Somatoforme Körperbeschwerden

Zusammenfassung

  • Definition:Wiederholtes und anhaltendes Leiden an körperlichen Symptomen trotz wiederholt negativer Befunde und Versicherung der Ärzt*innen, dass die Symptome keine somatische Ursache haben.
  • Häufigkeit:Ca. 20 % der Menschen, die ärztlichen Rat suchen, leiden unter nichtspezifischen somatoformen Körperbeschwerden. Häufiger betroffen sind Frauen, Menschen aus einkommensschwächeren Schichten und mit Migrationshintergrund, unabhängig vom Alter. Der Leidensdruck führt zu überdurchschnittlich häufigen Arztkontakten.
  • Symptome:Die Aufmerksamkeit der Patient*innen ist oft nur auf 1 oder 2 Organe oder Organsysteme fokussiert. Die Symptomatik ist oft vielgestaltig.
  • Befunde:Unauffällige somatische Befunde. Häufig psychische Begleitsymptome wie Angst, Depressivität oder Schlafstörungen.
  • Diagnostik:Somatische und psychosoziale Diagnostik sollten parallel laufen.
  • Therapie:Je nach Schwere des Verlaufs stehen unterschiedliche Therapiemodelle zur Verfügung. Wichtig ist, dass sich die Patienten auch ohne somatische Erklärungen ernst genommen fühlen. Eine vertrauensvolle, kooperative Patient-Arzt-Beziehung ist wesentlich.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Somatoforme Beschwerden kommen in fast allen medizinischen Bereichen vor. Man spricht auch von funktionellen oder nichtspezifischen Körperbeschwerden.
    • Der Begriff „funktionelle Körperbeschwerden“ wird von Betroffenen bevorzugt und wurde daher bei der Neufassung der entsprechenden Leitlinien1 in 2018 als Titel gewählt.
  • Nach ICD-10 sind sie gekennzeichnet durch Beschwerden, für die keine ausreichende körperliche Ursache gefunden werden kann. Diese ICD-10-Kennzeichnung legt Hausärzt*innen leider nahe, den Weg einer ausufernden Ausschlussdiagnostik zu beschreiten.

Klinisches Bild

  • Die häufigsten Formen körperlich nicht hinreichend zu erklärender Beschwerden sind:1

Schweregrad

  • Der Schweregrad variiert von leichten Fällen, die schwer von der Normalität abzugrenzen sind, bis zu schweren invalidisierenden Krankheitszuständen.

Häufigkeit

  • Ein signifikanter Anteil (20 %) der Patient*innen, die hausärztlichen Rat suchen, haben Körperbeschwerden, die sich nicht durch somatische Befunde erklären lassen.1
  • Frauen sind 2- bis 3-mal häufiger betroffen als Männer.
  • Menschen aus einkommensschwächeren Schichten und mit Migrationshintergrund sind häufiger betroffen.
  • Somatoforme Störungen treten in allen Altersgruppen etwa gleich häufig auf.
  • Mit welchen Symptomen sich viele Betroffene in ärztliche Behandlung begeben und mit welchen Untersuchungen darauf reagiert wird, hängt u. a. von kulturellen und sozialen Faktoren ab.
  • Die Patient*innen werden häufig und wiederholt unnötigen diagnostischen und unwirksamen therapeutischen Maßnahmen ausgesetzt, was zu Enttäuschungen und häufigen Arztwechseln führt.
  • Die Patient*innen führen oft langwierige Eigenbehandlungen durch, und viele wenden sich an mehrere Gruppen von Behandelnden, z. B. Hausärzt*innen, ärztliche Spezialist*innen und Heilpraktiker*innen.
  • Es besteht häufig, aber nicht immer, psychische Komorbidität (z. B. Depression, Persönlichkeitsstörungen, posttraumatische Erschöpfungsstörung).1

Ätiologie und Pathogenese

  • Es gibt kein einheitliches Erklärungsmodell für somatoforme Störungen.
  • Individuelle Faktoren sind wichtig: genetische und epigenetische Faktoren, Persönlichkeitsstruktur, psychosoziale Belastungen, Traumata, Körperbewusstsein und daraus resultierende somatische Symptome und Erkrankungen.2
  • Die Symptome werden auch durch soziokulturelle Faktoren beeinflusst, z. B.:
    • Verbreitung bestimmter somatischer oder umweltbezogener Erklärungsmodelle und Krankheitsängste über Arbeitskollegen, Medien etc.
    • Die gesellschaftliche Bewertung unklarer Beschwerden als illegitim, was die Betroffenen eher zur Betonung als zur Aufgabe der Beschwerden antreibt.
    • Kulturelle (von Behandler*innen und Betroffenen gleichermaßen geteilte) Deutung von Beschwerden als „somatisch“ bzw. „behandlungsbedürftig“ (z. B. unspezifischer Rückenschmerz in Deutschland, Erschöpfungssyndrom in Großbritannien).
  • Von einem psychobiologischen Modell aus spricht man von 2 Schlüsselprozessen:
    1. Erhöhung der sensorischen Aktivität, auch mit biologischer Ursache (chronische Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse und neuronaler Zelluntergang als Folge)
    2. Fehlfunktionen im System zur Signalfilterung, sodass die normale Hemmung von afferenten Nervenimpulsen herabgesetzt ist, was zu einer erhöhten Reizempfindlichkeit führt (Gate-control-Theorie, Hyperalgesie-Konzept).
  • In der Herkunftsfamilie erlernte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster spielen eine Rolle (verhaltenspsychologisches Konzept).3
  • Frühkindliche Stresserlebnisse, unsichere Bindungserfahrungen und lebensgeschichtlich begründete, unbewusste Konflikte, die sich daraus ableiten, sowie Ich-strukturelle Defizite können den genannten Schlüsselprozessen zugrunde liegen.4-6
  • Eine familiäre Häufung dieser Erkrankungen scheint vorzuliegen.7
  • Psychosozialer Stress, insbesondere Trennungen und Verluste, scheint oft die Grundlage für den Beginn der Störung darzustellen.

