Synkope

Allgemeine Informationen

Definition

  • Eine Synkope ist ein vorübergehender Bewusstseinsverlust infolge einer transienten globalen zerebralen Hypoperfusion, charakterisiert durch rasches Einsetzen, kurze Dauer und spontane, vollständige Erholung.1
  • Häufig kommt es während der Ohnmacht zu mehr oder weniger komplexen motorischen Phänomenen, die leicht mit ähnlichen epileptischen Phänomenen verwechselt werden können (konvulsive Synkope).2

Häufigkeit

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Synkopen sind in der Allgemeinbevölkerung nicht ungewöhnlich.
  • Nur eine Minderheit von Synkopen-Patient*innen sucht medizinische Hilfe.
  • Die Reflexsynkope ist die häufigste Ätiologie in der Allgemeinbevölkerung, besonders bei jungen Menschen.
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die zweithäufigste Ursache. Die Anzahl von Patient*innen mit einer kardiovaskulären Ursache variiert stark zwischen unterschiedlichen Studien. Eine größere Häufigkeit wird in Notaufnahmeeinrichtungen beobachtet – hauptsächlich bei älteren Menschen – und in Einrichtungen mit kardiologischem Schwerpunkt.
  • Synkopen infolge orthostatischer Hypotonie sind vor dem 40. Lebensjahr selten, aber häufig bei sehr betagten Patient*innen.

Einteilung

Vasovagale Synkopen/Reflexsynkopen 

  • Neurokardiogen (nach längerem Stehen)
  • Emotional induziert (Verletzung, Blut etc.)
  • Situativ (Miktions- oder Defäkationssynkope, Schlucksynkope etc.)
  • Karotissinussyndrom
  • Atypische Formen (keine ersichtlichen Trigger oder atypische Präsentation)

Orthostatische Synkopen

  • Die orthostatische Hypotension ist definiert durch einen anhaltenden systolischen Blutdruckabfall um ≥ 20 mmHg (bzw. ≥ 30 mmHg bei Vorliegen eines Liegendhypertonus) und/oder einen diastolischen Blutdruckabfall um ≥ 10 mmHg innerhalb von 3 Minuten nach dem Aufstehen.
  • Eine orthostatische Hypotension kann asymptomatisch sein, orthostatische Intoleranz bewirken oder eine Ursache von Stürzen durch Synkope darstellen.
  • Nur wenn sie Symptom einer autonomen Dysfunktion ist, spricht man von einer neurogenen orthostatischen Hypotension.
  • Der Hauptpathomechanismus besteht bei der orthostatischen Hypotension in einer unzureichenden sympathisch vermittelten Vasokonstriktion.
  • Zumeist ist auch die autonome kardiale Innervation gestört, sodass der Herzfrequenzanstieg im Stehen reduziert ist.
  • Zahlreiche neurologische oder internistische Erkrankungen können über eine Schädigung des peripheren oder zentralen autonomen Nervensystems zur neurogenen orthostatische Hypotension führen (z. B. Morbus Parkinson, Multisystematrophie, Diabetes mellitus).
  • Die wichtigsten Ursachen für eine nicht-neurogene orthostatische Hypotension bestehen in einem Blutvolumenmangel verschiedener Genese oder in einer Medikamentennebenwirkung.

Kardiale/kardiovaskuläre Synkopen

  • Bei kardialen Synkopen werden die häufigeren rhythmogenen Synkopen von den mechanischen Ursachen bei strukturellen Herz-/Gefäßkrankheiten unterschieden.
  • Rhythmogene Synkopen: Diese Synkopen treten in der Regel unvermittelt und ohne situative Bindung auf. Die Pumpleistung des Herzens wird dabei rhythmogen durch insuffiziente oder ganz ausbleibende Ventrikelkontraktionen vorübergehend verringert. Die folgenden Rhythmusstörungen können Ursache von Synkopen sein:
  • Mechanische Ursachen
    • Bei der symptomatischen Aortenklappenstenose besteht eine Obstruktion des linksventrikulären Outputs, die insbesondere bei körperlicher Anstrengung (Vasodilatation in den Muskeln) zu einer ungenügenden Erhöhung des Herzauswurfvolumens und damit zur Hypotension und Synkope führen kann.
    • Ebenso kann es bei Vorliegen einer hypertroph obstruktiven Kardiomyopathie in Verbindung mit körperlicher Belastung zur kritischen Senkung des Herzzeitvolumens und des Blutdrucks kommen.
    • Ein mobiles Vorhofmyxom kann vorübergehend die Mitralöffnung blockieren und damit den linksventrikulären Füllungsdruck kritisch reduzieren.
    • Synkopenauslösende mechanische Mechanismen liegen auch bei der Lungenembolie vor.

