Hintergrund und Indikation
- Die Zeit bis zur erfolgreichen Gefäßeröffnung beeinflusst das Outcome bei Patient*innen mit STEMI (ST-Elevation Myocardial Infarction = ST-Hebungsinfarkt).1-2
- Patient*innen mit STEMI und Symptombeginn < 12 h sollten grundsätzlich umgehend einer primären PCI (perkutane Koronarintervention) zugeführt werden3 (siehe auch Artikel Herzinfarkt).
- Thrombolyse ist daher heutzutage eine Ausnahmesituation in Deutschland, wird in anderen Ländern mit weniger dichtem Netzt an Katheterlaboren aber häufiger eingesetzt.
- Thrombolyse sollte nur durchgeführt werden, falls eine primäre PCI nicht schnell (< 120 min) möglich ist.3
- Thrombolyse ggf. indiziert nur bei STEMI-Patient*innen!
- NSTEMI oder instabile AP keine Indikation
- Prognostischer Nutzen der Thrombolyse3
- Verhindert 30 Todesfälle pro 1.000 Patient*innen bei Behandlung innerhalb von 6 Stunden nach Symptombeginn.
- Der Nutzen ist am größten bei Patient*innen mit dem höchsten Risiko, inkl. Ältere.
- Der Nutzen sinkt mit dem zeitlichem Abstand vom Symptombeginn.
- niedrigere Mortalität bei prähospitaler Thrombolyse im Vergleich zur Behandlung in der Klinik
- Bei entsprechender Ausstattung ist daher eine prähospitale Verabreichung der Thrombolyse sinnvoll.
- Zeitziel: ≤ 10 min nach STEMI-Diagnose
EKG-Veränderungen bei STEMI
- Neue ST-Hebung am J-Punkt in 2 aufeinanderfolgenden Ableitungen
- Als signifikante Hebung gelten:5
- in allen Ableitungen außer Abl. V2–V3: ≥ 0,1 mV
- Abl. V2–V3: ≥ 0,2 mV bei Männern ≥ 40 Jahre; ≥ 0,25 mV bei Männern < 40 Jahre Jahre; ≥ 0,15 mV bei Frauen
Thrombolytika und antithrombotische Begleittherapie
Substanzen und Dosierungen3
- Streptokinase
- 1,5 Mio E über 30–60 min
- Alteplase (tPA)
- Bolus 15 mg i. v.
- 0,75 mg/kg i. v. über 30 min (bis zu 50 mg)
- dann 0,5 mg/kg i. v. über 60 min (bis zu 35 mg)
- Reteplase (rPA)
- 2 x 10 E im Abstand von 30 min
- Tenecteplase
- gewichtsabhängig, z. B. 40 mg (8.000 IU) bei 70–80 kg
Begleittherapie3– Thrombozytenaggregationshemmer
- ASS
- initial 150–300 mg ASS oral (oder 75–250 mg i. v.), anschließend 100 mg täglich
- Clopidogrel
- initial 300 mg oral, dann 75 mg täglich
Begleittherapie3 – Antikoagulanzien
- Unfraktioniertes Heparin (UFH)
- 60 IU/kg i. v. (max. 4.000 IU), dann 12 IU/kg/h i. v. (max. 1.000 IU/h) für 24–48 h
- Ziel-aPTT 50–70 s
- Enoxaparin
- < 75 Jahre: 30 mg i. v. Bolus, dann 1 mg/kg s. c. alle 12 h bis zur Revaskularisation oder Entlassung (max. 8 Tage)
- ≥ 75 Jahre: kein i. v. Bolus, Beginn mit 0,75 mg/kg s. c.
Risiken
- Das Risiko für intrazerebrale Blutungen liegt bei ca. 1 %.3
- Auftreten vorwiegend in den ersten 24 h
- Prädiktoren3
- höheres Alter
- niedriges Gewicht
- weibliches Geschlecht
- zerebrovaskuläre Erkrankung
- Hypertonie bei Aufnahme
Kontraindikationen
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
Absolute Kontraindikation
- Frühere Hirnblutung oder Schlaganfall ungeklärter Ursache
- Ischämischer Schlaganfall in den letzten 6 Monaten
- Neoplasmen
- Arteriovenöse Malformationen
- Trauma, Operation, Kopfverletzung innerhalb des letzten Monats
- Gastrointestinale Blutung im letzten Monat
- Bekannte Blutungsneigung
- Aortendissektion
- Nicht komprimierbare Punktionsstelle in den letzten 24 h (z. B. Lumbalpunktion)
Relative Kontraindikation
- TIA innerhalb der letzten 6 Monate
- Orale Antikoagulation
- Anhaltender Bluthochdruck höher als 180/110 mmHg
- Fortgeschrittene Lebererkrankung
- Aktives peptisches Ulkus
- Infektiöse Endokarditis
- Traumatische oder langdauernde Herz-Lungen-Wiederbelebung
- Schwangerschaft bis 1 Woche postpartal
Vorgehen nach Thrombolyse
- Nach Thrombolyse Verlegung des Patienten in ein PCI-Zentrum zur Koronarangiografie mit folgendem Vorgehen:3
- Koronarangiografie innerhalb von 2–24 h bei erfolgreicher Thrombolyse
- Rückgang der ST-Hebungen > 50 % in 60–90 min
- Abklingen des Brustschmerzes
- Reperfusionsarrhythmien
- baldmöglichste Koronarangiografie bei Versagen der Thrombolyse oder Hinweisen für Wiederverschluss des Infarktgefäßes
- keine erneute Gabe des Thrombolytikums bei Therapieversagen.
- Koronarangiografie innerhalb von 2–24 h bei erfolgreicher Thrombolyse
Leitlinie: Empfehlungen zur Thrombolyse3
Reperfusionsstrategie
- Primäre PCI ist gegenüber Thrombolyse zu empfehlen, wenn in adäquatem Zeitfenster durchführbar (I/A).
- Wenn zeitnahe PCI nach STEMI-Diagnose nicht durchführbar, Thrombolyse empfohlen innerhalb von 12 h nach Symptombeginn bei Patienten ohne Kontraindikationen (I/A).
- Wenn Thrombolyse die Reperfusionsstrategie ist, sollte die Behandlung baldmöglichst nach STEMI-Diagnose, bevorzugt prähospital, durchgeführt werden (I/A).
- Fibrinspezifische Substanz (Tenecteplase, Alteplase, Reteplase) empfohlen (I/B)
Zeitziele
- Zeitziel für Beginn der Thrombolyse nach STEMI-Diagnose, wenn zeitnahe PCI nicht durchführbar: ≤ 10 min
- Zeit vom Beginn der Thrombolyse bis zur Beurteilung der Effektivität (Erfolg oder Versagen): 60–90 min
- Zeit von Beginn Fibrinolyse bis Angiografie (bei erfolgreicher Fibrinolyse): 2–24 h
Begleitende Thrombozytenaggregationshemmung
- ASS (i. v. oder oral) ist indiziert (I/B).
- Clopidogrel zusätzlich zu ASS ist indiziert (I/A).
- Duale Plättchenhemmung ist indiziert (ASS + P2Y12-Inhibitor) bis zu 1 Jahr bei Patient*innen mit Thrombolyse und nachfolgender PCI (I/C).
Verlegung nach Fibrinolyse
- Verlegung in ein PCI-Zenrum sofort nach Durchführung der Fibrinolyse empfohlen (I/A)
Interventionelles Vorgehen nach Thrombolyse
- Notfall-Koronarangiografie/PCI empfohlen bei Patient*innen mit Herzversagen/kardiogenem Schock (I/A)
- Rescue-PCI indiziert bei Versagen der Thrombolyse (< 50 % Rückgang der ST-Hebungen in 60–90 min) oder bei hämodynamischer/elektrischer Instabilität oder zunehmender Ischämie (I/A)
- Koronarangiografie und PCI des Infarktgefäßes 2–24 h nach erfolgreicher Thrombolyse empfohlen (I/A)
- Notfall-Koronarangiografie/PCI empfohlen bei Hinweisen für Wiederverschluss nach erfolgreicher Thrombolyse (I/B)
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- European Society of Cardiology. Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation, Stand 2017. www.escardio.org
- European Society of Cardiology. Third Universal Definition of Myocardial Infarction, Stand 2012. www.escardio.org
Literatur
- McNamara RL, Wang Y, Herrin J, et al, for the NRMI Investigators. Effect of door-to-balloon time on mortality in patients with ST-segment elevation myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 2006; 47: 2180-6. www.ncbi.nlm.nih.gov
- De Luca G, Biondi-Zoccai G, Marino P. Transferring patients with ST-segment elevation myocardial infarction for mechanical reperfusion: a meta-regression analysis of randomized trials. Ann Emerg Med 2008; 52: 665-76. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Ibanez B, James S, Agewall S, et al. 2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. Eur Heart J 2018; 39: 119–177. doi:10.1093/eurheartj/ehx393 DOI
- Kelm M, Kastrati A, Nef H, et al. Kommentar zu den Leitlinien 2017 der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Therapie des akuten Herzinfarktes bei Patienten mit ST-Streckenhebung. Kardiologe 2018; 12: 145-149. doi:10.1007/s12181-018-0237-6 DOI
- Thygesen K, Alpert J, Jaffe A, et al. Third universal definition of myocardial infarction. Eur Heart J 2012; 33: 2551–2567. doi:10.1093/eurheartj/ehs184 DOI
Autor
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg