Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2
Red Flags |
Abwendbar gefährliche Verläufe |
Sehr starke Kopfschmerzen, starke Nackenschmerzen |
Subarachnoidalblutung, Meningitis, Enzephalitis
|
Synkope |
bedrohliche Rhythmusstörung, höhergradiger AV-Block, Aortenklappenstenose, HOCM, Lungenembolie, Hypoglykämie, Anaphylaxie |
Sehstörung, Sprachstörung, Hirnnervenausfall, akutes motorisches Defizit, Gehunfähigkeit, akuter Verwirrtheitszustand |
Schlaganfall/TIA, Enzephalitis, Hirnabszess, intrakranielle Blutung |
Nicht harmonischer Nystagmus (uni- oder multidirektional mit Richtungswechsel vertikal/horizontal/rotatorisch und nicht supprimierbar bei visueller Fixation) |
akute Hirnstamm- oder Kleinhirnläsion, Subarachnoidalblutung |
Sturz, Trauma |
intrakranielle Blutung, Schädelfraktur, Hirnverletzung |
Kürzliches Schädel-Hirn-Trauma |
|
HWS-Trauma, HWS-Manipulation |
|
Nausea/Erbrechen |
|
Gesichtsschmerzen, einseitiger Hautausschlag |
Zoster oticus |
Allgemeine Informationen
Definition
- Schwindel bezeichnet empfundene Unsicherheit im Raum und ist Leitsymptom einer Vielzahl an Erkrankungen unterschiedlicher Ursache und Lokalisation.3-4
- Verwendung des Begriffs Schwindel eher undifferenziert3-4
- Vergleich: engl. Dizziness, Vertigo, Unsteadiness3-4
- Einteilung nach Ätiologie3-5
- periphere vestibuläre Syndrome
- zentrale vestibuläre Syndrome
- funktionelle Schwindelsyndrome
- nichtvestibuläre und nichtfunktionelle Schwindelsyndrome
Häufigkeit
- Schwindel gehört zu den häufigsten Symptomen in der Hausarztpraxis.3-4
- in deutschen Hausarztpraxen 1-Jahres-Prävalenz von 2–5 %
- unter den 10 häufigsten Behandlungsanlässen
- Prävalenz
- Die Häufigkeit steigt mit zunehmendem Lebensalter.3,6
Diagnostische Überlegungen
Ätiologie und Pathogenese
- Das Leitsymptom Schwindel umfasst viele Syndrome unterschiedlicher Ätiologie und Pathogenese.3-4
- Entstehung durch Störungen in folgenden Systemen:3,8
- vestibuläres System (Innenohr, N. vestibularis)
- ZNS (Hirnstamm, Kleinhirn, Thalamus)
- peripheres Nervensystem
- Herz-Kreislauf-System
- Ohren bzw. Hören
- Augen
- Psyche.
- Die Folge sind in der Regel widersprüchliche Informationen zur Position im Raum (z. B. zwischen Gleichgewichtsorgan, Sehen, Hören und Propriozeption).3
Einteilung nach Ätiologie3-5
- Periphere vestibuläre Syndrome
- Läsionen im Gleichgewichtsorgan oder im N. vestibularis
- z. B. Neuritis vestibularis oder Morbus Menière
- Zentrale vestibuläre Syndrome
- Läsionen im Hirnstamm oder Kleinhirn
- z. B. Schlaganfall und TIA, Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel, multiple Sklerose
- Funktionelle Schwindelsyndrome
- z. B. phobischer Schwankschwindel, persistierender postural-perzeptiver Schwindel (PPPD)
- Nichtvestibuläre und nichtsomatoforme Schwindelsyndrome
Häufigkeitsverteilung der Ursachen
- 39 % der Patient*innen mit Schwindel im hausärztlichen Setting haben BPLS, Neuritis vestibularis oder Morbus Menière9
- Die häufigsten Diagnosen bei Schwindel in der Hausarztpraxis:3
- funktioneller bzw. phobischer Schwindel
- benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
- „Schwindel im Alter“ bzw. komplexer Schwindel
- „zervikogener Schwindel“
- Orthostase
- unerwünschte Medikamentenwirkungen
- „neue Brille“
- weitere häufig gestellte Diagnosen:
- Herzrhythmusstörungen
- Morbus Menière
- Neuritis vestibularis
- Polyneuropathien
- vestibuläre Migräne
- zerebrale Durchblutungsstörungen.
- Die häufigsten Diagnosen bei Schwindel in neurologischen Spezialambulanzen:4
- funktioneller bzw. phobischer Schwindel (17,3 %)
- benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (14,3 %)
- zentraler vestibulärer Schwindel (13,4 %)
- vestibuläre Migräne (12,3 %)
- Morbus Menière (10,1 %)
- Neuritis vestibularis (9,1 %)
- bilaterale Vestibulopathie (6,7 %)
- Vestibularisparoxysmie (3,2 %)
- Syndrome des 3. mobilen Fensters (0,6 %)
- unklare Schwindelsyndrome und andere (13,1 %).
Schwindel in der Hausarztpraxis
- Umgang mit Schwindel in der Hausarztpraxis
- bei den meisten Patient*innen (50–70 %) keine eindeutige oder hoch plausibel nachgewiesene Diagnose3
- in diesen Fällen (v. a. bei jüngeren Patient*innen) oft spontane Besserung
- häufige, diagnostisch nicht beweisbare Schwindelursachen:
- „funktioneller Schwindel“
- „Schwindel im Alter“
- „zervikogener Schwindel“.
- bei organischen, diagnostisch beweisbaren Ursachen am häufigsten vestibuläre Störungen3
- Bei diagnostisch uneindeutigen Schwindelzuständen ist ein Ausschluss abwendbar gefährlicher Verläufe von großer Bedeutung.3
- danach ggf. Strategie des abwartenden Offenhaltens gerechtfertigt
- bei den meisten Patient*innen (50–70 %) keine eindeutige oder hoch plausibel nachgewiesene Diagnose3
- Schwindel im Alter deutlich häufiger3,6
- degenerative, kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Ursachen häufiger
- multimodaler Altersschwindel
- Kombination vieler leichter, subklinischer Störungen führen zur Inkonsistenz sensorischer Informationen und somit Schwindel.
- z. B. Sehstörungen, Hörstörungen, muskuläre Schwäche, zerebrovaskuläre Insuffizienz, Polyneuropathie
- Schwindel ist ein wesentlicher Faktor für reduzierte Teilhabe an altersentsprechenden Aktivitäten und Beeinträchtigung der Lebensqualität.6
- Starker Schwindel muss nicht zwangsläufig eine bedrohliche Ursache haben.3
Konsultationsgrund
- Schwindel in Deutschland ist ein primärer Behandlungsanlass bei 2–5 % der Vorstellungen in der Hausarztpraxis.3,10
- Mitunter undifferenzierte Verwendung des Begriffs durch Patient*innen3-4,9-10
- Eine Unterscheidung zwischen Schwindel und Unwohlsein aus anderen Gründen wie Schwäche oder Abgeschlagenheit ist für die Patient*innen oft schwer.3-4
Abwendbar gefährliche Verläufe
DEGAM-Leitlinie: Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis3
Abwendbar gefährliche Verläufe
- Umgehendes Handeln notwendig bei V. a.:4
- akute zerebrale Durchblutungsstörungen
- z. B. Basilaris-Insuffizienz oder Schlaganfall mit Unterform Basilaris-Insult oder Wallenberg-Syndrom
- meist plötzlicher Schwindel mit Übelkeit und Erbrechen und weiteren Defiziten
- vital bedrohliche, bradykarde und tachykarde Herzrhythmusstörungen
- Aortenklappenstenose
- hypertroph-obstruktive Kardiomyopathie
- Lungenembolie
- akute zerebrale Durchblutungsstörungen
- Schnelle Entscheidung zur Überweisung bei V. a.:
- Morbus Menière (Erstdiagnose)
- akute Labyrinthitis
- Herpes zoster (oticus)
- Vestibularis-Schwannom (Akustikusneurinom)
- Typisch sind Hörstörungen (v. a. hohe Töne), Schwindel sowie manchmal eine Fazialisparese.
- jedoch kein sofort zu klärendes Krankheitsgeschehen
Red Flags (Hinweise auf abwendbar gefährliche Verläufe)
- Abwendbar gefährliche Verläufe fast immer mit weiteren Symptomen und Befunden
- Werden bei sorgfältiger Anamnese und Untersuchung selten übersehen.
- Ausnahme: Kleinhirninfarkt (in 10,4 % nur das Symptom Schwindel)
- Schwindel auftretend mit:
- vertikaler Nystagmus (Hinweis auf zentrale Störung)
- neurologischen Auffälligkeiten wie Sehstörungen, Schluckstörungen, Bewusstseinsstörung, Paresen
- Synkopen und anderen Hinweisen auf bedrohliche Rhythmusstörungen
- bekannter chronisch-obstruktiven Herzerkrankungen (Aortenklappenstenose, ausgedehnter „alter“ Myokardinfarkt, obstruktive Kardiomyopathie)
- Gesichtsschmerzen und ggf. einseitigem „Hautausschlag“ (Zoster)
- Ohrdruck – meist kurz vor dem Schwindel beginnend (M. Menière)
- länger gehender Anamnese mit Hörstörungen (hohe Töne) und Fazialisparese (Akustikusneurinom)
- In Abhängigkeit der Ausprägung auch unmittelbare Klinikeinweisung erwägen.
ICPC-2
- N17 Schwindel o.n.A.
- H82 Schwindelsyndrom
ICD-10
- H81 Störungen der Vestibularfunktion
- H81.0 Ménière-Krankheit
- H81.1 Benigner paroxysmaler Schwindel
- H81.2 Neuropathia vestibularis
- H81.3 Sonstiger peripherer Schwindel
- H81.4 Schwindel zentralen Ursprungs
- H81.8 Sonstige Störungen der Vestibularfunktion
- H81.9 Störung der Vestibularfunktion, nicht näher bezeichnet
- H82 Schwindelsyndrome bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- R42 Schwindel und Taumel
Differenzialdiagnosen
Peripherer vestibulärer Schwindel
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)
- Siehe Artikel Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel.
- Definition und Ursache
- Häufigkeit
- Symptome
- Diagnostik
- Therapie
- Lagerungsübungen/Befreiungsmanöver abhängig vom betroffenen Bogengang3-5
Neuritis vestibularis (akute unilaterale Vestibulopathie)
- Siehe Artikel Neuritis vestibularis.
- Definition und Ursache
- Häufigkeit
- Inzidenz etwa 13,6 pro 100.000 pro Jahr
- dritthäufigste peripher-vestibuläre Schwindelform12
- Symptome
- intensiver Dauerdrehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen3-5,12
- Dauer: 1 Tag bis Wochen
- akut oder subakuter Beginn
- Stand- und Gangunsicherheit mit Fallneigung zur erkrankten Seite4-5
- horizontaler, durch Fixation unterdrückbarer Spontannystagmus zur gesunden Seite4-5
- Scheinbewegungen der Umwelt (Oszillopsien) und unscharfes Sehen
- intensiver Dauerdrehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen3-5,12
- Diagnostik
- Diagnosesicherung mittels Video-Kopfimpulstest oder kalorischer Testung4-5
- Therapie
- Behandlung mit Steroiden und Gleichgewichtstraining3-4
Morbus Menière
- Siehe Artikel Morbus Menière.