POTS2

  • Das posturale Tachykardie-Syndrom (POTS) ist kein eigenständiger Synkopenmechanismus.
  • Bei diesem Syndrom kommt es im Stehen nur zu einer mäßiggradigen zerebralen Minderperfusion, die zwar zur orthostatischen Intoleranz führt, aber nicht ausreichend ist für die Auslösung einer Synkope.
  • Nach längerem Stehen kann das POTS in eine neurokardiogene Synkope einmünden und gilt deshalb als Risikofaktor für diese Synkopenform.

Pathophysiologie

  • Allen Synkopen gemeinsam ist die kurzfristige Minderperfusion des Gehirnes aufgrund eines plötzlich erniedrigten Blutdruckes.
  • Zugrunde liegen dieser ein niedriger kardialer Auswurf und/oder ein erniedrigter peripherer Widerstand.

Allgemeines

  • Synkopen können durch eine Vielzahl von Mechanismen ausgelöst werden.
  • Einige sind lebensbedrohlich, eine schnelle Diagnose ist wichtig.
  • Bei hochbetagten Patient*innen sind die Ursachen oft multifaktoriell.
  • Die zerebrovaskuläre Autoregulation sorgt dafür, dass die Hirndurchblutung unabhängig vom Blutdruck innerhalb eines engen Bereiches aufrechterhalten wird.
  • Gesunde Erwachsene vertragen einen kurz anhaltenden Rückgang des systolischen Blutdrucks um 70 mmHg problemlos, während bei älteren Menschen mit chronischer Hypertonie auch bei einem relativ geringen Abfall des systemischen Blutdrucks das Risiko einer Ohnmacht besteht.

ICPC-2

  • A06 Ohnmacht/Synkope

ICD-10

  • R55 Synkope und Kollaps3

Differenzialdiagnosen

Differenzialdiagnostische Abklärung

Initiale Abklärung

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Diese soll Folgendes umfassen (Näheres siehe die Abschnitte Anamnese und Klinische Untersuchung):
    • Eigen- und Fremdanamnese
    • körperliche Untersuchung
    • Blutdruckmessung im Liegen und Stehen sowie nach 10-minütigem Stehtest
    • 12-Kanal-EKG
  • Führt zur klassischen Trias der Ersteinschätzung:
    • sichere Diagnose durch Prima-vista-Klärung der Synkopenursache – keine weitere Diagnostik erforderlich
    • ungeklärte Diagnose bei hohem Risiko für plötzlichen Herztod – sorgfältige kardiologische Abklärung
    • ungeklärte Diagnose ohne erhöhtes Risiko –Verdachtsdiagnose bestimmt weiteres diagnostisches Vorgehen

Affektanfälle

  • Die Anfälle werden meist durch Schmerzen, Angst oder Wut ausgelöst und kommen im Kleinkindalter vor.

Hyperventilation

  • Tritt häufig während oder nach psychisch belastenden Situationen auf.
  • Die Patient*innen glauben, dass sie nicht ausreichend Luft bekommen.
  • Oft geht Hyperventilation mit ausgeprägter Angst einher.
  • Weiterhin treten ein Gefühl von Mundtrockenheit, Parästhesien in den Fingern, Händen, Beinen und um den Mund sowie evtl. Krämpfe und Pfötchen- oder Geburtshelferstellung der Hände (Finger steif gestreckt und zusammenstehend) auf.

Schädel-Hirn-Trauma

Rausch und Intoxikation

  • Die Bewusstlosigkeit hält meist etwas länger an.
  • Die Einnahme einer rauscherzeugenden Substanz muss gesichert und eine andere ggf. zusätzliche Ursache ausgeschlossen sein.

Epilepsie

  • Die Epilepsie wird in generalisierte und partielle (fokale) Formen unterteilt.
  • Abgesehen vom Anfall ist der neurologische Status häufig normal, es können jedoch auch neurologische Schäden oder Ausfälle aufgedeckt werden.

Schwerwiegende zerebrale Ereignisse

Hypoglykämie

  • Siehe Artikel Hypoglykämie bei Diabetes mellitus.
  • In der Regel liegt ein bekannter Diabetes mellitus vor.
  • Die Hypoglykämie kann auf eine Überdosierung der Medikamente (Insulin oder perorale Antidiabetika), den Ausfall einer Mahlzeit, körperliche Anstrengung, mentalen Stress, einen Infekt oder Alkoholkonsum zurückzuführen sein.
  • Die Symptome setzen plötzlich ein. Es kann zu einem Gefühl von Schwäche und Mattigkeit, Hunger, einem vermehrten Schwitzen, Tremor, Palpitationen und Tachykardie kommen.
  • Bei lang andauernder oder schwerer Hypoglykämie können zerebrale Symptome wie Verwirrung, verändertes Verhalten, Paresen, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle und Koma auftreten.
  • Die Bestätigung der Diagnose erfolgt durch eine Messung der Blutglukose, in der Notfallsituation ggf. aus dem Erfolg einer Glukosezufuhr auf Verdacht.

Subclavian-Steal-Syndrom

  • Siehe Artikel Subclavian-Steal-Syndrom.
  • Selten
  • Kann bei einer proximal zum Abgang der Arteria vertebralis lokalisierten Stenose der Arteria subclavia vorkommen, wenn dadurch der Arteria vertebralis Blut entzogen wird.
  • Synkopen nach Armbewegungen können auf dieses Syndrom hindeuten.
  • In der Fossa supraclavicularis können Stenosegeräusche hörbar sein, es können unterschiedliche radiale Pulsfrequenzen palpiert werden, und evtl. ist eine Seitendifferenz des Blutdrucks von mindestens 20 mmHg messbar.

Neuralgien

  • Glossopharyngeusneuralgie
    • Ist ein ungewöhnliches Schmerzsyndrom, das zu Synkopen führen kann.
    • Schlucken, Sprechen, Niesen und Druck auf die Triggerpunkte im Bereich der Tonsillen, der Ohren, des Pharynx und Larynx führen zu schmerzhaften Stimuli, die als erhöhter Druck auf den Karotissinus interpretiert werden.
  • Trigeminusneuralgie
    • Wird nur selten von Synkopen begleitet.
    • Der pathophysiologische Mechanismus ist unklar.

Anamnese

Allgemeines

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Die initiale Abklärung von Patient*innen mit transientem Bewusstseinsverlust umfasst eine sorgfältige Anamnese, körperliche Untersuchung inkl. Blutdruckmessung und ein 12-Kanal-EKG.
  • Die initiale Abklärung soll 3 Schlüsselfragen beantworten:
    1. Ist es eine Synkope oder nicht?
    2. Ist die zugrunde liegende Diagnose geklärt?
    3. Gibt es Verdachtshinweise auf ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder Tod?

Wichtige Fragen/Informationen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2,5
  • Die Anamnese sollte Folgendes beinhalten:
    • Häufigkeit der synkopenverdächtigen Ereignisse
    • Exploration von Auslösern bzw. situative Randbedingungen beim Auftreten von Synkopen?
    • Alter bei Beginn der Symptomatik
    • Wie war der genaue Synkopenablauf (Prodromi, Dauer, Reorientierungsphase)?
    • Begleitsymptomatik (vegetative Zeichen, motorische Entäußerungen)?
    • Verletzungsfolgen (z. B. Zungenbiss)?
    • Gibt es mögliche Erinnerungen an die Zeit der Ohnmacht?
  • Nach Möglichkeit Zeugen zum Ablauf der Synkope befragen, Videoaufzeichnung?
  • Vorerkrankungen sollen möglichst vollständig erfragt werden.
  • Die Medikamentenanamnese ist obligatorisch.
    • Häufige Auslöser sind u. a. Nitrate, Diuretika, andere Antihypertensiva, Antidepressiva, Antipsychotika, und Anti-Parkinson-Medikamente.
  • Alkohol-/Drogenintoxikation?
  • Schwangerschaft?
  • Anaphylaxie?
  • Familienanamnese: plötzlicher Herztod naher Verwandter?

Klinische Untersuchung

  • Allgemeiner körperlicher Status
    • Blässe, Kälte, Zyanose
    • palpatorische Pulsmessung
    • Blutdruckmessung
    • Auskultation von Herz und Halsgefäßen
    • orientierender neurologischer Status

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • Blutbild, Glukose, Nierenfunktionsparameter (Kreatinin, Harnstoff), Elektrolyte (Na, K, Ca) zum Ausschluss anderer Ursachen transienter Bewusstseinsstörungen
  • 12-Kanal-EKG4
    • Ergibt in 5–10 % der Fälle zusätzliche Anhaltspunkte. Über 90 % der Betroffenen mit kardialen Synkopen können so erfasst werden.
    • Auf Arrhythmien, verlängerte QT-Intervalle, Anzeichen früherer Herzinfarkte, Ventrikelhypertrophie, Delta-Wellen (WPW-Syndrom) achten.
    • sofortiges EKG-Monitoring bei Verdacht auf arrhythmogene Synkope1
  • Andere, weniger spezifische Untersuchungen wie neurologische Abklärung oder weitere Laboruntersuchungen sind nur bei Verdacht auf nichtsynkopalen transienten Bewusstseinsverlust indiziert.1

Bei Spezialist*innen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,4

Kipptischuntersuchung

  • Nur als Bestätigungstest bei Hinweisen auf Reflexsynkopen geeignet, nicht aber als Screeningverfahren4

Karotissinus-Massage (CSM)

  • Laut ESC-Leitlinien empfohlen bei Betroffenen > 40 Jahre mit ungeklärter Synkope, vereinbar mit einem Reflexmechanismus (I/B)1
    • allerdings nur niedriger positiver prädiktiver Wert eines pathologischen Test-Ergebnisses
    • nur als Bestätigungstest bei Hinweisen auf Karotissinussyndrom, nicht als Screeningverfahren4
  • Sollte nicht in der Hausarztpraxis durchgeführt werden. Eine Venenverweilkanüle sollte gelegt sein, Atropin sollte bereitstehen. Gleichzeitig sollten Blutdruck und EKG überwacht werden.
  • Kontraindikationen sind Stenosegeräusche über den Halsgefäßen, Symptome eines Schlaganfalles/einer TIA.

EKG-Monitoring

  • 24- bis 72-Stunden-Langzeit-EKG
    • nur bei mindestens wöchentlich rezidivierenden Synkopen oder Präsynkopen (IIa/B)
  • Implantierbarer Loop-Rekorder (ILR, Ereignisrekorder)
    • wichtigstes Instrument zum Nachweis oder Ausschluss arrhythmogener Synkopen
    • Soll eingesetzt werden bei (I/A):
      • rezidivierenden ungeklärten Synkopen ohne Hochrisikokriterien
      • Bei Betroffenen mit Hochrisikokriterien, bei denen eine ausführliche Diagnostik kein Ergebnis erbrachte und die keine übliche primärpräventive ICD(implantierbarer Kardioverter-Defibrillator)-Indikation haben.
    • Sollte eingesetzt werden bei (IIa/B):
      • vermuteten oder gesicherten Reflexsynkopen und häufigen oder schweren synkopalen Ereignissen (zur Klärung einer Schrittmacherindikation).
    • Kann eingesetzt werden bei Betroffenen ohne Hochrisikokonstellation, die eine ICD-Indikation unmittelbar begründen würde und mit (IIa/C):
    • im Einzelfall empfohlen bei (IIb/B):
      • Nichtansprechen einer vermuteten Epilepsie auf Antikonvulsiva
      • ungeklärten Sturzereignissen.
    • Ein Sinusarrest ≥ 3 sec oder eine Sinusbradykardie (< 40 Schläge/min) während einer Synkope kann den Verdacht auf vasovagale Synkopen bestätigen.

Neurologie1-2

  • Infrage kommende Untersuchungen:
    • EEG
    • Duplexsonografie der hirnzuführenden Arterien
    • kranielle MRT oder CT.
  • Zur Synkopenabklärung in der Regel nicht notwendig (III/B)
    • Ausnahme: neurologische Auffälligkeiten, z. B.:
      • Parkinson-Symptome
      • Ataxie
      • kognitive Störungen.
  • Ggf. zur differenzialdiagnostischen Abklärung eines transienten Bewusstseinsverlustes anderer Ursache (siehe Artikel Bewusstlosigkeit, Bewusstseinsstörung)

Weitere Untersuchungen

  • Smartphone-Videoaufzeichnung von Synkopenereignissen, z. B. durch Angehörige, sind zu empfehlen (IIa/C).
  • Transthorakale Echokardiographie: bei Verdachtshinweisen auf eine strukturelle Herzerkrankung (I/B)
  • Belastungs-EKG (Ergometrie)
    • Eignet sich zur Diagnose einer Ischämie und von durch Anstrengung ausgelösten Tachyarrhythmien oder zur Reproduktion von durch Anstrengung ausgelösten Synkopen.
    • indiziert bei Auftreten der Synkope
      • unter Belastung (eher kardiale Ursache)
      • nach Belastung (eher Reflexsynkope).
  • Elektrophysiologische Untersuchungen (EPU)
    • Beispielsweise bei Myokardinfarkt oder anderer Ursachen einer Myokardnarbe, wenn die nichtinvasive Diagnostik keine Klärung erbracht hat.

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Bei häufigen vasovagalen Synkopen, die mit Beschwerden verbunden sind und die auf keine andere Behandlung ansprechen, ist eine entsprechende kardiologische Ursachenabklärung und ggf. ein Herzschrittmacher indiziert.
  • Bei Verdacht auf Epilepsie oder andere neurologische Ursachen sollten die Patient*innen zur Neurologie überwiesen werden.
  • Wenn die gesamte Untersuchung den Verdacht auf eine schwere Grunderkrankung nahelegt, sollten die Patient*innen ggf. zur entsprechenden weiteren Untersuchung überwiesen werden.
  • Bei Betroffenen, die ohne Puls- oder Blutdruckänderungen das Bewusstsein verlieren, sollte eine psychische Störung erwogen werden. Je nach Fragestellung neurologische, psychiatrische und/oder psychosomatisch-psychotherapeutische Abklärung (Näheres zum Thema psychogene Bewusstlosigkeit siehe Artikel Bewusstlosigkeit, Bewusstseinsstörung).

Indikationen zur Klinikeinweisung

Spezielle Patientengruppen

Ältere Patient*innen1

  • Die häufigsten Synkopen-Ursachen beim älteren Menschen sind orthostatische Hypotonie, Karotissinussyndrom (CSS), Reflexsynkope ohne eindeutige Ursache und kardiale Arrhythmien.
  • Unterschiedliche Formen können häufig gleichzeitig vorliegen, was die Diagnosestellung erschwert.

Kinder und junge Erwachsene5

  • Ca. 15 % aller Kinder erleiden bis zum Erwachsenenalter mindestens einmal eine Synkope; die weit überwiegende Mehrheit (ca. 75 %) in Form einer benignen Reflexsynkope.
  • Das typische Manifestationsalter für das Auftreten einer Synkope liegt zwischen 12 und 19 Jahren, häufiger bei Mädchen.
  • Vor dem 10. Lebensjahr treten Synkopen fast nur in Form von Affektkrämpfen (2–5 % aller Kinder) oder mit spezifischer kardiogener Ursache auf.
  • Siehe Artikel Synkopen bei Kindern und jungen Erwachsenen.

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Die Therapie von Synkopen zielt auf die Verhinderung weiterer Synkopen ab sowie im Fall der kardialen Synkopen vor allem auf die Verhinderung eines plötzlichen Herztodes. Deshalb sind vor der Einleitung einer Langzeittherapie die beiden folgenden Fragen zu beantworten:2
    1. Wie groß ist das Rezidivrisiko bei den Betroffenen?
    2. Wie hoch ist das Risiko für den plötzlichen Herztod?
  • Bei seltenen Synkopen, die eine präsynkopale Vorlaufphase haben und nicht zu Verletzungen führten, ist eine spezifische Therapie nicht erforderlich. Insbesondere nach einer erstmalig aufgetretenen vasovagalen Synkope sollte vor Erwägung einer Therapie der Spontanverlauf beobachtet werden.
  • Bei häufiger auftretenden Synkopen (mehr als 2-mal pro Jahr) oder bei stattgehabten gefährlichen Stürzen beginnt die Therapie mit Aufklärung, Beratung über isometrische Gegenmanöver sowie einer Anleitung zum regelmäßigen Stehtraining.

Vasovagale Synkopen (Reflexsynkopen)2

  • Es gibt keine Hinweise dafür, dass eine medikamentöse Therapie wirksamer ist als der Einsatz physikalischer Maßnahmen. Deshalb sind physikalische Maßnahmen (soweit dafür eine ausreichende Compliance erwartet werden kann) auch bei häufigen oder zu Verletzungen führenden Synkopen als Therapie der 1. Wahl zu empfehlen.
  • Zur Basistherapie gehören ausreichende Trinkmengen (2–2,5 l Wasser tgl.) und eine ausreichende Kochsalzzufuhr.
  • Tragen einer Kompressionsstrumpfhose bei häufigen Rezidiven
  • Isometrische Gegenmanöver in der synkopalen Prodromalphase (Hocken oder Kreuzen der Beine oder Anspannung der Bein-, Gesäß-, Bauch- und Armmuskeln) verhindern wirksam die sich anbahnende Synkope.
    • begrenzte Studienlage
    • empfohlen bei Betroffenen < 60 Jahren mit Prodromi (IIa/B)1
  • Regelmäßiges Stehtraining
    • bei Betroffenen mit neurokardiogenen Synkopen
    • In sicherer Umgebung durchführen.
    • täglich mindestens 30-minütiges angelehntes Stehen (Füße in ca. 20 cm Abstand von der Wand).
    • vermutlich nur wenig wirksam (IIb/B)1
    • Wird von vielen Betroffenen nicht lange toleriert.
  • Medikamentöse Therapie1,4
    • ggf. Reduktion von Antihypertensiva: Zielblutdruck 140 mmHg systolisch (IIa/B)1
    • Aktive medikamentöse Therapie nur bei rezidivierenden Synkopen, die auf die o. g. Maßnahmen nicht ansprechen.
    • infrage kommende Medikamente, ggf. auch in Kombination:
      • Alphaagonist: Midodrin 3 × 5–10 mg/d
      • Kortikosteroid: Fludrocortison 0,1-0,2 mg/d.
    • Die früher als Therapie der 1. Wahl angesehene Therapie mit Betablockern ist nicht wirksamer als Placebo.
  • Die Herzschrittmacherstimulation sollte nur bei sonst therapierefraktären Synkopen mit initial bradykarder Symptomatik oder Asystolie (im Provokationstest oder mittels ILR) und im Alter > 40 Jahre erwogen werden.

Neurogene orthostatische Hypotension2

  • Die Behandlung einer für die neurogene orthostatische Hypotension ursächlichen Grunderkrankung wie Diabetes mellitus oder Parkinson-Syndrom muss selbstverständlich angestrebt werden, ist aber in der Regel nicht ausreichend für die Symptomkontrolle.
  • Bei medikamentös induzierter orthostatischer Hypotension kann die orthostatische Symptomatik oft durch eine medikamentöse Neueinstellung beseitigt werden (z. B. Ersetzen eines trizyklischen Antidepressivums durch ein SSRI, Umstellung einer antihypertensiven Therapie).
  • Allgemeine Verhaltensregeln
    • Zahlreiche situative Faktoren können die Neigung zur orthostatischen Hypotension verstärken.
      • Warme oder heiße Umgebung: Saunen, heiße Bäder oder Duschen sollten wegen verstärktem venösen Pooling vermieden werden.
      • Aufstehen nach Nachtschlaf: Aufgrund der morgendlichen Blutdrucksenkung sollte das Aufstehen nicht abrupt erfolgen. Hilfreich ist das Trinken von einem halben Liter Wasser vor dem Aufstehen.
      • Besondere Vorsicht ist auch beim nächtlichen Toilettengang zu empfehlen.
      • Postprandialer Zustand: Üppige Mahlzeiten sollten wegen übermäßigem Blutpooling durch Vasodilatation im Splanchnikusgebiet vermieden werden.
    • physikalische Maßnahmen
      • Hilfreich zur Vermeidung von venösem Pooling können eine gut angepasste Stützstrumpfhose oder eine abdominelle Kompressionsbinde sein.
      • Als prophylaktisch wirksam durch eine Anhebung des Blutvolumens gelten folgende Maßnahmen:
        • Schlafen mit um 20–30 cm erhöhtem Kopfende des Bettes
        • Erhöhung der Salzzufuhr auf 8 g NaCl/d
        • Täglich 2–2,5 l Wasser trinken.

