Definition:Autoimmun vermittelte Erkrankung, die postinfektiös nach einer Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS) auftritt. Durch Kreuzreaktion mit körpereigenem Gewebe („molekulares Mimikry“) kommt es zu einer systemischen Entzündungsreaktion mit möglicher Gelenk-, Herz- und ZNS-Beteiligung.
Häufigkeit:In westlichen Industrienationen inzwischen sehr selten, in Entwicklungs- und Schwellenländern häufige Erkrankung mit relevanter Morbidität und Mortalität. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 5. und 15. Lebensjahr.
Symptome:Akute fieberhafte Erkrankung etwa 2–3 Wochen nach Atemwegsinfekt mit allgemeiner Schwäche, schmerzhafter Polyarthritis, Hautveränderungen, eingeschränkter körperlicher Belastbarkeit, unwillkürlichen, überschießenden Bewegungen (Chorea minor).
Befunde:Diagnosestellung mittels Jones-Kriterien: Pankarditis, Polyarthritis, Chorea minor, Erythema marginatum sowie subkutane Knötchen. Häufig begleitend Arthralgien, Fieber, BSG- und CRP-Erhöhung.
Diagnostik:Klinische Diagnose unterstützt durch Labordiagnostik, Erregernachweis, EKG, Echokardiografie, ggf. Gelenksonografie.
Chorea minor (Sydenham) ohne Gelenkmanifestationen und mit subklinischer Karditis in etwa 25 % der Fälle1-2
Die Herzbeteiligung kann zu chronischer rheumatischer Herzerkrankung mit Herzklappenfehlern führen (v. a. Mitralklappeninsuffizienz).1,6-8
Kardiale Folgeschäden sind für die langfristige Prognose entscheidend.1,8
Selten führt die Erstmanifestation unmittelbar zu einer rheumatischen Herzerkrankung.4
Häufigkeit
In den westlichen Industrienationen sind Inzidenz und Prävalenz seit Jahrzehnten kontinuierlich rückläufig, und die ist Erkrankung äußerst selten.
Inzidenz von 0,1–1 Fällen pro 100.000 Einw. pro Jahr in Westeuropa und Nordamerika2
In einer britischen Kohortenstudie von 2013 wurden 14.610 erwachsene Patient*innen mit akuten Halsschmerzen 1 Monat nachbeobachtet, ohne dass ein Fall von akutem rheumatischen Fieber oder andere Poststreptokokken-Erkrankungen aufgetreten sind.5
Eine Cochrane-Metaanalyse fand seit 1975 in Studien nach Tonsillopharyngitis (1.036 Fälle ohne antibiotische Therapie, 1.448 Fälle mit antibiotischer Therapie) keinen Fall von akutem rheumatischen Fieber in westlichen Industrienationen.4
Die Erkrankungshäufigkeit ist global abhängig von geografischen und sozioökonomischen Verhältnissen.
In Entwicklungsländern kommt es mindestens zu 280.000 Neuerkrankungen pro Jahr.9
Inzidenz von 10–120 Fällen pro 100.000 Einw. pro Jahr in Osteuropa, dem Mittleren Osten, Asien und Australien2
Weltweit gibt es etwa 15–30 Mio. Fälle von rheumatischer Herzerkrankung.9-10
Nur 5 % der Fälle betreffen Kinder unter 5 Jahren.12
Bei Kindern unter 2 Jahren ist die Erkrankung nahezu unbekannt.12
Bei Erwachsenen über 35 Jahren ist die Erkrankung selten.1
Ätiologie und Pathogenese
Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS, Streptococcus pyogenes) führen zunächst zu einer akuten Pharyngitis, Tonsillitis oder Scharlach.1-2,8
Die gebildeten Streptokokken-Antikörper zeigen im Verlauf eine Kreuzreaktion gegen körpereigene Antigene.1,6,13
strukturelle Ähnlichkeit zwischen den M-Proteinen der Erreger und körpereigenen Gewebearten
betrifft v. a. Herz- und Gelenkgewebe, seltener Nervenzellen der Basalganglien (Chorea)1,8
Das rheumatische Fieber tritt vor allem nach einer Infektion mit bestimmten Serotypen auf, die deshalb „rheumatogene Stämme" genannt werden.
Symptome des akuten rheumatischen Fiebers treten meist 2–3 Wochen nach der Streptokokkeninfektion auf, können sich jedoch auch früher oder später manifestieren.
Im Herzgewebe finden sich histologisch entzündliche Infiltrate aus polymorphkernigen Leukozyten und Lymphozyten sowie die charakteristischen granulomatösen Aschoff-Knötchen.1
Langfristig kommt es zu einem bindegewebigen Umbau und Degeneration des betroffenen Gewebes.
Die Diagnosestellung basiert auf den Jones-Kriterien (zuletzt 2015 aktualisiert).1-2,14
Die Aktualisierung berücksichtigt deutliche Inzidenzunterschiede zwischen Entwicklungs- bzw. Schwellenländern und Industrienationen.1,14
Unterstützender Nachweis einer vorliegenden oder kürzlich durchgemachten Infektion mit Streptokokken der Gruppe A (Pharyngitis, Tonsillitis oder Scharlach)
Leitlinie: Diagnosekriterien des akuten rheumatischen Fiebers1-2
z. B. Tachykardien, PQ-Verlängerung und Erregungsrückbildungsstörungen
Bei Auffälligkeiten 24-Stunden-Langzeit-EKG empfohlen
Herzfrequenzniveau und Rhythmusstörungen
Diagnostik bei Spezialist*innen
Die Durchführung von spezifischer Diagnostik (Echokardiografie, Gelenksonografie) sollte durch Kinderkardiolog*innen in Zusammenarbeit mit Kinderrheumatolog*innen erfolgen.
umstrittener Nutzen in den westlichen Industrienationen
Klinisch ist keine valide Differenzierung zwischen bakterieller und viraler Genese bei Halsschmerzen möglich.2
GAS-Stämme, die potenziell zu immunologischen Komplikationen führen können, sind in den westlichen Industrieländern selten.
In einer Cochrane-Metaanalyse fand sich in kontrollierten Studien seit 1975 bei Tonsillopharyngitis in 1.036 Fällen ohne antibiotische Therapie und 1.448 Fällen mit antibiotischer Therapie kein Fall von ARF in westlichen Industrienationen.2,4
Laut aktueller DEGAM-Leitlinie Halsschmerzen bei Kindern und Jugendlichen (Alter ≤ 15 Jahre) mit akuten Halsschmerzen ohne Red Flags bei negativem Schnelltestergebnis für GAS sollte auf eine antibiotische Therapie verzichtet werden.2
weitergehende individuelle Beratung, Diagnostik und Therapie bei erhöhtem Risiko für akutes rheumatisches Fieber (z. B. besondere Lebensbedingungen, Vorerkrankungen, Reiseanamnese, ethnische Zugehörigkeit)
Leitlinie: Nachsorge, Umgebungs- und Rezidivprophylaxe1-2
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Halsschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-010. S3, Stand 2020. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Rheumatisches Fieber – Poststreptokokkenarthritis im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 023–027. S2k, Stand 2012. www.kinderkardiologie.org
RKI-Ratgeber
Robert Koch-Institut: Streptococcus pyogenes-Infektion. Berlin, Stand 2018. www.rki.de
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie e.V. Rheumatisches Fieber - Poststreptokokkenarthritis im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie 023–027. S2k, Stand 2012. www.kinderkardiologie.org
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Autor*innen
Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breigau
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Autoimmun vermittelte Erkrankung, die postinfektiös nach einer Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS) auftritt. Durch Kreuzreaktion mit körpereigenem Gewebe („molekulares Mimikry“) kommt es zu einer systemischen Entzündungsreaktion mit möglicher Gelenk-, Herz- und ZNS-Beteiligung.