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Alkoholabhängigkeit (Alkoholismus)

Zusammenfassung

  • Definition:Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Alkoholgebrauch entwickeln. Typischerweise bestehen ein starker Wunsch, Alkohol zu trinken, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren und anhaltender Alkoholkonsum trotz schädlicher Folgen.
  • Häufigkeit:In Deutschland gibt es ca. 1,6 Mio. Alkoholabhängige und rund 1,4 Mio. Menschen mit schädlichem Alkoholgebrauch.
  • Symptome:Anamnestische Hinweise auf übermäßigen Alkoholkonsum, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Hinweise auf psychische Störungen oder soziale Probleme.
  • Befunde:Evtl. wiederholter Foetor alcoholicus, anomale Gesichtsvaskularisation, Sklereninjektion, Leberzeichen der Haut, Alkoholentzugssymptome, Voralterung, Zittern der Hände, vegetative Labilität.
  • Diagnostik:Frühzeitige Identifizierung von Personen mit besonderem Risiko für schädlichen Alkoholgebrauch. Bei diesen Personen gezielte Anamnese und körperliche Untersuchung, ggf. ergänzt durch Fragebogen zum Alkoholkonsum (AUDIT oder AUDIT-C) und durch Laboruntersuchungen wie GGT, MCV und evtl. CDT (Carbohydrate-deficient Transferrin) zur Erkennung eines chronisch erhöhten Alkoholkonsums.
  • Therapie:Übermäßigen Alkoholkonsum beenden, primäres Ziel ist Abstinenz. Es kann hilfreich sein, zunächst eine Trinkmengenreduktion anzustreben. Zur Alkoholentwöhnung kann u. U. eine ambulante Kurzintervention ausreichen. Bei Alkoholintoxikation oder Entzugssyndromen ist eine stationäre Entgiftung angezeigt, gefolgt von einer in der Regel ambulanten Postakutbehandlung mit psychosozialen Interventionen; ggf. Maßnahmen der Rehabilitation und Eingliederungshilfe.

Allgemeine Informationen

Definition Alkoholabhängigkeitssyndrom nach ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20211
  • Als Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10 F10.2) bezeichnet man eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Alkoholgebrauch entwickeln.
  • Typischerweise bestehen:
    • ein starker Wunsch, Alkohol zu trinken.
    • Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren.
    • anhaltender Alkoholkonsum trotz schädlicher Folgen.
  • Dem Alkoholkonsum wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben.
  • Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom.
  • Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf Alkohol allein beziehen oder auch zusätzlich auf andere Substanzen.

Definition Alkoholkonsumstörung nach DSM-5

  • Die bisherige Unterscheidung zwischen Substanzabhängigkeit und -missbrauch wurde mit der letzten Revision des DSM im Jahr 2013 aufgehoben.
  • Der DSM-5 spricht nun übergreifend von Alkoholkonsumstörung, definiert durch folgende Merkmale:2-5
    • Wiederholter Alkoholgebrauch, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt.
    • Wiederholter Alkoholgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann.
    • fortgesetzter Alkoholgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme
    • Toleranzentwicklung gekennzeichnet durch ausgeprägte Dosissteigerung oder verminderte Wirkung unter derselben Dosis
    • Entzugssymptome oder deren Vermeidung oder Linderung durch Alkoholkonsum
    • Konsum länger oder in größeren Mengen als geplant (Kontrollverlust)
    • Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Alkoholgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren.
    • Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum von Alkohol, oder um sich von seinen Wirkungen zu erholen.
    • Aufgabe oder Einschränkung wichtiger Aktivitäten aufgrund des Alkoholkonsums
    • fortgesetzter Gebrauch trotz körperlicher oder psychischer Probleme
    • Craving, starkes Verlangen nach Alkohol.
  • Bei Auftreten von 2 oder mehr dieser Merkmale innerhalb eines 12-Monatszeitraums liegt eine Alkoholkonsumstörung vor.
  • Spezifizierung der Erkrankungsschwere
    • 2–3 Kriterien erfüllt: mild
    • 4–5 Kriterien erfüllt: moderat
    • ≥ 6 Kriterien erfüllt: schwer

Definition Alkoholentzugssyndrom nach ICD-10

  • Alkoholentzugssyndrom (ICD-10 F10.3) bezeichnet eine Gruppe von Symptomen unterschiedlicher Zusammensetzung und Schwere nach absolutem oder relativem Entzug von Alkohol, nachdem dieser anhaltend konsumiert worden ist.
  • Beginn und Verlauf des Entzugssyndroms sind:
    • zeitlich begrenzt und
    • abhängig von der Dosis, die unmittelbar vor der Beendigung oder Reduktion des Konsums verwendet worden ist.
  • Das Entzugssyndrom kann durch symptomatische Krampfanfälle kompliziert werden.6

Typologien

  • Subtypologien, wie die Einteilung nach Jellinek in Problem-, Gelegenheits-, Sucht-, Spiegel- und Quartalstrinker oder die in Deutschland weniger gebräuchliche Einteilung nach Cloninger haben keine validierte diagnostische Trennschärfe und werden in den aktuellen Klassifikationssystemen und Leitlinien nicht mehr verwendet.2-6

Häufigkeit in Deutschland

  • Ca. 1,6 Mio. Alkoholabhängige und rund 1,4 Mio. Menschen mit schädlichem Alkoholgebrauch.5,7
  • Alkoholabhängigkeit: im Jahr 2018 4,0 % der Männer und 1,5 % der Frauen8

Versorgungsaspekte

  • Im Gegensatz zu anderen weit verbreiteten und chronischen psychischen Störungen (z. B. Depressionen) wird die Alkoholabhängigkeit in der Bevölkerung oft nicht als behandlungsbedürftig angesehen.
  • Betroffene neigen krankheitsbedingt dazu, ihren Alkoholkonsum zu bagatellisieren oder zu verleugnen. Die Veränderungs- und Therapiemotivation kann anfangs gering sein.
  • Häufig konzentriert sich die ärztliche Behandlung auf vorhandene Begleit- und Folgeerkrankungen. Die ursächliche Suchterkrankung wird oft nicht erkannt, falsch diagnostiziert und in der Folge nicht adäquat behandelt.
    • Die psycho- und pharmakotherapeutischen Angebote erreichen bisher nur etwa 10 % der Betroffenen.
    • Mit einer Steigerung auf 40 % könnten laut einer Modellrechnung fast 2.000 Leben im Jahr gerettet werden.9

Ätiologie und Pathogenese

Metabolismus und Toxikologie

  • Äthanol wird mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,15 Promille pro Stunde über die Leber eliminiert. Dieser Abbau des Alkohols kann auch durch Kaffee, Sport oder andere Maßnahmen nicht beschleunigt werden.
  • Der Alkohol verteilt sich gleichmäßig im gesamten Körperwasser und kann somit in allen Organen mehr oder weniger große Schäden anrichten.
  • Bei Frauen steigt der Blutalkoholspiegel durch den Konsum einer bestimmten Menge Alkohol schneller an als bei Männern mit demselben Körpergewicht.
  • Die letale Dosis bei Menschen mit durchschnittlicher Äthanoltoleranz liegt bei etwa 4 Promille. Dies entspricht bei Erwachsenen einem Konsum von ungefähr 0,7 l Schnaps (45 %) innerhalb 1 Stunde.
    • Bei Personen, die bereits seit Längerem alkoholabhängig sind, ist die tödliche Dosis häufig geringer, z. B. aufgrund eines schlechten Allgemeinzustands oder einer Kardiomyopathie.
  • Die meisten Menschen sind bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,5 Promille sichtbar betrunken.
    • Hat sich infolge einer fortgeschrittenen Alkoholabhängigkeit eine erhöhte Toleranz entwickelt, vertragen die Betroffenen u. U. mehr Alkohol als Menschen, die weniger Alkohol konsumieren.

Genvarianten

  • Alkohol wird hauptsächlich durch Alkoholdehydrogenase (ADH) abgebaut. In ADH1B und ADH1C findet sich eine genetische Variation, die Auswirkungen auf die Geschwindigkeit des Alkoholstoffwechsels hat.
    • In einer dänischen Studie fanden Forscher*innen heraus, dass Menschen mit ADH1B und einem langsamen Alkoholstoffwechsel 30 % mehr Alkohol tranken, öfter täglich Alkohol tranken, öfter einen hohen Alkoholkonsum hatten und ein höheres Abhängigkeitsrisiko aufwiesen als Personen mit ADH1B und einem schnellen Alkoholstoffwechsel.10
      • In Bezug auf ADH1C3 stellten die Forscher fest, dass Personen mit einem langsamen Alkoholstoffwechsel öfter einen hohen Alkoholkonsum hatten als Personen mit einem schnellen Alkoholstoffwechsel.10
      • Die Studie deutet darauf hin, dass Alkoholtrinkgewohnheiten und Alkoholismus teilweise auf Grundlage der ADH1B- und ADH1C-Genotypen vorhergesagt werden können. Die Ergebnisse für Männer und Frauen waren vergleichbar.
  • Das Gen Beta-Klotho kodiert die Produktion von Beta-Klotho, was mit der Regulierung des Verlangens nach Alkohol im Zusammenhang steht.11

Neurobiologische und psychosoziale Faktoren3

  • Soziale Verstärkung
    • Alkoholkonsum ist sozial akzeptiert und ritualisiert.
  • Psychotrope Wirkungen des Alkohols motivieren zum Konsum.
    • kurzfristige Verbesserung der Stimmungslage
    • Lindert soziale Unsicherheit und Angst.
    • Schafft kurzfristig Distanz von unangenehmen Emotionen, aber langfristig erhöhtes Depressionsrisiko.
  • Zerebrales Belohnungssystem
    • Wie andere Suchtmittel induziert Alkohol eine dopaminerge Stimulation im Nucleus accumbens. Dadurch kommt es zu einer Verstärkung des Alkoholkonsums.
  • Konditionierung
    • Kopplung des Alkoholkonsums an angenehme Situationen, stimmungsaufhellende Effekte des Alkohols und die Enthemmung und Unterdrückung unangenehmer Emotionen begünstigen das regelmäßige Trinken.
    • operante Konditionierung
      • Belohnung durch psychotrope Wirkungen des Alkohols (s. o.)
    • klassische Konditionierung
      • Assoziation vormals neutraler Stimuli an Trinksituationen fördern die Entstehung und Auslösung des Verlangens nach Alkohol und des gewohnheitsmäßigen Konsums.

Toleranzentwicklung3

  • Neuronale und metabolische Adaptationsprozesse, die die Alkoholwirkung vermindern.
  • Entzugssymptome
    • Durch plötzlichen Wegfall der alkoholbedingten Sedierung kommt es zur Verstärkung der gegenregulatorisch erhöhten Erregung.
    • Entzugssymptome verstärken das Verlangen nach Alkohol.
    • vegetative Symptome
    • neuropsychiatrische Symptome (siehe Artikel Alkoholdelir)

Prädisponierende Faktoren

  • Bei etwa 20 % der Personen, die eine Suchterkrankung entwickeln, besteht eine entsprechende genetische oder psychosoziale Prädisposition.
  • Das Risiko ist erhöht, wenn Kindheit und Jugend von einem Suchtmittelmissbrauch der Eltern geprägt waren.
  • Manche der Personen, die übermäßig viel Alkohol konsumieren, weisen antisoziale Persönlichkeitsmerkmale auf (siehe auch Artikel Persönlichkeitsstörungen).
  • Erhöhter Alkoholkonsum und Abhängigkeit entwickeln sich häufig im Zusammenhang mit belastenden Ereignissen im Leben, z. B. nach einem Trauerfall oder einer Scheidung.
  • Bei Personen, die leicht Zugang zu Alkohol haben, z. B. berufsbedingt, besteht ein höheres Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln.

ICPC-2

  • P15 Chronischer Alkoholmissbrauch
  • P16 Akuter Alkoholmissbrauch

ICD-10

  • F10 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol1
    • F10.0 Akute Intoxikation (inkl. akuter Rausch bei Alkoholabhängigkeit)
    • F10.1 Schädlicher Gebrauch
    • F10.2 Abhängigkeitssyndrom (inkl. chronischer Alkoholismus)
    • F10.3 Entzugssyndrom
    • F10.4 Entzugssyndrom mit Delir (inkl. Delirium tremens – alkoholbedingt)
    • F10.5 Psychotische Störung (inkl. Alkoholhalluzinose, alkoholische Paranoia, alkoholischer Eifersuchtswahn, Alkoholpsychose o. n. A.)
    • F10.6 Amnestisches Syndrom (inkl. durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingte Korsakowpsychose)
    • F10.7 Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
    • F10.8 Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
    • F10.9 Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung

Diagnostik

  • Diagnostische Kriterien: Definition nach ICD-10 und DSM-5 (s. o.)
  • Die Diagnose von Alkoholabhängigkeit und Entzugssyndrom stützt sich primär auf die Anamnese und die klinischen Symptome.
  • Ergänzend können biologische, psychologische und soziale Marker für alkoholbedingte Schädigungen zur Diagnosesicherung beitragen.

Screening und Case Finding

  • Siehe dazu auch den Artikel Alkoholkonsum, Screening und Case Finding.5
    • Personen mit alkoholbezogenen Störungen identifizieren.
    • bei entsprechenden Auffälligkeiten: ergänzende Diagnostik
    • regelmäßiges Screening aller Patient*innen anhand von:
      • Fragebogentests (AUDIT, AUDIT-C, Näheres s. u.)
      • klinischen Markern (z. B. Bluttests)
    • Case Finding
      • Im Lauf der Untersuchung ergeben sich klinische, psychische oder soziale Hinweise auf eine alkoholbezogene Störung.
      • Daraufhin werden Screening- und Diagnostik-Maßnahmen eingeleitet.

Differenzialdiagnosen Alkoholabhängigkeit

  • Medikamentenabhängigkeit
  • Multipler Substanzmissbrauch
  • Bei unklaren psychischen und somatischen Erkrankungen immer auch einen Alkoholmissbrauch in Betracht ziehen.
  • Differenzialdiagnosen bei Alkoholintoxikation siehe Artikel Akute Alkoholintoxikation.

Differenzialdiagnosen Alkoholentzugssyndrom

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Im frühen Stadium des Alkoholmissbrauchs liegen oft keine spezifischen Symptome vor.
  • Zeichen einer alkoholbezogenen Störung sind vor allem:12
    • wiederholt auftretender Foetor alcoholicus
    • akute Alkoholisierung – Rauschzustand
    • Hinweise auf einen übermäßigen Alkoholgebrauch (z. B. beim Hausbesuch bemerkte leere Flaschen)
    • anomale Gesichtsvaskularisation
    • Sklereninjektion
    • gerötete Handinnenflächen
    • Alkoholentzugssyndrom (s. o.)
    • Voralterung
    • Zittern der Hände
    • vegetative Labilität, insbesondere erhöhte Schweißneigung
    • Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit
    • Hinweise auf psychische Störungen, z. B. Depression oder Angststörung
  • Weitere Zeichen übermäßigen Alkoholgebrauchs, die im weiteren Verlauf hinzukommen können:
    • reduzierter Allgemeinzustand
    • mangelhafte Hygiene
    • Wunden oder Verletzungen.
  • Alkohol-Polyneuropathie13
    • symmetrische Sensibilitätsstörungen aller Qualitäten
      • Vibrationsempfinden (Test mit Stimmgabel)
      • Tiefensensibilität (Gelenkstellung von Zehen und Fingern mit geschlossenen Augen einschätzen)
      • Temperaturempfinden
      • Berührungs- und Schmerzempfinden
    • atrophische Parese
      • häufig Fußheberparese (Steppergang)
      • abgeschwächte oder erloschene Muskeleigenreflexe
    • autonome Neuropathie
      • verminderte Schweißsekretion
      • atrophischer und hyperpigmentierter Haut
      • Störungen der Speiseröhrenperistaltik und der Potenz
    • häufige Lokalisationen
      • Extremitäten distal
      • Die Beine sind praktisch immer betroffen.
    • Verlauf
      • Im Frühstadium dominiert die allgemeine Volumenabnahme der Muskulatur.
      • später Muskelkrämpfe, quälende Missempfindungen (DD Alkoholmyopathie), teilweise heftige lanzinierende Schmerzen
      • häufig Nervendruckläsionen, z. B. Radialisparese („Parkbanklähmung“)
  • Zerebelläre Zeichen
    • Ataxie
    • Gleichgewichtsstörungen
    • Tremor
    • Koordinationsschwierigkeiten
  • Leberzeichen (siehe Artikel Alkoholische Lebererkrankung)
  • Pankreatitis
  • Herzinsuffizienz aufgrund von Myokardschäden
  • Demenz (primäre Demenzerkrankungen oder Alkoholdemenz)

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Direkte Zustandsmarker: Alkohol und Metabolite3,5

  • Geeignet zum Nachweis akuten Alkoholkonsums (Näheres siehe Artikel Übermäßiger Alkoholkonsum)
  • Äthylalkohol (Äthanol, EtOH)
    • Nachweis in Atemluft, Blut oder Urin
    • hohe Korrelation zwischen Blutalkohol und Atemluftalkohol
  • Äthanolmetabolite, z. B. Äthylglukuronid (EtG) und Äthylsulfat (EtS) oder Fettsäureäthylester (FAEE) wie Äthylpalmitat (EtPa)
    • in Serum und Urin noch mehrere Tage nach Alkoholkonsum nachweisbar
    • EtG ist in der Haaranalyse bis zu 3 Monate nach Alkoholkonsum noch nachweisbar. Bevorzugter Marker zum Nachweis von Abstinenz.
    • Cave: mögliche Verfälschung der Haaranalyse durch alkoholhaltige Pflegemittel!14

