerzen bei neuropathischen Schmerzen (Parästhesien/Dysästhesien)
    • brennend und/oder stechend mit Kribbeln
    • Gefühl von laufenden Ameisen
    • „elektrische“ Empfindungen

Klinische Untersuchung

  • Siehe auch den Untersuchungskurs der Universität Freiburg – Prüfung der Sensibilität.
  • Prüfung der Reaktion auf Berührung, Stich, Druck, Kälte, Wärme und Vibration
  • Erfassung von:
    • Hypersensitivität (positive Symptome), z. B.:
      • thermische Hyperalgesie/Allodynie
      • mechanische Hyperalgesie/Allodynie.
    • verminderter Sensibilität (negative Symptome), z. B.:
      • thermische Hypästhesie
      • mechanische Hypästhesie.
  • Körperschemazeichnung der sensorischen Symptome und der Schmerzausbreitung sinnvoll1
  • Zusammenfassung positiver und negativer Symptome

pfeil_7x12.png siehe Tabelle: Neuropathische Schmerzen – Symptome und Beschwerdebilder

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Diagnose primär durch Anamnese, allgemeine ärztliche Untersuchung und neurologische Untersuchung
  • Ergänzende apparative Verfahren
    • QST: quantitativ sensorische Testung
    • LEP: Laser-evozierte Potenziale
    • Hautbiopsie und Bestimmung der Nervenfaserdichte

Scoring-Instrumente

  • In Deutschland am weitesten verbreitet 11-teilige numerische Rating-Skala (NRS)1: Einteilung von 0 (kein Schmerz) bis 10 (maximaler Schmerz)1
  • VAS-Skala: visuelle Analogskala (VAS) von 0 bis 10 oder von 0 bis 100, wobei 0 keine Schmerzen und 10 oder 100 maximal vorstellbare Schmerzen bedeuten.

Fragebögen zur Abschätzung der neuropathischen Schmerzkomponente1

  • Validierte Fragebögen, um Symptome von neuropathischen Schmerzen qualitativ und quantitativ zu erfassen:
    • NPSI (Neuropathic Pain Symptom Inventory)
      • in deutscher Sprache validiert (NPSI-G)
      • Unterscheidung neuropathischer von nicht neuropathischen Schmerzen mit hoher Sensitivität und Spezifität
      • möglicherweise prädiktiv in Bezug auf das Therapieansprechen
    • painDETECT
      • in deutscher Sprache bei einer Kohorte von Patient*innen mit chronischen Rückenschmerzen validiert
      • Die Sensitivität und Spezifität lagen dabei über 80 %.
    • DN4 (Douleur Neuropathique en 4 Questions)
    • LANSS (Leeds Assessment of Neuropathic Symptoms and Signs)
  • Diese Fragebögen können dabei unterstützen,
    • das Ausmaß der neuropathischen Komponente an einem Schmerzsyndrom abzuschätzen, um eine effiziente Therapie planen zu können.
    • den Verlauf eines neuropathischen Schmerzsyndroms zu dokumentieren.
  • Sie ersetzen nicht das oben beschriebene diagnostische Vorgehen.

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf neuropathische Schmerzen ist eine Überweisung an eine neurologische Praxis sinnvoll.
    • Bestimmung der Schmerzart und Behandlungsplanung

Checkliste zur Überweisung

Neuropathische Schmerzen

  • Beschreibung der Schmerzen: Dauer, Charakter, wahrscheinliche Ursache
  • Klinische Untersuchung: Sensibilität bei Berührung, Stich, Druck, Kälte, Wärme und Vibration im schmerzhaften Bereich
  • Bereits durchgeführte Untersuchungen?
  • Welche Therapieformen wurden versucht: Medikamente, Dauer, Dosis; weitere Therapien?