Kardiale Synkopen2

  • Bradykarde Herzrhythmusstörungen
    • Bei der Sinusknotendysfunktion, dem Bradykardie-Tachykardie-Syndrom und der AV-Knotenleitungsstörung besteht die Indikation zur Schrittmachertherapie.
  • Tachykarde Herzrhythmusstörungen: Die Implantation eines ICD ist indiziert.
    • bei Patient*innen mit dokumentierter ventrikulärer Tachyarrhythmie und struktureller Herzerkrankung
    • bei induzierbarer anhaltender monomorpher ventrikulärer Tachyarrhythmie bei Postinfarkt-Patient*innen
    • bei Patient*innen mit dokumentierter ventrikulärer Tachyarrhythmie und angeborener Kardiomyopathie oder Ionenkanalerkrankung (relative Indikation)
  • Ein ICD kann bei Patient*innen mit hohem Risiko für einen plötzlichen Herztod trotz fehlendem Nachweis einer Tachyarrhythmie als Synkopenursache auch bei folgenden klinischen Situationen indiziert sein:
    • ischämische oder nicht-ischämische Kardiomyopathie und schwer eingeschränkte LV-Funktion oder Herzinsuffizienz
    • hypertrophe oder arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (relative Indikation)
    • Brugada-Syndrom und spontanes Typ-I-EKG (relative Indikation).
  • ICD in Kombination mit Betablocker beim Long-QT-Syndrom (relative Indikation)
  • Eine Katheterablation ist indiziert
    • bei paroxysmalen ventrikulären oder supraventrikulären Tachykardien als Ursache von Synkopen bei fehlender struktureller Herzerkrankung.
    • bei paroxysmalem tachykardem Vorhofflimmern als Ursache für Synkopen (relative Indikation).

Prognose

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Das Vorliegen einer strukturellen Herzerkrankung ist der Hauptrisikofaktor für den plötzlichen Herztod (PHT) und die Gesamtletalität bei Patient*innen mit Synkope.
  • Die Anzahl von Synkopen während des Lebens, besonders während des vergangenen Jahres, ist der stärkste Prädiktor eines Rezidivs.
  • Die Morbidität ist besonders hoch in der älteren Bevölkerung.
  • Rezidivierende Synkopen können die Lebensqualität beeinträchtigen.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Die Betroffenen sollten über die günstige Prognose der vasovagalen Synkope (keine Herzkrankheit, keine reduzierte Lebenserwartung) und die letztlich physiologische Natur des zugrunde liegenden vasovagalen Reflexes aufgeklärt werden.2
  • Mögliche auslösende Situationen (z. B. langes Stehen, Flüssigkeitsmangel, überwärmte Räume) sollten vermieden werden.
  • Sensitivierung für prodromale Symptome und Aufklärung über die Möglichkeiten einer aktiven Verhinderung der Synkope in dieser Phase (Hinlegen oder Einleitung isometrischer Gegenmanöver)2

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Synkopen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-072. S1, Stand 2020. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Synkopen im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 023-004. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
  • European Society of Cardiology, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. ESC Pocket Guidelines. Diagnose und Management von Synkopen. Stand 2019. leitlinien.dkg.org

Literatur

  1. European Society of Cardiology, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. ESC Pocket Guidelines. Diagnose und Management von Synkopen. Stand 2019. leitlinien.dgk.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Synkopen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-072, S1, Stand 2020. www.awmf.org
  3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2019. Stand 21.09.2018; letzter Zugriff 18.09.2020. www.dimdi.de
  4. von Scheidt W, Bosch R, Klingenheben T et al. Kommentar zu den Leitlinien (2018) der European Society of Cardiology (ESC) zur Diagnostik und Therapie von Synkopen. Kardiologe 2019; 13:131-7. doi.org
  5. Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Synkopen im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 023-004, S2k, Stand 2020. www.awmf.org

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Miriam Spitaler, Dr. med. univ., Ärztin für Allgemeinmedizin, Innsbruck/Österreich
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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