Indirekte Zustandsmarker3,5 

  • Bewertung
    • Gamma-GT (GGT)MCV und CDT sind die einfachsten und in Kombination die verlässlichsten indirekten Zustandsmarker für chronisch erhöhten Alkoholkonsum.3
  • Leberenzyme: Gamma-GT (GGT), GPT
    • Gamma-GT häufig erhöht im Bereich von 100–400, geht im Laufe von 2 Wochen um ca. 50 % zurück, wenn der Alkoholkonsum eingestellt wird.
    • GPT (und GOT) bei Schädigungen der Leberzellen erhöht
      • Leberenzyme haben als Alkoholkonsum-Marker jedoch eine geringe Sensitivität und Spezifität.
  • CDT (Carbohydrate-deficient Transferrin)
    • vor allem zum Nachweis eines chronisch erhöhten Alkoholkonsums geeignet
      • Ein signifikanter Anstieg des CDT tritt erst nach einem täglichen Alkoholkonsum von etwa 60 g (entspricht einer Flasche Wein) über mindestens 14 Tage auf.
    • Die Spezifität der CDT allein liegt bei 87–100 %, die Sensitivität je nach Testmethode bei 60–90 %.5
      • In einer Studie der WHO betrug die Sensitivität bei Frauen nur 29 %.15
    • Der Test eignet sich auch zur Verlaufskontrolle.
  • Kombination GGT und CDT
    • hohe Sensitivität und Spezifität5
    • Antilla-Index: AI = 0,8 ln(GGT) + 1,3 ln (% CDT)16
      • Spezifität 94 %
      • Sensitivität 63 %
  • Alc-Index17
    • Berücksichtigt die Serumkonzentrationen von Methanol (MeOH), Aceton (A) + 2-Propanol (2P), GGT und CDT 
    • Formel, die die verwendeten Parameter entsprechend ihrer Sensitivität und Spezifität unterschiedlich stark gewichtet:
      • Alc-Index = 0,1121 × [MeOH] + 0,4082 × [A + 2P] + 0,0907 × [GGT] + 0,1254 × [CDT] – 7,7736
    • Spezifität 100 % 
    • Sensitivität ca. 93 % 
  • Phosphatidyläthanol (PEth)5
    • Bestimmung im Vollblut
    • Spezifität 100 %
      • Wird im Körper ausschließlich in Gegenwart von Alkohol gebildet.
    • Sensitivität 95–100 %
    • Im Vergleich zu anderen Zustandsmarkern hinsichtlich der Untersuchung von chronischem Alkoholkonsum in verschiedenen Studien entweder gleichwertig oder deutlich überlegen.
  • MCV, Hb, Transferrin 
    • Können als Hinweis dienen, werden aber auch durch Mangelernährung oder andere klinische Faktoren beeinflusst.
  • Thrombozyten

Apparative Untersuchung

  • Ultraschall der Leber

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Ggf. weiterführende Diagnostik anderer Alkoholfolgeerkrankungen (s. u.)5
    • weitergehende neuropsychologische Untersuchung, etwa bei älteren Patient*innen mit Verdacht auf Demenz
    • Echokardiografie
    • Oesophagogastroduodenoskopie (ggf. mit ERCP)
    • neurologische Untersuchung einschließlich Elektrophysiologie bei Hinweisen auf Alkohol-Polyneuropathie

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – Screening und Case Finding5

  • Zum Screening von riskantem Alkoholkonsum, schädlichem Alkoholgebrauch oder Alkoholabhängigkeit
    • Sollen Fragebogenverfahren eingesetzt werden (Ia/A).
    • Soll der Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT) eingesetzt werden (Ia/A).
      • Die Kurzform des AUDIT (AUDIT-C), wenn der AUDIT zu aufwendig ist.
    • Zum Screening/Case Finding sollten AUDIT oderAUDIT-C allen Patient*innen in allen medizinischen und psychosozialen Settings angeboten werden.
  • Nachweis akuter Alkoholkonsum
    • Zum Nachweis von akutem Alkoholkonsum sollen Zustandsmarker (Äthanol in der Atemluft und im Blut, EtG und EtS im Urin) eingesetzt werden (Ib/A).
    • in verschiedenen Kontexten: hausärztliche Praxis, stationäre Aufnahme, Notaufnahme, präoperatives Screening, Intensivstation
  • Nachweis chronischer Alkoholkonsum
    • Wenn chronischer Alkoholkonsum nachgewiesen werden soll,
      • soll eine geeignete Kombination von indirekten Zustandsmarkern (z. B. Gamma-GT + MCV + CDT, Antilla Index, Alc Index) eingesetzt werden (Ia/A).
      • in verschiedenen Kontexten: Hausarztpraxis, stationäre Aufnahme, Notaufnahme, präoperatives creening, Intensivstation
  • Screening chronischer Alkoholkonsum
    • Wenn ein Screening auf chronischen Alkoholkonsum erfolgt, sollte der AUDIT und eine geeignete Kombination von indirekten Zustandsmarkern eingesetzt werden (Ib/A).
  • Ermittlung des Konsums
    • Wenn Alkoholkonsum erhoben werden soll, dann sollen Verfahren zur Ermittlung eines Menge-Frequenz-Indexes (getrennte Fragen zur Häufigkeit und Menge des üblichen Konsums) sowie Häufigkeit und Menge höheren Alkoholkonsums oder tageweise rückblickende Anamnesen (Timeline-Followback) eingesetzt werden.
  • Diagnosestellung
    • Zur Diagnosestellung von Alkoholabhängigkeit oder schädlichem Gebrauch sollen validierte Instrumente eingesetzt werden, die die Kriterien der aktuellen Klassifikationsschemata der International Classification of Diseases (ICD) abbilden.

Screening von Schwangeren

  • Zum Nachweis von Alkoholkonsum bei Schwangeren sollen, falls maternale Proben untersucht werden, EtG (Urin) und/ oder FAEEs (Haar) und/ oder besonders PEth (Blut) eingesetzt werden.
  • Wenn ein neonatales Screening erfolgen soll, sollen FAEEs und/oder EtG im Mekonium untersucht werden. Fragebögen weisen hier eine unzureichende Sensitivität auf (IIa/A).

Indikationen zur Überweisung

Ambulante Behandlung

  • Kurzinterventionen zur Alkoholentwöhnung können in der Regel ambulant erfolgen, bei entsprechender Qualifikation auch in der Hausarztpraxis.
    • z. B. bei Ärzt*innen mit Zusatzweiterbildung Suchtmedizinische Grundversorgung oder in einer Suchtambulanz
  • Alkoholabhängigkeit und begleitende psychische Störungen können in Zusammenarbeit mit ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeut*innen behandelt werden.
    • möglichst mit suchtmedizinischer oder suchtpsychologischer Zusatzqualifikation
  • In der Regel ist die Zusammenarbeit mit anderen psychosozialen Anlaufstellen sinnvoll (wie Selbsthilfegruppen und je nach Problemstellung z. B. Einrichtungen der Suchtkranken-, Jugend-, Arbeitslosen- oder Wohnungslosenhilfe). 

Stationäre Behandlung

  • Alkoholintoxikation
  • Schwere Entzugssyndrome
    • Bewusstseinsstörungen
    • vegetative Entgleisung
    • psychotische Symptome, akute Verwirrtheit
    • Ein Alkoholentzugsdelir bedarf immer der stationären Überwachung und Behandlung, ggf. auf der Intensivstation.18
  • Ggf. stationäre Entzugsbehandlung (s. u.)
    • Näheres zur Indikation stationäre vs. ambulante Entzugsbehandlung siehe Leitlinie.
  • Ggf. stationäre Reha
  • Erstmaliger epileptischer Anfall

Therapie

Therapieziele

  • Einstellung oder Verringerung des Alkoholkonsums
    • Im günstigsten Fall strebend die Patient*innen Abstinenz an und sind bereit, sich zum Erreichen dieses Ziels in eine adäquate Behandlung zu begeben.
      • Wenn der übermäßige Alkoholkonsum wiederholt zum Kontrollverlust führt, spricht das besonders dafür, Abstinenz anzustreben.
      • Auch wenn keine nachhaltige Abstinenz erreicht wird, geben Abstinenzphasen den Patient*innen zumindest die Möglichkeit, sich zu erholen.
    • Eine vollständige Abstinenz erscheint vielen Betroffenen jedoch unerreichbar oder zum aktuellen Zeitpunkt nicht erstrebenswert.
    • Um die Schwelle, sich in Beratung und Therapie zu begeben, für diejenigen zu senken, die vorerst keine Abstinenz anstreben, kann die Reduktion des Alkoholkonsums als alternatives Behandlungsziel angeboten werden.5
  • Körperliche, psychische oder soziale Folgeschäden verhindern.
  • Etwaige begleitende oder suchtverursachende psychische Erkrankungen behandeln.

Allgemeines zur Therapie

  • Problembewusstsein
    • Der Grundstein der Behandlung liegt darin, dass die Betroffenen ihr Problem erkennen und motiviert sind, den übermäßigen Alkoholkonsum zu beenden.
    • Oft ist es der drohende Verlust sozialer Werte (Arbeit, Paarbeziehung, Verantwortung für Kinder), der alkoholabhängige Patient*innen zu der Einsicht bringt, dass sie ein behandlungsbedürftiges Problem haben.
  • Multimodale Behandlung
    • Bei Alkoholabhängigkeit sollte eine Komplexbehandlung angeboten werden, die eine Kombination von verschiedenen Interventionen umfasst und durch ein multiprofessionelles Team durchgeführt wird.5
  • Therapeutische Beziehung
    • Eine moralisierende und verurteilende Haltung sollte vermieden werden, denn alkoholabhängige Patient*innen haben sich in der Regel nicht bewusst für ihre Situation entschieden.
    • Das Vertrauen zu Therapeut*innen und deren Offenheit sind entscheidende Faktoren für eine gute therapeutische Beziehung.
  • Aufklärung
    • Eine umfassende Aufklärung ist ein wichtiger Teil der Behandlung.19
    • Verantwortungsbewusstsein aufbauen.
    • Bewusstsein dafür schaffen, dass die frühzeitige Einleitung der Behandlung mit Unterstützung eines intakten sozialen Netzwerks entscheidend für das Ergebnis ist.
    • Ein Behandlungsvertrag wird empfohlen.
  • Soziale Unterstützung
    • Die Familie kann eine große Hilfe sein, aber auch Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker spielen eine wichtige Rolle.
  • Psycho- und Soziotherapie
    • wichtig in allen Phasen der Behandlung (s. u.)
    • Ein wichtiger Schwerpunkt der Gespräche liegt auf der Beziehung zu anderen Menschen.
    • Die Fähigkeit der Patient*innen, soziale Situationen auch ohne Alkohol zu bewältigen, soll gefördert werden.19
  • Komorbidität
  • Medikamentöse Therapie
    • Informationen zur Akuttherapie und zur Behandlung von Entzugssymptomen finden Sie im Artikel Akute Alkoholintoxikation.
    • In der akuten Phase können Psychopharmaka zur Behandlung von Angst, Unruhe, Schlafstörungen usw. indiziert sein.
    • Prophylaktisch können Mittel wie Disulfiram, Acamprosat und Naltrexon eingesetzt werden.

