Zusammenfassung
- Definition:Heterogene Gruppe von Krankheiten, bei denen Defekte in den Kollagenfasern zu Hyperelastizität des Gewebes führen.
- Häufigkeit:Prävalenz etwa 1 pro 5.000 Einwohner.
- Symptome:Hypermobilität der Gelenke, Hyperelastizität der Haut, als gefährlichste Ausprägung spontane Aortenruptur.
- Befunde:Sehr unterschiedlich und abhängig von betroffenem Kollagen- und damit Gewebetyp.
- Diagnostik:Klinische Untersuchung, Genanalyse zur Diagnosesicherung.
- Therapie:Keine spezifische Therapie verfügbar.
Allgemeine Informationen
Definition
- Erstbeschreibung durch den dänischen Hautarzt Edvard Ehlers (1863–1937) und den französischen Hautarzt Henri Danlos (1844–1912)
- Gruppe klinisch heterogener, vererbbarer Erkrankungen des Bindegewebes1
- Verschiedene Defekte in Kollagensynthese führen zu erhöhter Elastizität in unterschiedlichen Bindegeweben.
- Haut, Gelenke, Muskeln, Sehnen, Blutgefäße und viszerale Organe
- Abhängig von Ausprägung milde bis lebensbedrohliche Symptomatik, z. B.:2
- Hypermobilität der Gelenke
- Hyperelastizität der Haut
- spröde Gewebestrukturen, Ruptur der Aorta oder anderer Gefäße.
- Bis 2017 Einteilung in 6 Subtypen nach Villefranche-Klassifikation3
- u. a. klassischer Typ, hypermobiler und vaskulärer Subtyp
- Seit 2017 neue internationale Klassifikation mit 13 Subtypen4
- Aktualisierung aufgrund neuer genetischer Erkenntnisse
Häufigkeit
Ätiologie und Pathogenese
- Genetisch bedingter Kollagendefekt
- Am häufigsten sind die autosomal-dominant vererbte Mutation, aber auch rezessive und X-gebundene Erbgänge beschrieben.4
- Kollagen Bestandteile aller Organe des Körpers2
- unterschiedliche Subtypen des Kollagens in verschiedenen Bereichen des Körpers
- je nach betroffenem Kollagentyp unterschiedliche Symptome
Prädisponierende Faktoren
- Positive Familienanamnese
ICPC-2
- L82 Angeb. Anomalie muskuloskelet.
- L99 muskuloskelet.Erkrankung, andere
ICD-10
- Q79 Angeborene Fehlbildungen des Muskel-Skelett-Systems, anderenorts nicht klassifiziert
- Q79.6 Ehlers-Danlos-Syndrom
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Seit 2017 neue internationale Klassifikation4
- neue genetische Erkenntnisse durch Next-Genome-Sequencing
- Eine spezifischere Betreuung der Patienten ist anhand der genaueren Subtypen möglich.
- Jeder Subtyp ist durch mehrere Major- und Minor-Kriterien definiert, die hier übersichtshalber nicht dargestellt sind.