- Definition und Ursache
- Häufigkeit
- Prävalenz von 50–250 /100.000 Einw.3
- meist zwischen 40. und 60. Lebensjahr
- Symptome
- anfallsartige Schwindelepisoden mit Drehschwindel3-4
- Dauer: Minuten bis wenige Stunden
- abrupter Beginn, dann graduelle Besserung
- Nystagmus während der Schwindelsymptomatik
- auditorische Begleitsymptome (einseitige Hörminderung, Tinnitus)3-5
- vor der Attacke ggf. Ohrdruck oder Hörstörungen (Prodromi in 30 %)
- anfallsartige Schwindelepisoden mit Drehschwindel3-4
- Diagnostik4-5,12
- klinische Untersuchung inkl. Kopfimpulstest
- kalorische Testung
- Audiogramm zum Nachweis des asymmetrischen Hörverlusts
- Therapie
Bilaterale Vestibulopathie
- Definition und Ursache
- beidseitiger Funktionsverlust des peripheren Vestibularorgans4-5
- Ursachen sind vielfältig
- z. B. Ototoxizität (Aminoglykoside), beidseitiger M. Menière, Meningitis, genetische Ursachen3,5,12
- ca. 50 % ungeklärte Ätiologie4,6
- Symptome
- Diagnostik
- beidseitige Funktionsstörung des vestibulookulären Reflexes (VOR) im Kopfimpulstest4-6
- beidseitige Funktionsstörung des vestibulookulären Reflexes (VOR) im Kopfimpulstest4-6
- Therapie
Vestibularisparoxysmie
- Definition und Ursache
- neurovaskuläres Kompressionssyndrom des N. vestibulocochlearis (VIII)3-5,12
- Kompression des Nervs meist durch eine Schlinge der A. cerebelli inferior anterior
- Pathomechanismus analog zur Trigeminusneuralgie3
- neurovaskuläres Kompressionssyndrom des N. vestibulocochlearis (VIII)3-5,12
- Symptomatik
- Diagnostik
- Funktionsdiagnostik und Bildgebung
- Nachweis Gefäß-Nerven-Kontakt unspezifisch (bis zu 45 % aller Gesunden)
- Therapie
Syndrome des dritten mobilen Fensters
- Definition und Ursache
- verschiedene Syndrome des 3. mobilen Fensters4-5,14
- Bogengangdehiszenzsyndrome
- „Perilymphfisteln“ mit Verbindung zwischen Innenohr und Mittelohr
- Ursachen z. B. Trauma (Barotrauma), Infektionen, Fehlbildungen
- verschiedene Syndrome des 3. mobilen Fensters4-5,14
- Symptome
- Vielzahl vestibulärer und audiologischer Symptome möglich4
- rezidivierende Schwindelattacken über Sekunden bis Minuten
- Körpereigene Geräusche werden laut im Ohr wahrgenommen.4
- z. B. Puls, Schlucken, Sprechen, Augenbewegung
- z. T. pulsatiler Tinnitus4
- Diagnostik
- Therapie
- Aufklärung und Vermeidung von Druckänderungen
- ggf. operative Therapie bei starker Beeinträchtigung
Akute Labyrinthitis
- Siehe Artikel Labyrinthitis.
- Definition und Ursache
- verschiedene Formen der Labyrinthitis
- tympanogene Labyrinthitis: Übertritt einer Infektion des Mittelohres zum Innenohr (eitrig oder toxisch)
- meningeale Labyrinthitis: Komplikation einer Meningitis
- hämatogene Labyrinthitis: Streuung im Rahmen verschiedener Infektionen (z. B. Mumps, Masern, Zytomegalie, HIV, Lues, Borrelien)
- verschiedene Formen der Labyrinthitis
- Symptome
- meist vorausgehende Ohrenschmerzen
- progrediente Hörminderung und Schwindel4
- ggf. Begleitsymptome: Ohrdruck, Übelkeit und Erbrechen, Fieber
- Diagnostik
- Ohrmikroskopie, Funktionstests und Bildgebung4
- Therapie
- oft notfallmäßige Therapie mit i. v. Antibiotika und ggf. operativer Sanierung4
Akuter idiopathischer sensorineuraler Hörverlust (Hörsturz)
- Definition und Ursache
- plötzlicher, meist einseitiger Hörverlust ohne erkennbare Ursache4
- mit oder ohne vestibuläre Beteiligung
- Symptome
- Diagnostik
- Tonaudiogramm zur Beurteilung der Hörminderung
- Video-Kopfimpulstest-Test und kalorische Testung4
- Therapie
- systemische Therapie mit Prednisolon in hoher Dosierung4
Zentraler vestibulärer Schwindel
Schlaganfall und TIA
- Siehe Artikel Schlaganfall und TIA.
- Definition und Ursache
- Häufigkeit
- Lebenszeitprävalenz für Schlaganfälle von ca. 15 %
- ca. 220.000 Fälle pro Jahr in Deutschland
- Symptome
- plötzlicher Beginn der Symptomatik
- Schwindel in unterschiedlicher Ausprägung, meist mit Übelkeit und Erbrechen3-5
- Drehschwindel, Schwankschwindel, posturale Instabilität
- daneben vielfältige neurologische Defizite abhängig von der Lokalisation
- z. B. Sprechstörungen, Schluckstörungen, Sehstörungen, Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Koordinationsstörungen, Doppelbilder
- Diagnostik
- Therapie
- sofortige Krankenhauseinweisung mit Behandlung auf einer Stroke Unit5
Vestibuläre Migräne
- Siehe Artikel Migräne.
- Definition und Ursache
- primäre, episodische Kopfschmerzerkrankung
- z. T. neurologische Reiz- und Ausfallserscheinungen (Aura)
- Vestibuläre Migräne bezeichnet eine Migräne mit oder ohne Aura mit vestibulären Symptomen.3-5
- primäre, episodische Kopfschmerzerkrankung
- Häufigkeit
- Symptome
- typische Episode einer Migräne mit vestibulären Symptomen4
- meist Drehschwindel mit Übelkeit und Gangunsicherheit
- Kopfschmerz, meist okzipital betont (70 %)
- Bewegungs-, Licht- und Lärmempfindlichkeit
- Dauer: 5 Minuten bis 72 Stunden
- vestibuläre Migräne ohne Kopfschmerz in 30 %4
- fakultative Aurasymptomatik4-5
- Sehstörungen, Sensibilitätsstörungen, Sprachstörungen
- Stand- und Gangataxie und/oder andere Hirnstammausfälle
- typische Episode einer Migräne mit vestibulären Symptomen4
- Diagnostik
- klinische Diagnose, in erster Linie auf der Anamnese beruhend4
- Ausschluss sekundärer Ursachen
- Therapie
- frühzeitige Einnahme eines NSAR (z. B. Ibuprofen) ggf. in Kombination mit einem Antiemetikum4
Vestibularis-Schwannom (Akustikusneurinom)
- Siehe Artikel Vestibularis-Schwannom (Akustikusneurinom).
- Definition und Ursache
- Gutartiger und meist langsam wachsender Tumor, der von den Schwann-Zellen des N. vestibulocochlearis ausgeht.
- beidseitiges Auftreten assoziiert mit Neurofibromatose Typ 2
- Häufigkeit
- häufigster Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel (Inzidenz 1/100.000 /Jahr)
- Symptome
- anfangs symptomarm
- im Verlauf Hörstörungen (v. a. hohe Töne), Schwindel sowie gelegentlich Fazialisparese
Weitere zentrale Schwindelursachen
- Siehe Artikel Intrakranielle Tumoren bei Erwachsenen.