Trinkmengenreduktion und Abstinenz

Kurzinterventionen zur Alkoholentwöhnung5

  • Kurzinterventionen dienen dazu, Menschen mit übermäßigem Alkoholkonsum in nichtspezialisierten Settings zu einer Trinkmengenreduktion oder ggf. zur Abstinenz zu motivieren.
  • Sitzungsdauer ≤ 60 min
  • Zahl der Sitzungen ≤ 5 
  • Ziel: Verringerung des Alkoholkonsums und alkoholassoziierter Probleme
  • Elemente
    • personalisiertes Feedback
    • individuelle Zielfindung
    • konkrete Beratung
  • Evtl. Ergänzung durch schriftliches Infomaterial
  • Evtl. computergestütztes Angebot

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – Kurzinterventionen5

  • Kurzinterventionen zur Reduktion von problematischem Alkoholkonsum
    • sollen im Rahmen der medizinischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung umgesetzt werden (Ia/A).
    • sollen bei riskant Alkohol Konsumierenden angeboten werden (Ia/A).
    • sollten für Rauschtrinker*innen angeboten werden (Ia/B).
    • können bei Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit angeboten werden (Ia/C).

Stadienmodell der Verhaltensänderung

  • Das Modell von Prochaska und DiClemente beschreibt den Prozess, der erforderlich ist, um Gewohnheiten zu verändern.
    1. Unkenntnis
      • Ich weiß nicht, dass ich ein Problem habe.
    2. Absichtslosigkeit
      • Ich weiß, dass ich ein Problem habe, kann aber nichts dagegen tun.
    3. Absichtsbildung
      • Ich weiß, dass ich ein Problem habe. Was kann ich dagegen tun?
    4. Handlung
      • Ich weiß, dass ich ein Problem habe. Ich versuche, etwas dagegen zu tun.
    5. Aufrechterhaltung und Rückfall
      • Ich habe es geschafft, aber es ist nicht einfach, weiter durchzuhalten – oder –
      • Ich bin schwach geworden, was soll ich jetzt tun?

Entzugsbehandlung

Körperliche Entgiftung5

  • Behandlung von Alkoholintoxikationen mit neurologischen Ausfallerscheinungen oder von Alkoholentzugssymptomen
  • Ziele
    • Sicherstellung der Vitalfunktionen
    • Vermeidung von Komplikationen (z. B. KrampfanfälleEntzugsdelir)
    • Reduzierung oder Linderung von Entzugssymptomen

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – körperliche Entgiftung5

  • Wirksamkeit und Indikation
    • Alkoholbezogene Störungen sollen behandelt werden.
    • Eine Entzugsbehandlung soll durchgeführt werden bei Patient*innen mit:
      • Risiko für die Entwicklung von Entzugssymptomen
      • individuellem Risiko für Entzugskomplikationen wie Krampfanfällen oder deliranten Symptomen.
  • Behandlungskomponenten
    • Eine symptomorientierte Behandlung des Alkoholentzuges anstatt eines fixen Dosierschemas sollte dann angeboten werden, wenn
      • ein engmaschiges Assessment und Symptomkontrolle unmittelbar bei Behandlungsbeginn und während des gesamten Verlaufes sichergestellt sind – und –
      • das Personal adäquat in Assessment und Überwachung eines Alkoholentzugs geschult ist, z. B. in der Anwendung eines standardisierten Beurteilungsinstrumentes.
  • Behandlungsdauer
    • Sollte sich individuell an der Schwere der Entzugserscheinungen und der körperlichen und psychischen Begleit- oder Folgeerkrankungen orientieren.
  • Ungenügende Wirksamkeit alleiniger Entgiftung
    • Da eine körperliche Entgiftung allein keine hinreichende Therapie der Suchterkrankung darstellt, sollen weitere suchtmedizinische Hilfen vorgehalten oder vermittelt werden.
  • Behandlungsort
    • Eine stationäre Behandlung in Form einer körperlichen Entgiftung oder qualifizierten Entzugsbehandlung soll angeboten werden bei (II/A):
      • einem Risiko eines alkoholbedingten Entzugsanfalles – oder –
      • eines Entzugsdelirs – oder –
      • bei Vorliegen von gesundheitlichen oder psychosozialen Rahmenbedingungen, unter denen Alkoholabstinenz im ambulanten Setting nicht erreichbar erscheint.
    • Eine stationäre Behandlung in Form einer körperlichen Entgiftung oder qualifizierten Entzugsbehandlung sollte angeboten werden bei alkoholabhängigen Personen und Personen mit schädlichem Gebrauch, wenn mindestens 1 der folgenden Kriterien erfüllt ist:
      • (zu erwartende) schwere Entzugssymptome
      • schwere und multiple somatische oder psychische Begleit- oder Folgeerkrankungen
      • Suizidalität
      • fehlende soziale Unterstützung
      • Misserfolg bei ambulanter Entgiftung
      • Schwangerschaft.
    • Eine ambulante Entzugsbehandlung (körperliche Entgiftung oder qualifizierte Entzugsbehandlung) kann angeboten werden, wenn
      • keine schweren Entzugssymptome oder -komplikationen zu erwarten sind.
      • eine hohe Adhärenz und ein unterstützendes soziales Umfeld bestehen.
    • Eine ambulante Entgiftung sollte nur angeboten werden durch Ärzt*innen mit (III/B):
      • ausreichenden Kenntnissen in der Alkoholentgiftung – und –
      • der Möglichkeit engmaschiger klinischer Kontrolluntersuchungen einschließlich Verhaltensbeobachtung – und –
      • organisatorischer Sicherstellung einer 24-Stunden-Erreichbarkeit eines Notfalldienstes.

Qualifizierte Entzugsbehandlung (QE)5

  • Suchtpsychiatrische oder suchtmedizinische Akutbehandlung, die über die körperliche Entgiftung hinausgeht.
    • Dauert länger als die alleinige Entgiftungsbehandlung.
  • Kernelemente
    • Behandlung der Intoxikations- und Entzugssymptome
    • Diagnostik und Behandlung der psychischen und somatischen Begleit- und Folgeerkrankungen
  • Psycho- und soziotherapeutische sowie psychosoziale Interventionen zur Förderung der Änderungsbereitschaft, der Änderungskompetenz und der Stabilisierung der Abstinenz
    • Zur Inanspruchnahme weiterführender Hilfen motivieren.
    • Kontakte in das regionale Hilfesystem bahnen (z. B. zu Selbsthilfe, Psychotherapie, sozialen Einrichtungen).
  • Ggf. Vermittlung in spezifische Weiterbehandlung (z. B. soziale oder medizinische Rehabilitation)

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – Qualifizierte Entzugsbehandlung (QE)5

  • Wirksamkeit
    • Es sollte eine QE statt einer körperlichen Entgiftung angeboten werden.
  • Indikation
    • Eine QE soll angeboten werden, wenn die betroffene Person weiterführenden Behandlungsmaßnahmen ambivalent gegenüberstehen.
  • Dauer
    • Eine QE sollte in der Regel 21 Behandlungstage umfassen.
    • Unter Beachtung der Schwere der Entzugserscheinungen und der körperlichen und psychischen Begleit- und Folgeerkrankungen kann individuell auch eine längere Behandlungsdauer notwendig werden.

Medikamente in der Entzugsbehandlung 

  • Informationen zur Therapie akuter alkoholbezogener Zustände finden Sie in den Artikeln:
  • Bei anhaltend hohem Alkoholkonsum sollte generell versucht werden, die Gabe von Medikamenten auf das notwendige Mindestmaß zu beschränken, da die Gefahr von Wechselwirkungen und Leberschädigungen besteht.
  • Bei leichteren Entzugssymptomen ist abgesehen von symptomatischen Mitteln (z. B. gegen Kopfschmerzen) keine medikamentöse Therapie erforderlich.
  • Akute Entzugssyndrome klingen oft schnell ab.
    • Eine Notfallbehandlung, z. B. mit Diazepam parenteral, ist erforderlich bei:
      • Alkoholdelir
      • anhaltendem Krampfanfall (> 5 min), erniedrigter Krampfschwelle, wiederholten Krampfanfällen, Status epilepticus
      • vegetativer Entgleisung
      • psychotischen Symptomen, besonders bei Eigen- oder Fremdgefährdung.

Benzodiazepine5

  • Wirksamkeit bei Entzugssymptomen belegt
  • Erste Wahl bei der medikamentösen Unterstützung einer Entzugstherapie

Clomethiazol5

  • Nur unter stationären Bedingungen
  • Nicht mit Benzodiazepinen kombinieren.

