Da Kopf- und Bauchschmerzen nicht zu muskuloskelettalen Beschwerden gerechnet werden, sind auch bei uns etwa 10–20 % der Schulkinder von muskuloskelettalen Schmerzen betroffen.3
Diagnostische Überlegungen
Ursachen für Erkrankungen des Bewegungsapparates sind bei Kindern vielfältig.
Genaue Anamnese und körperliche Untersuchung sind für die Differenzialdiagnose sehr wichtig.
Vor allem Kinder mit ungewöhnlichen Symptomen oder atypischen Befunden sollten gründlich untersuchen werden.
Die richtige Diagnose ist wichtig, um Schmerzen und Ursachen wirkungsvoll zu behandeln und langfristige Komplikationen durch unbehandelte Grunderkrankung zu vermeiden.
Das Symptom Rückenschmerz hat im Kindesalter häufig ein organisches Korrelat. Abhängig vom klinischen Befund ergibt sich die Notwendigkeit der bildgebenden Diagnostik. 6
Abwendbar gefährlicher Verläufe
Folgende Begleitsymptome sollten an abwendbar gefährliche Verläufe denken lassen:7
M07 Arthritis psoriatica und Arthritiden bei gastrointestinalen Grundkrankheiten
M08 Juvenile Arthritis
M09 Juvenile Arthritis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
M12 Sonstige näher bezeichnete Arthropathien
M13 Sonstige Arthritis
M54.5 Kreuzschmerz
M79.1 Myalgien
M79.6 Schmerzen in den Extremitäten
Differenzialdiagnosen
Einteilung der Ursachen
Von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie existiert folgende Einteilung für die Ursachen von muskuloskelettalen Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen:3
belastungsabhängige, meist akut aufgetretene Schmerzen mit somatischem Korrelat bei gutem oder nur leicht reduziertem AZ
Schmerzverstärkungssyndrom
chronische muskuloskelettale Schmerzen ohne somatisches Korrelat
Malignom
akute oder chronisch-progrediente muskuloskelettale Schmerzen mit Begleitsymptomatik (z. B. Symptomprogredienz, Anämie, Blutungszeichen, multiple Organbeteiligung)
bakterielle Infektionen
akute, lokalisierte muskuloskelettale Schmerzen mit Begleitsymptomatik (z. B. hohes Fieber, klassische Entzündungszeichen)
rheumatische Erkrankungen und nichtbakterielle Osteomyelitis
chronisch verlaufende, meist bei Belastung abnehmende muskuloskelettale Schmerzen in mindestens einem Gelenk mit Morgensteifigkeit, typischen Hautveränderungen und Charakteristika für Entzündung und Chronifizierung
häufig bei jungen Mädchen vor (3–10 Jahre) oder im Jugendalter
Prävalenz bei etwa 3 % mit einer vermutlich deutlich höheren Dunkelziffer8
Symptome und Beschwerdebilder
muskuloskelettale Schmerzen in Kombination mit einer generellen Hypermobilität der Gelenke ohne angeborene Erkrankungen
Klinische Untersuchung
Beurteilung der Mobilität im Daumen in Bezug auf den Unterarm, Grad der Hyperextension in den Fingergrundgelenken, Ellenbogen und Knien sowie die Fähigkeit, die Handflächen bei gestreckten Beinen auf den Boden aufzusetzen.
Andere Untersuchungen sind in der Regel nicht indiziert.
Verlaufskontrolle
Das Fortschreiten der Erkrankung sollte überwacht werden, da noch nicht geklärt ist, welche Beschwerden sie verursachen kann.
bei ernsten Beschwerden Überweisung an Fachärzt*in
Bei anhaltenden Schmerzen Zustand erneut beurteilen.
Therapie
keine kausale Therapie
ggf. Physiotherapie zur Schmerzlinderung und verbesserten Propriozeption
Da bei Kindern im Alter von 4–6 Jahren jedoch die Zeit des geringsten Wachstums im Kindesalter vorliegt, ist davon auszugehen, dass diese Beschwerden nicht durch Wachstum erklärt werden können.3
Vermutet wird eine Kombination aus verschiedenen Faktoren, u. a. Hypermobilität der Gelenke, geringe Schmerztoleranz, verminderte Knochenfestigkeit und emotionale Auslöser, wie z. B. familiärer Stress.11
Prävalenz
bei etwa 35 % der Kinder im Alter von 4–6 Jahren13
Beschwerden können auch bei älteren Kindern auftreten.
Symptome und Beschwerdebilder
krampfartige Schmerzen im Oberschenkel und an Vorder- und Rückseite des Unterschenkels
Abendliche oder nächtliche Schmerzen, sodass das Kind davon wach wird.
morgens keine Beschwerden mehr
Klinische Untersuchung
klinische Untersuchung sowohl während als auch nach einer Episode unauffällig
Diagnostik bei Spezialist*in
weitere diagnostische Tests nicht erforderlich
Differenzialdiagnosen
Folgende Symptome sind untypisch für benigne Gliederschmerzen und sollten differenzialdiagnostisch abgeklärt werden:
Bei Verdacht auf rheumatologische Erkrankung in Rücksprache mit kinderrheumatologischer Fachärzt*in, um vielfältige zusätzliche Blutentnahmen zu vermeiden.
Einige Werte erfordern spezifische Abnahme- und Versandmethoden und müssen in Speziallaboren bestimmt werden.
chronische, rezidivierende und potenziell tödliche entzündliche Bindegewebserkrankung mit Symptomen vieler Organe wie Haut, Muskeln/Knochen, Blutgefäße und Nieren
Prävalenz
In Deutschland 40 pro 100.000 Einw.22, 10–15 % sind Kinder.
symmetrische Arthritis in mehreren Gelenken: Hinweis auf entzündlichen Erkrankungen wie polyartikuläre juvenile idiopathische Arthritis, verschiedene Bindegewebserkrankungen und systemischer Lupus erythematodes
Lang anhaltende Morgensteifigkeit, geschwollene Gelenke und Allgemeinsymptome?
Anzeichen einer entzündlichen Erkrankung wie Arthritis oder Vaskulitis
Lindernde Faktoren?
Auslösende Faktoren?
Einschränkung der täglichen Aktivitäten?
Wenn ja, besteht der Verdacht auf eine therapiebedürftige Erkrankung.
Extraartikuläre Symptome?
Bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen kann es zu charakteristischem Hautausschlag kommen.29
Die Untersuchung von Knochen und Muskeln kann auf eine Arthritis oder Myositis hindeuten.
Arthritis
Lokale Wärmeentwicklung, Schwellung, eingeschränkte Mobilität, evtl. schont das Kind die Gelenke.
Können bei juveniler Arthritis sehr mild ausgeprägt sein und daher übersehen werden.
Muskelmasse und -stärke
Sollten ebenfalls beurteilt werden.
Eine lang anhaltende Arthritis kann zu Knochenabbau oder Muskelatrophie führen.34
Eine proximale Muskelschwäche (Becken- und Schultergürtel) tritt bei juveniler Dermatomyositis auf.
Fokale Schmerzempfindlichkeit oder Anomalien deuten eher auf eine orthopädische oder onkologische Erkrankung als eine entzündliche Erkrankung hin.35
Verlaufskontrolle
Viele rheumatische Erkrankungen entwickeln sich über Wochen oder Monate.31
Es wird eine engmaschige Kontrolle zur Überprüfung der Entwicklung der Erkrankung empfohlen.
Gehen die Symptome zurück und treten keine Komplikationen auf, liegt keine chronische entzündliche Erkrankung vor.
Kommt es zu einer Verschlechterung des Zustandes, sollten weitere Untersuchungen und eine mögliche Überweisung an Spezialist*innen in Erwägung gezogen werden.
Ergänzende Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
Laboruntersuchungen sind bei Verdacht auf entzündliche Erkrankungen wichtig und können dazu beitragen, ernste Diagnosen wie Infektionen und maligne Erkrankungen auszuschließen.
Die Wahl der Tests hängt vom klinischen Zustand des Kindes ab.
Aussagekräftige Tests, die in der Hausarztpraxis durchgeführt werden können, sind: kleines Blutbild, CRP, BSG und evtl. ANA.1
Sind Blutbild, CRP und BSG normal und ANA negativ, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass es sich um eine Infektion, Krebserkrankung oder systemischen Lupus erythematodes handelt.
Ein kostspieliges „Rheumascreening“ wie die Bestimmung von antinukleären Antikörpern (ANA), Rheumafaktor (RF) und dem humanen Leukozytenantigen B27 (HLA-B27) ist obsolet.3
Diese Untersuchungen sollten erst dann eingesetzt werden, wenn eine rheumatologische Genese der Schmerzsymptomatik anamnestisch und klinisch eindeutig ist.
Sie sollte frühzeitig bei einer Untersuchung von chronischen Gelenkschmerzen oder Schmerzen, die in keiner Relation zu den klinischen Befunden stehen, bestimmt werden.
Eine erhöhte BSG ist ein Anzeichen einer Entzündung oder Infektion.
Eine hohe BSG und niedrige Thrombozytenzahl können auf eine maligne Erkrankung hindeuten.32
Laut einer Studie ist der Wert bei 2 % der gesunden Kinder positiv.37 Der positive prädiktive Wert ist jedoch niedrig, und der Test sollte nicht routinemäßig durchgeführt werden.
