Rheumatisches Fieber

Zusammenfassung

  • Definition:Autoimmun vermittelte Erkrankung, die postinfektiös nach einer Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS) auftritt. Durch Kreuzreaktion mit körpereigenem Gewebe („molekulares Mimikry“) kommt es zu einer systemischen Entzündungsreaktion mit möglicher Gelenk-, Herz- und ZNS-Beteiligung.
  • Häufigkeit:In westlichen Industrienationen inzwischen sehr selten, in Entwicklungs- und Schwellenländern häufige Erkrankung mit relevanter Morbidität und Mortalität. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 5. und 15. Lebensjahr.
  • Symptome:Akute fieberhafte Erkrankung etwa 2–3 Wochen nach Atemwegsinfekt mit allgemeiner Schwäche, schmerzhafter Polyarthritis, Hautveränderungen, eingeschränkter körperlicher Belastbarkeit, unwillkürlichen, überschießenden Bewegungen (Chorea minor).
  • Befunde:Diagnosestellung mittels Jones-Kriterien: Pankarditis, Polyarthritis, Chorea minor, Erythema marginatum sowie subkutane Knötchen. Häufig begleitend Arthralgien, Fieber, BSG- und CRP-Erhöhung.
  • Diagnostik:Klinische Diagnose unterstützt durch Labordiagnostik, Erregernachweis, EKG, Echokardiografie, ggf. Gelenksonografie.
  • Therapie:Antibiotische Therapie (Penicillin), symptomatische Therapie mit NSAR, ggf. Prednisolon. Antibiotische Rezidivprophylaxe, ggf. Endokarditis-Prophylaxe.

Allgemeine Informationen

Definition

Häufigkeit

  • In den westlichen Industrienationen sind Inzidenz und Prävalenz seit Jahrzehnten kontinuierlich rückläufig, und die ist Erkrankung äußerst selten.
    • Inzidenz von 0,1–1 Fällen pro 100.000 Einw. pro Jahr in Westeuropa und Nordamerika2
    • In einer britischen Kohortenstudie von 2013 wurden 14.610 erwachsene Patient*innen mit akuten Halsschmerzen 1 Monat nachbeobachtet, ohne dass ein Fall von akutem rheumatischen Fieber oder andere Poststreptokokken-Erkrankungen aufgetreten sind.5
    • Eine Cochrane-Metaanalyse fand seit 1975 in Studien nach Tonsillopharyngitis (1.036 Fälle ohne antibiotische Therapie, 1.448 Fälle mit antibiotischer Therapie) keinen Fall von akutem rheumatischen Fieber in westlichen Industrienationen.4
  • Die Erkrankungshäufigkeit ist global abhängig von geografischen und sozioökonomischen Verhältnissen.
    • In Entwicklungsländern kommt es mindestens zu 280.000 Neuerkrankungen pro Jahr.9
    • Inzidenz von 10–120 Fällen pro 100.000 Einw. pro Jahr in Osteuropa, dem Mittleren Osten, Asien und Australien2
  • Weltweit gibt es etwa 15–30 Mio. Fälle von rheumatischer Herzerkrankung.9-10
    • Davon sind etwa 2,4 Mio. Kinder.11
    • Die Prävalenz für rheumatische Herzerkrankungen ist global weiter ansteigend.9
    • schätzungsweise 230.000–350.000 Todesfälle pro Jahr10
      • überwiegend in den Regionen Ozeanien, Südasien und in Afrika südlich der Sahara
  • Altersverteilung
    • Häufigkeitsgipfel im 10. Lebensjahr1
    • Hauptsächlich sind Kinder ab 5 Jahren betroffen.2
      • Nur 5 % der Fälle betreffen Kinder unter 5 Jahren.12
    • Bei Kindern unter 2 Jahren ist die Erkrankung nahezu unbekannt.12
    • Bei Erwachsenen über 35 Jahren ist die Erkrankung selten.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS, Streptococcus pyogenes) führen zunächst zu einer akuten Pharyngitis, Tonsillitis oder Scharlach.1-2,8
  • Die gebildeten Streptokokken-Antikörper zeigen im Verlauf eine Kreuzreaktion gegen körpereigene Antigene.1,6,13
    • strukturelle Ähnlichkeit zwischen den M-Proteinen der Erreger und körpereigenen Gewebearten
    • betrifft v. a. Herz- und Gelenkgewebe, seltener Nervenzellen der Basalganglien (Chorea)1,8
    • Eine postinfektiöse Autoimmunreaktion wird auch als „molekulares Mimikry" bezeichnet.1,8
  • Das rheumatische Fieber tritt vor allem nach einer Infektion mit bestimmten Serotypen auf, die deshalb „rheumatogene Stämme" genannt werden.
    • Symptome des akuten rheumatischen Fiebers treten meist 2–3 Wochen nach der Streptokokkeninfektion auf, können sich jedoch auch früher oder später manifestieren.
  • Im Herzgewebe finden sich histologisch entzündliche Infiltrate aus polymorphkernigen Leukozyten und Lymphozyten sowie die charakteristischen granulomatösen Aschoff-Knötchen.1
    • Langfristig kommt es zu einem bindegewebigen Umbau und Degeneration des betroffenen Gewebes.