- bei entsprechender Lokalisation Schwindel durch Hirntumoren
- v. a. bei Lokalisation im Kleinhirn, Hirnstamm oder nahe des Vestibularapparats
- in der Regel kein isolierter Schwindel, sondern zusätzliche Symptome4
- bei entsprechender Lokalisation Schwindel durch Hirntumoren
- Multiple Sklerose (MS)
- chronische Erkrankung mit entzündlichen Läsionen des ZNS
- Symptome wie Schwindel, Gang- und Gleichgewichtsstörungen, Nystagmus abhängig von der Lokalisation der Entzündung
- Neurodegenerativer Erkrankungen
- Leitsymptom Schwindel oft bei atypischen Parkinson-Syndromen (z. B. progressive supranukleären Blickparese [PSP], Multisystematrophie [MSA])
- begleitend häufig zerebelläre Störungen (z. B. Downbeat-Nystagmus-Syndrom, spinozerebelläre Ataxie)
- Erkennen der diskreten Zeichen oft schwierig; Überweisung und regelmäßige Verlaufskontrolle
- Enzephalitis12
- Episodische Ataxien4-5
Funktioneller Schwindel
Persistierender postural-perzeptiver Schwindel (PPPD)
- Siehe Artikel Persistierender postural-perzeptiver Schwindel und Somatoforme Körperbeschwerden.
- Definition und Ursache
- Häufigkeit
- Symptome
- typische Schwindelart: „Benommenheit“3
- charakteristische Art der Beschreibung3,12
- starke Verunsicherung und Verängstigung
- dramatische Darstellung
- Auslöser, Dauer und Art des Schwindels oft unstimmig
- unspezifische Angaben („Alles dreht sich“; „schummerig“ oder „komischer Kopf“)
- wenig objektivierbare Beeinträchtigungen (Stand-/Gangunsicherheit, Erbrechen, Stürze)3
- Diagnosekriterien4-5
- persistierender, fluktuierender Schwindel oder Unsicherheit an den meisten Tagen über ≥ 3 Monate
- Charakter: oft Schwank- oder Benommenheitsschwindel
- spontanes Auftreten der Beschwerden
- ggf. Verstärkung durch aufrechte Körperposition, Kopfbewegung, sich bewegende visuelle Reize
- signifikante funktionelle Beeinträchtigung und hoher Leidensdruck
- Beschwerden nicht durch eine andere Erkrankung besser erklärbar
- persistierender, fluktuierender Schwindel oder Unsicherheit an den meisten Tagen über ≥ 3 Monate
- Komorbidität
- mit organischen vestibulären Störungen
- in bis zu 45 % vorausgehende organische Erkrankung (sekundärer funktioneller Schwindel)4-5,12
- Überlappung vestibulärer und somatoformer Ursachen v. a. bei Morbus Menière und vestibulärer Migräne3-5
- mit psychologischen Störungen
- z. B. Somatisierungsstörungen, Angststörung, Depression oder Panikstörung4
- mit organischen vestibulären Störungen
- Therapie
Weitere Ursachen
Orthostatischer Schwindel
- Siehe Artikel Orthostatische Hypotonie.
- Definition und Ursache
- Schwindel im Rahmen einer orthostatischen Hypotonie3-4
- Häufigkeit
- häufig mit bis zu 10 % der Schwindelzustände in der Hausarztpraxis3
- Symptome
- Diagnostik
- Blutdruckmessungen im Liegen und Stehen
- Therapie
- Vermeidung von auslösenden Situationen, Hydratation und Salzaufnahme
- ggf. Modifikation antihypertensiver Medikation
Herzrhythmusstörungen
- Definition und Ursachen
- bradykarde Rhythmusstörungen
- z. B. Sick-Sinus-Syndrom, höhergradiger AV-Block, Vorhofflimmern mit langsamer Kammerfrequenz
- tachykarde Rhythmusstörungen
- z. B. ventrikuläre Tachykardien (Kammertachykardien, Torsade-des-pointes Tachykardien), supraventrikuläre Tachykardien, tachykardes Vorhofflimmern
- bradykarde Rhythmusstörungen
- Symptome
- variable Schwindelsymptome: Schwankschwindel; Benommenheit, letztendlich „Schwarzwerden“ vor Augen3
- ggf. begleitet von Palpitationen, langsamem „Holpern“ oder „Herzjagen“3
- keine Lageabhängigkeit wie bei orthostatischem Schwindel3
Obstruktive Herzerkrankungen
- Definition und Ursache
- Obstruktion des Ausflusses des rechten bzw. linken Ventrikels und unzureichendem Auswurfvolumen an Blut3
- z. B. Aortenklappenstenose, hypertroph-obstruktive Kardiomyopathie (HOCM) oder Vorhofmyxom
- Symptome
- Schwindel überwiegend in Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung3
Unerwünschte Medikamentennebenwirkungen
- Definition und Ursache
- Vielzahl möglicher ursächlicher Medikamente, z. B.:3-4
- Antibiotika, z. B. Aminoglykoside
- Tuberkulostatika, z. B. Streptomycin
- Antikonvulsiva, z. B. Phenytoin
- Chemotherapeutika, z. B. Cisplatin
- Diuretika, z. B. Furosemid
- Betablocker und andere Antihypertensiva
- Sedativa, Hypnotika, Antidepressiva
- Häufig bei Polypharmazie (≥ 5 Medikamente)12
- Vielzahl möglicher ursächlicher Medikamente, z. B.:3-4
- Symptome
- meist orthostatischer Schwindel oder unspezifischer Schwindel
Schwindel im Alter
- Definition und Ursache
- keine allgemein akzeptierte Krankheitsentität3
- in einigen Fachgebieten als „komplexer Schwindel“ anerkannt
- Ursache a. e. Kombination mehrerer leichter Einschränkungen (z. B. Seh- und Hörstörung)3,6
- langsame Entwicklung des Zustands, ggf. Adaptation
- mitunter Beeinflussung durch Polypharmazie im Alter
- keine allgemein akzeptierte Krankheitsentität3
- Häufigkeit
- Häufigkeit von Schwindelzuständen nimmt im Alter zu.
