Allgemeine Informationen
Definition
- Allgemeiner Ausdruck für das Vorhandensein einer erhöhten Proteinmenge im Urin1
- Unterschiedliche Mechanismen führen zu abnormem Proteinverlust:1
- erhöhte glomeruläre Durchlässigkeit für Proteine mit großem Molekulargewicht (Albuminurie oder glomeruläre Proteinurie)
- unvollständige tubuläre Rückabsorption von normal filtrierten Proteinen mit niedrigem Molekulargewicht (tubuläre Proteinurie)
- erhöhte Plasmakonzentration von Proteinen mit niedrigem Molekulargewicht (Überproduktionsproteinurie, z. B. Leichtketten)
- Zellschäden im Bereich der Niere oder dem unteren Harntrakt.
Häufigkeit
- Die Häufigkeit wird allgemein unterschätzt.
- Prävalenz der Albuminurie
- 7 % in einer Normalpopulation2
- 16 % bei arterieller Hypertonie3
- 29 % bei Diabetes mellitus3
Diagnostische Bedeutung
- Eine Proteinurie kann4
- vorübergehend oder anhaltend auftreten.
- benigne sein oder auf eine zugrunde liegende Krankheit hinweisen.
- Ein einzelner Nachweis z. B. mit dem Urinteststreifen ist in den meisten Fällen noch kein Ausdruck einer schweren Erkrankung.5
- Im Übrigen ist eine anhaltende Proteinurie aber u. a. ein wichtiger prognostischer Parameter.6
- unabhängiger Risikofaktor für Mortalität und insbesondere kardiovaskuläre Mortalität7-8
- Das Ausmaß der Albuminurie bestimmt – zusammen mit der eGFR – die Prognose einer chronischen Nierenkrankheit.1
- Zur renalen und kardiovaskulären Risikoabschätzung soll bei Patient*innen mit chronischer Nierenkrankheit neben einer eGFR-Abschätzung eine quantitative Bestimmung der Proteinurie (z. B. als Albumin-Kreatin-Ratio im Spontanurin) erfolgen (Initiative „Klug entscheiden“).9
- Anhaltende Proteinurie
- definiert als 2-maliger laborchemischer Nachweis einer Proteinurie nach einem initial positiven Streifentest1
- Erfordert weitere Abklärung (auch bei normaler GFR).1
- Proteinurie ≥ 3 Monate definiert chronische Nierenerkrankung (mit oder ohne reduzierte GFR)10
- Ausnahme: orthostatische Proteinurie (benigne Proteinurie bei jungen Menschen < 30 Jahre)
- Häufige Ursachen sind arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus, andere Ursachen sind seltener (z. B. Glomerulonephritiden, Vaskulitiden, multiples Myelom u. a.).
Differenzialdiagnosen
Benigne Proteinurie
- Schwere körperliche Aktivität
- Fieber
- Hitzekrankheit
- Dehydratation
- Harnwegsinfektion
- Sonstige akute entzündliche Erkrankung
- Menstruation
- Orthostatische Proteinurie
- normale Nierenfunktion, Eiweißverlust nur am Tag, keine Proteinurie im ersten Morgenurin
Glomeruläre und tubuläre Schädigungen
- Diabetes mellitus
- Arterielle Hypertonie
- Präeklampsie
- Primäre Glomerulonephritiden
- Nephrotisches Syndrom
- Interstitielle Nephritiden (medikamentös-toxisch u. a.)
- Vaskulitiden
- Pyelonephritis
- Infektionen durch Bakterien, Viren, Protozoen
Überlaufproteinurie
Post- und extrarenale Proteinurie11
- Tumoren
- Nephrolithiasis
ICPC-2
- U98 Auffälliger Urintest NNB
ICD-10
- R80 Isolierte Proteinurie
Diagnostik
Anamnese
- Prädisponierende Erkrankung?
- vor allem arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus
- Ödeme?
- Möglicher Hinweis auf nephrotisches Syndrom
- Urin
- Hämaturie? (Nephritis)
- Schaumiger Urin? (nur bei schwerer Proteinurie)
- Schwangerschaft?
- Nachweis von ≥ 1+ Eiweiß im Urin-Schnelltest soll quantifiziert werden.12
- vorbestehende oder neu aufgetretene Proteinurie begünstigt Präeklampsie13
Klinische Untersuchung
- Blutdruckmessung
- Temperatur
- Ödeme (nephrotisches Syndrom)
- Befunde einer Grunderkrankung
Nachweis und Quantifizierung einer Proteinurie
Urinteststreifen/Screening
- Urinteststreifen sind semiquantitativ und weisen vor allem Albumin nach.
