Angst

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet basiert der gesamte Artikel auf der S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“1 und der DEGAM-Praxisempfehlung „Hausärztliche Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Angst“2.

Definition

  • Angst, Furcht und Anspannung sind normale Reaktionen auf tatsächliche oder befürchtete Bedrohungen und Gefahren.
  • Durch die psychische Angstreaktion wird der Sympathikus aktiviert. In der Folge kommt es zu körperlichen Reaktionen wie Herzklopfen, vermehrtem Schwitzen sowie Hitzewallungen oder Frieren.
  • Bei Angststörungen ist die Schwelle für Angstreaktionen herabgesetzt und deren Intensität gesteigert.

Häufigkeit

  • Angst ist eines der häufigsten psychischen Symptome, die in der Hausarztpraxis vorkommen.
  • Für Deutschland wurde für alle Angststörungen eine 12-Monatsprävalenz von 15,3 % der Bevölkerung errechnet.
  • Erste Anlaufstelle bei Angststörungen ist häufig die Hausarztpraxis.
  • Rund jeder Fünfte ist einmal im Leben von einer Angststörung betroffen, das gilt für beide Geschlechter gleichermaßen.
  • Von den Angststörungen, die in der Hausarztpraxis vorkommen, tritt die generalisierte Angststörung am häufigsten auf, gefolgt von der Panikstörung und von Phobien.

Diagnostische Überlegungen

  • Bei Patient*innen mit Angstsymptomen ist primäres Ziel der Diagnostik in der Hausarztpraxis, Angststörungen und begleitende psychische Störungen rechtzeitig zu erkennen, um zu einer spezifischen Behandlung zu motivieren.
  • Angststörungen zählen zu den F-Diagnosen nach ICD-10, d. h. zu den psychischen Störungen und Verhaltensstörungen.3
    • Stellt man eine solche Diagnose, dann kann das für die betroffene Person auch von Nachteil sein, etwa im Hinblick auf den Abschluss einer Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung oder bei einer angestrebten Verbeamtung.
    • Im Einzelfall kann die Kodierung als R-Diagnose oder Z-Diagnose erwogen werden.
      • R00-R99: Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind.
      • Z00-Z99: Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen.
      • z. B. Z55-65: Personen mit potenziellen Gesundheitsrisiken aufgrund sozioökonomischer oder psychosozialer Umstände
    • Andererseits eröffnet nur eine F-Diagnose den Zugang zu einer umfassenden Versorgung.
  • Angststörungen werden in der Primärversorgung oft nicht erkannt, weil Patient*innen eher organbezogene Symptome und nicht primär Ängste schildern.
  • Angst und Niedergeschlagenheit treten häufig als normale psychische Reaktionen auf konkrete Ereignisse und Situationen auf.
    • In einer bedrohlichen Situation oder bei konkreten Gefahren ist Angst eine normale, angemessene Reaktion. In solchen Situationen kann Angst eine lebensrettende Funktion haben, denn sie führt dazu, dass weitere Gefahren vermieden werden.
  • Mit der natürlichen Angst vor tatsächlichen Gefahren und Bedrohungen haben Angsterkrankungen nur wenig gemein.
    • Während z. B. viele Menschen Angst vor (harmlosen) Spinnen haben und diese Angst bewältigen, erleben andere in einer solchen ungefährlichen Situation gesteigerte Angstreaktionen bis zur Handlungsunfähigkeit.
  • Die Angstreaktion führt zu einer Aktivierung des Sympathikus und damit zu einer erhöhten Aktivität des vegetativen Nervensystems.
    • Die Herzfrequenz steigt, die periphere Durchblutung wird verringert, Herzklopfen sowie kalte Hände und Füße treten auf.
    • Zusätzlich erhöht sich häufig die Muskelanspannung.
    • Akute Angstzustände können zu Atemnot (Hyperventilation) oder in seltenen Fällen zu Ohnmachten führen (häufig Blut- und Verletzungsphobien oder Panik).