- gleichzeitig häufiger unklare Schwindelursache
- Symptomatik3
- Schwindelart „Benommenheit“
- ständige Unsicherheit im Raum
- Gang unsicher, nach vorn gebeugt, tippelnd
- Diagnostik
- Ausschlussdiagnose
- Abgrenzung zu zervikogenem und zerebrovaskulärem Schwindel oft schwierig3
- oft nicht nur normaler Alterungsprozess, sondern Hinweis auf:6
- sensorische Funktionsdefizite (visuell, vestibulär, somatosensorisch)
- muskuläre Insuffizienz (Sarkopenie, Arthrose)
- kognitive und psychische Störungen (Demenz, Angst).
- Ausschlussdiagnose
Zervikogener Schwindel
- Definition und Ursache
- Schwindelsyndrom im Rahmen eines HWS-Syndroms
- häufig begleitet von zervikogenem Kopfschmerz
- Entität lange umstritten, jedoch:3
- Schwindel nach HWS-Distorsionen und Spondylosen beobachtet
- Besserung der Symptomatik durch Physiotherapie
- Schwindelsyndrom im Rahmen eines HWS-Syndroms
- Symptome
- Schwindelart am ehesten „Schwankschwindel“3
- Provokation durch Bewegung (v. a. im HWS-Bereich)
Polyneuropathie
- Siehe Artikel Periphere Neuropathien.
- Definition und Ursache
- Erkrankung des peripheren Nervensystems verschiedener Ursache
- Gangunsicherheit durch Störung der Wahrnehmung (z. B. Propriozeption)
- Häufigkeit
- Prävalenz von ca. 2,4 % in der Allgemeinbevölkerung
- Symptome
- Diagnostik
Stoffwechselstörungen
- Stoffwechselstörungen als Ursache für Schwindelzustände3
- Symptome
- Schwindelart insbesondere „Benommenheit“3
Weitere Ursachen
- „Neue Brille“3
- Schwindelgefühle nach Anpassung einer neuen Brille (v. a. bei Gleitsichtgläsern)
- Besserung meist nach 1–2 Wochen regelmäßigen Tragens
- Intoxikation3-4,12
- u. a. Bleivergiftung
- übermäßiger Alkoholkonsum: ataktisches Gangbild und Nystagmus
- Anaphylaktische Reaktion
- Karotissinussyndrom3
- Ein hypersensitiver Karotissinusreflex führt zu Bradykardie und Blutdruckabfall.
- Subclavian-Steal-Syndrom3
- Hyperventilation12
- Panikattacke
- Cogan-Syndrom4
- seltene, a. e. autoimmun bedingte Erkrankung des Innenohrs mit Augenbeteiligung
Anamnese
Leitlinie: Anamnese bei Schwindel3-4
Allgemeines zur Anamnese
- Strukturierte Anamnese bei jedem Beratungsanlass wegen Schwindel
- Für die Hausarztpraxis diagnostischer Zugang primär nach Schwindelart empfohlen
- schnelle Diagnosestellung bei häufigen Ursachen und Verbleib seltener Diagnosen zur meist spezialärztlichen Abklärung
- Patienten nutzen häufig andere Ausdrücke für den Begriff Schwindel
- z. B.: „der Kreislauf spielt verrückt“, „mir ist ganz schlecht“, „mir dreht sich alles“ (bei Nachfragen meist kein Drehschwindel), „mir ist so komisch“, „wie, als wenn alles wegkippt“ etc.
- Anamnestische Einteilung des Schwindels nach Kategorien A–D
- Vorgehen ausgehend von Art des Schwindels (A), zeitliche Kategorisierung (B), modulierenden Faktoren (C) und Begleitsymptome (D)
- multidisziplinär (Neurologie, HNO, Kardiologie) erstelltes Raster zur diagnostischen Einordnung
Art des Schwindels (A)
- Drehschwindel
- Drehen (Karussellfahren): Wegwandern der Horizontallinie
- auch in Vertikalebene (Liftschwindel)
- v. a. bei peripherer vestibulärer Ursache häufig mit Erbrechen
- oft benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel als Ursache
- Gangunsicherheit (mit klarem Kopf)
- Schwindel nur durch Gehen auslösbar
- unsicheres Gehen im Raum („in die Leere treten“)
- nie Erbrechen/Übelkeit
- oft Polyneuropathie als Ursache
- Schwankschwindel und (Prä-)Synkope
- meist kurzes Gefühl drohender Ohnmacht (ohne klaren Kopf) bzw. „Schwarzwerden“ vor Augen
- häufige Auslöser
- Aufrichten (Orthostase)
- Wenden des Kopfes (zervikogener Schwindel)
- Arbeiten mit erhobenen Armen (Subclavian-Steal-Syndrom)
- deutliche Überlappung mit der Schwindelart „Benommenheit“
- Benommenheit
- Unsicherheit im Raum ohne klaren Kopf
- z. B. „Trieselig-sein“, Nachschwanken, komisches Gefühl im Kopf oder Gefühl des Wegsinkens
- Übelkeit und Erbrechen nur selten (Ausnahme Migräne)
- häufig durch Kopfbewegungen oder durch Lageveränderungen verstärkt
- z. B. bei Herzrhythmusstörungen oder arterieller Hypo- und Hypertonie
- Unsicherheit im Raum ohne klaren Kopf
Zeitliche Kategorisierung (B)
- Dauer des Schwindels
- Sekunden
- Minuten
- Stunden bis Tage
- länger als Tage anhaltend
- Zeitlicher Verlauf
- akut
- episodisch
- chronisch
Modulierende Faktoren (C)
- Nur beim Laufen
- Aufrichten des Körpers
- Bewegung des Kopfes wie Rotation oder Retroflexion3,13,15
- Heben/Arbeiten mit Armen über dem Kopf
- Körperliche Anstrengungen
- z. B. Husten, Pressen, Niesen oder Heben schwerer Lasten13
- Neue Brille
- insbesondere Gleitsichtbrillen
- Medikamenteneinnahme
- insbes. Antihypertensiva, Sedativa, Antiarrhythmika, NSAR
- Bedeutende Lebensveränderung bzw. Belastung
- bestimmte soziale Situationen wie Menschenmengen13
- Hungerperioden bei Patient*innen mit Diabetes mellitus
Begleitsymptome (D)
- Neurologische und HNO-ärztliche Erkrankungen meist mit Zusatzsymptomen
- Übelkeit und Erbrechen
- eher bei peripheren vestibulären Ursachen (z. B. Morbus Menière oder BPLS)3,16
- manchmal Erbrechen bei Migräne, entzündlichen Hirnerkrankungen, akuten zerebrovaskulären Erkrankungen
- Hörstörungen
- z. B. bei Morbus Menière
- Schmerzen: Ohrschmerz/Ohrdruck, Kopf, HWS
- z. B. Kopfschmerzen bei Migräne
- Gefühllosigkeit oder Brennen in den Beinen
- z. B. bei Polyneuropathie
- Nystagmus
- bei vestibulärem aber auch bei zentralem Schwindel
- Sehstörungen
- Oszillopsien (verwackeltes Sehen)
- selten, insbesondere bei vestibulärem Schwindel
- Herzjagen, Herzstolpern oder zu langsamer Herzschlag
- Ängstliche oder niedergeschlagene Stimmung, insbes. neu aufgetreten
- deutlich beunruhigte, ausufernde und ungenaue Schilderungen sowie angstbestimmte Symptome hinweisend für funktionellen Schwindel
Weitere anamnestische Hinweise
- Beginn der Schwindelsymptomatik
- Medikamentenanamnese3,14
- Erklärung und Krankheitskonzept der Betroffenen
- z. B. Zusammenhang mit wesentlichen Lebensereignissen
- Entstehungsort eines Drehschwindels3,13
- Differenzierung akute zentrale und periphere vestibuläre Syndrome nur bei länger anhaltendem Drehschwindel notwendig
- Siehe Tabelle Differenzierung des Entstehungsortes bei Drehschwindel.