Komorbidität

Prädisponierende Faktoren

  • Adoptionsstudien weisen auf eine gewisse biologische Disposition hin.
  • Traumatische Erlebnisse während Kindheit und Jugend (Verlust der Eltern, mangelnde Fürsorge, Inzest, Misshandlung) erhöhen das Erkrankungsrisiko.
  • Kränkende psychosoziale Erlebnisse
  • Die subjektive Erfahrung von Stress, der Grad der Kontrolle über die Ereignisse und die Möglichkeiten für langfristige negative Folgen beeinflussen die psychophysiologischen Reaktionen.
  • Unzureichende Fähigkeiten, sich an Veränderungen anzupassen oder sie zu bewältigen, Beziehungen zu gestalten, Emotionen zu kontrollieren und sich selbst wahrzunehmen, scheinen ebenfalls prädisponierend zu wirken (z. B. Persönlichkeitsstörungen, kognitive Fähigkeiten).
  • Siehe auch Schutz- und Risikofaktoren im Abschnitt Verlauf, Komplikationen, Prognose.

ICPC-2

  • P75 Somatisierungsstörung

ICD-10

  • F45.- Somatoforme Störungen
    • F45.0 Somatisierungsstörung
    • F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung
    • F45.2 Hypochondrische Störung
    • F45.3- Somatoforme autonome Funktionsstörung
      • F45.30 Herz und Kreislaufsystem
      • F45.31 Oberes Verdauungssystem
      • F45.32 Unteres Verdauungssystem
      • F45.33 Atmungssystem
      • F45.34 Urogenitalsystem
      • F45.37 Mehrere Organe und Systeme
      • F45.38 Sonstige Organe und Systeme
      • F45.39 Nicht näher bezeichnetes Organ oder System
    • F45.4 Anhaltende Schmerzstörung
      • F45.40 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
      • F45.41 Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
    • F45.8 Sonstige somatoforme Störungen
    • F45.9 Somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostisches Vorgehen

  • Die Herausforderung besteht darin, funktionelle Körperbeschwerden frühzeitig als solche zu erkennen und die Patient*innen vor zu vielen unnötigen Untersuchungen und vor Chronifizierung zu bewahren, da sie dazu neigen, ihren Ärzt*innen die negativen Befunde nicht zu glauben und weitere Ärzt*innen aufzusuchen (Doktor-Hopping).7