Antikonvulsiva5

  • Ggf. zur Verhinderung von Alkoholentzugskrampfanfällen geeignet (I/B)5 
    • Nur Carbamazepin ist zur Anfallsverhütung beim Alkoholentzugssyndrom zugelassen und nur im Rahmen einer stationären Therapie.
  • Behandlung der Alkoholabhängigkeit – Wirksamkeit ist nicht ausreichend belegt.
    • Hinweise auf die Wirksamkeit von Carbamazepin, Valproinsäure, Gabapentin und Oxcarbazepin in der Therapie leicht- bis mittelgradiger Alkoholentzugssyndrome5
    • nur wenige qualitativ hochwertige Studien (Ia)20

Neuroleptika bei akutem Delir5

  • Zur Behandlung deliranter Syndrome mit Halluzinationen, Wahnsymptomen und Agitiertheit: bevorzugt Neuroleptika vom Butyrophenontyp (z. B. Haloperidol)
    • Dosierungsbeispiel: bei starker Agitiertheit alle 30 min 0,5–5 mg i. v. oder i. m.
  • Keine Wirksamkeit auf vegetative Entzugssymptome
    • Deshalb nur im Rahmen einer Kombinationstherapie verabreichen, z. B. mit Benzodiazepinen.
  • Notfallmäßige stationäre Einweisung!

Sonstige Medikamente5

  • Betablocker und Clonidin
    • evtl. zur Behandlung von vegetativen Alkoholentzugssymptomen (C)
    • nur als Ergänzung zu Benzodiazepinen oder Clomethiazol (nur stationär)
  • Tiapridex
    • evtl. zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Alkoholentzugssymptome in Kombination mit einem Antikonvulsivum (C)
  • Thiamin (Vitamin B1)
    • Sollte im Alkoholentzug verabreicht werden, um die Entwicklung eines Wernicke-Korsakow-Syndroms zu verhindern.
      • z. B. tgl. 2 x 100 mg oral über 7–14 Tage
    • zusätzlich bei parenteraler Glukosegabe
      • Weil dabei das Risiko für eine Wernicke-Enzephalopathie besonders hoch zu sein scheint.5
    • hochdosiert zur Behandlung eines akuten Wernicke-Korsakow-Syndroms 
  • Antidepressiva
    • Können bei Personen mit alkoholbezogenen Störungen und Depressionen depressive Symptome reduzieren.
      • Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie und ggf. Naltrexon (s. u.)
    • Nur schwache Hinweise darauf, dass der Alkoholkonsum reduziert wird, wenn nicht ein umfassendes psychosoziales Therapieprogramm durchgeführt wird.
    • Trizyklische Antidepressiva wegen ihrer anticholinergen Effekte vermeiden.
    • zur kurzfristigen Behandlung von Schlafstörungen evtl. Antidepressiva mit sedierender Komponente

Glukosesubstitution5

  • Dosierungsbeispiel bei Hypoglykämie
    • Vor der Glukosegabe 100–200 mg Thiamin i. v.; Fortsetzung der Behandlung über ≥ 3 Tage
    • Glukoseinfusion: 25–50 ml 5-prozntige Dextroselösung; erst nach der Gabe von Thiamin

Vitaminmangel?5

  • Auch bei Patient*innen in gutem Ernährungszustand sollte ein Vitaminmangel in Betracht gezogen werden.
    • Ein Mangel an Thiamin (Vitamin B1) kann nicht nur auf eine unzureichende Aufnahme, sondern auch auf eine alkoholbedingt deutlich eingeschränkte Absorption im Darm zurückzuführen sein.
  • Bei alkoholabhängigen Patient*innen, die zu häufigen Rückfällen neigen.
    • Regelmäßige parenterale Thiamingaben erwägen.
  • Bei anhaltend abstinenten Patient*innen: Um ausreichende Depots zu bilden, kann Thiamin oral angewendet werden.
    • Bei anhaltendem Alkoholkonsum oder direkt nach dessen Einstellung ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass dies ausreicht.
    • Dosierungsbeispiel: ≥ 3 Monate 200–300 mg Thiamin tgl.
  • Thiamin senkt das Risiko von Hirnschäden und Schädigungen des peripheren Nervensystems.
  • Bei Verdacht auf eine Wernicke-Korsakow-Enzephalopathie sind eine stationäre Aufnahme und eine i. v. Gabe von Thiamin erforderlich.

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – Arzneimittel in der Entzugsbehandlung5

  • Wirksamkeit
    • Eine medikamentengestützte Alkoholentzugsbehandlung ist einer Nichtbehandlung bezüglich der Schwere der auftretenden Entzugssymptome und der Häufigkeit von Entzugskomplikationen überlegen.
    • Eine Pharmakotherapie des Alkoholentzugssyndroms soll daher unter Berücksichtigung von Entzugsschwere und Entzugskomplikationen erfolgen (Ia/A).
      • Leichte Alkoholentzugssyndrome können pharmakologisch behandelt werden (Ia/C).
      • Schwere und mittelschwere Alkoholentzugssyndrome sollen pharmakologisch behandelt werden (Ia/A).
  • Benzodiazepine
    • Reduzieren effektiv die Schwere und Häufigkeit von Alkoholentzugssymptomen sowie die Häufigkeit schwerer Entzugskomplikationen wie Delire und Entzugskrampfanfälle.
    • Sollen zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms zeitlich limitiert eingesetzt werden (Ia/A).
    • Für die Behandlung deliranter Syndrome mit HalluzinationenWahn oder Agitiertheit sollten Benzodiazepine mit Antipsychotika (insbesondere Butyrophenone, wie Haloperidol) kombiniert werden (IV/B).
  • Clomethiazol
    • Reduziert effektiv die Schwere und Häufigkeit von Alkoholentzugssymptomen sowie die Häufigkeit schwerer
      Entzugskomplikationen wie Delir und Entzugskrampfanfälle.
    • Sollte unter stationären Bedingungen zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms eingesetzt werden (I/B).
      • Soll wegen des Abhängigkeits- oder Missbrauchspotenzials und einer geringen therapeutischen Breite nicht im ambulanten Alkoholentzug eingesetzt und in keinem Fall mit Benzodiazepinen kombiniert werden.
      • Clomethiazol ist nicht für die ambulante Behandlung des Alkoholentzugssyndroms zugelassen.
    • Für die Behandlung deliranter Syndrome mit Halluzinationen, Wahnsymptomen und Agitiertheit sollte Clomethiazol mit Antipsychotika (insbes. Butyrophenone, wie Haloperidol) kombiniert werden (I/B).
  • Antikonvulsiva
    • Sollten bei erhöhtem Risiko für das Auftreten von Alkoholentzugskrampfanfällen eingesetzt werden (I/B).
    • Können zur Therapie leicht- bis mittelgradiger Alkoholentzugssyndrome eingesetzt werden (III/C).
  • Antipsychotika
    • Antipsychotika wie Haloperidol werden beim akuten Alkoholdelir mit Wahnsymptomen oder Halluzinationen empfohlen, sollen aber aufgrund der fehlenden eigenen Wirkung auf vegetative Entzugssymptome mit z. B. Benzodiazepinen oder Clomethiazol kombiniert werden (II/B).
  • Betablocker und Clonidin
    • Eignen sich nicht zu einer Monotherapie des Alkoholentzugssyndroms, können aber in Ergänzung zu Benzodiazepinen oder Clomethiazol zur Behandlung von vegetativen Alkoholentzugssymptomen eingesetzt werden (IV/C).
  • Tiapridex
    • Kann in Kombination mit einem Antikonvulsivum zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Alkoholentzugssymptome eingesetzt werden (III/C).
  • Thiamin
    • Im Alkoholentzug sollte zur Prophylaxe der Wernicke-Enzephalopathie Thiamin gegeben werden, ggf. in Kombination mit Magnesium.
    • Wenn bei Menschen mit Alkoholabhängigkeit eine parenterale Glukosegabe erfolgt, soll diese mit einer parenteralen Thiamin-Applikation kombiniert werden.
  • Nicht geeignet sind:
    • Baclofen: Sollte aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht für die Behandlung des Alkoholentzugssyndroms eingesetzt werden (Ib/C).
    • Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB): Sollte aufgrund der Nutzen-Risiko-Bewertung nicht für die Behandlung des akuten Alkoholentzugssyndroms eingesetzt werden (Ia/B).
    • Medikamente mit prokonvulsiven und anticholinergen Wirkungen wie niederpotente Neuroleptika und trizyklische Antidepressiva sollten nicht zur Behandlung von Alkoholentzugssymptomen eingesetzt werden.
    • Alkohol soll nicht für eine medizinisch überwachte Alkoholentzugsbehandlung eingesetzt werden.

Differentielle Indikation

  • Schwangerschaft
    • Bei Schwangerschaft sollte im Alkoholentzug bevorzugt Benzodiazepine eingesetzt werden.
    • Dieses sollte innerhalb eines stationären und interdisziplinären Settings erfolgen.
  • Eingeschränkter Allgemeinzustand, eingeschränkte Lungen- oder Nierenfunktion, höheres Alter
    • Je nach Entzugsschwere wird der Einsatz von Benzodiazepinen mit mittellanger Halbwertszeit sowie eine niedrigere Dosierung und eine symptomorientierte Gabe zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms empfohlen.
    • In diesen Fällen können bei Entzugssyndromen auch Antikonvulsiva als Monotherapie oder symptomorientiert in Kombination z. B. mit Tiapridex oder Clonidin eingesetzt werden.
  •  Eingeschränkte Leberfunktion
    • Benzodiazepine mit kürzerer Halbwertszeit und geringer Verstoffwechslung in der Leber (z. B. Oxazepam, Lorazepam) werden empfohlen.
    • Zur Anfallsbehandlung oder -prophylaxe können können Gabapentin oder Levetirazetam eingesetzt werden, da diese Substanzen renal ausgeschieden werden und nicht hepatotoxisch sind.
  • Mischintoxikation und polyvalenter Substanzkonsum
    • Bei Verdacht auf Mischintoxikation oder multiplen Substanzmissbrauch sollte vor Einleitung einer spezifischen medikamentösen Behandlung von Alkoholentzugssyndrom oder Erregungszuständen eine stationäre Verlaufsbeobachtung erfolgen, ggf. ergänzt um ein handelsübliches Screening nach Benzodiazepinen, Opiaten und weiteren Drogen im Urin.