Prädisponierende Faktoren

  • Durchgemachte (unbehandelte) Infektion der oberen Atemwege mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Lancefield-Gruppe A (GAS)
  • Herkunft aus Regionen mit hoher Inzidenz von ARF2
  • Armut, Unterernährung, niedriger sozioökonomischer Status8
  • Crowding (überdurchschnittliche Anzahl an Personen pro Haushalt bzw. pro Wohnraum)1,8
  • Genetische Disposition (u. a. HLA-Antigene der MHC-Klasse II)1,8

ICPC-2

  • K71 Rheumatisches Fieber/Herzerkrankung

ICD-10

  • I00 Rheumatisches Fieber ohne Angabe einer Herzbeteiligung
  • I01 Rheumatisches Fieber mit Herzbeteiligung
    • I01.0 Akute rheumatische Perikarditis
    • I01.1 Akute rheumatische Endokarditis
    • I01.2 Akute rheumatische Myokarditis
    • I01.8 Sonstige akute rheumatische Herzkrankheit
    • I01.9 Akute rheumatische Herzkrankheit, nicht näher bezeichnet
  • I02. Rheumatische Chorea
    • I02.0 Rheumatische Chorea mit Herzbeteiligung
    • I02.9 Rheumatische Chorea ohne Herzbeteiligung
  • I05.-: Rheumatische Mitralklappenkrankheiten
  • I06.-: Rheumatische Aortenklappenkrankheiten
  • I07.-: Rheumatische Trikuspidalklappenkrankheiten
  • I09.-: Sonstige rheumatische Herzkrankheiten

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinische Diagnosestellung8
  • Die Diagnosestellung basiert auf den Jones-Kriterien (zuletzt 2015
    aktualisiert).1-2,14
    • Die Aktualisierung berücksichtigt deutliche Inzidenzunterschiede zwischen Entwicklungs- bzw. Schwellenländern und Industrienationen.1,14
  • Unterstützender Nachweis einer vorliegenden oder kürzlich durchgemachten Infektion mit Streptokokken der Gruppe A (PharyngitisTonsillitis oder Scharlach)

Leitlinie: Diagnosekriterien des akuten rheumatischen Fiebers1-2

Jones-Kriterien14

  • Ein akutes rheumatisches Fieber gilt als diagnostiziert, wenn:
    • 2 Hauptkriterien (Majorkriterien) – oder –
    • 1 Hauptkriterium und 2 Nebenkriterien (Minorkriterien) erfüllt sind.
  • Hauptkriterien (Majorkriterien)
  • Nebenkriterien (Minorkriterien)
    • (Poly-)Arthralgie
    • Fieber ≥ 38,5 °C
    • BSG-Erhöhung (≥ 60 mm/h) und CRP-Erhöhung (≥ 3,0 mg/dl)
    • verlängerte PQ-Zeit (altersadaptiert)
  • Erweiterung der Kriterien für Patient*innen aus Risikopopulationen1,14
    • Definition der Risikogruppe
      • hohe Inzidenz für ARF (≥ 2 pro 100.000 Schulkinder) – oder –
      • hohe Prävalenz der rheumatischen Herzerkrankung (≥ 1 pro 1.000 Populationsjahre)
      • Bei nicht sicherer Zuordnung wird ein erhöhtes Risiko angenommen.
    • Monoarthritis oder Polyarthralgie sind als Majorkriterium zu werten.
    • Monoarthralgie, Fieber ≥ 38 °C oder eine BSG ≥ 30 mm/1 h oder CRP ≥ 3,0 mg/dl sind als Minorkriterium zu werten.
  • Ausnahmen (Diagnose außerhalb der Jones-Kriterien)
    • Karditis mit klarem anamnestischen Bezug zu einem vorangegangenen Streptokokkeninfekt.
    • Chorea minor (nach Ausschluss anderer ZNS-Erkrankung)
    • Rezidiv des ARF
    • Nachweis einer Streptokokkeninfektion
      • kultureller Nachweis von Gruppe A-Streptokokken (GAS)
      • positiver Antigen-Nachweis
      • erhöhter oder ansteigender Streptokokken-Antikörpertiter

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Klinische Untersuchung

(Poly-)Arthritis

  • Häufigstes Symptom (> 75 % der Fälle)2,8
  • Mehrere Gelenke betroffen (Polyarthritis), stark schmerzhaft (Arthralgie)
  • Die Entzündung „wandert" typischerweise von großem Gelenk zu Gelenk.1,8
    • Knie, Sprunggelenk, Ellbogen- und Handgelenk sind häufig betroffen.
  • Schwellung, Druckempfindlichkeit, Überwärmung, Bewegungsschmerz des betroffenen Gelenkes
    • Periartikuläre Fibrose der MCP-Gelenke kann zu Ulnardeviation führen (Jaccoud-Arthritis).
  • Üblicherweise selbstlimitierend nach bis zu 4 Wochen1,8
  • Gutes Ansprechen der Symptome auf nichtsteroidale Antiphlogistika

Karditis

  • Pankarditis (MyokarditisEndokarditisPerikarditis) mit variablem Verlauf in 50–70 % der Fälle1,8
    • schwerwiegendste Manifestation der Erkrankung
  • Die Endokarditis mit Klappenbeteiligung (Valvulitis) führt in erster Linie zu Klappeninsuffizienzen.
    • Dies kann zu einer Herzinsuffizienz mit letalem Ausgang führen.
    • Im Vordergrund stehen initial die linksseitigen Klappeninsuffizienzen.1,8
  • Klinische Zeichen der Herzbeteiligung sind:
  • Eine subklinische Karditis lässt sich echokardiografisch diagnostizieren.8,14

Chorea minor

  • Die Chorea minor ist ein selteneres Symptom (10–30 % der Fälle)2,8
  • Plötzliche, unfreiwillige, unregelmäßige, schnelle, asymmetrische Bewegungen von Gliedmaßen oder Kopf und Gesicht
    • häufig begleitet von neuropsychiatrischen Symptomen (z. B. emotionale Instabilität, psychotische Episoden)
  • Die Symptomatik dauert üblicherweise 2–3 Monate, in der Regel selbstlimitierend.15
  • Kann als isoliertes Symptom auftreten.2,8

Hautmanifestationen

  • Hautmanifestationen sind selten (0–10 %), aber spezifisch für das ARF.1,8
  • Subkutane Knötchen3,8
    • feste, schmerzlose, subkutane Knötchen mit Durchmesser bis zu 2 cm
    • insbesondere über den Knochen an den Streckseiten der Extremitäten und entlang der Wirbelsäule tastbar
  • Erythema marginatum (anulare)8
    • makulopapulöses, stammbetontes Exanthem
      • praktisch nie im Gesicht, an Hand- oder Fußsohlen
    • randbetont hellrot-bräunliche Effloreszenz, zur Mitte hin heller
    • nicht juckend oder schmerzhaft
    • rasche Ausbreitung, transiente Manifestation

Ergänzende Untersuchungen

Laboruntersuchungen

  • Labordiagnostik1
  • Urinstatus
  • Erregernachweis1
    • kultureller Nachweis von Streptokokken aus dem Rachenabstrich 
      • Goldstandard, jedoch häufig negativ
    • Nachweis von Streptokokken-Antigen
      • mangelnde Sensitivität
    • erhöhte Streptokokkenmarker (stark erhöht bzw. Titeranstieg um 2 Stufen)
      • Antistreptolysin-Titer (ASL) 1 Woche nach Infektion (max. Titer 3–6 Wochen nach Infektion)
      • Antidesoxyribonuklease B Titer (ADNase) 1–2 Wochen (max. Titer 6 – 8 Wochen nach Infektion)
    • nur in 8 % der Fälle negativer Test und fehlender Titeranstieg
  • Eine Antibiotikatherapie kann die Entwicklung der Antikörperreaktion verhindern.
  • Bei einem klinischen Verdacht, aber negativer Serologie, wird empfohlen, ca. 2 Wochen später neue Proben zu nehmen.

EKG

  • Notwendig zur Erfassung von kardialer Beteiligung
    • z. B. Tachykardien, PQ-Verlängerung und Erregungsrückbildungsstörungen
  • Bei Auffälligkeiten 24-Stunden-Langzeit-EKG empfohlen
    • Herzfrequenzniveau und Rhythmusstörungen

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Die Durchführung von spezifischer Diagnostik (Echokardiografie, Gelenksonografie) sollte durch Kinderkardiolog*innen in Zusammenarbeit mit Kinderrheumatolog*innen erfolgen.

Echokardiografie

  • Entscheidende Untersuchung zur Feststellung einer Herzbeteiligung1-2,8,14,16
    • auch subklinische Veränderungen feststellbar
  • Mögliche Befunde1,8,16
    • morphologische und funktionelle Klappenveränderungen (Valvulitis)
    • Vergrößerung und Funktionsbeeinträchtigung des linken Ventrikels infolge der Myokarditis
    • Perikarderguss bei Perikarditis
  • Unter Nutzung der Echokardiografie ist in 70–80 % der Fälle mit diagnostiziertem rheumatischem Fieber mit einer Herzbeteiligung zu rechnen.1
    • deutlich häufiger als bei der rein klinischen Beurteilung des Herzens (Herzgeräusch)

Gelenksonografie

  • Zur Diagnosestellung nicht notwendig
  • Nachweis eines Gelenkergusses bzw. einer synovialen Hyperproliferation1
  • Erlaubt eine Unterscheidung zwischen Arthralgie und Arthritis.

Röntgen des Thorax

  • Nicht notwendig zur Diagnosestellung
  • Bei Dyspnoe zum Ausschluss pulmonaler Veränderungen1

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf die Erkrankung Überweisung an Kinderärzt*innen mit Schwerpunkt Kinderkardiologie bzw. mit rheumatologischer Erfahrung1

Therapie

Therapieziele

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2,8
  • Eradikation der Streptokokkeninfektion und somit des Antigens
  • Behandlung der systemischen Inflammation
  • Therapie der Folgeerkrankungen
  • Rezidiv- und Umgebungsprophylaxe

Allgemeines zur Therapie

  • Mit Ausnahme der Karditis sind alle Symptome in der Regel selbstlimitierend.17
  • Eine Therapie kann das Fortschreiten der Erkrankung und Rezidive verhindern, jedoch eine bereits vorhandene rheumatische Herzerkrankung nicht heilen.