Leitlinie: Funktionelle Körperbeschwerden – Diagnostik und Aufklärung1

Initiale Grundversorgung

  1. Bemerken und erkennen.
    • Funktionelle Körperbeschwerden sind häufig und vielgestaltig. Erwägen Sie daher frühzeitig die Möglichkeit, dass die von den Patient*innen vorgetragenen Beschwerden funktioneller Natur sind.
    • Dies lohnt sich, weil Sie mit Wachsamkeit, Zurückhaltung und Empathie den Verlauf möglicher funktioneller Körperbeschwerden positiv beeinflussen können.
  2. Sorgfältig befragen und untersuchen.
    • Fragen Sie die Patient*innen nach ihren Hauptbeschwerden, aber auch nach weiteren Beschwerden und Problemen.
    • Fragen Sie danach, wie es den Patient*innen mit ihren Beschwerden geht, wie sich die Beschwerden auswirken (in der Lebensführung, im sozialen und beruflichen Umfeld), und wie sie damit umgehen.
      • Verschaffen Sie sich dadurch einen Eindruck, mit welchen Beeinträchtigungen die Beschwerden im Alltag verbunden sind und welche Konflikte damit verbunden sind.
    • Führen Sie nach Ankündigung eine sorgfältige, allgemeine körperliche Untersuchung durch, um ggf. Hinweise auf weitere Beschwerden, Befunde und Einschränkungen zu erfassen. Allein die körperliche Untersuchung kann Respekt und Sicherheit vermitteln.
    • Achten Sie sowohl im Gespräch als auch während der körperlichen Untersuchung auf das Verhalten der Betroffenen (z. B. ängstliche Vermeidung von Bewegungen, dramatisierender Beschwerdeausdruck).
    • Führen Sie, nach Besprechung der (Vor-)Befunde mit den Patient*innen, weitere Diagnostik nach Schweregraden gestuft, systematisch, aber zurückhaltend durch.
    • Achten Sie auf der Basis aller erhobenen Informationen und Befunde auf evtl. vorliegende Hinweise für abwendbar gefährliche Verläufe oder auf Risikofaktoren für einen chronischen Verlauf (siehe Leitlinie Schutz- und Risikofaktoren).
  3. Beruhigen.
    • Falls Sie aus Anamnese und Untersuchungsbefund keine Hinweise für abwendbar gefährliche Verläufe bekannter körperlicher oder psychischer Erkrankungen gefunden haben, teilen Sie dies den Patient*innen mit, um sie zu beruhigen.
    • Vermitteln Sie den Menschen dabei das Gefühl von Ernstgenommen-Werden, Sorgfalt und Sicherheit.
    • Vermitteln Sie insbesondere die Glaubwürdigkeit der Beschwerden, ohne dabei notwendigerweise bereits auf eine Diagnose zurückzugreifen, aber auch ohne die Beschwerden zu verharmlosen oder zu negieren.
  4. Beraten.
    • Erfragen Sie/erinnern Sie die Patient*innen an allgemeine Maßnahmen, die geeignet sind, die Symptome günstig zu beeinflussen (im Sinne eines gesunden, körperlich aktiven Lebensstils).
    • Raten Sie den Betroffenen zunächst zu solchen gesundheitsfördernden Maßnahmen, mit denen diese ggf. früher in vergleichbaren Situationen positive Erfahrungen gemacht haben („Patientenpräferenzen“).
  5. Abwartendes Offenhalten (Watchful Waiting)
    • Bieten Sie den Patient*innen bei Bedarf einen beschwerdeunabhängigen Wiedervorstellungstermin in 2–4 Wochen an.
    • Betonen Sie dabei ausdrücklich, dass sich die Beschwerden wahrscheinlich bessern und auch kein Grund zur Sorge besteht, falls sie persistieren.

Erweiterte Grundversorgung I (siehe Leitlinie)