Klinische Untersuchung
Leitlinie: Körperliche Untersuchung bei Schwindel3-4
Allgemeines
- Schwindelzustände mittels Anamnese und körperlicher Untersuchung zu 60–85 % zuverlässig diagnostizierbar (II)
- Körperliche Untersuchung kann gezielt erfolgen, wenn ausreichend Hinweise auf die Verdachtsdiagnose durch die Anamnese vorliegen (meistens der Fall).
- Untersuchung kann relativ kurz sein und in der Regel von Hausärzt*innen durchgeführt werden.
- Beunruhigte Patient*innen erwarten oft eine gewissenhafte Untersuchung.
- Abwendbar gefährliche Verläufe sind auszuschließen.
Allgemeine körperliche Untersuchung
- Allgemeiner Status
- Kreislauf
- Blutdruckmessung
- in einer Studie pathologische Blutdruckwerte bei in 18,7 % der Fälle
- Pulsfrequenz
- Herzauskultation
- Zeichen der Herzinsuffizienz
- ggf. Prüfung auf Subclavian-Steal-Syndrom
- ggf. unter EKG-Kontrolle Karotis-Druck-Versuch
- Blutdruckmessung
- HWS-Untersuchung
- muskuläre Verspannungen
- segmentale Bewegungsstörungen auch in Retro- und Anteflexion der HWS
HINTS-Test
- Klinischer Test zur Differenzierung von peripherem (z. B. BPLS) und zentralem (z. B. Schlaganfall) Schwindel3-5,11,13,17-19
- 3 Komponenten: Kopfimpulstest (Head Impulse Test), Nystagmusprüfung und Prüfung auf Skew Deviation (Test of Skew)
- Bei Hinweisen auf einen zentralen Schwindel ist eine weitere Abklärung indiziert.
- Siehe Tabelle Differenzierung des Entstehungsortes bei Drehschwindel.
- Kopfimpulstest (KIT)
- Prüfung des vestibulookulären Reflexes (VOR) durch rasche Kopfbewegung nach links und rechts unter Fixation auf ein Objekt (z. B. Untersucher*in)
- Hinweis auf periphere Störung bei verzögerter Rückstellsakkade
- Hinweis auf zentrale Störung bei unauffälligem Kopfimpulstest
- Nystagmusprüfung
- Hinweis auf zentrale Störung bei Spontannystagmus, der nicht durch Fixieren auf ein Objekt unterdrückt werden kann (Fixationsnystagmus).
- Hinweis auf zentrale Störung bei vertikalem Nystagmus oder Blickrichtungsnystagmus entgegen der Richtung eines möglichen Spontannystagmus
- Prüfung auf Skew Deviation
- abwechselndes Zudecken eines Auges (Cover-Test)
- Hinweis auf zentrale Störung bei vertikaler Divergenz der Augen
Neurologische Untersuchung
- Orientierende neurologische Untersuchung mit Prüfung von:
- Hirnnervenfunktion (insbesondere Sehstörungen oder Doppelbilder)
- Blickfolge und Blickrichtungsnystagmus
- Motorik (Vorhalteversuch: Lähmungen z. B. bei Schlaganfall)
- Sensibilität, ggf. mittels Stimmgabel (Polyneuropathie)
- Koordination (Finger-Nase- und Knie-Hacken-Versuch)
- Romberg-Test
- Standvermögen mit offenen bzw. geschlossenen Augen
- Unterberger-Tretversuch
- Reflexstatus
HNO-Untersuchungen
- Nystagmusprüfung (ggf. mit Frenzel-Brille) einschl. Lagerungs-Provokation
- Spontannystagmus bei Geradeausblick (Hinweis auf vestibuläre Störung)
- Einstell-Nystagmus bei extremer Blickeinstellung (wenn unerschöpflich Hinweis auf vestibuläre Störung)
- Blickrichtungsnystagmus und sakkadierende Bewegung (Hinweis auf zerebelläre Störung)
- Lagerungsversuch nach Sémont oder Dix-Hallpike (Auslösen eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels)
- Inspektion von Gehörgang und Trommelfell
- Orientierende Prüfung des Hörvermögens3-4,11
- insbesondere bei Hinweisen auf vestibuläre Störung
- Flüstersprache sollte in > 1 m Entfernung mit zugehaltenem rechten und dann linken Ohr noch verstanden werden.
- Rinne-Weber-Test (bei Hörminderung)
Ergänzende Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
- Apparative Diagnostik ist in den meisten Fällen nachrangig.3
- Die Diagnose beruht im Wesentlichen auf einer sorgfältigen Anamnese und körperlicher Untersuchung.
- Technische Untersuchungen sollten entsprechend DEGAM-LL in der Regel nicht von Hausärzt*innen veranlasst werden.3
- Ausnahme sind Blutdruck-Messungen, EKG, Langzeit-EKG, Schellong-Test und bestimmte Laboruntersuchungen
- Laboruntersuchungen
- liefern die Diagnose in weniger als 1 % der Schwindelsyndrome
- Messung des Blutzuckers bei Patient*innen mit Diabetes mellitus
- ggf. Basislabor bei konkretem Verdacht (z. B. Blutbild, Elektrolyte, BSG, CRP)
- ggf. Leberfunktionstests und CDT bei Verdacht auf übermäßigen Alkoholkonsum20
- EKG bei V. a. Rhythmusstörungen
Bei Spezialist*innen
- Spezifische technische Untersuchungen beim Leitsymptom Schwindel sind in der Regel sinnvoller von Spezialist*innen zu veranlassen.3
- Die weiterführende Diagnostik ist abhängig von der Verdachtsdiagnose nach Anamnese und körperlicher Untersuchung.3-4
Apparative Funktionsdiagnostik
- Nystagmusaufzeichnung
- mittels Elektronystagmografie (ENG) oder Videookulografie (VOG)4
- quantitative Erfassung von Spontan- und Lagenystagmen
- Video-Kopfimpulstest (vKIT)
- Kalorische Prüfung (thermische Prüfung)4
- Spülung des Gehörgangs mit temperiertem Wassers (30 °C und 44 °C)
- Auswertung der Nystagmusantwort im Seitenvergleich
- Subjektive Visuelle Vertikale (SVV)
- Vestibulär evozierte myogene Potenziale (VEMP)
- Audiologische Testung bei Hörstörungen10,21
Bildgebende Diagnostik
- CT- oder MRT-Untersuchungen des Kopfes sind bei alleinigem Schwindel primär nicht indiziert.3
- ausgenommen zeitnahe Bildgebung bei V. a. Schlaganfall
- Rund 10.000 CT sind notwendig, um einen Tumor zu diagnostizieren.3,22-23
- MRT-Bildgebung bei Verdacht auf:4
- Labyrinthitis
- akute Otitis media mit Übergreifen auf das Labyrinth
- intrakranielle Tumoren (z. B. Vestibularis-Schwannom)
- postoperativer Schwindel
- ggf. bei Morbus Menière
- CT-Bildgebung bei Verdacht auf:4
- chronische Otitis media
- Fehlbildungen der ossären Strukturen
- Schwindel nach Trauma.
- Bei Pathologien des Felsenbeins und bei Cholesteatom beide Verfahren4
Kardiologische Diagnostik
- EKG bzw. Langzeit-EKG bei V. a. rhythmogenen Schwindel (z. B. Vorhofflimmern)
- Echokardiografie bei V. a. obstruktive Herzerkrankung
- Bei V. a. Karotissinussyndrom ggf. Karotissinus-Druckversuch unter EKG-Monitoring3
- Beachtung der Kontraindikationen (z. B. Strömungsgeräusche über der A. carotis, Schlaganfall oder TIA in den letzten 3 Monaten)
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung
- Überweisung abhängig von der (Verdachts-)Diagnose nach Anamnese und körperlicher Untersuchung (II–III)3
- Entscheidung zur Überweisung nach vermuteter Ursache3
- neurologische Störung
- fast immer Überweisung bzw. Einweisung
- Ausnahme ggf. vorbekannte Erkrankung als Ursache (z. B. M. Parkinson oder multiple Sklerose)
- vestibuläre Störung
- falls Diagnose BPLS „sicher“ oder „wahrscheinlich“ und bei Therapieerfahrung keine Überweisung zur HNO notwendig
- ansonsten und bei anderem vestibulärem Schwindel Überweisung zur HNO
- funktioneller Schwindel
- nur in Ausnahmen primäre, dann aber zeitnahe Überweisung zur Psychotherapie
- partizipative Entscheidung, v. a. bei Hinweisen auf Panikstörung, Agoraphobie oder Somatisierungsstörung
- kreislaufbedingte Störung
- bei Rhythmusstörungen Überweisung zur Kardiologie bzw. Krankenhauseinweisung
- Überweisung bei Hinweisen auf:
- strukturelle Herzerkrankungen (Aortenklappenstenose, hypertrophe Kardiomyopathien, Herzinsuffizienz)
- Karotissinussyndrom
- Subclavian-Steal-Syndrom
- neurologische Störung
- Hinzuziehen von Spezialist*innen empfohlen bei:3
- widersprüchlichen Befunden
- Notwendigkeit einer spezialärztlichen Behandlung der Verdachtsdiagnose.
- Strategie des „abwartenden Offenhaltens“3
- vertretbar bei Fehlen einer definitiven Diagnose und fehlenden Gründen für eine unmittelbare Überweisung zu Spezialist*innen
- Die Mehrzahl dieser Betroffenen ist nach kurzer Zeit (Tage bis Wochen) beschwerdefrei.
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Krankenhauseinweisung erwägen bei Begleitsymptomen, die auf abwendbar gefährliche Verläufe hinweisen („Red Flags“)3
- neurologischen Auffälligkeiten wie: Seh- oder Schluckstörungen, Störungen der Vigilanz, Paresen, vertikaler Nystagmus (zentrale Störung)
- Synkope und andere Hinweise auf bedrohliche Rhythmusstörungen
- Gesichtsschmerzen und ggf. einseitiger Hautausschlag (Zoster)
- Ohrdruck – meist kurz vor dem Schwindel (M. Menière)
- anhaltende Beschwerden mit Hörstörung und Fazialisparese (Akustikusneurinom)
Allgemeines zur Therapie
- Bei definitiver Diagnose ist eine gezielte Therapie in Kooperation mit Spezialist*innen empfohlen.3
- Siehe dazu Behandlung von:
- Empfehlungen der DEGAM-Leitlinie zur symptomatischen Behandlung von Schwindel bei:3
- unklarer oder noch nicht feststehender Diagnose
- definitiver Diagnose ohne gezielte Behandlung.
Schwindel und Fahreignung
- Verweis der Leitlinie auf die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST)4
- Siehe Artikel Beurteilung der Fahreignung.
Nichtmedikamentöse Therapien
Leitlinie: Nichtmedikamentöse Behandlung3-4
Beratung
- Die Beratung sollte verständlich machen, was geschieht und wie der Schwindel zu erklären ist.