Allgemeines zur Therapie

  • Die Patientenperspektive in Erfahrung bringen.
    • Meinung der Patient*innen zu Ursache und Bedeutung der Schmerzen 
    • evtl. Unsicherheit/Angst bezüglich der zugrunde liegenden Ursache
  • Patientenschulung
    • Information über die Schmerzmechanismen
    • Information über Behandlungsplan und mögliche Nebenwirkungen der gewählten Therapie
  • Vereinbarung realistischer Therapieziele1
    • Schmerzreduktion um ≥ 30 %
    • Verbesserung der Schlafqualität
    • Verbesserung der Lebensqualität
    • Erhalt der sozialen Aktivitäten und des sozialen Beziehungsgefüges
    • Erhalt der Arbeitsfähigkeit
    • Verbesserung der Funktionalität
  • Ermittlung von Ängsten, Depressionen, Denkfallen (Katastrophendenken usw.)
    • MADRS
    • HADS-D
  • Nichtpharmakologische Therapiemaßnahmen in Betracht ziehen.
    • kognitive Verhaltenstherapie
    • Ergotherapie
    • physikalische Therapie (psychomotorisch, Entspannungstechniken)
  • Üblicherweise erreichen weniger als 50 % der Patient*innen eine zufriedenstellende Schmerzlinderung.

Medikamentöse Therapie

Leitlinie: Pharmakotherapie1 

Mittel der 1. Wahl

  • Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle
    • Gabapentin und Pregabalin* sollen zur Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden.
  • Tri- oder tetrazyklische Antidepressiva
    • sollen zur Therapie von neuropathischen Schmerzen jeglicher Ursache eingesetzt werden.
  • Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)
    • Duloxetin** soll zur Therapie von neuropathischen Schmerzen jeglicher Ursache eingesetzt werden.

Mittel der 2. Wahl

  • Lidocain-Pflaster kann zur Therapie von lokalisierten
    neuropathischen Schmerzen empfohlen werden.
    • Bei postzosterischer Neuralgie ist auch der primäre Einsatz zu erwägen.
  • Capsaicin-8%-Pflaster kann zur Therapie neuropathischer
    Schmerzen jeglicher Ursache empfohlen werden.
    • Bei lokalisierten neuropathischen Schmerzen ist auch der primäre Einsatz zu erwägen.

Mittel der 3. Wahl

  • Opioide
    • Sowohl schwach wirksame µ-Opioid-Rezeptor-Agonisten
      und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wie Tramadol als auch hochpotente Opioide können zur Therapie neuropathischer Schmerzen jeglicher Ursache eingesetzt werden.
    • Unerwünschte Nebenwirkungen, Toleranzentwicklung sowie komorbide Suchterkrankungen können die Anwendung limitieren.
  • Botulinumtoxin-Injektionen
    • Botulinumtoxin kann zur Therapie neuropathischer
      Schmerzen jeglicher Ursache erwogen werden, allerdings nur bei fokal begrenzten Beschwerden und in spezialisierten Zentren.

* Abhängigkeitspotenzial von Pregabalin beachten. Besondere Vorsicht gilt bei Menschen mit Suchterkrankungen, besonders bei Missbrauch von Opioiden. Näheres siehe Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)

** Zulassung erstreckt sich nur auf die Behandlung der diabetischen Polyneuropathie.

  • Die folgenden Medikamentengruppen sind nachweislich wirksam.
    • Verschiedene Arzneimittelgruppen können kombiniert werden.
    • Näheres zum Wirkungsspektrum, zur Sicherheit und Verträglichkeit der einzelnen Wirkstoffgruppen siehe auch Artikel Grundsätze der Schmerztherapie.
  • Trizyklische Antidepressiva(TCA)1,9
    • Amitriptylin
    • Nortriptylin
    • Clomipramin
    • Imipramin
  • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)1,9
    • Duloxetin10
    • Venlafaxin (nicht für diese Indikation zugelassen)3
  • Antikonvulsiva
    • Gabapentin: „First-Line“-Medikament zur Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen3
    • Pregabalin
    • Carbamazepin?
  • Opioide
    • Stehen an 3. Stelle der medikamentösen Therapie neuropathischer Schmerzen (siehe Leitlinienkasten).
  • Capsaicin-Pflaster12 und Lidocain-Pflaster
    • Kommen vor allem bei lokalisierten neuropathischen Schmerzen in infrage.

Trizyklische Antidepressiva (TCA)

pfeil_7x12.png siehe Tabelle: Neuropathische Schmerzen, trizyklische Antidepressiva (TCA)

  • Häufige Nebenwirkungen
  • Cave: Herzrhythmusstörungen (EKG-Kontrollen)!
  • Wirksamkeitsnachweise zu folgenden Indikationen:9
    • schmerzhafte diabetische Neuropathie
    • postzosterische Neuralgie
    • partielle Nervenläsionen
    • zentrale Schmerzsyndrome.
  • Begrenzte oder unzureichend evaluierte Wirksamkeit bei folgenden Indikationen:
    • Prävention Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie
    • Tumorschmerzen mit nozizeptiver Komponente.

Antikonvulsiva

pfeil_7x12.png siehe Tabelle: Neuropathische Schmerzen, Antikonvulsiva

  • Beginn mit niedriger Dosierung und schrittweise Erhöhung
  • Häufige Nebenwirkungen
    • Sedierung, Schwindel, Ödeme
    • Vorsicht bei Niereninsuffizienz!
    • assoziiert mit einem erhöhten Risiko für suizidale Handlungen, unbeabsichtigte Überdosierungen, Verletzungen (besonders an Rumpf und Kopf), speziell bei jüngeren Patient*innen13
  • Cochrane-Analyse zu Gabapentin14
    • bei ca. 1/3 der Patient*innen mit Gabapentin Schmerzlinderung um mindestens 50 %
    • bei fast 50 % der Patient*innen: Gabapentin in Monotherapie ohne zufriedenstellende Wirkung
    • Es wurde nur die Wirksamkeit bei postherpetischer Neuralgie und schmerzhafter diabetischer Neuropathie evaluiert.
  • Cochrane-Analyse zu Pregabalin15
    • bei postherpetischer oder diabetischer Neuropathie und bei gemischtem oder unklassifiziertem posttraumatischem Schmerz:
      • ähnliche Effektstärken wie in der Cochrane-Analyse zu Gabapentin (s. o.)
    • bei zentralem neuropathischem Schmerz:
      • In 44 % der Fälle wurde eine Schmerzreduktion um mindestens 30 %, in 26 % der Fälle um mindestens 50 %, erreicht.
    • keine Wirksamkeit oder unzureichende Nachweise bei:
      • HIV-Neuropathie
      • neuropathischen Rückenschmerzen/Ischialgien
      • tumorbedingten neuropathischen Schmerzen
      • Polyneuropathien anderer Ursache.

SSNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer)

pfeil_7x12.png siehe Tabelle: Neuropathische Schmerzen, SSNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer)

Topische Therapie

  • Capsaicinpflaster1,16
    • Nur auf unverletzte Haut auftragen!
    • Darf nur 30–60 Minuten auf der Haut verbleiben.
    • Die Anwendung kann alle 90 Tage wiederholt werden.
    • Wirksamkeitsnachweise in kontrollierten Studien durch mehrere Metaanalysen und für verschiedene neuropathische Schmerzsyndrome bestätigt. Allerdings ist die Qualität der meisten zugrunde liegenden Studien niedrig.
    • Capsaicin-8%-Pflaster scheint niedriger dosierten Pflastern und Salben überlegen zu sein.
  • Lidocainpflaster
    • Wirksamkeitsnachweis in mehreren kontrollierten Studien.
    • am besten untersucht bei postzosterischer Neuralgie

Opioide

pfeil_7x12.png siehe Tabelle: Neuropathische Schmerzen, Opioide

  • Häufige Nebenwirkungen
  • Vorsicht!
    • Aufgrund der Nebenwirkungen, des Risikos für eine opioidassoziierte Hyperalgesie und aufgrund der möglichen Entwicklung einer Opioidtoleranz wird empfohlen, Opioide bei chronischen neuropathischen Schmerzen nur eingeschränkt zu verwenden.
    • In bis zu 50 % aller Fälle liegt Missbrauch/eine Abhängigkeit vor.

Cannabinoide

  • Wirkstoffe aus Cannabis sativa (Hanf)
    • Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) 
    • Cannabidiol (CBD)17
  • Eine Metaanalyse der US-amerikanischen Fachgesellschaft für Neurologie (American Academy of Neurology, AAN)18 sowie weiterer systematische Metaanalysen kontrollierter Studien19-20 zeigen eine moderate, aber signifikante Schmerzreduktion
    • unter Δ9-THC, teilweise in Kombination mit CBD, bei Patient*innen mit:
    • unter einem synthetischen Cannabinoid bei einem gemischten Kollektiv chronisch neuropathischer Schmerzpatient*innen27
  • Zwei Studien bei Patient*innen mit diabetischer Neuropathie zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen den analgetischen Effekten von Δ9-THC/CBD und Placebo.28-29
  • Welchen Stellenwert Cannabinoide in der Behandlung neuropathischer Schmerzen haben, ist kontrovers.
    • Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie kam in der zuletzt 2019 aktualisierten Version ihrer S2k-Leitlinie zur nicht interventionellen Therapie neuropathischer Schmerzen zu folgenden Schlussfolgerungen:1
      • „Cannabinoide können zur Therapie neuropathischer
        Schmerzen jeglicher Ursache nicht empfohlen werden, da ihr Effekt eher gering ausgeprägt ist und die Nebenwirkungsrate hoch ist."
      • „Nur in Einzelfällen kann bei Versagen anderer Schmerztherapien der Einsatz von Cannabinoiden als Off-Label-Therapie im Rahmen eines multimodalen Schmerztherapiekonzepts erwogen werden.“ 
    • Auch die Zeitschrift Arznei-Telegramm bewertet die Datenlage zur Wirksamkeit von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzen weniger positiv als die Autor*innen der oben zitierten Studien30 (Stand Oktober 2017).
    • Laut aktuellen systematischen Analysen (2018) ist die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzen nur unzureichend nachgewiesen. Ihre Wirksamkeit wird als zu schwach bewertet, um das evtl. Auftreten von potentiell schweren psychischen Nebenwirkungen rechtfertigen zu können.31-32
  • Näheres siehe Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel.

Weitere Therapien

  • Multimodale Schmerztherapie1,11
    • Umfasst je nach Situation u. a. psychotherapeutische, physikalische, physio-, ergo- und bewegungstherapeutische Verfahren, Stressreduktions- und Entspannungstechniken.
    • Näheres siehe Artikel Grundsätze der Schmerzbehandlung.
  • Interventionelle Verfahren an einem spezialisierten Schmerzzentrum, z. B.:
    • Nervenblockaden
      • epidurale Blockaden (postherpetische Neuralgie, Radikulopathie, chronische Schmerzen nach einer Rückenoperation)
      • Sympathikusblockade (Rückenschmerzen, komplexe regionale Schmerzsyndrome)
    • Rückenmarkstimulation
    • Motorkortex-Stimulation33
    • mikrovaskuläre Dekompression
      • bei Trigeminusneuralgie indiziert
    • intrathekale Infusion von Analgetika
      • Tumorschmerzen
      • postherpetische Neuralgie
      • Rückenschmerzen nach einer Operation
      • komplexes regionales Schmerzsyndrom
  • TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation)34
    • bislang nur in einzelnen Studien niedriger Qualität evaluiert
    • Der Einsatz dieser nebenwirkungsarmen Behandlung kann in Einzelfällen erwogen werden.1
  • Akupunktur
    • Aufgrund der begrenzten Datenlage kann die Akupunktur bei generalisierten Neuropathien oder spezifischen Neuralgien weder empfohlen noch von ihr abgeraten werden.35

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Die Schmerzen entstehen durch Schäden oder Fehlfunktionen der Nervenbahnen des Körpers oder des Zentralnervensystems.
  • Es können verschiedene Therapiemöglichkeiten versucht werden.
  • Das Ansprechen auf die Behandlung kann individuell variieren.
  • Vor Beginn der Behandlung sind die Therapieziele gemeinsam mit der betroffenen Person zu erarbeiten (Schmerzreduktion? Funktionsverbesserung?). Dabei sind realistische Ziele zu formulieren (z. B. „Schmerzlinderung" statt „Schmerzfreiheit").

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Video

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
  • NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale Versorgungsleitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-001e. S3, Stand 2016 (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114, Klasse S2k, Stand 2019. www.awmf.org
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  7. Baron R. Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen. Dtsch Arztebl CME Kompakt 2009; 1(2): 32a-32j. www.aerzteblatt.de
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Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

Frühere Autor*innen

  • Torhild Warncke, spesialist i Nevrologi, dr. med.
  • Unn Ljøstad, spesialist i nevrologi, professor PhD
  • Åse Mygland, spesialist i nevrologi, professor, dr. med

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