Konsultationsgrund

Abwendbar gefährliche Verläufe (Beispiele)

ICPC-2

  • P01 Gefühl Angst/Unruhe/Spannung

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20213
    • F40.- Phobische Störungen
      • F40.0- Agoraphobie
      • F40.1 Soziale Phobien
      • F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
      • F40.8 Sonstige phobische Störungen
      • F40.9 Phobische Störung, nicht näher bezeichnet
    • F41.- Andere Angststörungen
      • F41.0 Panikstörung [episodisch paroxysmale Angst]
      • F41.1 Generalisierte Angststörung
      • F41.2 Angst und depressive Störung, gemischt
      • F41.3 Andere gemischte Angststörungen
      • F41.8 Sonstige spezifische Angststörungen
      • F41.9 Angststörung, nicht näher bezeichnet

Differenzialdiagnosen

Angststörungen

Generalisierte Angststörung

  • Generalisierte, anhaltende Angst, die sich nicht auf bestimmte Situationen oder bestimmte Umstände beschränkt, sondern frei flottiert.
  • Die Lebenszeitprävalenz wird mit 3–5 % angegeben. Die generalisierte Angststörung ist die häufigste Angststörung in der Hausarztpraxis.
  • Unterschiedliche Symptome können im Vordergrund stehen, z. B.:
  • Häufig wird von den Patient*innen die Sorge geäußert, dass sie selbst oder Angehörige erkranken oder einen Unfall haben könnten. Die Grundstimmung der Patient*innen lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen.“

Panikstörung

  • Das wesentliche Kennzeichen sind wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind.
  • Wie bei anderen Angststörungen zählen zu den Kernsymptomen:
  • Häufig besteht sekundär auch die Furcht zu sterben, die Kontrolle zu verlieren oder wahnsinnig zu werden.
  • Bei einer depressiven Störung zum Zeitpunkt der Panikattacken soll die Panikstörung nicht als Hauptdiagnose verwendet werden, da diese wahrscheinlich eine sekundäre Folge der Depression ist. 

Phobische Störungen

  • Dazu zählen soziale Phobiespezifische Phobien und Agoraphobie (z. B. Angst vor Menschenmassen und großen Plätzen).
  • Eine Gruppe von Angststörungen, bei denen Angst nur oder hauptsächlich in bestimmten Situationen oder durch bestimmte Objekte hervorgerufen wird, die in der Regel ungefährlich oder harmlos sind.
  • In der Folge werden diese Situationen vermieden oder sind mit großer Angst verbunden.
  • Für die Patient*innen können die einzelnen Symptome wie Herzklopfen oder das Gefühl, ohnmächtig zu werden, im Vordergrund stehen. Häufig bestehen auch sekundäre Ängste vor Kontrollverlust oder davor, wahnsinnig zu werden.
  • Allein der Gedanke, sich in eine Situation, die die Phobie auslöst, zu begeben, löst in der Regel Angst (sog. Erwartungsangst) aus.
  • Die Vermeidung der Situation lindert die Angst.
  • Phobische Störungen treten häufig zusammen mit einer Depression auf. Die zeitliche Abfolge bestimmt, ob nur eine Diagnose, „phobische Störung“, oder zwei Diagnosen, „phobische Störung und depressive Episode“, gestellt werden.

Somatoforme Störungen

  • Siehe Artikel Somatoforme Körperbeschwerden.
  • Nach ICD-10 F45.- „Wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzt*innen, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind.“3

Hypochondrische Störung (Krankheitsangst)

  • ICD-10 F45.23
  • Körperliche Vorgänge werden als potenzielle Krankheiten gedeutet.
    • Informationen, die den Verdacht stützen, werden verstärkt wahrgenommen und solche, die den Verdacht entkräften, nicht beachtet.
  • Es besteht die starke Furcht, an einer schweren Erkrankung zu leiden.
  • Viele Patient*innen wechseln häufig ihre Ärzt*innen, konsultieren Nachschlagewerke, beobachten sich selbst in übersteigertem Maße und recherchieren Krankheiten im Internet, häufig stundenlang („Cyberchondrie“ oder „Morbus Google“).
  • Die Störung kommt häufiger vor als bisher angenommen.
  • Es gibt eine deutliche Überschneidung mit Zwangsstörung, Panikstörung und Depression.4

Depressive Episode

  • Kann im Rahmen einer monopolaren depressiven Störung oder einer bipolaren affektiven Störung auftreten.
  • Die Hauptsymptome bei leichten, mittelgradigen oder schweren depressiven Episoden sind Niedergeschlagenheit, Interessensverlust, Freudlosigkeit, Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit.
  • Häufige Zusatzsymptome sind die Störung der Konzentration, der Aufmerksamkeit und des Denkvermögens.
  • Auch Schlafstörungen und Appetitlosigkeit oder gesteigerter Appetit können auftreten.
  • Fast immer sind Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen vermindert, auch leichte Formen sind häufig mit Gefühlen von Schuld und Wertlosigkeit verbunden.
  • Die gedrückte Stimmung ist relativ gleichbleibend und ändert sich nicht durch äußere Umstände. Sie kann von somatischen Symptomen wie frühmorgendlichem Erwachen sowie morgendlichem Stimmungstief und einer deutlich verminderten sexuellen Lust (Libidoverlust) oder psychomotorischen Symptomen wie Unruhe oder Verlangsamung sowie Gewichtsverlust begleitet werden.
  • Je nachdem, wie viele Symptome bestehen und wie stark diese ausgeprägt sind, kann eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer eingestuft werden.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

  • Die posttraumatische Belastungsstörung tritt als eine verzögerte oder anhaltende psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes auf.
  • Typische Symptome sind:
    • Wiedererleben des Traumas
    • Reizbarkeit
    • Albträume
    • affektive Verflachung
    • Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit
    • Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die an das Trauma erinnern könnten.
  • Häufig besteht eine vegetative Übererregtheit, die sich in Form von Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit manifestieren kann.
  • Die Diagnose PTBS soll erst gestellt werden, wenn die Symptome länger als 4 Wochen anhalten.
    • Symptome unmittelbar und bis zu 4 Wochen nach dem Trauma mit allmählich abnehmender Intensität sind normal.
    • Die PTBS setzt mit einer Latenzzeit von bis zu 4 Wochen nach dem Trauma ein.

Andere psychische Störungen

Somatische Erkrankungen

Anamnese

  • Bei Angstzuständen ist die Anamnese sowohl zur Diagnose als auch zur Beurteilung des Schweregrads das wichtigste Element.
  • Einfühlsam vorzugehen, Interesse zu zeigen und Optimismus zu vermitteln, dass eine Behandlung Erfolg haben kann, sind entscheidende Faktoren beim Umgang mit der betroffenen Person.
  • Fokussierte Fragen:
    • Fühlen Sie sich nervös oder angespannt?
    • Machen Sie sich häufig über Dinge mehr Sorgen als andere Menschen?
    • Haben Sie das Gefühl, ständig besorgt zu sein und dies nicht unter Kontrolle zu haben?
    • Befürchten Sie oft, dass ein Unglück passieren könnte?
  • Um das Ausmaß der Ängste weiter zu klären:
    • Haben Sie noch weitere Ängste?
    • Hat sich Ihr Alltagsleben dadurch verändert?
    • Haben Sie in letzter Zeit daran denken müssen, nicht mehr leben zu wollen?
  • Situativ ausgelöst?
    • Wenn die Angst beim Gedanken an eine Person, eine Situation oder an bestimmte Orte, im Zusammenhang mit einem bestimmten Objekt oder einem Tier auftritt, weist dies auf eine phobische Störung hin.
  • Zeitlicher Verlauf
    • Viele Angststörungen verlaufen chronisch.
    • Ängstliche, besorgte Grundstimmung?
      • Dauerhafte Angstgefühle mit allgemeinen Ängsten (z. B. existenzielle Ängsten), die Tendenz sich ständig Sorgen zu machen, Anspannung und Muskelverspannungen sind Anzeichen für eine generalisierte Angststörung.
    • Anfälle?
      • Bei einer Panikstörung treten plötzliche, starke Angstattacken unklarer Ursache oder ohne angemessenen äußeren Anlass auf. Diese halten in der Regel nur wenige Minuten an.
  • Weitere typische Symptome (s. o.)?
  • Biografische Anamnese
    • Familiäre Belastung mit Angststörungen oder anderen psychischen Störungen?
    • Traumatische Lebensereignisse?
    • Schwierigkeiten im Umgang mit Stress?
  • Lebensstilfaktoren
    • Rauchen
    • Alkohol
    • Koffein
    • Medikamente mit Suchtpotenzial
    • Schlaf
    • Tagesrhythmus
    • Wohn- und Lebenssituation
    • Konflikte mit Partner*in oder Familienangehörigen
    • berufliche Situation
  • Somatische Beschwerden (s. o.)?