- Ziel ist die Vermittlung von Sicherheit und Ermutigung zur Teilhabe am Alltagsleben.
- Bei anzunehmend kurz dauerndem Schwindel gute Prognose bzw. die Behandelbarkeit darstellen.
- Bei anzunehmend länger anhaltendem Schwindel:
- Hinweis auf Selbstregulierungsmechanismen und somit mögliche Besserung
- z. B. Kompensation, Habituation und Adaptation
- Schwindelsymptomatik zu einem Teil aushalten, um Adaptationsvorgänge zu ermöglichen.
- deshalb Antivertiginosa, wenn überhaupt, nur kurzzeitig (in der Akutphase max. etwa 3 Tage)
- Hinweis auf Selbstregulierungsmechanismen und somit mögliche Besserung
- Wiedervorstellung nach neu aufgetretenem Schwindel 1–2 Tage nach Erstvorstellung
- insbesondere aufgrund subjektiver Verunsicherung und Bedrohlichkeit
Physikalische Therapie
- Empfehlung trotz begrenzter Evidenz bei zervikogenem Schwindel
- Versuch von physikalischer Therapie bzw. Gleichgewichtsübungen auch bei Schwindel, der keiner definitiven Diagnose zuzuordnen ist (phobischer Schwindel, Schwindel im Alter).
- Krankengymnastik
- Vereinzelte Studien zeigen Besserung bei zervikogenem Schwindel nach Physiotherapie (Ib, IIa).
- Gleichgewichtsübungen
- Kleine Studien zeigen signifikante Besserung bei nicht zuordenbarem Schwindel (IIb).
- teilweise auch nur mittels Anleitung zur Selbstdurchführung der Übungen
- Chirotherapie
- keine ausreichende Evidenz für den Nutzen von Chirotherapie beim Symptom Schwindel
- bei zervikogenem Schwindel (entsprechende Ausbildung vorausgesetzt)
- Bei benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel (BPLS) ist eine physikalische Therapie mit Lagerungsmanövern von großer Bedeutung.
- z. B. Lagerungsmanöver nach Epley oder Sémont bei BPLS des posterioren Bogengangs (häufigste Form)
- Durchführung oder Anleitung zur Selbstbehandlung (sofern Erfahrung vorhanden)
Behandlung des funktionellen Schwindels
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit spezialisierten Neurolog*innen, HNO-Ärzt*innen erforderlich
- Behandlung beruht auf folgenden Maßnahmen:
- eingehende Diagnostik zum Ausschluss einer organischen Störung
- psychoedukative Therapie
- Desensibilisierung durch Eigenexposition und regelmäßiger Sport sowie
- bei Persistenz der Beschwerden Verhaltenstherapie mit oder ohne begleitende Pharmakagabe.
- bei Angststörungen als Mittel der Wahl SSRI, wie Paroxetin, Citalopram oder Sertralin
- Nach diesem einfachen therapeutischen Vorgehen Beschwerdefreiheit oder deutliche Besserung bei bis zu 75 % der Patient*innen
Medikamentöse Therapien
Leitlinie: Medikamentöse Behandlung3
- Spezifische Therapien abhängig von der Schwindelursache (s. o.)
- Symptomatische Therapien (Antivertiginosa)
- Indikationen
- noch unklare Diagnose, aber heftiger Schwindel
- dauerhaft unklarer Schwindel ohne gelingende Adaptation
- geklärte Ursache, aber keine kausale bzw. spezifische Therapiemöglichkeit und fehlgeschlagene Adaptation
- nachweisbarer Nutzen bei vertretbaren unerwünschten Wirkungen (Ib)
- Dimenhydrinat als Einzelsubstanz
- Betahistin als Einzelsubstanz (beim Menière-Symptomenkomplex)
- Dimenhydrinat in Kombination mit Cinnarizin
- Indikationen
- Dimenhydrinat
- Gruppe der „sedierenden Antihistaminika“
- Antiemetischer Effekt, sedierender Effekt, lindern vegetative Begleitsymptome.
- Prophylaxe und symptomatischen Therapie von Übelkeit und Erbrechen unterschiedlicher Genese
- UAW: sedierend und anticholinerge Effekte (Magen-Darm-Beschwerden, Beschwerden beim Wasserlassen und Mundtrockenheit)
- Cinnarizin
- Wirkt antiemetisch und sedierend.
- in Deutschland nicht mehr als Einzelsubstanz erhältlich (nur in Kombination mit Dimenhydrinat)
- UAW: extrapyramidalmotorische Störungen (v. a. Parkinson-Syndrom), Depressionen, Gewichtszunahme
- Betahistin
- zur Behandlung des Menière-Symptomenkomplexes zugelassen
- keine sedierende Eigenschaften
- kontraindiziert bei Patient*innen mit Asthma bronchiale und Phäochromozytom
- UAW: Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen und Zittern
- Homöopathische Substanzen
- bisher nicht gegen Placebo getestet
- bei Äquivalenz-Testung zu Betahistin beim unspezifischen Krankengut ebenso wirksam
Dosierungen
- Dimenhydrinat
- zur Behandlung von Reisekrankheit, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen21
- 50–100 mg Dimenhydrinat 3–4 x/d (max. 400 mg/d)21
- Cinnarizin und Dimenhydrinat
- Betahistin
- zur Behandlung von Schwindel im Rahmen des Menière- Symptomenkomplexes25
- 1–2 Tabletten Betahistin 6 mg oder 0,5–1 Tablette Betahistin 12 mg 3 x/d (18–36 mg Betahistin/d)25
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
- Schwindel
- Gutartiger Lagerungsschwindel
- Morbus Menière
- Entzündung des Gleichgewichtsnervs (Neuritis vestibularis)
Weitere Informationen
- Siehe Artikel Beurteilung der Fahreignung.
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Vestibuläre Funktionsstörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 017-078. S2k, Stand 2021. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie Nr. 053-018. S3, Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org
Literatur
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- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie Nr. 053-018, Stand 2015, zuletzt überarbeitet 2018. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Vestibuläre Funktionsstörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 017-078. S2k, Stand 2021. www.awmf.org
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Autor*innen
- Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung, Neurologie, Hamburg
- Peter Maisel, Prof. Dr. med. Facharzt für Allgemeinmedizin, Universität Münster/W. (Review)
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).