Osteochondrosis dissecans (OD)

Zusammenfassung

  • Definition:Potenziell reversible aseptische Knochennekrose, bei der sich der darüber liegende Knorpel als freier Gelenkkörper ablösen kann.
  • Häufigkeit:Prävalenz 15–30 Fälle pro 100.000 Personen.
  • Symptome:Initial belastungsabhängige Schmerzen, bei freien Gelenkkörpern Blockierung.
  • Befunde:Teilweise Schwellung, Blockierung und Druckschmerz.
  • Diagnostik:Körperliche Untersuchung, Röntgen und MRT.
  • Therapie:Konservativer Therapieversuch mit Entlastung, bei Beschwerdepersistenz oder freien Gelenkkörpern Arthroskopie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Osteochondrosis dissecans = OD
  • Potenziell reversible aseptische Knochennekrose mit Beteiligung des darüber liegenden Knorpels1
    • Kann zur Ablösung des Knorpels und damit Bildung freier Gelenkkörper führen.2
  • Juvenile Form = Auftreten bei offenen Wachstumsfugen
  • Adulte Form = Auftreten bei geschlossenen Wachstumsfugen

Häufigkeit

  • Prävalenz 15–30 Fälle pro 100.000 Personen3
  • Insgesamt ist das Kniegelenk am häufigsten betroffen, aber auch Hüft-, Sprung- und Ellenbogengelenke möglich.4-6
    • Knie: 75 % der Fälle, häufig im lateralen Teil des medialen Femurkondylus („klassische“ Lokalisation7)
    • Ellenbogen: 6 %, oft am Capitulum
    • Sprunggelenk: 4 %, vor allem am Talus
    • andere Gelenke: ca. 15 %
  • Am häufigsten im Alter von 10–35 Jahren2
  • Jungen sind 2- bis 3-mal häufiger betroffen als Mädchen.8

Ätiologie und Pathogenese

  • Die genaue Ätiologie ist unbekannt, wahrscheinlich multifaktorielle Genese.
  • Hypothesen: repetitive Mikrotraumata, lokale Ischämie und genetische Veranlagung8-9
  • Trauma
    • wahrscheinlich primäres Ereignis, sekundär gefolgt von Ischämie
    • juvenile OD oft in Verbindung mit hohem Aktivitätsniveau
      • Repetitive Mikrotraumata führen zu fokalem Bereich mit Hypovaskularität, Nekrose und Kollaps des Knochens.10
  • Lokale Ischämie
    • Die Heilung des subchondralen Knochens erfordert Revaskularisation, indem Kapillaren über die Frakturlinie einwachsen.
      • bei lokaler Ischämie Nekrose des Knochens und Ausbildung einer Osteochondrosis dissecans
  • Der genetische Einfluss, falls vorhanden, ist wahrscheinlich nur gering.2
  • Verlauf typischerweise in 4 Stadien:2
    • Stadium I: fokale subchondrale Schädigung, nur im MRT sichtbar
    • Stadium II: subchondrale Sklerosierung des Knochens, im Röntgen sichtbar
    • Stadium III: Gelockertes Knorpel-/Knochenfragment, das sich noch vor Ort befindet.
    • Stadium IV: freier Gelenkkörper.

Prädisponierende Faktoren

  • Trauma
  • OD des Kniegelenks11
    • Übergewicht bei Jugendlichen
    • sportliche Aktivität, insbesondere Fußball und Basketball

ICPC-2

  • L94 Osteochondrose

ICD-10

  • M93 Sonstige Osteochondropathien
    • M93.2 Osteochondrosis dissecans

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinische Untersuchung, Röntgen, MRT

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Auslösende Umstände
    • Repetitive Mikrotraumata?
      • Klassiker: Trampolinspringen, aber auch z. B. regelmäßiges Fußballspielen
    • Spezifisches schweres Trauma?
  • Belastungsabhängige, eher diffuse Schmerzen
  • Teilweise Gelenkschwellung
  • Teilweise Instabilitätsgefühl
  • Gelenkblockade
    • Hinweis auf freien Gelenkkörper

Klinische Untersuchung

  • Ganganalyse
  • Systematische Gelenkuntersuchung mit Dokumentation von Bewegungsausmaß und pDMS
    • Blockierungen?
    • Schwellung?
    • Muskelatrophien?
    • Schmerzen?
    • Krepitationen?
  • Test für OD der medialen Femurkondyle (häufigste Lokalisation), jedoch nur mit etwa 25 % Sensitivät12
    • Wilson-Test
      • Kniebeugung auf 90 Grad durch Untersucherin/Untersucher
      • Innenrotation der Tibia/des Fußes
      • anschließend langsame Knieextension
      • bei etwa 30-Grad-Flexion Schmerzen durch Druck der Tibia auf OD
      • Außenrotation der Tibia führt zum Nachlassen der Schmerzen.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Blutuntersuchungen haben keinen weiteren diagnostischen Wert.

Diagnostik beim Spezialisten

Bilddiagnostik

  • Röntgen ist die Bildgebung der 1. Wahl.13
    • abgeflachte Gelenkfläche und eine subchondrale Sklerose, später auch die demarkierte Osteochondrosis (Aufhellung)14
    • Osteochondrale Läsionen können noch Monate nach Symptombeginn normal erscheinen.15-16
    • im Endstadium Defektstelle in der Gelenkfläche und freier Gelenkkörper erkennbar
  • MRT
    • Sensitivität > 90 %, deutlich genauer als Röntgen und CT17-18

Indikationen zur Überweisung

  • Alle Patienten mit Verdacht auf eine Osteochondrosis dissecans sollten an eine Orthopädin/einen Orthopäden überwiesen werden.

Checkliste zur Überweisung

Osteochondrosis

  • Zweck der Überweisung
    • Abklärung? Operation? Weitere Behandlungsmöglichkeiten?
  • Anamnese
    • Beginn? Lokalisation? Verlauf und Entwicklung? Anhaltende Beschwerden?
    • Grad der Schmerzen? Schmerzauslösende Situationen? Gelenkblockaden? Schwellungen?
    • Konservative Therapie: Wirksamkeit?
    • Andere relevante Erkrankungen?
    • Regelmäßige Medikamente?
    • Folgen: Funktionsverlust? Arbeitsfähigkeit?
  • Klinische Untersuchung
    • Lokaler Befund: Schmerzen? Schwellungen? Gelenkblockaden? Vermindertes Bewegungsausmaß?
  • Ergänzende Untersuchungen
    • Röntgen? MRT?

Therapieziele

  • Schmerzen lindern.
  • Osteochondrosefragmente fixieren.
  • Den freien Gelenkkörper entfernen.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Auswahl der Therapiemaßnahmen ist abhängig von Alter, Beschwerden, Stadium und Lokalisation.
  • Je jünger die Patienten sind, desto höher sind die Heilungschancen bei der konservativen Therapie.19
  • Asymptomatische Zufallsbefunde2
    • Alle 4–6 Monate radiologische Kontrolle bis zur Abheilung, bzw. bis die Skelettreife erreicht ist.
    • Sobald die Skelettreife erreicht ist und weiterhin keine Beschwerden bestehen, ist keine weitere Therapie nötig.
  • Symptomatische OD bei noch nicht erreichter Skelettreife, ohne freie Gelenkkörper2
    • körperliche Entlastung für 3 Monate
      • Verzicht auf sportliche Aktivität sowie Tragen von Gewichten
    • Falls nach 3 Monaten keine radiologische Besserung und/oder Beschwerdepersistenz: Arthroskopie in Betracht ziehen.
    • Kinder im Alter von 12–19 Jahren haben ein 7-fach höheres Risiko für die Notwendigkeit einer OP im Vergleich zu Kindern von 7–11 Jahren.19
  • Symptomatische OD bei Erwachsenen, ohne freie Gelenkkörper
    • ebenfalls konservativer Therapieversuch mit Entlastung möglich, jedoch geringere Heilungstendenz als bei Kindern
      • Operation früher in Betracht ziehen.
  • Freie Gelenkkörper
    • Operationsindikation

Empfehlungen für Patienten

  • Ruhe und Entlastung
  • Sportliche Aktivitäten und schweres Tragen vermeiden.
  • Bei Versagen der konservativen Therapie arthroskopischer Eingriff

Medikamentöse Therapie

  • Ggf. bei Bedarf Schmerzmittel

Operative Therapie

  • Geeignet für:1
    • instabile Läsionen 
    • konservative Non Responder der juvenilen OD
    • die meisten adulten OD.
  • Nach Möglichkeit Dissekaterhaltung und Refixation
    • bessere Ergebnisse als knorpelrekonstruierende Verfahren1
    • Anbohrung/Mikrofrakturierung der Defektstelle, um Anheilung zu beschleunigen.20

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Das Knorpelfragment verbleibt oft noch eine Zeit lang im „Mausbett“ und kann bei entsprechender Schonung und konservativer Therapie auch wieder festwachsen.
  • Bei fortgeführter Belastung Risiko der Dissekatlösung mit Entstehung eines leeren „Mausbetts“
    • präarthrotische Deformität