Postakutbehandlung

  • Nach Entgiftung oder qualifiziertem Entzug soll eine nahtlose Postakutbehandlung angeboten werden: ambulant, ganztägig ambulant (teilstationär) oder stationär.5
  • Formen der Postakutbehandlung
    • Entwöhnungsbehandlung
    • Adaptionsbehandlung als Teil der medizinischen Rehabilitation
    • medikamentöse Rückfallprophylaxe
    • Psycho- oder Soziotherapie
    • Beratung, Selbsthilfegruppen
    • Arbeitsförderung und berufliche Rehabilitation
    • Eingliederungshilfe (Sozialhilfeträger oder Agentur für Arbeit)5

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – Postakutbehandlung5

  • Postakute Interventionsformen sollen im Anschluss an die Entzugsphase als nahtlose weiterführende Behandlung angeboten werden.
  • Therapieziele
    • Bei der Postakutbehandlung ist Abstinenz bei Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD10: F10.2) primäres Therapieziel.
    • Ist die Erreichung von Abstinenz zurzeit nicht möglich oder liegt schädlicher oder riskanter Konsum vor, soll eine Reduktion des Konsums (Menge, Zeit, Frequenz) im Sinne einer Schadensminimierung angestrebt werden (Ia/A).
  • Komorbidität
    • Komorbidität (psychisch) soll in der Postakutbehandlung berücksichtigt und mitbehandelt werden.
  • Alter
    • Bei höherem Lebensalter soll eine Postakutbehandlung (einschl. Entwöhnung) der alkoholbezogenen Störung mit Hinweis auf die überdurchschnittlich günstige Prognose angeboten werden.
  • Erwerbslosigkeit
    • Bei bestehender Erwerbslosigkeit sollten bevorzugt Settings angeboten werden, die auch eine Reintegration ins Arbeitsleben fördern.
  • Vernetzung der Angebote
    • Zur nachhaltigen Sicherung des Erfolges der Postakutbehandlung soll sich nahtlos eine aufeinander abgestimmte Versorgung über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten erstrecken.
  • Psychotherapeutische und psychosoziale Komponenten
    • Motivationale Interventionsformen sollen angeboten werden (Ia/A).
    • Kognitive Verhaltenstherapie soll angeboten werden (Ia/A).
    • Kontingenzmanagement soll angeboten werden (Ib/A).
    • Angehörigenarbeit soll angeboten werden (Ib/A).
    • Paartherapie soll angeboten werden (Ib/A).
    • Psychodynamische Kurzzeittherapie kann angeboten werden (Ib/C).
    • Angeleitete Patientengruppen sollten angeboten werden (IIb/B).
    • Cognitive Bias Modification sollte im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden. (Ib/B)
    • Künstlerische Therapien wie die Kunst-, Tanz- und Bewegungs-, Theater- und Dramatherapie können bei komorbiden Störungen angeboten werden.
    • Rezeptive und/oder aktive Musiktherapie kann angeboten werden (IIb/C).
  • Langzeitpharmakotherapie (siehe nächster Leitlinienkasten)

 Langzeitpharmakotherapie – Rückfallprophylaxe

  • Eine medikamentöse Therapie sollten stets psychosoziale Interventionen begleiten (s. o.).
  • Rückfallprophylaxe bei abstinenten Patient*innen
    • Aus einer 2014 publizierten Metaanalyse geht hervor, dass Naltrexon und Acamprosat Rückfällen am besten vorbeugen können und Disulfiram von weniger großem Nutzen ist.21

Acamprosat

  • Wirkmechanismus22
    • Acamprosat ist ein Glutamat-Antagonist.
    • Bei wiederholtem Alkoholkonsum über längere Zeit kommt es in den mesolimbischen Strukturen des Gehirns zu einer vermehrten Freisetzung des exzitatorischen Transmitters Glutamat. Dadurch werden die NMDA-Rezeptoren verstärkt aktiviert.23
    • Die Überfunktion der mesolimbischen NMDA-Systeme wird mit einem erhöhten Verlangen in Verbindung gebracht, in bestimmten Situationen Alkohol zu konsumieren (Craving).
    • Acamprosat wird zudem eine agonistische Wirkung auf den inhibitorisch wirksamen GABA-Rezeptor zugeschrieben.
  • Wirksamkeitsnachweise
    • Für Acamprosat ist die Wirksamkeit gegenüber Placebo auf hohem Niveau belegt (Ia).5
    • Acamprosat verringert die Zahl der Tage mit Alkoholkonsum und erhöht den Anteil abstinenter Patient*innen.
      • Aus einer Metaanalyse geht hervor, dass 23 % der mit Acamprosat behandelten Patient*innen Abstinenz erreichten, unter Placebo waren es 15 %.24
      • Eine andere Metaanalyse hat gezeigt, dass 36 % der behandelten Patient*innen nach einer 6-monatigen Therapie abstinent waren. In der Placebogruppe waren es 23 % (Ia).25
    • Number needed to treat (NNT)
      • Um bei einer zusätzlichen Person Abstinenz zu erreichen, müssen 9–12 Personen mit Acamprosat behandelt werden.24,26-27
    • Dauer der Abstinenz
      • unter Acamprosat signifikant länger als unter Placebo (Ia)26-27

Naltrexon

  • Wirkmechanismus
    • Naltrexon ist ein Opioidrezeptorantagonist, der an 3 verschiedene Opioidrezeptoren bindet.
      • Der μ(My)-Opioidrezeptor gilt davon als der wichtigste, was die Entwicklung der Abhängigkeit anbelangt.28
    • Alkohol steht auf mindestens 2 verschiedene Arten mit dem Opioidsystem in Verbindung.
      • Durch den Konsum von Alkohol werden Enkephaline freigesetzt. Über den μ-Rezeptor im mesolimbischen System führt dies zur Freisetzung von Dopamin, das beim Konsum von Alkohol eine als belohnend und motivierend wahrgenommene Wirkung haben kann.
      • Bei Personen mit bestehender Alkoholabhängigkeit kann es zu dauerhaften neurobiologischen Veränderungen im mesolimbisch-kortikostriatalen System kommen. So kann bei alkoholabhängigen Personen z. B. das Sehen von Bildern (Cues) alkoholhaltiger Getränke Mechanismen in Gang setzen, die zu einer Freisetzung endogener Opioide in den Nervenbahnen führen, die wiederum das Verlangen nach Alkohol verstärken können.
    • Naltrexon soll durch die Blockierung dieses Opioideffekts die euphorisierende Wirkung des Alkohols reduzieren und das durch Stimuli ausgelöste Verlangen nach Alkohol mindern.
  • Dosierung, Dauer
    • Im Rahmen einer Kurzzeittherapie kann eine Dosierung von 50 mg täglich oral wirksam sein.
    • Die optimale Behandlungsdauer scheint mehr als 3 Monate zu betragen.
    • Wird Naltrexon über längere Zeit angewendet, kann es zu Nebenwirkungen kommen. Als schwerste Nebenwirkung ist die Lebertoxizität zu nennen. Die Nebenwirkungen sind dosisabhängig, und bei den indizierten Dosen (25–100 mg/Tag) ist das entsprechende Risiko gering.
  • Wirksamkeitsnachweise
    • Für Naltrexon ist die Wirksamkeit gegenüber Placebo auf hohem Niveaubelegt (Ia).5
    • Aus Metaanalysen geht hervor, dass Naltrexon im Hinblick auf die Dauer der Abstinenz und die Reduzierung der Zahl der Tage mit Alkoholkonsum gegenüber Placebo überlegen ist.27,29
    • Zwei Studien haben gezeigt, dass das Medikament das Risiko eines Rückfalls in einen hohen Alkoholkonsum sowie die Häufigkeit des Alkoholkonsums senkt (Ia).24,29

Disulfiram

  • In Deutschland nicht mehr zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit zugelassen (nur noch Off-Label-Use)
  • Wirkmechanismus22
    • Hemmung der Acetaldehyd-Dehydrogenase (ALDH)
      • Physiologisch wird Äthanol in Azetaldehyd und anschließend, katalysiert durch die ALDH, in Azetat umgewandelt.
      • Wird die ALDH durch Disulfiram blockiert, dann kommt es nach Alkoholkonsum zu einer Akkumulation von Azetaldehyd.
      • Die Azetaldehydkonzentration im Blut steigt an, es kommt zur Aktivierung von Mastzellen und Freisetzung von Histamin.
    • Minuten nach Alkoholkonsum kann zu einem Acetaldehydsyndrom kommen, mit:30
    • Das Prinzip der Disulfiramtherapie ist, dass die Aversion gegenüber den unangenehmen Effekten des Alkoholkonsums die Betroffenen zur Abstinenz motivieren soll.
  • Sicherheit
    • In seltenen Fällen sind schwere, potenziell lebensbedrohliche Reaktionen wie Herzinsuffizienz oder Herzinfarkt möglich.
    • Die Behandlung erfordert routinemäßige Kontrollen und Messungen der Leberfunktion.
    • Nicht bei bereits alkoholisierten Personen, Patient*innen mit psychischer Störung oder Herzinsuffizienz anwenden.
  • Dauer
    • ca. 0,5–1 Jahr, ggf. auch länger
  • Wirksamkeitsbelege
    • Die Wirksamkeit von Disulfiram ist durch randomisiert kontrollierte Studien belegt (Ib).5
  • Implantation?
    • Eine pharmakologische oder klinische Wirkung konnte für die implantierbaren Disulfirampräparate in kontrollierten Studien bisher nicht nachgewiesen werden.27,31

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – Medikamente zur Rückfallprophylaxe5

  • Im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes zur Postakutbehandlung der Alkoholabhängigkeit außerhalb der stationären Entwöhnung, zusätzlich zur psychosozialen Beratung und nach Berücksichtigung möglicher Risiken und entsprechender Aufklärung
    • sollte Acamprosat oder Naltrexon angeboten werden (Ia/B).
    • kann Disulfiram angeboten werden, wenn andere zugelassene Therapieformen nicht zum Erfolg geführt haben (Ib/C).
      • Disulfiram ist für diese Indikation in Deutschland nicht mehr zugelassen.
    • kann Nalmefen angeboten werden (Ib/C).