Wichtige differenzialdiagnostische Fragen

  • Fragen, durch die sich die verschiedenen Angststörungen voneinander abgrenzen lassen. Werden die Fragen mit ja beantwortet, können Folgefragen gestellt werden, um die Diagnose weiter abzusichern.
    • Sind sekunden- oder minutenlange Anfälle plötzlicher, starker Angst, Furcht oder Anspannung in ganz unterschiedlichen Situationen aufgetreten? Tritt in der Folge häufig Herzklopfen, Atemnot und Schwindel auf? (Panikattacke)
    • Sind plötzliche Anfälle starker Angst, Furcht oder Anspannung in bestimmten, typischen Situationen aufgetreten, die von den meisten anderen Menschen als harmlos erlebt werden? (spezifische Phobie)
    • Sind an Orten oder in Situationen, an denen zu befürchten ist, nicht schnell genug herauszukommen oder Hilfe holen zu können (Warteschlange, Bus, Laden, Besprechung) Furcht oder Unwohlsein aufgetreten? (Agoraphobie)
    • Hatten Sie in Situationen, in denen Sie im Zentrum der Aufmerksamkeit standen (z. B. eine Rede zu halten, ein Gedicht aufzusagen, ein Lied vor anderen zu singen, mit anderen zu essen, in sozialen Zusammenhängen aufzutreten) Angst, zu versagen oder sich lächerlich zu machen? (soziale Phobie)
    • Haben Sie sich Sorgen um bestimmte Dinge gemacht oder hatten Sie hiervor große Angst, z. B. um Geld, um die Gesundheit der Kinder oder vor Unfällen? (generalisierte Angststörung)
      • Mehr als die meisten anderen Menschen?
      • Ist das den überwiegenden Teil der Zeit so?
      • Haben andere Leute gesagt, dass Sie sich zu viele Sorgen machen?

Angstskalen

Klinische Untersuchung

Allgemeines

  • Viele Angstpatient*innen kommen mit körperlichen Beschwerden wie Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Mundtrockenheit, Übelkeit, Schmerzen und Muskelverspannungen in die Praxis.
  • Diese Symptome sollen ernst genommen werden, um körperliche Erkrankungen ausschließen zu können.
  • Auch wenn sich die Symptome nicht organisch erklären lassen, dürfen die Beschwerden auf keinen Fall mit „das ist nur psychisch“ abgetan werden.8
  • Andererseits ist eine somatische Fixierung durch apparative Überdiagnostik zu vermeiden.
    • Nur so viel Diagnostik wie notwendig ist, damit sich die Behandelnden sicher fühlen.
      • Technische Untersuchungen nicht zur Beruhigung einsetzen.
      • Negative Wirkung des Absicherungsverhaltens thematisieren: „Immer mehr Diagnostik wird Ihre Ängste wachsen lassen.“
    • Anamnese und körperliche Untersuchung ggf. wiederholen.
    • Ziele und mögliche Ergebnisse der Diagnostik im Voraus mit den Patient*innen besprechen.

Basisdiagnostik zum Ausschluss einer organischen Ursache der Beschwerden

  • Körperliche Untersuchung
    • Blutdruckmessung, Auskultation von Herz und Lunge sowie Tastuntersuchung von Bauch und Muskulatur sind sinnvoll und wichtig, u. a. auch, um den Patient*innen ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.
  • Labor
  • EKG mit Rhythmusstreifen
  • Ggf. Lungenfunktion
  • Ggf. kranielle Bildgebung (MRT, CT)
  • Ggf. EEG

Ergänzende Untersuchungen: je nach klinischem Verdacht

  • Internistisch
    • Herzecho
    • Röntgen-Thorax
    • 24-Stunden-RR
    • 24-Stunden-EKG
  • Neurologisch
    • klinische Untersuchung
    • EEG
    • Bildgebung
    • Liquordiagnostik
    • Doppler Halsgefäße und transkraniell
  • HNO
    • Nystagmografie
    • kalorischer Reflextest
    • Vestibularisprüfung
    • Rotationsprüfung