Komplikationen

  • Sekundäre Arthrose

Prognose

  • Die Prognose bei einer Osteochondrosis dissecans ist im Allgemeinen gut, nur kann sich bei größeren Läsionen eine sekundäre Arthrose entwickeln.
  • Vollständige Heilung am häufigsten bei jüngeren Patienten mit noch nicht voll ausgewachsenem Skelett
    • Heilungsrate bei etwa 95 %8,21-22

Verlaufskontrolle

  • Der Heilungsprozess wird während der Therapiephase durch Orthopäden überwacht.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Die Prognose der Erkrankung ist gut, sofern körperliche Schonung eingehalten wird.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Osteochondrosis (gelöstes Fragment im Knie)
Osteochondrosis (gelöstes Fragment im Knie)

Quellen

Literatur

  1. Berrsche G, Schmitt H. Osteochondrosis dissecans am Kniegelenk. Dtsch Z Sportmed 2015; 66: 275-82. www.germanjournalsportsmedicine.com
  2. Cooper G. Osteochondritis dissecans. Medscape, last updated Feb 07, 2018. emedicine.medscape.com
  3. Kocher MS, Tucker R, Ganley TJ, Flynn JM. Management of osteochondritis dissecans of the knee: current concepts review. Am J Sports Med 2006; 34:1181. PubMed
  4. Baker CL 3rd, Baker CL Jr, Romeo AA. Osteochondritis dissecans of the capitellum. J Shoulder Elbow Surg 2010; 19:76. PubMed
  5. Perumal V, Wall E, Babekir N. Juvenile osteochondritis dissecans of the talus. J Pediatr Orthop 2007; 27:821. PubMed
  6. Brunton LM, Anderson MW, Pannunzio ME, et al. Magnetic resonance imaging of the elbow: update on current techniques and indications. J Hand Surg Am 2006; 31:1001. PubMed
  7. Berrsche G, Schmitt H. Osteochondrosis dissecans am Kniegelenk. Dtsch Z Sportmed. 2015; 66: 275-282. www.zeitschrift-sportmedizin.de
  8. Chambers HG, Shea KG, Carey JL. AAOS Clinical Practice Guideline: diagnosis and treatment of osteochondritis dissecans. J Am Acad Orthop Surg 2011; 19:307. PubMed
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  10. Uozumi H, Sugita T, Aizawa T, et al. Histologic findings and possible causes of osteochondritis dissecans of the knee. Am J Sports Med 2009; 37:2003. PubMed
  11. Green DW, Arbucci J, Silberman J, et al. Retrospective Cohort Study of 207 Cases of Osteochondritis Dissecans of the Knee: Risk Factors and Outcomes Associated with Surgical Treatment . Orthopaedic Journal of Sports Medicine 2016; 4(7): online. doi.org
  12. Conrad JM, Stanitski CL. Osteochondritis dissecans: Wilson's sign revisited. Am J Sports Med 2003; 31(5): 777-8. www.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Lunden JB, Legrand AB. Osteochondritis dissecans of the humeral head. J Orthop Sports Phys Ther 2012; 42(10): 886. www.ncbi.nlm.nih.gov
  14. Kijowski R, De Smet AA. Radiography of the elbow for evaluation of patients with osteochondritis dissecans of the capitellum. Skeletal Radiol 2005; 34: 266-71. PubMed
  15. Edmonds EW, Polousky J. A review of knowledge in osteochondritis dissecans: 123 years of minimal evolution from König to the ROCK study group. Clin Orthop Relat Res 2013; 471:1118. PubMed
  16. Moktassi A, Popkin CA, White LM, Murnaghan ML. Imaging of osteochondritis dissecans. Orthop Clin North Am 2012; 43:201. PubMed
  17. Quatman CE, Quatman-Yates CC, Schmitt LC, Paterno MV. The clinical utility and diagnostic performance of MRI for identification and classification of knee osteochondritis dissecans. J Bone Joint Surg Am 2012; 94:1036. PubMed
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  21. Wall EJ, Vourazeris J, Myer GD, et al. The healing potential of stable juvenile osteochondritis dissecans knee lesions. J Bone Joint Surg Am 2008; 90:2655. PubMed
  22. Polousky JD. Juvenile osteochondritis dissecans. Sports Med Arthrosc 2011; 19:56. PubMed

Autoren

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
  • Hans Wingstrand, professor och överläkare, Ortopediska kliniken, Skånes universitetssjukhus (Medibas)
  • Arild Aamodt, overlege/professor, Ortopedisk avdeling, Lovisenberg Sykehus, Oslo

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