Definition:Das akute Koronarsyndrom (ACS) ist ein zusammenfassender Begriff für akuten Herzinfarkt (STEMI oder NSTEMI) oder instabile Angina pectoris (ohne Myokardnekrose) mit dem gemeinsamen Symptom Brustschmerz.
Häufigkeit:In der Hausarztpraxis ist bei ca. 3–4 % der Patient*innen mit Brustschmerz ein ACS die Ursache.
Symptome:Plötzlich auftretender Brustschmerz, Ausstrahlung möglich in Arm(e), Hals, Unterkiefer, Epigastrium, Schultern. Häufig begleitet von Kurzatmigkeit und Angst.
Befunde:Der klinische Befund ist häufig unauffällig. Bei großem Infarkt Zeichen der kardialen Dekompensation bis zum Schock.
Diagnostik:Vor allem anamnestische Angaben, Kaltschweißigkeit und die Annahme der Patient*innen selbst, akut krank zu sein, sind wegweisend. Auf das EKG sollte man sich nicht verlassen. Es kann nur dazu dienen, einen Infarkt mit oder ohne ST-Hebung zu differenzieren und ggf. ein Vorhofflimmern zu detektieren. Die Bestimmung des Troponins als Marker der Myokardzellnekrose ist überall dort wichtig, wo der Weg in die Klinik weit ist. In der Klinik läuft die Diagnose wesentlich über den Troponinspiegel.
Therapie:Noch vor der Klinik symptomatische Therapie (Morphin, Nitrat, evtl. O2) und Gabe von ASS an die Patient*innen, die es nicht bereits hatten. In der Klinik Erweiterung der Medikation (Ticagrelor als 2. Thrombozytenaggregationshemmer, Statin, evtl. Betablocker) und bei der Mehrheit der Patient*innen Koronarangiografie/PCI. Bei instabiler AP mit rascher Erholung und niedrigem Risiko auch primär konservative Therapie mit Belastungstest zur Ischämiediagnostik im Intervall.
Prüfungsrelevant für die Facharztprüfung Allgemeinmedizin1
Anstieg der Herzinfarktprävalenz mit zunehmendem Alter von 1,5 % bei 40- bis 49-Jährigen auf 10,2 % bei den 70- bis 79-Jährigen. Altersadjustiert werden Herzinfarkte v. a. bei Männern von Jahr zu Jahr seltener.12
2017 wurden ca. 146.000 Männer und 72.000 Frauen wegen eines Herzinfarktes stationär behandelt.13
An einem Herzinfarkt verstarben 2016 ca. 28.000 Männer und 20.500 Frauen.13
Pathophysiologie
Gemeinsamer pathophysiologischer Mechanismus der verschiedenen Erscheinungsformen des akuten Koronarsyndroms ist die myokardiale Ischämie.
Bei der instabilen AP besteht eine myokardiale Ischämie in Ruhe oder bei geringer Belastung ohne Nekrose von Myokardzellen.4
Eine akute myokardiale Ischämie mit Myokardzellnekrosen definiert den Herzinfarkt.14
Ein Myokardinfarkt Typ 1 wird durch eine Atherosklerose mit Plaqueruptur und Thrombusbildung verursacht.14
Beim Myokardinfarkt Typ 2 besteht ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf und -angebot aufgrund unterschiedlicher Ursachen, z. B. schwere Anämie, Koronarembolie, anhaltende Tachy- oder Bradyarrhythmie, Vasospasmus (eine Plaqueruptur ist dabei definitionsgemäß ausgeschlossen).14
Auslöser ist die Ruptur einer atherosklerotischen Plaque mit Thrombusbildung.
Entscheidende Größen für die Entwicklung eines Infarkts sind Zusammensetzung und Vulnerabilität der Plaque, nicht die Größe der Plaque bzw. der Grad der Stenose.16Infarkte entstehen sogar überdurchschnittlich seltener in hochgradig stenosierten Gefäßen.
Entwickeln nahezu immer Myokardzellnekrosen, d. h. einen Infarkt: STEMI.
Patient*innen ohne ST-Hebungen (mögliche Befunde sind: ST-Streckensenkung, T-Negativierung, unauffälliges EKG)
mit Infarzierung (Nachweis der Myokardzellnekrose durch Troponinanstieg): NSTEMI
ohne Infarzierung (kein Troponinanstieg): instabile AP
Labor
Ein signifikanter Anstieg des Troponins zeigt die Myokardzellnekrosen und damit den Herzinfarkt an.
Ohne Troponinanstieg besteht eine instabile AP.
Mit zunehmender Sensitivität des Troponins sinkt die Spezifität des Parameters – falsch positive Befunde nehmen zu. So kann es zu Troponin-Erhöhungen z. B. auch bei schweren Infekten, Arrhythmien oder Schockzuständen mit anderer Ursache kommen.
Differenzialdiagnosen
In den DEGAM-Leitlinien werden die Ursachen von Brustschmerz nach der Relevanz für die Hausarztpraxis klassifiziert.5
Überwachung entsprechend den vorhandenen Möglichkeiten
Alarmierung des Rettungsdienstes – stationäre Einweisung
EKG, wenn möglich. Ein normales EKG sollte aber keinesfalls zur Entscheidung führen, von einer notfallmäßigen stationären Einweisung mit notärztlicher Begleitung abzusehen, wenn der Eindruck besteht, dass es sich um einen Herzinfarkt handeln könnte.
weitere diagnostische Schritte nur, falls in der Situation möglich
Evaluation von KHK/ACS: Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer KHK (Marburger Herz-Score)
Bei nicht unmittelbar pathologischen Vitalparametern erfolgt die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von KHK/ACS als häufigster Ursache für einen abwendbar bedrohlichen Verlauf.
Ein einfaches Instrument für die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer KHK ist der Marburger Herz-Score, der für den allgemeinärztlichen Bereich entwickelt wurde.
Erfasst werden 5 Kriterien (jeweils 1 Punkt bei positivem Kriterium):
Alter/Geschlecht (Männer ≥ 55 J. und Frauen ≥ 65 J.)
bekannte vaskuläre Erkrankung
Beschwerden belastungsabhängig
Schmerzen durch Palpation nicht reproduzierbar
Patient*in vermutet Herzkrankheit als Ursache.
Wahrscheinlichkeit für KHK:
0–1 Punkte: sehr gering (< 1 %)
2 Punkte: gering: 5 %
3 Punkte: mittel: (25 %)
4–5 Punkte: hoch (65 %).
Evaluation von KHK/ACS: Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines akuten Koronarsyndroms (ACS)
Bei Patient*innen mit mittlerer bis hoher Wahrscheinlichkeit für eine KHK (Marburger Herz-Score > 2 Punkte) sollte die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines ACS beurteilt werden.
Kriterien, die für ein ACS sprechen:
neu aufgetretene Beschwerden in Ruhe
Beschwerdedauer in Ruhe > 20 min
Crescendo-Angina
Patient*in ist anders als sonst.
Sie/er „gefällt" Ihnen nicht.
Sie/er ist kaltschweißig.
Sie/er ist blass.
Kriterien, die gegen ein ACS sprechen:
Der Thoraxschmerz ist nicht der eigentliche Beratungsanlass.
Ergänzende Untersuchungen
EKG und Troponin können die Diagnose erhärten, sind in der hausärztlichen Praxis und vor allem beim Hausbesuch aber von untergeordneter Bedeutung.
Keinesfalls sollten negative Testresultate dazu führen, eine wegen des klinischen Bildes naheliegende Klinikeinweisung zu verzögern.
EKG
12-Kanal-EKG sollte spätestens im Rettungswagen bzw. in der Klinik bei V. a. ACS angefertigt werden.
Wenn die Vortest-Wahrscheinlichkeit für ein ACS hoch ist, sollte auch ein normales EKG nicht dazu führen, dass weitere Maßnahmen unterbleiben – die Rate falsch-negativer EKG-Befunde ist hoch.
EKG-Manifestationen einer akuten kardialen Ischämie14
ST-Hebung – neue ST-Hebung am J-Punkt in 2 aufeinanderfolgenden Ableitungen, als signifikant gelten:
in allen Ableitungen außer Abl. V2–V3: ≥ 0,1 mV
Abl. V2–V3: ≥ 0,2 mV bei Männern ≥ 40 Jahre
≥ 0,25 mV bei Männern < 40 Jahre
≥ 0,15 mV bei Frauen.
ST-Senkungen und Veränderungen der T-Welle
neue horizontale oder deszendierende ST-Senkung ≥ 0,05 mV in 2 aufeinanderfolgenden Ableitungen und/oder T-Inversion ≥ 0,1 mV in 2 aufeinanderfolgenden Ableitungen mit prominenter R-Zacke oder R/S > 1
Die Verteilung der Endstreckenveränderungen auf die EKG-Ableitungen ermöglicht die Infarktlokalisation und damit Rückschlüsse auf das betroffene Gefäß.25
Q-Zacken
alter Herzinfarkt oder bereits fortgeschrittener akuter Herzinfarkt
Keinesfalls sollte daher ein negativer Troponin-Test bei entsprechender Klinik von weiteren Maßnahmen abhalten.
In Städten mit gut ausgebautem Rettungssystem erscheint der Troponin-Test meist verzichtbar.
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
Sofortige Einweisung von Patient*innen mit Symptomen eines ACS (insbesondere bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit)
Bei typischer Klinik sollten auch negative Ergebnisse von EKG und/oder Troponin-Schnelltest (sofern überhaupt unmittelbar verfügbar) eine Klinikeinweisung nicht verzögern.
Ziel ist die Minimierung der Verzögerung entlang der Rettungskette.
Anruf/Praxisbesuch durch Patient*in (Erhöhung der Sensibilität durch Informationskampagnen)
erster medizinischer Kontakt (Hausärzt*in, Notärzt*in)
medizinisches Zentrum, z. B. Chest Pain Unit
bei prähospitaler Diagnose eines STEMI möglichst direkter Transport ins Katheterlabor (Zeitersparnis ca. 20 min)
Weitere Diagnostik im Krankenhaus
Chest Pain Units
Eine weitere Verbesserung der Versorgung der Patient*innen mit akutem Brustschmerz soll durch die flächendeckende Einrichtung von sog. „Chest Pain Units" erzielt werden.
Ziel ist die rasche und zielgerichtete Abklärung eines akuten oder neu aufgetretenen unklaren Thoraxschmerzes.30
Eine Echokardiografie sollte in Notaufnahmen/Chest Pain Units routinemäßig verfügbar sein.4
Patient*innen mit NSTEMI sollten eine Echokardiografie erhalten.4
Beurteilung der globalen und regionalen LV-Funktion
Ausschluss/Nachweis von Differenzialdiagnosen
Nach Ausschluss eines akuten Infarktes und stabiler Situation/niedrigem Risiko im weiteren Verlauf Stressechokardiografie zum Nachweis/Ausschluss einer Belastungsischämie
CT
Vor allem zum Nachweis von Differenzialdiagnosen
Eine CT-Koronarangiografie sollte erwogen werden als Alternative zur invasiven Untersuchung bei niedriger-mittlerer Wahrscheinlichkeit für KHK und nicht eindeutigem EKG und/oder Troponin.4
Patient*innen mit STEMI sollten schnellstmöglich koronarangiografiert werden.3,32
Bei den übrigen Patient*innen wird in der Klinik eine Risikostratifizierung vorgenommen und in Abhängigkeit davon die Koronarangiografie terminiert (bzw. nichtinvasiv abgeklärt).4
sehr hohes Risiko (z. B. hämodynamisch instabil): < 2 Stunden
niedriges Risiko (d. h. keine wiederkehrende Symptomatik, keine Kriterien von sehr hohem oder hohem Risiko): elektive nichtinvasive Abklärung mit Belastungstest (z. B. Stressechokardiografie)
Hausärztliche Erstversorgung bei ACS gemäß DEGAM-Leitlinien
In den DEGAM-Leitlinien werden folgende Maßnahmen zur Erstversorgung empfohlen:5,33
Lagerung mit 30 Grad angehobenem Oberkörper
Zugang i. v.
ASS 500 mg i. v. oder oral, falls nicht bereits Dauermedikation
Nitroglyzerin (Spray oder Kapsel s. l.), sofern RR syst. > 100 mmHg
bei starken Schmerzen Morphin 5 mg i. v.; ggf. wiederholt bis Schmerzfreiheit
bei (opiatbedingter) Übelkeit 10 mg Metoclopramid i. v. oder 62 mg Dimenhydrinat i. v.
Heparin 5.000 IE i. v. oder Enoxaparin-Na, 1 mg/kg KG mg s. c. bei Vorliegen Ischämie-bedingter EKG-Veränderungen oder erhöhter Enzymmarker
bei Bradykardie < 45/min 1 Amp. Atropin 0,5 mg i. v.
nach Eintreffen des Rettungswagens: Monitoring des Herzrhythmus und Sauerstoff (2–4 l/min), falls Atemnot oder andere Zeichen der Herzinsuffizienz
Einweisung in kardiologische Abteilung mit Katheterbereitschaft.
Bei notfallmäßiger Einweisung evtl. mit dem Katheterlabor absprechen, ob eine präklinische Gabe eines 2. Thrombozytenaggregationshemmers gewünscht wird, eine solche Gabe ist aber nicht routinemäßig erforderlich.
Bevorzugte Substanz ist ggf. Ticagrelor mit Loading Dose 180 mg p. o.
Unfraktioniertes Heparin (70–100 IU/kg i. v.) und Enoxaparin (1 mg/kg s. c. 2 x tgl.) sind häufig verwendete Substanzen.4
Ein Wechsel zwischen unfraktioniertem und niedermolekularem Heparin sollte nicht erfolgen.4
Thrombozytenaggregationshemmung
Bei akutem koronarem Syndrom (ACS) sollen 500 mg ASS gegeben werden, wenn nicht bereits damit vorbehandelt wurde.33
Das Timing der Gabe eines 2. Thrombozytenaggregationshemmers (DAPT = Dual Antiplatelet Therapy) ist Gegenstand der Diskussion, eine Entscheidung wird aktuell üblicherweise nach Aufnahme/Diagnostik in der Klinik bzw. im Katheterlabor getroffen.
Erste Wahl als 2. Thrombozytenaggregationshemmer ist Ticagrelor 2 x 90 mg tgl. (für 1 Jahr) zusätzlich zu ASS.33
Die DEGAM spricht sich gegen die primäre Verwendung von Prasugrel aus33 (bei Unverträglichkeit von Ticagrelor kann aber im weiteren Verlauf Prasugrel als Alternative angeboten werden33-34).
Betablocker
Für hämodynamisch stabile Patient*innen ist eine frühe Betablockade vor allem bei anhaltenden Ischämie-Symptomen sinnvoll.3
Bei Patient*innen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung eines kardiogenen Schocks (ältere Menschen, Tachykardie, RR systolisch < 120 mmHg) wirken Betablocker möglicherweise eher ungünstig.35-36
Statin
Günstige Auswirkungen einer frühen Statintherapie bei Patient*innen mit ACS37
Eine Statin-Therapie sollte unabhängig von vorbestehenden Cholesterinwerten so früh wie möglich nach Einweisung und Diagnosestellung begonnen werden.3
Revaskularisation: PCI (perkutane Koronarintervention) und Thrombolyse
STEMI
Primäre PCI (perkutane Koronarintervention) bei STEMI ist der früher häufig durchgeführten thrombolytischen Behandlung überlegen.38-39
Thrombolyse mit anschließender PCI bringt keine Vorteile im Vergleich zur primären PCI.40
Eine Thrombolyse sollte nur durchgeführt werden, falls eine primäre PCI nicht schnell (< 120 min) möglich ist.3
Risikoeinstufung durch Prognose der Krankenhaussterblichkeit (und im Verlauf) anhand von 8 Variablen
elektive invasive Abklärung nach Ischämiediagnostik (z. B. durch Stressechokardiografie) bei Patient*innen mit niedrigem Risiko
Es ist sehr wichtig zu differenzieren, ob ein akutes Koronarsyndrom oder ein chronisches Koronarsyndrom vorliegt. Im ersten Fall ist der Nutzen einer PCI völlig unstrittig. Bei chronischem Koronarsyndrom verbessert die PCI die Prognose dagegen nicht und sollte nur eingesetzt werden, wenn die Patient*innen nur damit symptomfrei zu bekommen sind.
Nach jeder Form eines ACS (Angina pectoris, NSTEMI oder STEMI) und unabhängig von der initialen Therapie (konservativ, PCI oder ACVB) sollte, sofern vertragen, 1 Jahr lang 2 x 90 mg Ticagrelor zusätzlich zu ASS verabreicht werden.33
Wenn Ticagrelor nicht vertragen wird, sollten 12 Monate lang 10 mg, bei über 75 Jahre alten und/oder unter 60 kg wiegenden Patient*innen 5 mg Prasugrel angeboten werden.33-34
Nach Bypass-Operation sollte bei Unverträglichkeit von Ticagrelor nur mit ASS behandelt werden.33
Die Dauer der dualen Plättchenhemmung beträgt im Allgemeinen 12 Monate, dann Dauertherapie mit ASS.
Bei hohem Blutungsrisiko kann die duale Plättchenhemmung verkürzt werden auf:45
6 Monate nach Stentimplantation
1 Monat bei konservativer Therapie.
Triple-Therapie
Bei Patient*innen mit Indikation zur oralen Antikoagulation (meist Vorhofflimmern oder Thrombose), die mit Stentimplantation behandelt wird, wird für einen begrenzten Zeitraum eine Triple-Therapie durchgeführt.
OAK + Bare Metal Stent, BMS (chronisches Koronarsyndrom, ACS): Triple 4 Wochen, dann nur Phenprocoumon
OAK + Drug Eluting Stent, DES (chronisches Koronarsyndrom): Triple 1–3 Monate (Limus-Stent) bzw. 6 Monate (Paclitaxel-Stent), dann Phenprocoumon + Clopidogrel bis Monat 12, dann nur Phenprocoumon
Bei erhöhtem Blutungsrisiko kann bei antikoagulierten Patient*innen mit stabiler KHK die Clopidogrel-Gabe auf 6, bei sehr hohem Blutungsrisiko auf 1–3 Monate verkürzt werden.
OAK + DES (ACS): Triple 6 Monate, dann Phenprocoumon + Clopidogrel bis Monat 12, dann nur Phenprocoumon
Bei deutlich erhöhtem Blutungsrisiko kann die Gabe von ASS auf 4 Wochen und die von Clopidogrel auf 6 Monate beschränkt werden.
Es soll bei Triple-Therapie nur Clopidogrel als ADP-Rezeptor-Blocker verwendet werden (höheres Blutungsrisiko mit Ticagrelor).
reduziertes INR-Ziel 2,0–2,5 für die Dauer der Triple-Therapie
Die Patient*innen sollen sorgfältig überwacht werden, z. B. durch monatliche Blutbildkontrollen.
In den neuen ESC-Guidelines wird eine weitere Verkürzung der Phase mit Triple-Therapie nach PCI empfohlen, dies gilt sowohl für Patient*innen mit ACS als auch mit chronischem Koronarsyndrom.4,46
chronisches Koronarsyndrom (unabhängig vom gewählten Stent)
1 Woche Triple-Therapie, dann ASS-Stopp
OAK + Clopidogrel für 6 Monate
dann nur noch OAK
ACS (unabhängig vom gewählten Stent)
1 Woche Triple-Therapie, dann ASS-Stopp
OAK + Clopidogrel für 12 Monate
dann nur noch OAK
Triple-Therapie mit Vit-K-Antagonist bzw. NOAK (neue orale Antikoagulanzien)
Die DEGAM spricht sich gegen eine Triple-Therapie mit NOAK aus.33
Bei Triple-Therapie sollte die INR bei der oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon auf 2–2,5 eingestellt werden.33
Viele Kliniken empfehlen inzwischen statt einer Triple-Therapie eine 2-fache Gerinnungshemmung mit einem NOAK und Clopidogrel; die DEGAM übernimmt diese Empfehlungen nicht. In den entsprechenden Studien waren die Vitamin-K-Antagonisten in den Kontrollgruppen mit INR-Ziel 2,0–3,00 zu hoch dosiert worden. Die entsprechend höhere Blutungsrate verwundert dann nicht.
In den ESC-Guidelines werden NOAK für die Kombination mit Plättchenhemmern gegenüber Vit-K-Antagonisten bevorzugt.46
Die ESC-Leitlinien leiden allerdings unter einer sehr großen Industrienähe der Fachgesellschaft wie der einzelnen Protagonist*innen. Sie basieren auf Studien, die a) vorrangig auf den Endpunkt „Verhinderung von Blutungen" angelegt waren – und in deren Kontrollgruppen b) bei Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten eine zu hohe Ziel-INR von 2,0–3,0 angestrebt wurde. Die ESC-Empfehlungen sind also nicht gut begründet. Bei Triple-Therapie sollte eine INR nur zwischen 2,0 und 2,5 angestrebt werden (Anmerkung des Reviewers).
Wechsel zwischen Thrombozytenaggregationshemmern
Bei einer Umstellung von einem Thrombozytenaggregationshemmer auf einen anderen empfiehlt die DEGAM folgendes Vorgehen:33
Umstellung von Clopidogrel auf Ticagrelor
1–3 Tage Clopidogrel pausieren, dann Wechsel auf Ticagrelor.
Umstellung von Prasugrel auf Clopidogrel
Es kann ohne Therapiepause auf die übliche Erhaltungsdosis von Clopidogrel gewechselt werden.
Umstellung von Prasugrel auf Ticagrelor
Es kann ohne Therapiepause auf die übliche Erhaltungsdosis von Ticagrelor gewechselt werden.
Umstellung von Ticagrelor auf Clopidogrel
Loading-Dose von 300 mg Clopidogrel, dann übliche Erhaltungsdosis von 75 mg Clopidogrel/d
Alle Patient*innen mit KHK sollten – unabhängig vom Ausgangswert der Blutfette – ein Statin angeboten bekommen.11
Die DEGAM bevorzugt eine Strategie der festen Dosis.11
Verschreibung eines Statins in Hochdosis ohne weitere Kontrollen
Einsatz anderer Substanzen nur bei Statin-Unverträglichkeiten
Ezetimib kann angeboten werden, wenn eine Hochdosis-Statintherapie nicht toleriert wird.
Möglicherweise geringe Reduktion des primären Endpunktes bei zusätzlicher Ezetimibgabe nach ACS47, dies wird von der Arzneimittekommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) aber derzeit nicht empfohlen (NNT 350/Jahr). Zudem senkt Ezetimib die Sterblichkeit nicht.
Antiischämische Therapie
schnellwirksames Nitrat zur Selbstbehandlung eines AP-Anfalls
Betablocker oder Ca-Antagonisten zur längerfristigen antiischämischen Therapie, sofern eine entsprechende Symptomatik besteht.
Behandlung von Komorbiditäten
Komorbiditäten wie arterielle Hypertonie, Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz sollten gemäß den entsprechenden Leitlinien behandelt werden, hier sind insbesondere ACE-Hemmer/AT-Inhibitoren und Betablocker von Bedeutung.
Ohne entsprechende Komorbiditäten ist ein prognostischer Nutzen einer Langzeittherapie mit Betablockern fraglich, lediglich im 1. Jahr besteht ein Nutzen. Auch ACE-Hemmer haben nur dann einen Stellenwert, wenn eine Blutdruckerhöhung oder eine reduzierte linksventrikuläre Kontraktilität im Echokardiogramm ihren Einsatz erfordern. Nach Myokardinfarkt wird in den NVL derzeit ein Betablocker für 1 Jahr empfohlen mit anschließender Evaluation, ob er noch antianginös oder zur Senkung des Blutdrucks erforderlich ist.11
In der kardialen Rehabilitation sollen die Patient*innen mithilfe eines multidisziplinären Teams darin unterstützt werden, die individuell bestmögliche physische und psychische Gesundheit sowie soziale Integration wiederzuerlangen und langfristig aufrechtzuerhalten (Definition Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK).11
Eine kardiologische Rehabilitation nach ACS soll möglichst früh, spätestens jedoch 3 Monate nach Entlassung begonnen werden.48
Leitlinien: Therapie während und nach akutem Koronarsyndrom (ACS)
Die folgenden Hinweise beruhen auf DEGAM- und ESC-Leitlinien, der NVL und weiterer Literatur.3-4,11,33,45
Symptomatische Behandlung
O2-Gabe bei Sauerstoffsättigung < 90 % (I/C), routinemäßige O2-Gabe nicht mehr empfohlen
Titrierte i. v. Opioide sollten zur Analgesie erwogen werden (IIa/C).
Ein milder Tranquilizer (Benzodiazepin) sollte bei sehr ängstlichen Patient*innen erwogen werden (IIa/C).
Sublinguale oder i. v. Gabe von Nitraten zur Besserung der Angina (I/C)
i. v. Gabe empfohlen bei Patient*innen mit wiederholter Angina, unkontrollierter Hypertonie oder Zeichen der Herzinsuffizienz
Blutgerinnungshemmung in der Akutphase und periprozedural
Parenterale Antikoagulation zum Zeitpunkt der Diagnosestellung empfohlen (I/B)
routinemäßige Verwendung von unfraktioniertem Heparin empfohlen (I/C), Enoxaparin als Alternative
Bei akutem koronarem Syndrom sollen 500 mg ASS gegeben werden, wenn nicht bereits damit vorbehandelt wurde (A/I).
Ob weitere Thrombozytenaggregationshemmer in der Prähospital-Phase eingesetzt werden, sollte mit dem kooperierenden Katheterlabor abgesprochen werden.
Sonstige medikamentöse Therapie in der Akutphase/periprozedural
Betablocker
Einleitung einer Betablocker-Therapie empfohlen bei anhaltenden Ischämiesymptomen (I/B)
I. v. Gabe eines Betablockers sollte bei STEMI-Patient*innen mit geplanter PCI erwogen werden (sofern keine Kontraindikationen, keine Herzinsuffizienzzeichen, systolischer Blutdruck > 120 mmHg) (IIa/A).
Vorbestehende Betablocker-Therapie sollte fortgeführt werden, sofern nicht Killip-Klasse III oder höher (I/B).
Statine
Beginn einer Statintherapie so früh wie möglich empfohlen (I/A)
Reperfusionstherapie
STEMI
Reperfusionstherapie indiziert bei allen Patient*innen mit Symptombeginn < 12 h und persistierenden ST-Hebungen (I/A)
sofortige (< 2 h) Koronarangiografie/PCI bei sehr hohem Risiko (I/C)
frühe (< 24 h) Koronarangiografie/PCI bei hohem Risiko (I/A)
elektive Koronarangiografie/PCI bei niedrigem Risiko nach Ischämiediagnostik
Stentauswahl
Die Verwendung von DES (Drug-eluting Stents) hat im Vergleich zu BMS (unbeschichtete Stents) keinen prognostischen Vorteil (Tod, Myokardinfarkt), ist aber mit einer geringeren Rate an Restenosen/Revaskularisationen verbunden.49
Gefäßzugang
radialer Zugang gegenüber einem femoralen Zugang für Koronarangiografie/PCI empfohlen (I/A)
Sekundärprävention – Blutgerinnungshemmung
Nach jeder Form eines ACS (Angina pectoris, NSTEMI oder STEMI) und unabhängig von der initialen Therapie (konservativ, PCI oder ACVB) sollte, sofern vertragen, 1 Jahr lang 2 x 90 mg Ticagrelor zusätzlich zu ASS verabreicht werden (A/Ia).
Wenn Ticagrelor nicht vertragen wird, sollten 12 Monate lang 10 mg, bei über 75 Jahre alten und/oder unter 60 kg wiegenden Patient*innen 5 mg Prasugrel angeboten werden.
Nach Bypass-Operation sollte bei Unverträglichkeit von Ticagrelor nur mit ASS behandelt werden.
Bei Patient*innen mit hohem Blutungsrisiko kann das Absetzen des P2Y12-Inhibitors erwogen werden.
bei Stentimplantation nach 6 Monaten (IIa/B)
bei konservativer Therapie nach 1 Monat (IIa/C)
Triple-Therapie (DAPT + OAK) nach Stentimplantation
ASS und Clopidogrel als Plättchenhemmer (I/C), kein Ticagrelor oder Prasugrel
Bei Patient*innen mit Erfordernis zur oralen Antikoagulation, die bei akutem Koronarsyndrom jedweder Art eine PCI bekommen, werden folgende Empfehlungen zur Dauer einer Triple-Therapie gegeben (B/IIa):
bei DES jeder Art 6 Monate Triple-Therapie; dann OAK + Clopidogrel bis Monat 12, danach nur noch OAK mit Cumarinen
Bei BMS 4 Wochen Triple-Therapie, danach sollte nur mit Cumarinen antikoaguliert werden.
Bei deutlich erhöhtem Blutungsrisiko kann die Gabe von ASS auf 4 Wochen und die von Clopidogrel auf 6 Monate beschränkt werden.
Für die Dauer einer Triple-Therapie sollte bei Einsatz von Cumarinen eine INR im unteren therapeutischen Zielbereich gewählt werden (z. B. 2,0–2,5) (B/IIa).
bei Patient*innen mit hohem Blutungsrisiko Clopidogrel + OAK als Alternative (IIa/A)
Absetzen der dualen Plättchenhemmung nach 12 Monaten (IIa/B), Weiterführung der OAK mit Phenprocoumon (INR 2–3)
Wenn sich antikoagulierte Patient*innen einer koronaren Intervention unterziehen müssen, sollte eine Triple-Therapie mit Phenprocoumon bzw. Warfarin und nicht mit neuen oralen Antikoagulanzien durchgeführt werden (B/IIb).
Sekundärprävention – sonstige Medikation und Lebensstil
Statintherapie dauerhaft (I/A)
Die DEGAM empfiehlt eine Strategie der festen Dosis.
Patient*innen mit KHK, insbesondere nach ACS, nach Koronarintervention oder nach Bypass-Operation, soll die Teilnahme an einer ambulanten Herzgruppe empfohlen werden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
Starker Rückgang der Komplikationsrate durch frühe Revaskularisation, dennoch gibt es weiterhin wichtige Ursachen für Morbidität/Mortalität nach einem Herzinfarkt:50
Eine Abschätzung des Sterblichkeitsrisikos im Verlauf kann bereits bei stationärer Aufnahme durch die Bestimmung des GRACE-Scores erfolgen.
Verlaufskontrolle
Erste Verlaufskontrolle nach ca. 2–4 Wochen
Regelmäßige Untersuchung in der Hausarztpraxis (1/4- bis 1/2-jährlich) bei Patient*innen mit KHK im Rahmen des Disease-Management-Programms KHK, unabhängig von sonstigen notwendigen Kontakten (Verschlechterung, Komorbiditäten)11
Gemeinsame Betreuung durch Hausärzt*in und Kardiolog*in bei Patient*innen mit:11
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Neue Thrombozyten-Aggregationshemmer, Einsatz in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie-Nr. 053-041. S2e, Stand 2019. www.awmf.org
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Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK – Langfassung. Leitlinie-Nr. nvl-004. S3, Stand 2019. www.awmf.org
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Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Kardiologische Rehabilitation im deutschsprachigen Raum Europas Deutschland, Österreich, Schweiz (D, A, CH). AWMF-Leitlinie Nr. 133-001. S3, Stand 2020. www.awmf.org
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Günther Egidi, Dr. med., Arzt für Allgemeinmedizin, Bremen (Review)
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
BBB MK 10.08.2022 Änderung der Indikation für Heparin.
CCC MK 17.11.2021 Abkürzungen BMS und DES weiter oben im Text eingeführt, nach Leserhinweis.
BBB MK 05.07.2021 Addendum 2021 der DEGAM LL „Neue Thrombozytenaggregationshemmer in der Hausarztpraxis“
BBB MK 07.12.2020 neue ESC-Guidelines Triple-Therapie, NSTEMI-Guidelines.
CCC MK 09.11.2020 neue Reha-LL.
CCC MK 05.10.2020 kleine Änderung bei der Statindosis nach Leseranfrage.
DEGAM Änderungen Egidi eingefügt 03.07.2020 UB
DEGAM Änderungen Egidi eingefügt 12.12.19 UB
BBB MK 30.09.2019 DEGAM-LL.
CCC MK 09.05.2019 Grace-Score nach Leserhinweis und R mit Egidi ergänzt
Hinweis zur Fahreignung TH 2.3.18. U-NH 25.04.18
DEGAM Egidi Hinweis auf Triple-Therapie 08.12.2020
BBB 29.06.2020 umfassende Überarbeitung auf der Basis aktueller Leitlinien.
chck go 11.4.; DEGAM Egidi 1.12.16
Definition:Das akute Koronarsyndrom (ACS) ist ein zusammenfassender Begriff für akuten Herzinfarkt (STEMI oder NSTEMI) oder instabile Angina pectoris (ohne Myokardnekrose) mit dem gemeinsamen Symptom Brustschmerz.