Langzeitpharmakotherapie – Trinkmengenreduktion

  • Eine medikamentöse Therapie sollten stets psychosoziale Interventionen begleiten (s. o.).
  • Trinkmengenreduktion bei nichtabstinenten Patient*innen
    • Eine Metaanalyse publizierter und nichtpublizierter Daten aus randomisiert kontrollierten Studien wurde im September 2017 publiziert. Sie kommt zu dem Schluss, dass es derzeit zu keiner der bei nichtabstinenten Patient*innen zur Trinkmengenreduktion eingesetzten medikamentösen Therapien Wirksamkeitsnachweise hoher Qualität gibt.32

Nalmefen

  • Nalmefen ist ein Opioidmodulator, der zur Unterstützung einer Trinkmengenreduktion bei Menschen mit Alkoholabhängigkeit zugelassen ist.
  • Wirksamkeitsbelege
    • In zwei randomisierten Doppelblindstudien ging in der Verumgruppe die Zahl schwerer Trinktage sowie die pro Trinktag konsumierte Menge stärker zurück als in der Placebo-Gruppe.5,33-34
    • Metaanalysen bestätigen eine Wirksamkeit von Nalmefen auf die Zahl schwerer Trinktage, allerdings bei niedriger Effektstärke.35-37
    • Der Gemeinsame Bundes­aus­schuss sieht für Nalmefen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie Naltrexon keinen Zusatznutzen.3,38
  • Anwendungsbeschränkungen3
    • Nur für Personen ohne bekannte körperliche Entzugserscheinungen geeignet, bei denen keine sofortige Entgiftung erforderlich ist.
    • nur in Kombination mit psychosozialer Unterstützung
    • Nur bei Patient*innen, deren Alkoholkonsum sich innerhalb von 14 Tagen nach der Erstuntersuchung weiterhin auf einem hohen Risikoniveau befindet.
    • Eine Verordnung von Nalmefen kann nur für 3, in begründeten Ausnahmefällen für maximal 6 Monate erfolgen.

Antikonvulsiva

  • Antikonvulsiva sind in Deutschland nicht zur Unterstützung der Trinkmengenreduktion bei Alkoholabhängigkeit zugelassen. Zur Anwendung in der Prophylaxe und Therapie von Entzugssymptomen (s. o.).
  • Topiramat
    • Es gibt Hinweise aus kontrollierten Studien, dass Topiramat den Alkoholkonsum senken kann.27,39-40
    • Das bedarf der Überprüfung in Studien höherer Qualität.32
  • Gabapentin
    • In einer Studie mit alkoholabhängigen Patient*innen, in der Placebo, Gabapentin 900 mg und Gabapentin 1.800 mg täglich miteinander verglichen wurden, konnten Abstinenzquoten von 4 %, 11 % und 17 % und ein Anteil von Patient*innen mit kontrolliertem Trinkverhalten von 22 %, 29 % und 45 % beobachtet werden, d. h. die besten Ergebnisse wurden mit der höchsten Dosis, die schlechtesten mit Placebo erreicht.41
    • Das bedarf der Überprüfung in weiteren Studien hoher Qualität.32

Therapie bei Kindern und Jugendlichen

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Eine Alkoholabhängigkeit entwickelt sich nach und nach.
  • Im Laufe der Zeit finden 25–30 % der alkoholabhängigen Patient*innen den Weg aus der Sucht.
  • 40–50 % der Betroffenen setzen ihren Alkoholkonsum in unveränderter oder verstärkter Form fort. Bei Frauen ist der Krankheitsverlauf etwas positiver als bei Männern.
  • Ein Großteil der Ehen, in denen eine Person alkoholabhängig ist, endet in der Scheidung.
    • Männer, deren Frauen alkoholkrank sind, lassen sich dabei häufiger scheiden als Frauen mit alkoholkranken Männern.
  • Bei alkoholabhängigen Personen ist das Risiko einer strafrechtlichen Verurteilung um das 5- bis 10-Fache höher als in der Allgemeinbevölkerung.
    • Gehäuft treten dabei auf: eigenverschuldete Unfälle und Gewaltdelikte.5

Alkoholfolgeerkrankungen

Psychische Komorbidität

Leitlinie: Alkoholbezogene und psychische Störungen5

  • Diagnostik
    • Der AUDIT (Alcohol Use Disorder Identification Test) soll zum Screening auf alkoholbezogene Störungen bei psychischen Störungen eingesetzt werden (Ib/A).
    • Die Diagnose komorbider psychischer Störungen (Depressionen) sollen bei Personen mit einer Alkoholabhängigkeit frühestens nach dem Abklingen von Intoxikations- oder Entzugssymptomen gestellt und auf ihre Behandlungsindikation überprüft werden (II/A).
      • Für die Behandlungsindikation kann die Unterscheidung zwischen unabhängiger und induzierter Depression hilfreich sein (II/A).
  • Therapie allgemein
    • Patient*innen mit komorbiden psychischen Erkrankungen und alkoholbezogenen Störungen sollte eine stationäre Behandlung für beide Störungsbilder angeboten werden.
    • Eine intensivere Intervention sollte bei Personen mit komorbiden psychischen Störungen vorgesehen werden, da die Betroffenen meist schwerer gesundheitlich betroffen sind und eine ungünstigere Prognose aufweisen als Personen mit einer einzelnen Erkrankung (I/B).
    • Bei Menschen mit Alkoholabhängigkeit und einer komorbiden psychischen Störung sollte die Behandlung für die beiden Störungen integriert in einem Setting und durch ein Therapeutenteam erfolgen.
      • Wenn das nicht möglich ist, sollte eine Koordination der Behandlung, z. B. durch Case Management, gewährleistet sein.
  • Depression
    • Kognitive Verhaltenstherapie und motivationale Gesprächsführung sollen als Behandlungsverfahren bei Personen mit komorbiden psychischen Störungen (Depressionen) zur Besserung des Trinkverhaltens und der depressiven Symptomatik angeboten werden (Ia/A).
      • Zu anderen Psychotherapieverfahren ist die Datenlage unklar.
    • Antidepressiva sollen bei Vorliegen einer mittelschweren bis schweren Depression und alkoholbezogenen Störungen zur Besserung der depressiven Symptomatik angeboten werden (Ia/A).
      • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) sollen bei Komorbidität nicht als alleinige Therapie zur Reduktion des Alkoholkonsums eingesetzt werden (Ia/A).
    • Die Kombination von kognitiver Verhaltenstherapie mit einem Antidepressivum sollte bei der Behandlung komorbider alkoholbezogenen Störungen und bei Vorliegen einer mittelschweren bis schweren Depression angeboten werden (Ib/B).
    • Bei unzureichender Wirkung einzelner Psycho- und Pharmakotherapieverfahren können kognitive Verhaltenstherapie, SSRI und Naltrexon kombiniert werden.
    • Qualitätsgesicherte digitale Interventionen können ergänzend im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes zur Behandlung der komorbiden Depression und der alkoholbezogenen Störung angeboten werden (Ia/B).
  • Schizophrenie
    • Bei Patient*innen mit Alkoholkonsumstörungen und Psychose soll eine leitliniengerechte psychotherapeutische und psychosoziale Behandlung für beide Störungen angeboten werden (Ia/A).
    • Motivationale Interventionen sollen allein oder in Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie angeboten werden (Ia/A).
    • Psychotherapie und psychosoziale Behandlung sollen mit einer leitliniengerechten Pharmakotherapie kombiniert werden.
  • Bipolare Störungen
    • Die kognitive Verhaltenstherapie kann als zusätzliches Verfahren zu phasenprophylaktischer Medikation zur Besserung von affektiven Symptomen und Trinkverhalten angeboten werden (IIb/B).
    • Eine zusätzliche Medikation mit Valproat (bei Lithiumtherapie) kann angeboten werden, um Abstinenzchancen zu bessern oder bei Nichterreichen das Konsumverhalten zu bessern (IIb/B).
  • Angststörungen
    • Zur Reduktion von Symptomen der Angststörung sollen die Betroffenen mit störungsspezifischer kognitiver Verhaltenstherapie behandelt werden (Ia/A).
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
    • Eine integrierte psychotherapeutische Behandlung sollte angeboten werden, die sowohl PTBS-, als auch alkoholbezogene Interventionen beinhaltet.
      • Zur Reduktion von PTBS-Symptomen soll mit PTBS-spezifischer kognitiver Verhaltenstherapie (KVT) behandelt werden (Ib/A).
      • Nicht-traumafokussierte integrative KVT-Programme zur Behandlung von PTBS und alkoholbezogenen Störungen sollen angeboten werden (Ib/A).
      • Traumafokussierte Interventionen sollen angeboten werden, wenn in Bezug auf fortgesetzten Alkoholkonsum eine ausreichende Verhaltenskontrolle besteht oder Abstinenz erreicht wurde (Ib/A).
  • Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS)
    • Bei erwachsenen Patient*innen mit alkoholbezogener Störung sollte ein Screening auf ADHS durchgeführt werden. Ein positives Screening-Ergebnis bedeutet nicht, dass eine ADHS-Diagnose vorliegt. Ein positives Screening-Ergebnis (oder ein klinischer Verdacht) bedürfen weiterer diagnostischerAbklärung (II/B).
    • Die Behandlung der ADHS soll zusätzlich zu einer psycho- und/oder pharmakotherapeutischen Behandlung der alkoholbezogenen Störung (sowie der ggf. weiteren psychischen Störungen) erfolgen.
    • Wenn die Entscheidung für eine medikamentöse Behandlung gefallen ist, sollen die Behandler*innen unter Beachtung der jeweiligen Kontraindikationen bei Patient*innen mit ADHS und alkoholbezogener Störung langwirksame Stimulanzien oder alternativ Atomoxetin oder Guanfacin wählen (Ia/A).
    • Aufgrund von möglichen Nebenwirkungen sollen kardiale Vorerkrankungen sowie familiäre Belastungen für kardiovaskuläre Erkrankungen beachtet werden.
  • Nikotinabhängigkeit
    • Eine Beratung und Unterstützung zum Rauchstopp soll angeboten werden.
      • Dazu sollen die gleichen therapeutischen Interventionen angeboten werden wie Rauchern ohne alkoholbezogene Störungen (Ib/A).
      • Der Behandlungszeitpunkt sollte unter Berücksichtigung des Verlaufs der Alkoholentwöhnung individuell mit den Betroffenen abgestimmt werden (Ib/B).