- Diagnostik über molekulargenetischen Nachweis der spezifischen Mutation
- Ausnahme hypermobiles EDS, klinische Diagnose bei unbekannter Mutation
- 13 Subtypen, bei allen typischerweise Hypermobilität der Gelenke und überdehnbare Haut 4
- klassisches Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS)
- Hypermobilität der Gelenke
- leicht verletzliche überdehnbare Haut mit atropher Narbenbildung
- klassisch-ähnliches EDS
- Hypermobilität der Gelenke, vor allem Schultern und Knöchel
- leicht verletzliche überdehnbare Haut, ohne atrophe Narbenbildung
- kardio-valvuläres EDS
- schwere Vitien der Aorten- und/oder Mitralklappe
- vaskuläres EDS
- hypermobiles EDS
- Arthrochalasie-EDS
- kongenitale bilaterale Hüftluxation
- Dermatosparaxis-EDS
- extrem empfindliche Haut, häufig bereits kongenitale Narbenbildung
- kraniofaziale Dysmorphie, Wachstumsretardierung, kurze Extremitäten
- kyphoskoliotisches EDS
- Kyphoskoliose
- Muskelhypotonie
- Brittle-Cornea-EDS
- blaue Skleren
- dünne Kornea, mit Rupturgefahr und früher Ausbildung Keratokonus
- spondylodysplastisches EDS
- Wachstumsretardierung
- Muskelhypotonie
- gebogene Extremitäten
- muskulokontrakturelles EDS
- multiple Kontrakturen, insbesondere der Adduktoren
- Füße in Klumpfußstellung
- kraniofaziale Dysmorphie
- myopathisches EDS
- progressive Muskelatrophie
- proximale Gelenkkontrakturen
- Hüfte, Ellenbogen, Knie
- periodontales EDS
- rezidivierende, schwere Parodontitiden
- Zahnfleisch liegt nicht fest an Zähnen an, Ansammlung von Speiseresten in Zwischenspalt.
- rezidivierende, schwere Parodontitiden
- klassisches Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS)
Differenzialdiagnosen
- Hypermobilitätssyndrom
- Bis zu 10 % der Gesamtbevölkerung in den westlichen Ländern haben hypermobile Gelenke.7
- Rheumatoide Arthritis
- Fibromyalgie
- Systemischer Lupus erythematosus
- Marfan-Syndrom
- Osteogenesis imperfecta
Anamnese
- Abhängig vom Subtyp des EDS
- so gut wie immer Gelenk-Hypermobilität und abnorme Hautdehnbarkeit
- Positive Familienanamnese
- Gendefekt zwar bereits bei Geburt vorliegend, Manifestation und Diagnosestellung häufig aber erst Jahre später2
- > 90 % der Patienten mit chronischen Gelenkschmerzen6
- Häufig Schulterdislokation als Erstmanifestation2
- Zigarettenpapierartige Haut, die leicht verletzbar ist.3
Klinische Untersuchung
- Klassisch hypermobile Gelenke und abnorme Hautdehnbarkeit
Beurteilung der Hautdehnbarkeit
- Volarseitig am Unterarm in der Mitte zwischen Handgelenk und Ellenbogen
- Zug an Haut und Messung der entstehenden Hautfalte7
- ≤ 4 cm normal
- > 4 cm gilt als Hyperelastizität.
- Aufgrund des Unterhautfettes bei Kleinkindern schwierig zu messen.
Beurteilung der Hypermobilität
- Beurteilung mit Beighton-Score8
- jeweils Untersuchung der rechten und linken Seite, pro Seite 1 Punkt bei positivem Befund
- Kleiner Finger: Dorsalextension > 90 Grad im Metacarpophalangealgelenk
- Daumen: volarseitiger Kontakt mit Unterarm möglich
- Ellenbogen: Hyperextension > 10 Grad
- Kniegelenk: Hyperextension > 10 Grad
- beide Handflächen auf dem Boden bei gestreckten Knien (1 Punkt)
- Hypermobilität bei mindestens 5 von insgesamt 9 möglichen Punkten
Veränderungen in anderen Organen
- Durch den Kollagenmangel kann es auch zu einer erhöhten Elastizität und Sprödigkeit der inneren Organe kommen, u. a.:
- Hernie und Divertikel im Magen-Darm-Trakt9
- Schwächung der Blase und des Beckenbodens10
- Veränderungen der Lunge, spontaner Pneumothorax
- Dilatation, Dissektion und Ruptur der großen Gefäße
- Mitralklappenprolaps und Dilatation des Aortenrings11
- Hämatome durch spröde Kapillaren, Gerinnungsstatus in der Regel normal12
- vorzeitige Ruptur der Fruchtblase mit Frühgeburt13
- Netzhautablösung, blaue Skleren, Netzhautblutung oder Ruptur des Augapfels 14
- Blaue Skleren, weil die Choroidea durch die dünne Bindehaut schimmert.