Leitlinie: Therapie des akuten rheumatischen Fiebers (ARF)1-2

  • Antibiotischen Behandlung der Streptokokkeninfektion
    • Eradikation des Antigens
    • Sofortiger Therapiebeginn nach Rachenabstrich und Streptokokkenschnelltest
    • Antibiotikum der Wahl ist Penicillin.
      • Penicillin V für 10 Tage
      • Dosierung: 100.000 IE/kg KG/d oral
      • Dosisintervall: in 3 ED max. 3 x 1,2 Mega
    • bei Penicillin-Allergie alternativ
      • Makrolide, z. B. Clarithromycin für 10 Tage
      • Cephalosporine für 10 Tage
    • Antibiotikabehandlung unabhängig vom Ergebnis des Nasen-Rachen-Abstrichs
  • Behandlung der systemischen Inflammation
    • symptomatische Therapie mit hochdosiert NSAR
      • z. B. Ibuprofen 30 mg/kg/d in 3 ED
    • bis zur Entfieberung und Normalisierung der Entzündungsparameter
    • historische Empfehlung zur hochdosierten ASS-Therapie aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen nicht mehr aktuell
  • Therapie der Arthritis
    • symptomatische Therapie mit NSAR
      • Ibuprofen
      • alternativ Naproxen (15 mg/kg KG/d in 2 ED mind. über 3 Monate)
    • Ggf. niedrig-dosierte orale Glukokortikoide, falls NSAR nicht toleriert werden.
    • Physiotherapie, lokale Kryo- oder Wärmetherapie
  • Behandlung der schweren Karditis (linksventrikuläre Funktionsstörung, Herzinsuffizienz, AV-Block)
    • initial Prednisolon
      • 2 mg/kg KG/d, max. 80 mg/d in 2–3 ED
      • Dosisreduktion frühestens nach 2 Wochen
      • weitere Reduktion unter Überlappung mit NSAR17
    • übliche Therapie einer möglichen Herzinsuffizienz gemäß Leitlinien
  • Weder NSAR noch Steroide beeinflussen die Prognose einer Herzklappenbeteiligung.

Weitere Therapien

  • Herzchirurgische oder interventionelle Therapiemaßnahmen1
    • z. B. Perikarddrainage, Klappenintervention/-chirurgie
    • bei elektiver Indikation mind. 1 Jahr nach ARF
  • Ggf. Therapie der Chorea minor bei ausgeprägten Beschwerden
    • z. B. Valproat oder Carbamazepin
    • In der Regel erfordert eine Chorea minor keine Behandlung.

Prävention

  • Antibiotische Behandlung einer Streptokokken-A-Infektion (Pharyngitis, Tonsillitis, Scharlach)
    • umstrittener Nutzen in den westlichen Industrienationen
      • Klinisch ist keine valide Differenzierung zwischen bakterieller und viraler Genese bei Halsschmerzen möglich.2
      • GAS-Stämme, die potenziell zu immunologischen Komplikationen führen können, sind in den westlichen Industrieländern selten.
      • In einer Cochrane-Metaanalyse fand sich in kontrollierten Studien seit 1975 bei Tonsillopharyngitis in 1.036 Fällen ohne antibiotische Therapie und 1.448 Fällen mit antibiotischer Therapie kein Fall von ARF in westlichen Industrienationen.2,4
      • keine Evidenz für die Verminderung immunologischer Komplikationen durch Antibiotika bei Scharlach2
    • Laut aktueller DEGAM-Leitlinie Halsschmerzen bei Kindern und Jugendlichen (Alter ≤ 15 Jahre) mit akuten Halsschmerzen ohne Red Flags bei negativem Schnelltestergebnis für GAS sollte auf eine antibiotische Therapie verzichtet werden.2
      • weitergehende individuelle Beratung, Diagnostik und Therapie bei erhöhtem Risiko für akutes rheumatisches Fieber (z. B. besondere Lebensbedingungen, Vorerkrankungen, Reiseanamnese, ethnische Zugehörigkeit)

Leitlinie: Nachsorge, Umgebungs- und Rezidivprophylaxe1-2

  • Abhängig von der kardialen Schädigung
    • rehabilitative physiotherapeutische Maßnahmen
    • regelmäßige kardiologische Kontrollen
    • ggf. Endokarditisprophylaxe
      • abhängig von der Klappenbeteiligung
  • Rezidivprophylaxe
    • nach ARF hohes Rezidivrisiko bei erneuter Streptokokken-A-Infektion
    • Rezidive können schwerer Verlaufen und eine Herzschädigung aggravieren.
    • Antibiotische Reinfektionsprophylaxe wird bei allen Patient*innen mit RF empfohlen (auch nach isolierter Chorea minor).
    • effektivste Prophylaxe mit Benzathin-Penicillin G i. m., alternativ Penicillin V oder Erythromycin
    • Dauer der Rezidivprophylaxe (interdisziplinäre Entscheidung!)
      • ARF mit Karditis und bleibendem Herzklappenfehler: 10 Jahre oder bis zum 40. Lebensjahr, manchmal lebenslang
      • ARF mit Karditis ohne bleibende Herzklappenerkrankung: 10 Jahre oder bis zum 21. Lebensjahr
      • ARF ohne Karditis: 5 Jahre oder bis zum 21. Lebensjahr
  • Umgebungsprophylaxe
    • Rachenabstrich bei allen Familienmitgliedern
    • Bei Nachweis von Streptokokken der Gruppe A wird eine antibiotische Therapie empfohlen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Erkrankung mit überwiegend selbstlimitierenden Symptomen innerhalb von Wochen bis Monaten
    • Polyarthritis ist üblicherweise selbstlimitierend nach bis zu 4 Wochen.1,8
    • Hautmanifestationen sind selten und nur vorübergehend.8
    • Chorea minor mit längerem Verlauf, in der Regel nach 2–3 Monaten selbstlimitierend1,8,15
  • Der Verlauf der Karditis ist variabel.
    • mit erhöhter Mortalität verbunden
    • in der akuten Phase aufgrund der Myokarditis
    • im Anschluss durch die chronische Herzerkrankung mit Herzklappenschädigung

Komplikationen

  • Rheumatische Herzerkrankung nach Pankarditis 
  • Rheumatische Pneumonitis
  • Jaccoud-Arthritis
    • nichterosive Gelenkdeformität
    • Ulnardeviation in den MCP-Gelenken

Prognose

  • Eine Herzbeteiligung kann zu chronischer rheumatischer Herzerkrankung, insbesondere mit linksventrikulären Klappeninsuffizienzen führen.
  • Bei Rezidiven besteht eine deutlich erhöhte Gefahr von chronischer Herzerkrankung.
    • Eine Herzbeteiligung ist primär verantwortlich für die Mortalität.9
    • in der akuten Phase geringe Mortalität von 1–2 %

Verlaufskontrolle

  • Bei rheumatischer Herzerkrankung nach ARF werden regelmäßige kardiologische Kontrollen empfohlen.1

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Halsschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-010. S3, Stand 2020. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Rheumatisches Fieber – Poststreptokokkenarthritis im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 023–027. S2k, Stand 2012. www.kinderkardiologie.org

RKI-Ratgeber

  • Robert Koch-Institut: Streptococcus pyogenes-Infektion. Berlin, Stand 2018. www.rki.de 

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie e.V. Rheumatisches Fieber - Poststreptokokkenarthritis im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie 023–027. S2k, Stand 2012. www.kinderkardiologie.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Halsschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-010. S3, Stand 2020. www.awmf.org
  3. Robert Koch-Institut. RKI-Ratgeber: Streptococcus pyogenes-Infektion. Berlin, Stand 2018. www.rki.de
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Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breigau
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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