Probleme für die Familie und das soziale Umfeld

  • „Die Leber erträgt oft mehr Alkohol als die Familie.“
  • Bei Kindern alkoholkranker Personen treten gehäuft psychische Erkrankungen und eigene Suchtprobleme auf.
  • Häufig kommt es zu Brüchen in den Beziehungen zu Familie und Freund*innen.
  • Typisch sind auch Konflikte am Arbeitsplatz, Verlust der Anstellung und Verschlechterung der finanziellen Situation.

Alkoholkonsum während der Schwangerschaft5,43

  • Fetales Alkoholsyndrom (FAS)
    • Ein FAS kann sich bei einem täglichen Konsum von 70 g Alkohol oder mehr entwickeln.
    • Fetale Alkoholeffekte (FAE) sind bereits bei deutlich geringeren Mengen möglich.
      • Standardmäßig wird der vollständige Verzicht auf Alkohol empfohlen.
      • Eine Information, die oft Wirkung zeigt: Der Alkoholspiegel steigt beim Kind genauso hoch wie bei der Mutter, beim Kind bleibt er aber viel länger aufrechterhalten.
    • FAE (fetale Alkoholeffekte)
      • Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ist die häufigste Ursache mittelgradiger geistiger Entwicklungsverzögerungen.
      • Er erhöht das Risiko von Komplikationen bei der Geburt.
      • Er führt zu einem erhöhten Risiko einer Frühgeburt und einer erhöhten Säuglingssterblichkeit.
    • FAS (fetales Alkoholsyndrom) – Merkmale sind:
      • angeborene Hirnanomalien
      • Gaumenspalte
      • Nierenfehlbildungen
      • Mikrozephalie
      • veränderte Gesichtsform (glatt und langes Philtrum, dünne Oberlippe, kurze Nase, flaches Mittelgesicht, kleine Augen)
      • Tendenz zu kognitiver Entwicklungsretardierung
      • Bei Kindern alkoholkranker Mütter treten in den ersten Wochen bis Monaten nach der Geburt Entzugssymptome auf.
  • Beratung und Behandlung der Schwangeren
    • Alle Schwangeren sollen dahingehend beraten werden, dass jeglicher Alkoholkonsum in der gesamten Schwangerschaft und Stillzeit schädlich für das Ungeborene ist (IIa/A).5
    • Schadensminimierung, ggf. Hausbesuche über einen längeren Zeitraum (Sozialarbeit, Hebamme)
    • qualifizierte Entzugsbehandlung oder ggf. psychotherapeutische Kurzintervention
    • ggf. Gabe von Cholin (Vitamin B4) zur Prophylaxe fetaler neurologischer Schäden
    • bei fehlender Entzugsbereitschaft: In Einzelfällen nach sorgfältiger Risikoabwägung ggf. Behandlung mit Acamprosat
      • regelmäßige Kontrolle der Leber- und Nieren-Funktionswerte

Prognose

  • Patient*innen mit alkoholbezogenen Störungen
    • 25–30 % finden einen Weg aus der Alkoholsucht.
    • Bei 30 % tritt eine Besserung ein.
    • 40–50 % trinken unverändert weiter.

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßige Kontrollen mit den Schwerpunkten Aufklärung, Motivation und psychosoziale Unterstützung
  • Plan für den Umgang mit Rückfällen; nur wenige schaffen es, ihre Trinkgewohnheiten bereits beim ersten Versuch anhaltend zu verändern.

Leitlinie: Alkoholbezogene Störungen – Ergebnisevaluation5

  • Für die Ergebnisevaluation bei der Behandlung von alkoholbezogenen Störungen sollen folgende Ergebnismaße berücksichtigt werden:
    • Konsumverhalten
    • Teilhabe (gesellschaftlich, beruflich)
    • Morbidität und Mortalität
    • Lebensqualität und -zufriedenheit.
  • Ergebnismaß am Therapieziel orientiert: Ist das Ziel der Behandlung von alkoholbezogenen Störungen
    • die Abstinenz, sollte als primäres Ergebnismaß die katamnestische Erfolgsquote hinsichtlich der Abstinenz herangezogen werden.
    • die Konsumreduktion, sollten als primäre Ergebnismaße Trinktage und Trinkmenge herangezogen werden.
  • Evaluationszeitraum
    • Es sollte regelhaft ein Zeitraum von 1 Jahr nach Beendigung der Behandlung berücksichtigt werden.

Patienteninformationen

Empfehlungen für Partner*innen alkoholabhängiger Personen

  • Übernehmen Sie nicht die Verantwortung für das, was die alkoholabhängige Person tut. Dafür ist sie selbst verantwortlich.
  • Lassen Sie sich nicht körperlich oder psychisch misshandeln.
    • Teilen Sie es Ihrer Partnerin/Ihrem Partner mit, wenn Sie ihr/sein Verhalten inakzeptabel finden.
    • Bessert sich das Verhalten nicht und nimmt Ihre Partnerin/Ihr Partner auch keine Hilfe in Anspruch, sollten Sie eine Beendigung der Beziehung in Betracht ziehen.
  • Achten Sie darauf, dass Sie neben der alkoholabhängigen Person noch ein soziales Umfeld haben, das Sie stützt.
  • Achten Sie auf Ihre eigene geistige und körperliche Gesundheit.
  • Distanzieren Sie sich von dem irrationalen und verantwortungslosen Verhalten, das die alkoholabhängige Person häufig an den Tag legt.
  • Trinken Sie nicht gemeinsam mit der alkoholabhängigen Person. Es ist ein vollständiger Verzicht auf Alkohol erforderlich.
  • Versuchen Sie, auf Augenhöhe mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner zu sprechen, ohne zu verurteilen. Versuchen Sie, auf die Probleme und Gefühle einzugehen und sie/ihn zu einer Therapie zu motivieren.
  • Versuchen Sie, keine Gefühle von Bitterkeit und Hass aufkeimen zu lassen. Es hilft nicht, den Alkohol zu verstecken oder wegzuschütten.

Patienteninformationen in Deximed

Beratung und Selbsthilfegruppen

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Alkoholdelir und Verwirrtheitszustände. AWMF-Leitlinie Nr. 030-006. S1, Stand 2020. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Neuropädiatrie. Fetale Alkoholspektrumstörungen, FASD - Diagnostik. AWMF-Leitlinie Nr. 022-025. S3, Stand 2016 (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

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  5. Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001, S3, Stand 2021. www.awmf.org
  6. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2018. F10.2 Alkoholabhängigkeitssyndrom. Stand 22.09.2017; letzter Zugriff 27.11.2017. www.dimdi.de
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Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL,https://legehandboka.no/).
F10; F100; F101; F102; F103; F104; F105; F106; F107; F108; F109
Alkoholisme; Alkoholmisbruk; disulfiram; alkoholavhengighet
P15; P16
Alkoholismus; Alkoholabhängigkeit; Abhängigkeitssyndrom; Alkoholkonsumstörung; Alkoholsucht; Trinksucht; Dipsomanie; Alkoholentzug; Alkoholentzugssyndrom; Entgiftung; Qualifizierte Entzugsbehandlung; kontrolliertes Trinken; reduziertes Trinken; Trinkmengenreduktion; Disulfiram; Nalmefen
Alkoholabhängigkeit (Alkoholismus)
U-NH 17.11.17 Hinweis auf Fahreignung TH 6.3.18
BBB MK 02.03.2021 umfassend revidiert, neue LL, DEGAM-Sondervoten ungültig. chck go 1.6.16 DDD MK 11.12.1017, komplett überarbeitet
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Definition:Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Alkoholgebrauch entwickeln. Typischerweise bestehen ein starker Wunsch, Alkohol zu trinken, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren und anhaltender Alkoholkonsum trotz schädlicher Folgen.
Suchtmedizin
Alkoholabhängigkeit
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