- Keine hochsensitive Methode, Albumin wird erst ab einer Ausscheidung von 100–300 mg/d nachgewiesen.1
- Mittlerweile sind auch Teststreifen zum Nachweis noch geringerer Albuminmengen verfügbar („Mikroalbuminurie-Teststreifen“), allerdings sind auch hier falsch-positive und falsch-negative Resultate möglich.14
- Im Vergleich zur Laborbestimmung beträgt der positive Vorhersagewert von Urinteststreifen ca. 85 %, der negative Vorhersagewert ca. 84 %.15-16
- Falsch positive Befunde bei:7,16-17
- Harnwegsinfekten
- vaginalem Ausfluss
- konzentriertem Urin mit hoher spezifischer Dichte
- alkalischem Urin: pH > 7,5
- Hämaturie
- Ausscheidung von Penicillin oder Sulfonamiden im Urin.
- Falsch negative Befunde bei:
- verdünntem Urin
- Proteinurie nicht durch Albumin verursacht: z. B. Bence-Jones-Proteine.
Bestimmung der Albumin-Kreatinin-Ratio (AKR) bzw. Protein-Kreatinin-Ratio (PKR)
- Akkurat gesammelter 24-Stunden-Urin ist die klassische Referenzmethode, im praktischen Alltag mittlerweile aber weitgehend obsolet.1
- Schwierig im Verlauf zu kontrollieren, Sammelfehler verfälschen die Berechnung, Ergebnis liegt erst mit Verzögerung vor.
- Heutzutage gebräuchlich ist die Messung der Albumin-Kreatinin-Ratio (AKR) bzw. Protein-Kreatinin-Ratio (PKR) im Spontan- oder Morgenurin.
- Durch die Verhältnisbildung mit dem Kreatininwert wird der Proteinverlust auf unterschiedliche Hydratationszustände korrigiert
- Zahlenmäßig sind die Werte von AKR und PKR den Werten der früheren 24-Stunden-Messung sehr ähnlich, was die Umstellung erleichtert.7
- Gemäß KDIGO-Leitlinien ist die Untersuchung des Spontanurins ein vernünftiger erster quantitativer Test auf Albuminurie.1
- Morgenurin ist aber aufgrund guter Korrelation von AKR/PKR mit der 24-Stunden-Proteinausscheidung zu bevorzugen.1
Albumin- oder Proteinmessung?
- Albuminmessung sollte bevorzugt werden.1
- wichtigstes Protein im Urin bei den meisten Nierenerkrankungen
- Messung standardisiert
- Empfehlung der KDIGO-Leitlinien zur Testung (in absteigender Präferenz, bei allen Tests ist Morgenurin zu bevorzugen)1
- Albumin/Kreatinin-Ratio (AKR) im Urin
- Protein/Kreatinin-Ratio (PKR) im Urin
- Urinteststreifen auf Gesamtprotein
- Albuminbestimmung bei Verdacht auf eine beginnende Nephropathie
- Ausmaß der Albumurie bestimmt in Kombination mit eGFR die Prognose bei einer chronischen Nierenkrankheit.
- DEGAM-Empfehlungen zum Screening auf Albumin bei Diabetes-Patient*innen18
- bei Personen mit Typ-1-Diabetes jährlich Bestimmung des Albumins im Urin empfohlen
- Bei Personen mit Typ-1-Diabetes und mäßiger Albuminausscheidung („Mikroalbuminurie“) 3-fach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko im Vergleich zu Patient*innen ohne Diabetes
- Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sollte das Albumin im Urin nicht routinemäßig bestimmt werden.
- keine randomisierten Studien zum Nutzen eines Screenings
- bei Personen mit Typ-1-Diabetes jährlich Bestimmung des Albumins im Urin empfohlen
Abklärungsalgorithmus einer Proteinurie gemäß KDIGO-Leitlinie1
- Bestätigung eines positiven Urinstreifentests durch quantitative Labormessung inklusive Bestimmung von AKR bzw. PKR
- Bestätigung einer AKR ≥ 30 mg/g (≥ 3,4 g/mol) im Spontanurin durch eine nachfolgende Messung im Morgenurin
- Nur falls noch genauere Bestimmung notwendig, Messung der Albumin- bzw. Proteinausscheidung im 24-Stunden-Urin
- Falls Verdacht auf signifikante Nicht-Albumin-Proteinurie (z. B. Leichtketten), Anwendung spezifischer Nachweismethoden
Klassifikation der Albuminurie
- Die durchschnittliche tägliche Ausscheidung von Protein bei Erwachsenen beträgt ca. 80 mg/24 h, als normale Ausscheidung gilt < 150 mg/24 h.19
- Der Anteil von Albumin an der täglichen Proteinausscheidung beträgt bei gesunden Personen 15 %.
- Einteilung der Albuminausscheidung gemäß KDIGO-Leitlinien (normale AKR bei jungen Erwachsenen < 10 mg/g):1
- Kategorie A1: AKR < 30 mg/g (< 3,4 g/mol) (normal bis leicht erhöht)
- Kategorie A2: AKR 30–300 mg/g (3,4–34 g/mol) (mäßig erhöht)
- Kategorie A3: AKR > 300 mg/g (> 34 g/mol) (stark erhöht)
- Der Begriff „Mikroalbuminurie“ soll gemäß KDIGO-Leitlinien nicht mehr verwendet werden.1
- Kategorien A1–A3 beschreiben besser das Kontinuum der Albuminausscheidung.
- Siehe Tabelle Proteinurie, Quantifizierung des Proteins in den Urinproben.
Ergänzende Untersuchungen in der hausärztlichen Praxis
Labor – Urin
- Mikroskopie (falls vorhanden)
- evtl. Nachweis eines nephritischen Sediments
- Urinelektrophorese, Immunfixation
- Immunfixation zur differenzierten Proteindiagnostik
Labor – Blut
- Albumin, Gesamteiweiß, Kreatinin, Hb, CRP, BSG, Elektrolyte (Na, K, Ca).
- Evtl. Eiweißelektrophorese
Nierensonografie
- Struktureller Nierenschaden
Ergänzende Diagnostik bei Spezialist*innen
- Großzügige Biopsie bei einer Proteinurie > 1 g/l7
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikation zur Überweisung
- Patient*innen mit Albuminurie/Proteinurie sollten zur Nephrologie überwiesen werden, bei:1
- beständigem Nachweis einer AKR ≥ 300 mg/g (34 g/mol), etwa äquivalent zu PKR ≥ 500 mg/g (56,6 g/mol).
- Abklärung einer nephrologischen Grunderkrankung, z. B. Glomerulonephritis
Checkliste zur Überweisung
Proteinurie
- Zweck der Überweisung
- Diagnostik? Therapie?
- Anamnese
- Grunderkrankungen?
- Hämaturie?
- Klinische Untersuchung
- Blutdruck?
- Ödeme?
- Ergänzende Untersuchungen
Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Basis ist die Behandlung einer Grunderkrankung, z. B.:
- Die Proteinurie sinkt mit niedrigerem Blutdruck, auch bei Patient*innen mit Diabetes mellitus kommt durch Blutdruckoptimierung zu einer Verlangsamung der normalerweise allmählich zunehmenden Proteinurie.7
Behandlung einer Proteinurie per se
- Die Inhibierung des RAAS-Systems führt zu einer:20
- Verminderung der Proteinurie
- langfristigen Renoprotektion.
- Daher sollte bei Patient*innen mit signifikanter Proteinurie eine Behandlung mit einem ACE-Hemmer bzw. AT-Rezeptor-Antagonisten erfolgen.21
- Auch bei Menschen, die nicht an Diabetes leiden, Gabe eines ACE-Hemmers oder AT-Rezeptor-Antagonisten bei Albuminurie > 300 mg/24 h.1
- Reduktion der Proteinurie um 30–50 % möglich22
- Die Frage der Proteinrestriktion wird kontrovers diskutiert, derzeit keine überzeugende Evidenz, dass eine Proteinrestriktion die Progression einer chronischen Nierenerkrankung verzögert.1
Verlaufskontrollen
- Albuminausscheidung und eGFR sollten bei allen Patient*innen mit chronischer Nierenkrankheit mindestens 1x/Jahr gemessen werden.1
- Inwieweit Verlaufskontrollen häufiger durchgeführt werden, hängt von klinischen Entwicklung und Progressionsrisiko ab.
Behandlung einer Proteinurie gemäß KDIGO-Leitlinie1
- Bei Patient*innen mit und ohne Diabetes mit chronischer Nierenkrankheit und Albuminurie > 30 mg/24 h (oder Äquivalent) sollte ein erhöhter Blutdruck medikamentös auf < 130/80 mmHg gesenkt werden.
- Ein ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker sollte bei Patient*innen mit Diabetes, chronischer Nierenkrankheit und Albuminurie 30–300 mg/24 h (oder Äquivalent) verabreicht werden.
- Ein ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker sollte bei Patient*innen mit und ohne Diabetes, chronischer Nierenkrankheit und Albuminurie >300 mg/24h (oder Äquivalent) verabreicht werden.
- ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker sollten nicht kombiniert werden.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention. AWMF-Leitlinie Nr. 053-024. S3, Stand 2017. www.awmf.org
- Deutsche Diabetes Gesellschaft. Diabetes und Schwangerschaft. AWMF-Leitlinie Nr. 057-023. S3, Stand 2014. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 015-018. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
- International Society of Nephrology. KDIGO 2012 Clinical Practice Guidelines for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease, Stand 2012. kdigo.org
Literatur
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).