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Die Hausarztpraxis ist oft die erste und sehr wichtige Anlaufstelle für Patient*innen mit Angststörungen.
    • In der Regel ist eine Überweisung zu psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeut*innen angezeigt, da sie über das entsprechende Wissen für eine weitergehende Exploration der Symptome und eine gezielte Behandlung verfügen.
  • Voraussetzungen für eine Behandlung in der Hausarztpraxis
    • Patient*innen mit leichter oder mittelschwerer Angststörung
    • problemorientierte Diagnostik möglicher somatischer und psychischer Erkrankungen
    • auf Wunsch der Patient*innen
    • fachliche Befähigung der Hausärzt*innen
  • Überweisung zur Psychotherapie
    • nach spätestens 6 Wochen bei nicht ausreichender Besserung
    • Wenn die Störung zu erheblichen Funktionseinschränkungen oder Behinderungen im täglichen Leben führt.
    • auf Wunsch der Patient*innen
  • Mögliche Indikationen für eine stationäre oder teilstationäre Behandlung
    • Suizidalität
    • ausgeschöpfte oder nicht verfügbare ambulante Behandlungsmaßnahmen
    • besonders schwere Symptomatik, z. B. ausgeprägtes Vermeidungsverhalten
    • Ko- und Multimorbidität
    • belastendes soziales Umfeld, z. B. eskalierende Konflikte in Paarbeziehung oder Familie

Checkliste zur Überweisung 

Angst

  • Zweck der Überweisung
    • Untersuchung? Therapie? Sonstiges?
  • Anamnese
    • Dauer? Anhaltende Angst oder Anfälle? Entwicklung? Progression?
    • Art der Angst: generalisierte Angststörung, Panikstörung, phobische Störung? Symptome bei Anfällen beschreiben: Ist die Angst an eine Situation, einen Ort, eine Person, ein Objekt gebunden?
    • Andere relevante Krankheiten? Familiäre Disposition?
    • Folgen: Inwiefern führt die Angst zu Problemen im Alltag, bei der Arbeit, sozial, in der Familie, Sonstiges?
  • Klinische Untersuchung
    • Allgemeinzustand und Organstatus
    • ggf. Ergebnisse von Fragebögen
  • Apparative Diagnostik, bei den meisten Patient*innen ausreichend:

Behandlungsindikationen

  • Vollbild einer Angststörung – oder –
    • mittlerer bis schwerer Leidensdruck der Patient*innen
    • psychosoziale Einschränkungen
    • mögliche Komplikationen, z. B. Suchterkrankung

Therapieziele

Nach S3-Leitlinien1

  • Angst und Vermeidungsverhalten reduzieren.
  • Lebensqualität verbessern.
  • Rückfallwahrscheinlichkeit reduzieren.
  • Einschränkung der Bewegungsfähigkeit bessern.
  • Soziale Integration verbessern.
  • Berufliche Leistungsfähigkeit wiederherstellen.

In der hausärztlichen Versorgung nach DEGAM-Praxisempfehlungen2

  • Vorbeugen
  • Vermeiden: somatische Fixierung durch Überdiagnostik
  • Reaktivieren
    • Alltagsaktivitäten
    • ggf. berufliche Tätigkeit
    • soziale Teilhabe
  • Ermutigen
    • Mit der Angst leben.
    • Wege aus der Angst finden.
  • Im Gespräch bleiben.
    • Individuelle Ziele an der Lebenssituation der Patient*innen orientieren.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Wirksamkeit von Psychotherapie bei Angststörungen ist belegt.
    • Am besten untersucht, auch bei älteren Patient*innen, ist die kognitive Verhaltenstherapie.
    • Sie ist gegenüber einer medikamentösen Behandlung zu bevorzugen.
  • Empfohlene Medikamente
    • Antidepressiva (SSRI, SNRI) sind die Medikamente der 1. Wahl.
    • Näheres zu den einzelnen Substanzen und deren differenziertem Einsatz siehe Artikel zu den einzelnen Angststörungen, bei denen eine medikamentöse Behandlung u. U. infrage kommt:
    • Pregabalin kann bei generalisierter Angststörung wirksam sein, ist aber nur zu empfehlen, wenn die Therapie mit Antidepressiva keinen zufriedenstellenden Erfolg erbracht hat.
      • Risiko von Sucht und Missbrauch
    • Benzodiazepine sollten wegen des hohen Suchtpotenzials vermieden werden.
  • Cannabinoide
    • Eine von der BKK Mobil Oil unterstützte, an der Universität Bremen erarbeitete Expertise (Neufassung März 2021) kommt nach umfassender Sichtung der Datenlage zur Einschätzung, dass Angststörungen unter die „möglichen Indikationen“ für den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden fallen.9
    • Diese Einschätzung stützt sich auf:
      • Studien an Schmerz-Patient*innen, bei denen Angstsymptome unter den Cannabis-Präparaten Dronabinol, Nabilon oder Nabiximols (Näheres siehe Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel) zurückgingen.10
      • Eine kleine Studie, an der 24 Patient*innen mit sozialer Phobie teilnahmen. Diese erhielten randomisiert entweder Cannabidiol (CBD) oder Placebo. Im daraufhin durchgeführten Provokationstest, bei dem die Patient*innen eine Rede halten mussten, zeigten die mit CBD Behandelten niedrigere Angstwerte als die der Placebogruppe.11
    • Weitere randomisiert kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von Cannabinoiden bei Angststörungen fehlen bislang.
  • Treten Angst und Depression kombiniert auf, hat die Behandlung der Depression Vorrang.

Leitlinie: Behandlung von Angststörungen1

  • Patient*innen mit einer Angststörung soll angeboten werden (Ia/A):
    • Psychotherapie
    • Pharmakotherapie.
  • Dabei soll die Präferenz der informierten Patient*innen berücksichtigt werden.
  • Im Informationsgespräch sollen insbesondere folgende Aspekte eine Rolle spielen:
    • Wirkeintritt
    • Nachhaltigkeit
    • unerwünschte Wirkungen
    • Verfügbarkeit.
  • In Fällen, in denen eine Psycho- oder Pharmakotherapie nicht ausreichend wirksam war, soll die jeweils andere Therapieform angeboten werden oder kann eine Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie angeboten werden.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Behandlung von Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 051-028. S3, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Behandlung von Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 051-028. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Hausärztliche Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Angst. DEGAM-Praxisempfehlung, Stand 10/2016. www.degam.de
  3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020 www.dimdi.de
  4. Nilges P, Essau C. Die Depressions-Angst-Stress-Skalen - Der DASS – ein Screeningverfahren nicht nur für Schmerzpatienten. Schmerz, 24.7.2015. www2.psy.unsw.edu.au
  5. Klinikum Heidelberg. PHQ-D Gesundheitsfragebogen für Patienten. www.klinikum.uni-heidelberg.de
  6. Herr NR, Williams JW Jr, Benjamin S, et al. Does this patient have generalized anxiety or panic disorder?: The Rational Clinical Examination systematic review. JAMA. 2014 Jul 2;312(1):78-84. doi: 10.1001/jama.2014.5950. www.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Barth C. Die Ausprägung von Herzangst bei Herzerkrankungen und arterieller Hypertonie. Diss. Med. Fakultät Universität des Saarlandes, Homburg 2011, Seite 30ff (1.7.2016). d-nb.info
  8. Chaker S, Haustein E. Hoyer J, Davidson JRT. Ein Interview zur Erfassung sozialer Ängste unter Einbeziehung von Körpersymptomen. Verhaltenstherapie 2011; 21: 194–6. DOI: 10.1159/000330926. www.karger.com
  9. Glaeske G, Muth L (Hrsg.): Cannabis-Report 2020. Bremen 2021. www.socium.uni-bremen.de
  10. Whiting PF, Wolff RF, Deshpande S et al. Cannabinoids for medical use: A systematic review and meta-analysis. JAMA 2015; 313: 2456–73. PMID: 26103030 PubMed
  11. Bergamaschi MM, Queiroz RHC, Chagas MHN et al. Cannabidiol reduces the anxiety induced by simulated public speaking in treatment-nave social phobia patients. Neuropsychopharmacology 2011; 36: 1219–26. PMID: 21307846 PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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