Zusammenfassung
- Definition:Aseptische Osteonekrose der Tuberositas tibiae im Jugendalter.
- Häufigkeit:Häufigste Ursache für Knieschmerzen im Alter von 10–14 Jahren, insbesondere bei sportlich aktiven Kindern.
- Symptome:Schmerz oder Empfindlichkeit an der Tuberositas tibiae.
- Befunde:Lokale Schmerzempfindlichkeit und Schwellung über der Tuberositas tibiae, positiver isometrischer Extensionstest.
- Diagnostik:Klinische Diagnose. Röntgen in 2 Ebenen zum Ausschluss anderer Ursachen.
- Therapie:Selbstlimitierende Erkrankung, die konservativ mit schmerzadaptierter Aktivitätenmodifikation und symptomatischer Kühlung behandelt werden sollte.
Allgemeine Informationen
Definition
Häufigkeit
- Häufige Ursache für Knieschmerzen bei Kindern/Jugendlichen zwischen 10–15 Jahren3
- Gehäuft bei sportlich aktiven Kindern
- Bis zu 21 % der sportlich aktiven Kinder sind in unterschiedlicher Ausprägung betroffen.4
- Verhältnis Jungen zu Mädchen 3:15
- In 25–50 % der Fälle beidseits6
Ätiologie und Pathogenese
- Quadrizepsmuskel setzt über die Patellarsehne an der Tuberositas tibiae an.
- Repetitive Kniestreckung mit Anspannung des Quadrizeps führt zu Mikrotraumata an der Tuberositas tibiae.
Begünstigende Faktoren
- Männliches Geschlecht
- Verkürzter Quadrizepsmuskel9
- Sprungsportarten
- repetitive Kontraktionen des Quadrizeps
- Schnelles Skelettwachstum5
ICPC-2
- L94 Osteochondrose
ICD-10
- M92 Sonstige juvenile Osteochondrosen
- M92.5 Juvenile Osteochondrose der Tibia und der Fibula
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnose wird klinisch gestellt.
Differenzialdiagnosen
- Warnsignale für eine Systemerkrankung sind z. B. Malaise, Fieber, Gewichtsverlust und/oder Anämie. 10
- Bei der Differenzialdiagnostik sollten die altersabhängigen Inzidenzen der jeweiligen Krankheitsbilder berücksichtigt werden.10
- Knochentumor (selten)
- z. B. Ewing-Sarkom
- Avulsionsfraktur
- Im Gegensatz zum M. Osgood-Schlatter ist Laufen nicht mehr möglich.
- Stressfraktur der proximalen Tibia
- Morbus Sinding-Larsen
- Peripatellare Tendinopathie
- Patellofemorale Dysfunktion
- Epiphyseolysis capitis femoris lenta
Anamnese
- Belastungsabhängiger Schmerz im Bereich der Tuberositas tibiae1
- Meist bei aktiven Jungen im Alter von 13–14 Jahren oder aktiven Mädchen im Alter von 11–12 Jahren, die jüngst einen starken Wachstumsschub hatten.11
Klinische Untersuchung
- Lokale Schmerzempfindlichkeit und Schwellung über der Tuberositas tibiae
- Schmerzverstärkung bei Extension des Knies gegen Widerstand (isometrischer Test)11
- Dokumentation des Bewegungsausmaßes im Kniegelenk
- Orientierende Überprüfung der Menisken, Kreuz- und Kollateralbänder
- Untersuchung des Hüftgelenks, um ins Knie ausstrahlende Schmerzen nicht falsch zu deuten.
- z. B. bei M. Perthes
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Blutuntersuchungen haben keinen diagnostischen Wert.
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Ggf. Röntgen – Kniegelenk in 2 Ebenen
- Ausschluss von Differenzialdiagnosen
- Vergrößerung und möglicherweise Fragmentierung der Tuberositas tibiae
- Routinemäßige MRT- und Ultraschall-Untersuchungen sind nicht erforderlich.7
Indikationen zur Überweisung
- Bei langen, ausgeprägten Beschwerden oder Unsicherheit bezüglich der Diagnose
Checkliste zur Überweisung
Morbus Osgood-Schlatter
- Zweck der Überweisung
- Diagnostik? Konservative Behandlung (orthopädische Hilfsmittel)? Operation?
- Anamnese
- Beginn? Entwicklung/Progression? Sportliche Betätigung?
- Belastungsschmerz? Ruheschmerz? Funktionseinschränkung?
- Welche Behandlung wurde bereits versucht?
- Andere relevante Krankheiten?
- Klinische Untersuchung
- Kniestatus
- Gewicht und Körpergröße. Eine Perzentilenkurve ist äußerst empfehlenswert. Die Daten des Untersuchungsheftes in den Körpergröße-Rechner eintragen.
- Ergänzende Untersuchungen
- evtl. Ergebnis der Röntgenuntersuchung
Therapie
Therapieziel
- Schmerzlinderung bis zur erfolgten Spontanheilung
Allgemeines zur Therapie
- Gutartige und selbstlimitierende Erkrankung5
- Routinemäßig konservative Behandlung
- schmerzadaptierte Aktivität
- Komplette Sportkarenz wird nicht empfohlen.
- Gefahr von Kontrakturen oder Muskelatrophie bei Immobilisation
- Kühlung
- nach sportlicher Belastung für 20 min5
- bei Schmerzen
- Dehnung und Kräftigung der Quadrizeps- und Hamstring-Muskulatur (ischiokrurale Muskulatur)
Empfehlungen für Patient*innen
- Aktivitäten einschränken, die die Schmerzen verstärken.
- Bei akuten Schmerzen kann Kühlung Abhilfe schaffen.
Medikamentöse Therapie
- Es gibt keine Medikamente, die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen.
- NSAR können zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
Weitere Behandlungen
- Rehabilitationsprogramm
- Dehnen und Kräftigen der Quadrizeps- und ischiokruralen Muskulatur
- Sowohl Knie- als auch Hüftgelenk für die volle Dehnung der Muskulatur ins Übungsprogramm einbinden.
- Beim Knien Knieschützer über der Tuberositas verwenden.
- Dehnen und Kräftigen der Quadrizeps- und ischiokruralen Muskulatur
- Operation
- bei anhaltenden Beschwerden über 2 Jahre hinaus und bei Patient*innen mit abgeschlossenem Wachstum ggf. operative Ossikel-Resektion12-13
Prävention
- Regelmäßiges Dehnprogramm des M. quadriceps bei sportlich aktiven Jugendlichen9
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Allmähliche Schmerzabnahme mit Symptomfreiheit nach 6–18 Monaten14
- Die Beschwerden gehen in der Regel mit der Schließung der proximalen tibialen Wachstumsfuge zurück.
- normalerweise im Alter zwischen 14–18 Jahren
- In manchen Fällen können die Beschwerden über mehrere Jahre anhalten.
Komplikationen
- Ablösung eines Knochenstücks („Ossikel“) im Bereich der Tuberositas tibiae
- vor allem beim Knien schmerzhaft, in diesem Fall ggf. operative Resektion
- Viele entwickeln eine permanente, jedoch symptomfreie Schwellung an der Tibia.
Prognose
- Gut, heilt in den meisten Fällen von selbst aus.
- Nach 1 Jahr konservativer Behandlung sind etwa 90 % der Patient*innen im Alltag beschwerdefrei.15
- Patient*innen mit residualem Ossikel haben häufig Schmerzen beim Knien.16
- In diesen Fällen ist eine chirurgische Resektion des Ossikels nach erreichter Skelettreife möglich.
Verlaufskontrolle
- Ist normalerweise nicht notwendig.
Patienteninformation
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ). Muskuloskelettale Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen – Ein Algorithmus zur differenzialdiagnostischen Abklärung eines häufigen Leitsymptoms in der Kinder- und Jugendmedizin. AWMF-Leitlinie Nr. 027-073. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
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- Gaulrapp H. Klinik, Bildgebung und Therapie des Morbus Osgood-Schlatter. Der Orthopäde 2016; 45: 219-25. link.springer.com
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Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).