  1. Entschleunigen und Behandlungssetting anpassen.
    • Überprüfen Sie Ihre Praxisorganisation und Abrechnung auf Möglichkeiten, sich und den Patient*innen mehr Zeit zu widmen, z. B. Zeit zum Nachdenken, alte Befunde anzusehen, mit Vor- oder Mitbehandler*innen zu sprechen, evtl. einen Hausbesuch oder eine Fremdanamnese zu machen.
    • Etablieren Sie ein klares Setting mit festen, regelmäßigen, beschwerdeunabhängigen Terminen in ruhiger Atmosphäre.
    • Nutzen Sie die Möglichkeiten der „Psychosomatischen Grundversorgung“ und anderer spezieller fachlicher Schulungen, z. B. Kommunikationstrainings, hausarztorientierte Kurzinterventionen.
    • Entwickeln Sie zusammen mit Ihren medizinischen Fachangestellten und in Ihrem gesamten Team einen bewussten Umgang mit diesen Patient*innen (z. B. klares Terminmanagement, interne Kommunikation, um eine einheitliche Behandlungslinie zu gewährleisten; ermöglichen Sie ggf. spezielle Fortbildungen.
  2. Aufmerksam zuhören und nachfragen.
    • Betrachten Sie die ersten Gesprächsphasen als „Bühne der Patient*innen“: Unterbrechen Sie nicht zu früh, stellen Sie zunächst offene, neutrale Fragen (z. B. „Wie fühlen Sie sich [mit Ihren Beschwerden]? Wie kommen Sie damit zurecht?“); hören Sie vor allem aufmerksam und ggf. aktiv zu. Versäumen Sie nie, den Patient*innen zu fragen, welche Vorstellungen sie über die Ursache ihrer Beschwerden haben.
    • Achten Sie bei der Beschwerdepräsentation auch auf Stimmung, Körpersprache, Zwischentöne, Betontes, Verharmlostes, Ursachenannahmen sowie auf weitere Beschwerden und Belastungen, auch wenn sich diese außerhalb Ihres Fachgebiets befinden. Nutzen Sie dazu auch die Zeit während körperlicher Untersuchungen (Auskultation, Palpation, Ultraschall etc.).
    • Beobachten Sie auch Ihr eigenes Empfinden, Verhalten sowie Ihre Beweggründe in der Arzt-Patient-Interaktion (z. B. Hilflosigkeit, Ärger, übereifriges Anordnen, wiederholte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen).
    • Zeigen Sie, dass Sie den Leidensdruck der Betroffenen bemerken und die Beschwerden ernst nehmen, z. B. durch eine empathische Mimik und Gestik. Ergänzen Sie danach (auch bereits im Hinblick auf mögliche therapeutische Anknüpfungspunkte) Ihre Anamnese durch gezieltes Nachfragen:
      • zu der/den Hauptbeschwerde(n), körperlichen und psychischen Komorbiditäten und Differenzialdiagnosen, zu subjektivem Erklärungsmodell und Bedeutungszuschreibungen (z. B. „Was denken Sie, woher die Beschwerden kommen?“)
      • zu früheren und weiteren Beschwerden, Begleiterkrankungen und Behandlungen
      • zu problematischen Denk- und Verhaltensweisen (z. B. unangemessene Krankheitsbefürchtungen oder körperliche Schonung), aber auch zu Ressourcen
      • zum psychosozialen Beschwerdekontext einschließlich besonderer psychosozialer Herausforderungen und Belastungen (z. B. Kommunikationsprobleme, Einsamkeit/Fremdheit, Traumata). Nutzen Sie dazu die Gesprächstechnik des zirkulären Fragens: „Was würde Ihre Mutter, Ihr Vater, Partner*in dazu sagen, woher Ihre Beschwerden kommen?“
    • Machen Sie sich (und ggf. Ihrem Team) individuelle Besonderheiten und Therapiebedürfnisse aufgrund von Persönlichkeit, Geschlecht, Alter oder Herkunft/Kultur der Patient*innen bewusst.
    • Nutzen Sie auch kürzere Gesprächszeiten effizient, indem Sie bewährte Gesprächstechniken einsetzen. Bringen Sie z. B. psychosoziale Kontextfaktoren beiläufig und einfühlsam ins Gespräch, und kommen Sie immer wieder auf die Körperbeschwerden zurück („tangentiale Gesprächsführung“).
  3. Wohlüberlegt untersuchen und anordnen.
    • Gehen Sie bei der weiteren apparativen und laborchemischen Diagnostik systematisch (im Hinblick auf Indikation, Nutzen und Risiken wohlüberlegt und gezielt), gestuft und nicht redundant vor.
      • Ziel ist nicht, für alle Beschwerden eindeutige Ursachen zu benennen (das kann auch die moderne somatische Medizin nicht immer), sondern abwendbar gefährliche Verläufe (z. B. Karzinom, Suizidalität) auszuschließen und Handlungsbedarf zu erkennen.
    • Wiederholen Sie klinisch-körperliche Untersuchungen ggf. in regelmäßigen Abständen, auch um Warnzeichen für körperliche Erkrankungen oder evtl. Folgeschäden vorausgegangener Passivierung oder Fehlbehandlungen zu erkennen.
    • Vermeiden Sie wiederholte, vor allem invasive technische Zusatzuntersuchungen, wenn sie hauptsächlich dazu dienen sollen, die Patienten oder auch Sie selbst zu beruhigen.
  4. Untersuchungen besprechen.
    • Kündigen Sie ggf. notwendige Untersuchungen beruhigend an.
      • Verweisen Sie, wenn angebracht, schon im Vorfeld auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines altersentsprechenden Normalbefundes.
    • Erklären Sie ggf., warum bestimmte Untersuchungen NICHT notwendig sind.
    • Ordnen Sie (auch von auswärts mitgebrachte) frühere Befunde, Zufalls- oder Bagatellbefunde ohne weitere diagnostische oder therapeutische Bedeutung normalisierend ein.
    • Bei mehreren Untersuchungen, die sich über längere Zeit erstrecken, können zwischenzeitliche „Bilanzierungsgespräche“ sinnvoll sein, die die bisherigen Untersuchungen zusammenfassen und bewerten.
    • Besprechen Sie erhaltene Befunde (Laborwerte, Röntgenbilder etc.) in laiengerechter Sprache. Nutzen Sie sowohl bei der Ankündigung als auch bei der Besprechung von Untersuchungen geeignetes Informationsmaterial, mit dem z. B. ein EKG oder eine Endoskopie in Bildern, in einfacher Sprache, ggf. auch in einer Fremdsprache erklärt werden.
    • Verwenden Sie Formulierungen, die die Patient*innen beruhigen, informieren und motivieren, anstatt zu riskieren, sie zu verwirren und zu ängstigen. Vermeiden Sie, Minimal-Befunde als klärend zu bewerten. Vermeiden Sie katastrophierende Äußerungen wie: „Ihre Wirbelsäule ist ein einziges Trümmerfeld.“
      • Stellen Sie durch Rückfragen sicher, dass die Informationen korrekt verstanden wurden.
  5. Krankheitswert und diagnostische Zuordnung(en) klären.
    • Dokumentieren Sie – auch zur Verlaufsbeobachtung für sich selbst und andere Behandler – wichtige Befunde für ein möglichst klares Bild relevanter Problembereiche einschließlich psychosozialer Kontextfaktoren.
    • Achten Sie dabei insbesondere auf (neue) Hinweise für abwendbar gefährliche Verläufe oder ein Chronifizierungsrisiko und leiten Sie daraus evtl. Handlungsbedarf ab.
    • Achten Sie auch auf günstige Prognosefaktoren und leiten Sie daraus geeignete therapeutische Anknüpfungspunkte ab. Stellen Sie ressourcenorientierte Fragen: Was haben die Betroffenen bereits gut bewältigt?
    • Prüfen Sie Ihr eigenes Erklärungsmodell für die Beschwerden, z. B. in Form einer Verdachtsdiagnose.
    • Beobachten Sie, wo Sie selbst noch diagnostische Bedenken oder Ängste haben, und wie begründet diese sind.
      • Denken Sie dabei an die hohe Wahrscheinlichkeit funktioneller Beschwerden und an die Möglichkeit des abwartenden Offenhaltens, ohne dass sofort Gefahr droht.
    • Prüfen Sie, inwiefern die Kriterien einer spezifischen funktionellen oder somatoformen Störung erfüllt sind, Krankheitswert und Handlungsbedarf bestehen.
    • Achten Sie dabei auf mögliche körperliche und psychische Komorbiditäten und vergeben Sie ggf. mehrere Diagnosen.
    • Falls keine eindeutige Diagnose besteht, wählen Sie Symptom- oder Inanspruchnahme-Verschlüsselungen (z. B. Kopfschmerzen, Übelkeit, psychosoziale Umstände) anstatt Verlegenheitsdiagnosen.

