Zusammenfassung
- Definition:Bakterielle Infektion eines Gelenks, notfallmäßige Behandlung erforderlich.
- Häufigkeit:4–29 Fälle pro 100.000 Personenjahren.
- Symptome:Lokale Entzündungszeichen, meist liegen eine frühere Gelenkverletzung, eine Endoprothese oder ein anderer ärztlicher Eingriff zugrunde.
- Befunde:Warmes, geschwollenes Gelenk, oft sind große Gelenke betroffen, Vergrößerung der regionären Lymphknoten.
- Diagnostik:Entzündungsparameter im Blut erhöht, Gelenkpunktion, Röntgen.
- Therapie:Chirurgische Sanierung, Antibiotika und Immobilisation als Akutbehandlung. Danach frühzeitige Mobilisierung, um die Gelenkfunktion zu erhalten.
Allgemeine Informationen
Definition
- Bakterielle Infektion eines Gelenks nach Streuung von infizierten Wunden, Knochen oder Bakteriämie1
- Meist Monarthritis
- Wichtig: Schnellstmögliche operative Sanierung und adäquate Antibiotikabehandlung einleiten.
- Gefahr von dauerhaftem Gelenkschaden bei verzögerter Therapie2
- Neonatale Septikämie kann zu einer septischen Arthritis in vielen Gelenken führen.
- heutzutage äußerst selten
Häufigkeit
- 4–29 Fälle pro 100.000 Personenjahren2
- abhängig von Alter und prädisponierenden Faktoren
- 45 % der Betroffenen sind älter als 65 Jahre.3
- Die häufigsten Erreger sind Staphylokokken.4
- bei Immunsupprimierten auch gehäuft gramnegative Erreger5
- Gonokokkenarthritis ist bei jungen, sexuell aktiven Patient*innen zu beobachten.
- Periprothetische Infektionen sind mittlerweile eine sehr häufige und die komplizierteste Form der Arthritis.3
Ätiologie und Pathogenese
- Es gibt 3 Infektionsmechanismen:4
- direkt: Unfall mit Gelenkeröffnung
- Tierbiss, Penetrationstrauma
- fortgeleitet: hämatogen oder lymphogen
- gelenknahe Verletzung oder Entzündung mit Kontamination
- nach interventionellen Maßnahmen:
- Endoprothetik, Gelenkinfiltration, Arthroskopie.
- direkt: Unfall mit Gelenkeröffnung
- Der häufigste Infektionsweg ist eine hämatogene Ausbreitung bei Bakteriämie.9-10
- Bakterien verursachen akute Entzündungsreaktion mit Zerstörung des Gelenkknorpels und dem Verlust von Knochengewebe.10
Prädisponierende Faktoren
- Der Absatz basiert auf dieser Referenz.4
- In der Regel sind vorgeschädigte Gelenke von einer Arthritis betroffen.
- Risikofaktoren: rheumatoide Arthritis, HLA-B27-assoziierte Arthritiden, künstlicher Gelenkersatz
- Immunsupprimierte sind gehäuft betroffen.
- Systemerkrankungen: Niereninsuffizienz, maligne Erkrankung, HIV, Diabetes mellitus
- Einnahme von TNF-alpha-Blockern
- Drogenabhängigkeit, Alkoholabusus
- Verletzungen mit stark pathogenen Keimen
- Tierbisse, Zeckenbisse, Menschenbisse
Klassifikation
- Klinische Einteilung nach Kuner11
- Stadium I (purulente Synovialitis)
- Schwellung über dem Gelenk, Haut gerötet, glänzend, überwärmt, Ergussbildung, Schonhaltung
- Stadium II (Gelenkempyem)
- zusätzlich periartikuläre Schwellung und Rötung, starke spontane Schmerzhaftigkeit, Druckdolenz über der Kapsel, Entlastungsstellung in Beugung, Fieber
- Stadium III (Panarthritis)
- massive Weichteilschwellung, prall gespannte, glänzende Haut, extreme
Schmerzhaftigkeit, septische Temperaturen, Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes
- massive Weichteilschwellung, prall gespannte, glänzende Haut, extreme
- Stadium IV (chronische Arthritis)
- geringe Entzündungszeichen, Deformierung und diffuse Schwellung des Gelenkes, Fistelbildung oder starke Vernarbung, schmerzhafte Instabilität, starke funktionelle Behinderung
ICPC-2
- L99 Muskuloskelet. Erkrankung, andere
ICD-10
- M00 Eitrige Arthritis
- M00.0 Arthritis und Polyarthritis durch Staphylokokken
- M00.1 Arthritis und Polyarthritis durch Pneumokokken
- M00.2 Arthritis und Polyarthritis durch sonstige Streptokokken
- M00.8 Arthritis und Polyarthritis durch sonstige näher bezeichnete bakterielle Erreger
- M00.9 Eitrige Arthritis, nicht näher bezeichnet
- M01 Direkte Gelenkinfektionen bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
- M01.0 Arthritis durch Meningokokken (A39.8)
- M01.3 Arthritis bei sonstigen anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
- M01.8 Arthritis bei sonstigen anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Lokale Symptome einer Infektion (Schwellung, Überwärmung, Rötung, Schmerzen, Bewegungseinschränkung)
- Cave: ggf. nur milde Symptomatik bei Z. n. Kortison-Infiltrationen!
- Nachweis von Erregern aus Gelenkpunktat
- Cave: bis 30 % falsch-negative Tests!12
- Ein negatives Kulturergebnis ist nicht beweisend für Keimfreiheit.
- Cave: Abstriche sind meist nicht ausreichend, Gewebe oder Synovialflüssigkeit bevorzugen.
- Eine hohe Leukozytenzahl ist ein Hinweis auf eine bakterielle Infektion.
- Cave: bis 30 % falsch-negative Tests!12
- Die Punktion des betroffenen Gelenkes erfolgt in der Regel präoperativ, bei klarer OP-Indikation ist sie nicht zwingend erforderlich.4
- in diesem Fall intraoperative Probenentnahme
Differenzialdiagnosen
- Reaktive Arthritis
- Sonstige infektiöse Arthritiden (viral, tuberkulös)
- Rheumatoide Arthritis
- Aktivierte Arthrose
- Bursitis
- Psoriasisarthritis
- Arthritis urica
Leitlinie: Notwendige Diagnostik4
- Die Diagnostik sollte ohne Verzögerung und möglichst unter Vermeidung schmerzhafter Untersuchungen erfolgen.
- Körperliche Untersuchung (s. u.)
- Röntgen (konventionell)
- Standardröntgenaufnahmen des betroffenen Gelenkes in 2 Ebenen
- Liefert den Ausgangsbefund für Verlaufskontrollen.
- Labor
- kleines Blutbild, Differenzialblutbild, Kreatinin, Gerinnung
- Entzündungsparameter im Serum
- bei Verdacht auf Bakteriämie Blutkultur
- Gelenkpunktion
- mikrobiologische Untersuchung
Anamnese
- Meist liegt eine immunsupprimierende Erkrankung oder eine frühere Gelenkverletzung vor.13
- Risikofaktoren: Gicht, Medikation mit Immunsuppressiva, kürzlich erfolgte Gelenkoperation oder Prothesenimplantation sowie Hautinfektionen9,13
- Die Patientin/der Patient leidet unter akuter Schwellung, Überwärmung, Rötung, Schmerzen und Bewegungseinschränkung in einem Gelenk, u. U. in mehreren Gelenken (20 %).2
- Bei Sepsis systemische Entzündungszeichenwie Fieber, Schüttelfrost und Abgeschlagenheit
Klinische Untersuchung
- Überwärmtes, geschwollenes Gelenk
- Infektion an anderer Lokalisation sowie Fieber oder Schüttelfrost erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Diagnose.
- Am häufigsten Monarthritis, bei Patienten mit geschwächter Immunabwehr manchmal Oligoarthritis
- Häufig Vergrößerung der regionären Lymphknoten, die z. B. bei Arthritis urica nicht auftritt.
- Betrifft in der Regel die großen Gelenke: Kniegelenk, Hüftgelenk, Schultergelenk, Sprunggelenk, Ellbogengelenk und Handgelenk.14
- Ausschluss einer periartikulären Entzündung1
- Arthritis
- deutliche Einschränkungen der aktiven und passiven Beweglichkeit
- Schonhaltung, die einen maximalen intraartikulären Raum gewährt.
- periartikuläre Entzündung
- Schmerzen vor allem bei aktiven Bewegungen
- Arthritis
Ergänzende Untersuchungen
- Meist sind die BSG- und CRP-Werte erhöht.9,15
- Gelenkpunktion
- vor Beginn der Antibiotikabehandlung
- Empfehlung für eine sicherere mikrobiologische Ausbeute:
- Synovialflüssigkeit in Blutkulturflasche injizieren.
- Kultur aus Synovialgewebe (Biopsie) bei ungenügendem Zellwachstum in der Synovialflüssigkeit
Bildgebende Untersuchungen
- In der bildgebender Diagnostik keine pathognomonischen Befunde für Arthritis1
- Röntgen
- in den ersten Tagen Weichteilschwellung
- Später sind Anzeichen einer ossären Zerstörung des Gelenks zu sehen.
- Liefert Ausgangsbild für Verlaufsuntersuchungen.
- Ultraschall
- Nachweis einer erhöhten Flüssigkeitsansammlung im Gelenk16
- MRT
- Kann frühzeitig entzündliche Weichteilveränderungen nachweisen.17
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Bei Verdacht auf eine bakterielle Arthritis sollten Betroffene umgehend ins Krankenhaus eingewiesen werden.
Therapie
Therapieziele
- Bakterielle Erreger eliminieren.
- Sekundären Komplikationen vorbeugen.
- Die Funktion des Gelenks wiederherstellen.
Allgemeines zur Therapie
- Die floride, bakterielle Gelenkinfektion ist eine akute Situation, die einer unverzüglichen, operativen Therapie zugeführt werden sollte.4
- Behandlung im Krankenhaus
- Operative Sanierung des Gelenks
- Analgesie, Kühlung, Hochlagerung, Antibiotika und Immobilisation als Akutbehandlung
- Thromboseprophylaxe
- Anschließend Rehabilitation
Empfehlungen für Patient*innen
- Immobilisation in der Akutphase, später Mobilisation und Kontrakturenprophylaxe
Medikamentöse Therapie im Krankenhaus
- Thromboseprophylaxe
- Antimikrobielle Therapie
- Einleitung empirischer Antibiose nach spezifischer Diagnostik
- aktuelle Empfehlung: Cephalosporin der 2. oder 3. Generation i. v.18
- nach Vorliegen des Resistogramms Anpassung der Antibiose
- Übergang zur peroralen Therapie bei klinischer Besserung und Normalisierung der Infektionsparameter
- Behandlungsdauer
- Behandlungsdauer insgesamt i. v. + peroral 4–6 Wochen
- bei periprothetischem Infekt
- Ausbau bzw. Wechsel der Prothese in spezialisierten Endoprothetikzentren
- Antibiotika-Gabe in maximaler Dosierung19
- Internationale Empfehlungen weichen von deutschen Empfehlungen aufgrund erhöhter Resistenzen ab.1
- Vancomycin für grampositive Kokken
- Ceftriaxon für gramnegative Kokken
- Ceftazidim für gramnegative Stäbchen
Chirurgische Therapie
- Stadienadaptiert chirurgische Sanierung offen oder arthroskopisch4
- Entnahme von Proben
- Ausgiebige Gelenkspülung
- Debridement
- Ausmaß nach Abhängigkeit des intraoperativen Befundes
- Entfernung von Fremdkörpern
Weitere Therapien
- In der Akutphase sollte das Gelenk immobilisiert werden.
- danach physiotherapeutische Behandlung oder Bewegungsschiene zur Mobilisation und Kontrakturprophylaxe
Prävention
- Steriles Arbeiten bei Gelenkeingriffen
- Perioperative Antibiotikaprophylaxe bei Prothesenimplantation
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Symptome treten häufig akut auf, begleitet von starken Schmerzen
- bei Sepsis, Fieber und Schüttelfrost
- Langwieriger Verlauf möglich, die Rekonvaleszenz kann lang dauern.
Komplikationen
- Sepsis
- Persistierende Weichteilschäden, z. B. Fistel
- Bewegungseinschränkung
- Persistierende Schmerzen
- Instabilität
- Wundheilungsstörung
- Thrombose, Embolie
- Nerven- oder Gefäßverletzung
- Falls keine adäquate Behandlung erfolgt, kommt es rasch zu einer Zerstörung des Gelenkknorpels mit anschließender Ankylose.
Prognose
- Bei frühzeitiger Erkennung, fachgerechter Behandlung und intensiver Mitarbeit der Betroffenen ist häufig ein gutes Spätergebnis möglich.4
- Die Prognose ist besser, je eher die Therapie begonnen wird.
- Vor dem Zeitalter von Antibiotika starben 2/3 der Patienten.20
- Heute liegt die Mortalität bei 10–20 %, je nach der zugrunde liegenden Erkrankung.21
- Risikofaktoren für einen schweren Verlauf und das Auftreten von Komplikationen:3
- Alter > 60 Jahre
- Infektion des Schulter- oder Hüftgelenks
- rheumatoide Arthritis als Begleiterkrankung
- Infektion mit S. aureus
- verzögerte Therapieeinleitung.
Verlaufskontrolle
- Klinische Kontrollen des betroffenen Gelenks auf Entzündungszeichen und Bewegungseinschränkungen in Hausarztpraxis fortsetzen.
- Rezidive sind möglich.
- im Zweifel Wiedervorstellung bei den behandelnden Orthopäd*innen
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Die bakterielle Arthritis ist ein orthopädischer Notfall, der ohne Verzögerung im Krankenhaus behandelt werden sollte.
- Nach der Behandlung im Krankenhaus sind eigenständiges Training und Krankengymnastik sehr wichtig, um die Gelenkfunktion zu erhalten.
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Bakterielle Gelenkinfektionen. AWMF-Leitlinie Nr. 012-010. S1, Stand 2014. www.awmf.org
- Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. (PEG). Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018. AWMF-Leitlinie Nr. 082-006. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
Literatur
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- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. Bakterielle Gelenkinfektionen. AWMF-Leitlinie 012-010. Stand 2014. www.awmf.org
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Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).