- Angiod Streaks: Risse in Bruch-Membran führen zu Neovaskularisation, die als rötliche Linien in der Netzhaut sichtbar sind.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Neben der klinischen Untersuchung sind keine weiteren Untersuchungen sinnvoll.
Diagnostik beim Spezialisten
- Elektronenmikroskopie und Elektrophorese aus Gewebeproben
- nur niedrige Sensitivität und Spezifität, geringer Nutzen15
- Genetische Diagnostik
- zur Einordnung des genauen EDS-Typs16
- Voraussetzung für weitere, zielgerichtete Untersuchungen
- zur Einordnung des genauen EDS-Typs16
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Diagnose: Beurteilung durch Orthopäden
- Differenzialdiagnose Hypermobilitätssyndrom
- Abklärung in einem humangenetischen Zentrum
Therapie
Therapieziele
- Therapie und Prävention von Komplikationen infolge der Krankheit
Allgemeines zur Therapie
- Keine Behebung der Ursache möglich, nur symptomatische Therapie
Medikamentöse Therapie
- Celiprolol (Betablocker) senkt das Risiko für Aortenrupturen bei vaskulärem EDS.17
- Analgetika bei Gelenkschmerzen
Weitere Therapien
- Lasertherapie bei Angiogenese in der Choroidea
- Gute Mundhygiene zur Verhinderung Parodontitis
- Prävalenz von 62 % bei Patienten mit EDS wegen Spalt zwischen Zahnfleisch und Zahn18
- Physiotherapie
- gezielte gelenk- und muskulaturunterstützende Therapie
- Hypermobile Gelenke sollten nicht überdehnt werden.
Prävention
- Kontaktsportarten vermeiden.
- Evtl. Schutzkleidung mit Polsterung
- Vermeidung intrakraniellen Drucks (z. B. Trompete spielen)
- Bei Angioid Streaks Schutzbrille
- Bei instabilen Gelenke Orthese oder Tape
In der Schwangerschaft
- Bestimmung des Gerinnungsstatus vor der Schwangerschaft wegen erhöhtem Blutungsrisiko12
- Uterusruptur und Frühgeburt sind beim vaskulären EDS häufige Komplikationen.13
- sehr enge ärztliche Überwachung
- Entbindung in spezialisierter Abteilung
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Nicht heilbar
- Bei > 90 % der Patienten treten Gelenkbeschwerden aufgrund der Instabilität auf.6
Prognose
- Trotz verschiedener Komplikationen ist die Lebenserwartung normal.2
- Ausnahme vaskuläres EDS mit medianer Lebenserwartung von 51 Jahren5
Komplikationen
- Diverse Organkomplikationen möglich, siehe Abschnitt Klinische Untersuchung.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Beratung in einer humangenetischen Abteilung ist sinnvoll.
- Vererbungsgang erläutern, Konsequenzen für Verwandte und insbesondere Kinder.
- Nicht heilbare Erkrankung, jedoch mit normaler Lebenserwartung (außer bei vaskulärem Typ)
Patienteninformationen in Deximed
Patientenverbände
Quellen
Literatur
- Wiesmann R, Malfait F, Castori M. Handlungsempfehlungen zur Anästhesie bei Patienten mit Ehlers-Danlos Syndrom (EDS). Paris, Orphanet 2013. Zugriff: 9.6.2016. www.orpha.net
- Schwartz RA. Ehlers-Danlos Syndrome. Medscape, last updated Apr 12, 2019. emedicine.medscape.com
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- De Coster PJ, Martens LC, De Paepe A. Oral health in prevalent types of Ehlers-Danlos syndromes. J Oral Pathol Med 2005; 34: 298-307. PubMed
Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
- Hans Wingstrand, professor och överläkare, Ortopediska kliniken, Skånes universitetssjukhus
- Arild Aamodt, överläkare/professor, Ortopedisk avdeling, Lovisenberg Sykehus, Oslo
- Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL