EKG: Veränderungen von P-Welle, QRS-Komplex und ST-T-Segment

Wichtige Kriterien bei der Analyse

  • P-Welle
    • Formveränderungen?
    • Höhe?
    • Breite?
  • QRS-Komplex
    • Fehlen physiologischer Q-Zacken?
    • Pathologische Q-Zacken?
    • Formveränderung?
    • Verbreiterung (Blockbild)?
    • R-Progression?
    • Persistenz von S-Zacken?
    • Hypertrophiezeichen?
    • Niedervoltage?
  • ST-T-Segment
    • ST-Senkung/-Hebung?
    • T-Negativierung?
    • In welchen Ableitungen?
  • QT-Zeit
    • Verlängerung?

P-Welle

Normale P-Welle

  • Halbrund, konvex
  • Dauer ≤ 0,11 s, Höhe ≤ 0,20 mV
  • In allen Ableitungen positiv mit Ausnahme von aVR (Konkordanz zu negativem QRS) und evtl. V1
  • Größte P-Welle normalerweise in Abl. II
    • elektrische Achse der P-Welle physiologisch von rechts oben nach links unten, in etwa Ableitung II entsprechend

Veränderte P-Welle

 

Hohe P
P-Pulmonale

 

 

Breite P
P-Mitrale

 

  • Verbreiterte (> 0,1 s) und zweigipflige P-Welle, deutlich negativer Endteil der P-Welle in Ableitung V1 und V2
  • Bei linksatrialer Hypertrophie (z. B. Mitralklappenstenose)
  • Siehe EKG: AV-Block 1, P-Mitrale
  • P-Kardiale
    • verbreiterte und überhöhte P-Welle bei Belastung beider Vorhöfe
  • „Negative“ P-Welle
    • vor dem QRS-Komplex: Vorhofrhythmus (ektope Schrittmacher liegen unterhalb des Sinusknotens)
    • hinter dem QRS-Komplex: Erregungszentrum im His-Bündel mit verzögerter retrograder Überleitung
  • Keine P-Welle
    • Erregungszentrum im AV-Knoten/His-Bündel mit gleichzeitiger retrograder Überleitung in die Vorhöfe und antegrader Überleitung in die Ventrikel (P-Welle im QRS-Komplex verborgen)   

QRS-Komplex

Normaler QRS-Komplex

Q-Zacke

  • Ausdruck der Septumerregung
  • Physiologische Erregung über den schnelleren linken Tawaraschenkel, daher deutet der Vektor der Septumerregung von links nach rechts
  • Kleines Q in den den nach links zeigenden Ableitungen (I, avL, V5–V6)
  • Normale Breite ≤ 0,04 s, normale Höhe < 1/4 der R-Zacke

R-Zacke und S-Zacke

  • Ausdruck der Kammererregung
  • Form des QRS-Komplexes in Extremitätenableitungen vor allem abhängig vom Lagetyp
  • Normalerweise Zunahme der Größe der R-Zacken von V1–V5
  • Normaler R/S-Umschlag in Abl. V2/V3 oder V3/V4
  • Abnahme der Größe der S-Zacke in Abl. V2–V6, in Abl. V6 normalerweise nur noch sehr kleine oder keine S-Zacke

Veränderungen des QRS-Komplexes

Veränderungen der Q-Zacke

  • Deutlich ausgeprägte, tiefe Q-Zacken
  • Anomal tiefe und/oder breite Q-Zacke (Höhe >1/4 R-Zacke der gleichen Ableitung, Breite >0.04s)
  • Q-Zacken in Ableitungen, die normalerweise kein Q-aufweisen.
    • Hinweis auf abgelaufenen Myokardinfarkt
    • Die Verteilung der Q-Zacken (und ST-T-Veränderungen) in den EKG-Ableitungen ermöglicht eine Aussage zu Lokalisation und Ausdehnung, z. B.:
  • QS-Komplexe
    • Verschmelzung von Q- und S-Zacke durch infarktbedingten Verlust der R-Zacke
  • Fehlen der Q-Zacke
    • keine Q-Zacken in den nach linksgerichteten Ableitungen beim Linksschenkelblock (Septumerregung über den rechten Tawaraschenkel und somit Vektorrichtung von rechts nach links)

Verzögerte R-Progression

  • Verzögerte R-Progression in den Brustwandableitungen bei Anteroseptalinfarkt, LV-Hypertrophie, linksanteriorem Hemiblock

Persistierende S-Zacken

  • Persistierende, tiefe S-Zacken in den Brustwandableitungen bis Abl. V6 bei Rechtsherzbelastung oder linksanteriorem Hemiblock

Verbreiterte QRS-Komplexe

  • Verbreiterte QRS-Komplexe sind Ausdruck einer intraventrikulären Leitungsstörung, z. B. Linksschenkelblock (LSB).
  • Siehe EKG: Linksschenkelblock
    • breiter positiver Komplex in den nach links deutenden Ableitungen (I, aVL, V6)
    • Fehlen des septalen Q
    • kompletter LSB bei QRS ≥ 0,12 s, inkomplett bei QRS = 0,11 s
    • Siehe auch Artikel Rechts- und Linksschenkelblock.

 

Rechtsschenkelblock (12)
Rechtsschenkelblock

 

  • Breiter Komplex mit R'-Zacke und dadurch „M-Konfiguration“ (rSR') in den nach rechts deutenden Ableitungen (V1, III)
  • Normale Septumerregung, daher normales septales Q in den nach links deutenden Ableitungen
  • Kompletter RSB bei QRS ≥ 0,12 s, inkomplett bei QRS = 0,11 s
  • Siehe auch Artikel Rechts- und Linksschenkelblock.
  • Myokardiale Schädigung
  • Schwere Elektrolytstörung
  • Verbreiterung durch Präexzitation (WPW-EKG)
  • Siehe EKG: WPW mit intermittierender Präexzitation
    • Delta-Welle als Ausdruck der vorzeitigen Ventrikelerregung führt zu verbreitertem QRS.
    • Erst bei Auftreten von Tachykardien im Rahmen der Präexzitation spricht man von WPW-Syndrom.

 

WPW-Syndom
WPW-Syndom

 

Hypertrophiezeichen

  • Hinweise auf ventrikuläre Hypertrophie durch Bestimmung des Sokolow-Lyon-Index
    • nur verwertbar bei ungestörter Erregungsausbreitung, d. h. nicht bei Blockbildern
  • Sokolow-Lyon-Index für linksventrikuläre Hypertrophie (LVH)

 

Linksventrikuläre Hypertrophie (12)
Linksventrikuläre Hypertrophie

 

    • Messung der S-Zacke in V1 (mV) und der größeren R-Zacke in V5 oder V6 (mV)
    • falsch positive Befunde vor allem bei jüngeren Individuen und steiler Herzachse
    • SV1 + R(V5 oder V6) ≥ 3,5 mV: Hinweis für LVH
  • Sokolow-Lyon-Index für rechtsventrikuläre Hypertrophie (RVH)

 

Rechtsventrikuläre Hypertrophie (12)
Rechtsventrikuläre Hypertrophie

 

    • RV1 + SV5 ≥ 1,05 mV: Hinweis für RVH

Niedervoltage

  • Periphere Niedervoltage: QRS in Extremitätenableitungen ≤ 0,5 mV
  • Totale Niedervoltage: zusätzlich QRS in Brustwandableitungen ≤ 0,7 mV
    • Adipositas, Lungenemphysem als mögliche Ursachen, Perikarderguss als wichtige Differenzialdiagnose bei entsprechender Klinik

ST-Strecke und T-Welle

Normales ST-T-Segment

  • Ausdruck der Erregungsrückbildung der Kammern
  • ST-Strecke normalerweise isoelektrisch
    • auch aszendierende ST-Streckensenkung meistens physiologisch
    • Vor allem bei jungen Männern sind aszendierende ST-Hebungen in den Abl. V1–V3 häufig zu beobachten und physiologisch.
  • In Extremitätenableitungen Konkordanz von QRS-Komplex und T-Welle
  • In Brustwandableitungen negative T-Welle in Abl. V1(–V2) physiologisch, im übrigen positive T-Wellen

Veränderungen der ST-Strecke

  • ST-Streckenhebung
  • ST-Streckensenkung
    • unspezifische Veränderung mit vielen möglichen Ursachen (Ischämie, Hypertrophie, Schenkelblock, Medikamente, metabolische Veränderungen)
    • Deszendierend, horizontal oder aszendierend? Muldenförmig?
      • aszendierende ST-Streckensenkung meistens physiologisch
      • muldenförmige ST-Senkung häufig bei Überdigitalisierung
DigitalisST
Digitalis ST
    • Ausmaß der ST-Streckensenkung?
      • pathologisch ab > 0,1 mV (> 1 mm)

Veränderungen der T-Welle

Überhöhte T-Welle

Abgeflachtes T

  • < 1/8 des QRS-Hauptausschlags
  • Es gibt viele mögliche Ursachen (Ischämie, medikamentös, Elektrolytstörung, u. a.).

T-Negativierung

  • Qualitative Feststellung einer negativen T-Welle, üblicherweise keine Quantifizierung von Breite und Höhe
  • Unspezifisches Zeichen einer Schädigung mit verschiedenen möglichen Ursachen (Ischämie, Hypertrophie, Perikarditis, u. a.) 

U-Wellen

  • Flache Welle nach der T-Welle
  • Im Allgemeinen bedeutungslos
  • Kann bei Verschmelzung mit T-Welle Hinweis auf Hypokaliämie sein.
  • Bei der Bestimmung der QT-Zeit U-Welle nicht versehentlich mitmessen!

QT-Zeit

  • Die QT-Zeit umfasst sowohl ventrikuläre Erregungsausbreitung als auch -rückbildung.
  • Die Verlängerung der QT-Zeit beinhaltet eine Gefahr ventrikulärer Tachykardien/Torsaden.
  • Neben angeborenen Syndromen, Elektrolytstörungen, intrazerebralen Blutungen sind vor allem Medikamente für QT-Zeit-Verlängerungen ursächlich, z. B.:
  • QT-Zeit frequenzabhängig!
  • Es sollte die frequenzkorrigierte QT-Zeit (QTc) bestimmt werden:
    • Bazett-Formel: QTc = QT (s)/RR-Intervall (s)0,5
      • Die Bazett-Formel wird am häufigsten verwendet.
    • Fridericia-Formel: QTc = QT (s)/RR-Intervall (s)0,33
      • Die Fridericia-Formel ist wahrscheinlich bei Herzfrequenz > 80/min besser.
  • Faustregel: QTc > 500 ms pathologisch
  • Es gibt keine eindeutigen, evidenzbasierten Richtlinien zum Vorgehen bei medikamentös induzierter QT-Verlängerung, folgendes Vorgehen ist sinnvoll:
    • QTc > 500 ms („sicher“ pathologisch) und/oder QTc-Zunahme im Vgl. zu Vor-EKGs > 60 ms: Aus rein kardiologischer Sicht sollte die Medikation abgesetzt werden. Dies sollte ggf. mit mitbehandelnden Fachdisziplinen (meist Psychiater) besprochen werden.
    • QTc 450–500 ms (Männer) bzw. 460 ms–500 ms (Frauen): Diskussion mit Kollegen der Kardiologie und Psychiatrie. Berücksichtigt werden für die weitere Entscheidung sollte auch, ob weitere Risikofaktoren für das Auftreten von Arrhythmien vorliegen wie Herzerkrankung (LV-Hypertrophie, Herzinsuffizienz), Alter > 65, Tendenz zu Bradykardien, Elektrolytstörungen. Höheres Risiko allgemein bei Frauen als bei Männern.

Weitere Informationen zum EKG

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Rainer Klinge. Das Elektrokardiogramm. Leitfaden für Ausbildung und Praxis. 10. Aufl. Stuttgart/New York: Georg Thieme Verlag, 2015.

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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