Bei Titern über 1:320 ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es sich um eine entzündliche Erkrankung handelt.23
Für die idiopathische Arthritis liegt die Sensitivität des Tests bei 70 % und die Spezifität bei über 80 %38-40, aber aufgrund der geringen Prävalenz ist der positive prädiktive Wert in der Arztpraxis niedrig.
Der Wert wird bei der Diagnose von systemischem Lupus erythematodes und bei der Beurteilung der Krankheitsaktivität bei Patient*innen mit bestätigter Diagnose verwendet.
Der Test hat eine Sensitivität von über 70 % bei Kindern mit SLE.
Der Genotyp kommt normalerweise bei 7–10 % der hellhäutigen Menschen vor.
Der Test hat eine Sensitivität von 85 % und eine Spezifität von 95 % bei Spondyloarthropathie, aber aufgrund der niedrigen Prävalenz der Erkrankung ist der Test in einer Hausarztpraxis nicht angezeigt.
Bei Spezialist*innen
Bei auffälligem körperlichem Untersuchungsbefund, bei einer Begleitsymptomatik oder pathologischen Laborwerten soll weiterführend eine radiologische Diagnostik erfolgen.3
Sonografie
Insbesondere bei der Beurteilung von Weichteil- und Gelenkprozessen kann sie hilfreich sein (Differenzierung subperiostaler Flüssigkeit wie Abszess oder Hämatom, Darstellung von Gelenkergüssen bei Coxitis fugax).41
Röntgen
Eine Röntgenuntersuchung in 2 Ebenen der betroffenen Region kann in der frühen Phase der Untersuchung von Patient*innen mit schweren Gelenk- oder Knochenschmerzen angezeigt sein.
Damit können Knochentumoren32,35,42, Frakturen und chronische Osteomyelitis erkannt werden.
Er ist lediglich bei 40 % der Kinder mit Leukämie auffällig. Charakteristische Röntgenbefunde fehlen auch bei vielen anderen Krebsarten bei Kindern.33,43
MRT/CT
Wird bei mehrdeutigen oder schwer zu deutenden klinischen Befunden eingesetzt.44-45
Ist bei periartikulären Entzündungen, Tumoren und pathologischen Knorpeln angezeigt.
Hat für den Nachweis von Malignität und entzündlichen Erkrankungen eine höhere Sensitivität als eine Röntgenuntersuchung.35,44
Im Falle von Entzündungen erhöhen Kontrastmittel die Sensitivität.
Für die Pädiatrie gibt es keine Belege, aber eine frühe Überweisung von Erwachsenen mit rheumatischen Erkrankungen wird mit einer besseren Prognose in Verbindung gebracht.47-48
Daher sollten Kinder mit einer rheumatischen Erkrankung von Kinderrheumatolog*innen betreut werden.
Checkliste zur Überweisung
Chronische Muskelschmerzen bei Kindern
Zweck der Überweisung
Bestätigung der Diagnose? Therapie? Sonstiges?
Anamnese
Dauer und Beginn? Entwicklung, evtl. Progression?
Symptome und Beschwerdebilder? Schmerzen: Lokalisierung, Aktivitäten, die Schmerzen hervorrufen, Schmerzen in Ruhe, nächtliche Schmerzen? Gelenkbeteiligung? Ausschlag? Allgemeinsymptome: Fieber, Müdigkeit, Gewichtsverlust?
Durchgeführte Therapien und Ergebnisse?
Andere relevante Krankheiten?
Derzeitige Medikamente?
Folgen: Einschränkung der körperlichen Aktivitäten, sonstige Einschränkungen?
Klinische Untersuchung
Anzeichen einer Systemerkrankung? Lokalisierung der Schmerzen? Anzeichen einer lokalen Infektion oder Entzündung? Anzeichen von Arthritis?
Die Therapie von Kindern mit rheumatischen Erkrankungen sollte vorzugsweise unter der Leitung von (Kinder-)Rheumatolog*innen erfolgen.
Quellen
LeitlinieLeitlinien
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Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Orthopädie und Unfallchirurgie, Münster
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
m07 leddlidelser ved psoriasis og inflammatorisk tarmsykdom; m13 annen artritt
Muskuloskelettale Schmerzen treten bei Kindern häufig auf. Der Schmerz kann für das Kind schwierig zu beschreiben sein und Kind und Eltern beunruhigen. Evtl. zugrunde liegende rheumatische oder andere ernste Erkrankungen sollen abgeklärt werden.1-2
Pädiatrie
Schmerzen, chronische muskuloskelettale bei Kindern