Diagnostische Kriterien nach ICD-10

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.8

Somatoforme Störungen (F45.-)

  • Gekennzeichnet durch wiederholtes Aufweisen von somatischen Symptomen ohne nachweisbare somatischen Grundlage
  • Vor allem bei Hypochondrie bitten die Patient*innen häufig, dass eine ärztliche Untersuchung erfolgt, trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherungen der Ärzt*innen, dass die Symptome keine somatische Grundlage haben.
  • Ggf. vorliegende somatische Befunde und Erkrankungen erklären die Art oder das Ausmaß der Symptome nicht ausreichend; das Leiden und die innerliche Beteiligung der Patienten stehen in keinem plausiblen Verhältnis zu den somatischen Befunden.

Somatisierungsstörung (F45.0)

  • Multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die wenigstens 2 Jahre bestehen.
  • Die meisten Patient*innen haben eine lange und komplizierte Patientenkarriere hinter sich, sowohl in der Primärversorgung als auch in spezialisierten medizinischen Einrichtungen, wo viele negative Untersuchungen und ergebnislose explorative Operationen durchgeführt sein können.
  • Die Symptome können sich auf jeden Körperteil oder jedes System des Körpers beziehen.
  • Der Verlauf der Störung ist chronisch und fluktuierend und häufig mit einer langdauernden Störung des sozialen, interpersonalen und familiären Verhaltens verbunden.

Undifferenzierte Somatisierungsstörung (F45.1)

  • Wenn die körperlichen Beschwerden zahlreich, unterschiedlich und hartnäckig sind, aber das vollständige und typische klinische Bild einer Somatisierungsstörung nicht erfüllt ist, ist die Diagnose undifferenzierte Somatisierungsstörung zu erwägen.

Hypochondrische Störung (F45.2)

  • Gekennzeichnet durch anhaltende Beschäftigung und Ängste, eine oder mehrere schwere und fortschreitende körperliche Krankheiten zu haben.
  • Die Patient*innen klagen anhaltend über körperliche Beschwerden, bei denen „normale“ Befindlichkeiten als Ausdruck einer (schweren) Krankheit wahrgenommen werden.
  • Die Aufmerksamkeit ist oft nur auf 1 oder 2 Organe oder Organsystem fokussiert.
  • Häufig begleitet von Depression und Angst
  • Dazu zählen u. a. auch:
    • Dysmorphophobie (nicht wahnhaft)
    • körperdysmorphophobe Störung.
  • Ältere, weniger gebräuchliche Bezeichnungen:
    • Hypochondrie
    • hypochondrische Neurose
    • Nosophobie.

Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3-)

  • Die Symptome werden von den Patient*innen so geschildert, als beruhten sie auf der körperlichen Krankheit eines Systems oder eines Organs, das weitgehend oder vollständig vegetativ innerviert und kontrolliert wird.
  • Es finden sich meist 2 Symptomgruppen, die beide nicht auf eine körperliche Krankheit des betreffenden Organs oder Systems hinweisen.
    • Die erste Gruppe umfasst Beschwerden, die auf objektivierbaren Symptomen der vegetativen Stimulation beruhen wie Herzklopfen, Schwitzen, Erröten, Zittern.
      • Sie sind Ausdruck der Furcht vor und Beeinträchtigung durch eine(r) somatische(n) Störung.
    • Die zweite Gruppe beinhaltet subjektive Beschwerden unspezifischer und wechselnder Natur, wie flüchtige Schmerzen, Brennen, Schwere, Enge und Gefühle, aufgebläht oder auseinander gezogen zu werden, die von den Patienten einem spezifischen Organ oder System zugeordnet werden.
  • Dazu zählen u. a. auch:
  • Subklassifizierung nach Organsystem
    • F45.30 Herz und Kreislaufsystem
    • F45.31 Oberes Verdauungssystem
    • F45.32 Unteres Verdauungssystem
    • F45.33 Atmungssystem
    • F45.34 Urogenitalsystem
    • F45.37 Mehrere Organe und Systeme
    • F45.38 Sonstige Organe und Systeme
    • F45.39 Nicht näher bezeichnetes Organ oder System

Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.40)

  • Gekennzeichnet durch anhaltende, starke Schmerzen, die in keiner angemessenen Weise durch einen physiologischen oder pathologischen Prozess erklärt werden können.
  • Beginnen in Zusammenhang mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen, denen die Hauptrolle für Beginn, Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen zukommt.
  • Die Folge ist meist eine beträchtlich gesteigerte persönliche oder medizinische Hilfe und Unterstützung.
  • Weitere Bezeichnung: Psychalgie
  • Dazu zählen u. a. auch psychogene Kopf- oder Rückenschmerzen

Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41)

  • Im Vordergrund des klinischen Bildes stehen seit mindestens 6 Monaten bestehende Schmerzen
    • in einer oder mehreren anatomischen Regionen.
    • die ihren Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben.
  • Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn.
  • Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
  • Der Schmerz wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht (wie bei der vorgetäuschten Störung oder Simulation).

Sonstige somatoforme Störungen (F45.8)

  • Alle anderen Störungen der Wahrnehmung, der Körperfunktion und des Krankheitsverhaltens, die nicht durch das vegetative Nervensystem vermittelt werden, die auf spezifische Teile oder Systeme des Körpers begrenzt sind und mit belastenden Ereignissen oder Problemen eng in Verbindung stehen.
  • Dazu zählen psychogene Formen von:

Differenzialdiagnosen

  • Somatische Krankheiten
  • Erkrankungen, bei denen sowohl organische Ursachen vorliegen als auch psychosoziale Faktoren den Verlauf der Krankheit beeinflussen.
  • Dissoziative Syndrome mit Störungen des Gedächtnisses, der Sensorik oder Motorik
  • Depressive Störungen
  • Angststörungen
  • Postttraumatische Belastungsstörung
  • Suchterkrankungen
  • Simulation (das Motiv ist bewusst), Münchhausen-Syndrom oder Artefakte
  • Aggravation
  • Schizophrenie
    • gelegentlich somatische Wahnsymptome und Halluzinationen
    • Meist im Kontext bizarrer Wahnvorstellungen, z. B. „Außerirdische haben einen Sender unter die Haut verpflanzt und an dieser Stelle schmerzt es nun.“
    • Diffuse somatische Beschwerden sind manchmal Erstsymptome der Schizophrenie.

Anamnese

  • Sollte gründlich genug sein, um den psychosozialen Kontext zu erfassen und somatische oder andere psychische Störungen abzugrenzen. Findet die Erfragung des psychosozialen Kontexts erst nach einer apparativen Ausschlussdiagnostik statt, wird die Patient-Arzt-Beziehung belastet und die Psychoedukation erschwert.
    • Hilfreich sind Fragen wie: „Was sagen Ihre Angehörigen oder Ihre Arbeitskolleg*innen zu Ihren Beschwerden?“
  • Eine biografische Anamnese, die Early-Life-Distress berücksichtigt und das, was die Patient*innen in ihrem Leben bereits gemeistert haben, kann bereits beim Erstkontakt oder bei den folgenden Kontakten erhoben werden.
  • Eine gründliche Anamnese unterstützt die wichtige hausärztliche Aufgabe: frühzeitige Schweregradeinteilung vornehmen und Warnsignale schwerer Verläufe erkennen (siehe die Leitlinie Schutz- und Risikofaktoren).
  • Erfragen Sie die Patientenperspektive:
    • „Was ist Ihre Auffassung, woher die Beschwerden kommen?“
  • Lebensereignisse zur Zeit vor und während des Beginns der Beschwerden sollten erfasst werden:
    • „Seit wann haben Sie die Beschwerden?“
  • Die Aufmerksamkeit der Patient*innen kann sich auf ein Organsystem oder auf mehrere fokussieren.
  • Verschaffen Sie sich einen Überblick über die  gesamten Symptome und die Symptomentwicklung Ihrer Patient*innen („Haben Sie noch weitere Beschwerden?“), um eine korrekte Diagnose zu gewährleisten und Vertrauen bei den Betroffenen aufzubauen.
  • Stellen Sie fest, inwieweit die Patient*innen in ihrem Alltagsleben durch die Symptome beeinträchtigt werden.
  • Aktive Befragungen zu Angstzuständen, Depressionen oder Symptomen eines psychischen Traumas
  • Erfragen Sie, welche Diagnostik und Therapie bereits erfolgt ist, um unnötige Diagnostik und wiederholte oder nichtindizierte Behandlungsversuche zu vermeiden. Kontaktieren Sie die Vorbehandler bei Ihnen unbekannten Patient*innen, bevor Maßnahmen erfolgen.
  • Erheben Sie eine genaue Medikamentenanamnese; manche Patient*innen haben bereits Episoden des Medikamentenübergebrauchs (Analgetika, Psychopharmaka) erlebt.

Klinische Erscheinungsformen

Klinische Untersuchung

  • Entweder findet sich keine somatische Erklärung der Symptome, oder es treten Veränderungen auf, die nicht im Verhältnis zu den Beschwerden stehen, über die die Patienten klagen.
  • Eine gründliche Anamnese ist von entscheidender Bedeutung.
  • Dasselbe gilt für die gründliche körperliche Untersuchung, die Fürsorge und Sicherheit vermitteln kann.
  • Die Untersuchung dieser Patient*innen erfordert Einblick, Erfahrung und Geduld.
  • Mit immer neuen, apparativen Untersuchungen bestärken Sie die Patient*innen in dem Glauben, doch somatisch erkrankt zu sein. Wenn Sie apparative Diagnostik gemeinsam vereinbaren, benennen Sie bereits jetzt das voraussichtlich gute Ergebnis.
  • Stellen Sie dennoch, in vernünftigem Maß, sicher, dass Sie keine somatischen Erkrankungen übersehen.
    • Die Unterscheidung ist nicht einfach und erfordert einen kooperativen Dialog zwischen Patient*in und Ärzt*in, psychoedukative Kompetenz und gute fachliche Kenntnisse.
    • Insbesondere bei Symptomwechsel sollte das emotionale Erleben der Patient*innen, aktuelle und biografische Krisen sowie Umbrüche im sozialen Umfeld der Betroffenen angesprochen werden.
    • Die Wachsamkeit auf medizinische Differenzialdiagnosen, die eine erneute Diagnostik notwendig machen können, sollte erhalten bleiben.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Eine Untersuchung durch eine Fachärztin/einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist nach der somatischen Untersuchung angebracht, wenn die Patienten nach 3 Monaten keine Besserung zeigen.
  • Eine Überweisung zur ärztlichen oder psychologischen Psychotherapie kann erforderlich und hilfreich sein, um den Schweregrad einzuteilen und psychische Komorbidität zu klären.
  • Wiederholte Überweisungen zu somatischen Spezialist*innen können beitragen, die Symptome aufrechtzuerhalten und das Bedürfnis der Patient*innen nach einer rein somatische Erklärung zu verstärken.

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf Suizidalität und schweren Verläufen
  • Multimodales Setting notwendig, aber ambulant nicht verfügbar
  • Längerfristige Arbeitsunfähigkeit (> 4 Wochen)
  • Große Probleme im sozialen Umfeld
  • Hohe biografische Belastung
  • Ausbleibender Erfolg der ambulanten Behandlung nach 6 Monaten

Therapie

Therapieziele

  • Therapieziele sollen gemeinsam mit den Patienten vereinbart werden, damit sie sich ernst genommen fühlen.
  • Eine unerlässliche Voraussetzung dafür ist es, im Gespräch mit den Patient*innen ein Erklärungsmodell zu erarbeiten, das dieser akzeptieren kann.1
  • Erlernen von Techniken, die das Selbstmanagement und die Lebensqualität verbessern.9
  • Eine Therapie sollte dazu führen, dass die Betroffenen mit oder trotz der Beschwerden ein „gutes“ Leben führen können (Verbesserung der Lebensqualität).
  • Beschwerden lindern (nicht Beschwerdefreiheit ist das Ziel!).
  • Eine Chronifizierung sollte möglichst vermieden werden.

Allgemeines zur Therapie

Leitlinie: Erweiterte Grundversorgung II1

  1. Erklären und benennen.
    • Weisen Sie die Patient*innen darauf hin, dass Beschwerden auch ohne körperliche Erkrankungen häufig sind, sie also mit ihren Erfahrungen nicht allein sind.
    • Erklären Sie psychophysiologische Zusammenhänge, z. B. mithilfe von „Teufelskreismodellen“ („Je mehr Schmerzen, desto weniger Bewegung – je weniger Bewegung, desto mehr Schmerzen“), anatomischen Abbildungen und modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen („Früher erlebter Schmerz hinterlässt Spuren im Gehirn und macht Sie empfindlicher für heutigen Schmerz und Stress.“).
    • Erklären Sie die Beschwerden ggf. mit verständlichen Formulierungen als physiologischen Ausdruck (z. B. Zittern, Schwitzen, Herzklopfen) einer Belastungssituation (Anspannung, Stress, Angst, Reizzustand, „aus dem Gleichgewicht geraten").
    • Erarbeiten Sie gemeinsam mit den Patient*innen ganz persönliche, für sie gut nachvollziehbare, vorwurfsfreie, multifaktorielle Erklärungsmodelle („biopsychosozial", „Sowohl-als-auch"), die an die bisherigen Annahmen anknüpfen und gleichzeitig mögliche Lösungen aufzeigen, vor allem Veränderungsmöglichkeiten durch die Patient*innen selbst, z. B.:
      • Abbau von Vermeidungs-, Schon- oder Überforderungsverhalten
      • Lösung von Arbeitsplatzkonflikten.
    • Bewerten Sie belastende Kontextfaktoren ebenso wie körperliche Vorerkrankungen oder Befunde als „Bedingungen“, „Auslöser“, „Verstärker“ oder als „zusätzliche Baustellen“ – aber nicht als „Ursachen“.
      • Vermeiden Sie dabei monokausale, einseitig psychosoziale oder einseitig somatische Ursachenzuschreibungen.
    • Wenn Diagnosen (einschließlich Komorbiditäten) bestehen, erläutern Sie diese angemessen.
      • Nutzen Sie dabei auch Möglichkeiten zur psychischen Entlastung der Patient*innen durch die Mitteilung der Diagnose und sich daraus ergebender (Be-)Handlungsmöglichkeiten.
    • Grenzen Sie dabei funktionelle und somatoforme Diagnosen von bekannten oder von den Patient*innen befürchteten anderen Erkrankungen ab und sprechen Sie über:
      • deren beschreibenden Charakter
      • die normale Lebenserwartung
      • weitere, bewährte Informations-, Therapie- und Selbsthilfemöglichkeiten.
  2. An Erwartungen und Zielen arbeiten.
    • Vorbestehende Annahmen und Erwartungen von Patient*innen (teils auch von Angehörigen) bestimmen das Beschwerdeerleben, ihren Verlauf, das Krankheitsverhalten und den Therapieerfolg. Besprechen Sie deshalb bestehende Annahmen und Erwartungen, aber auch Zweifel und Widersprüche, und ermuntern Sie Patient*innen, sie zu überprüfen und neue Erfahrungen zu machen. Aktivieren Sie positive innere Bilder des Betroffenen: „Wo waren Sie schon einmal mutig? Was haben Sie früher gerne gemacht? Was spricht dagegen, jetzt schon Ihr Verhalten zu ändern? Was würden andere sagen, wenn Sie jetzt Ihr Verhalten änderten?“
    • Relativieren Sie unrealistische Erwartungen.
      • Erklären Sie, dass man auch mit Beschwerden ein gutes Leben haben kann.
      • Das Finden einer eindeutigen „Ursache“, ein schnelles „Wegmachen“ oder „Loswerden“ der Beschwerden oder andere Heilsversprechen sind nicht zielführend.
    • Erarbeiten Sie gemeinsam mehrere konkrete, möglichst kleinschrittige Zwischenziele im Hinblick auf:
      • mehr Selbstwirksamkeit
      • verbessertes Körpererleben
      • körperliche und soziale Aktivierung
      • Regeneration und Entspannung.
    • Erarbeiten Sie gemeinsam übergeordnete Werte, Motivationen und Therapieziele („Leuchtturm“, „Vision“), z. B. in Bezug auf:
      • eine Vergrößerung des Bewegungsradius
      • einen Lebenstraum
      • gesellschaftliches Engagement
      • den Erhalt der Partnerschaft oder der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.
    • Achten Sie dabei auf:
      • Patientenpräferenzen
      • mögliche widersprüchliche Ziele (z. B. zwischen Gesundungs- und Rentenwunsch)
      • innere Behandlungshindernisse (z. B. Ängste, Konfliktvermeidung)
      • äußere Behandlungshindernisse (z. B. Dagegenarbeiten der Partner*in, laufende Schmerzensgeldverhandlungen).
    • Begleiten und motivieren Sie Patient*innen bei der Umsetzung ihrer Ziele, loben Sie sie für schon erreichte Fortschritte.
    • Stimmen Sie Erwartungen an die Rollen von Ärzt*in und Patient*in in der weiteren Behandlung ab.
      • Angestrebt werden sollte eine partizipative Entscheidungsfindung mit einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit.
  3. Beschwerden und Symptome lindern.
    • Erklären Sie den in der Regel vorübergehenden und begleitenden Charakter von passiven, beschwerdelindernden Maßnahmen im Vergleich zu nachhaltigeren aktiven Selbstwirksamkeitsstrategien.
      • Erklären Sie Vor- und Nachteile dieser Maßnahmen und wägen Sie sie mit den Patient*innen ab.
    • Beraten Sie Patient*innen hinsichtlich folgender passiver symptomatischer Maßnahmen zur Beschwerdelinderung (starker Konsens):
      • Analgetika
      • Psychopharmaka
      • überwiegend peripher wirksame Medikation
      • passive physikalische und physiotherapeutische Anwendungen
      • passive komplementärmedizinische Begleittherapien wie Akupunktur oder Phytotherapie.
  4. Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit stärken.
    • Vermitteln Sie Patient*innen aktive, nachhaltige Bewältigungsstrategien.
    • Raten Sie zur (Wieder-)Aufnahme sozialer und körperlicher Aktivitäten und zur (Re-)Exposition bezüglich aktuell vermiedener Aktivitäten.
      • Schonung und Vermeidung können zwar kurzfristig die Ängste der Patient*innen mindern und die Arzt-Patient-Beziehung stabilisieren, sollten allerdings – entsprechend begründet – auch nur kurzfristig unterstützt werden.
    • Verweisen Sie auf geeignete Selbsthilfeliteratur und ggf. auf Selbsthilfegruppen.
      • Empfehlen Sie Selbsthilfegruppen, deren Ansatz Sie kennen und mitvertreten können.
    • Verweisen Sie insbesondere auch auf Angebote außerhalb des Medizinsystems, z. B. an der Volkshochschule, die man nicht in einer Patientenrolle, sondern als Privatperson wahrnimmt.
  5. Zur körperlichen Aktivität ermutigen.
    • Körperliche Aktivierung ist eine zentrale Therapiemaßnahme bei funktionellen Körperbeschwerden.
      • Aktivierung kann in Form kleiner Verhaltensveränderungen beginnen, die individuell angepasst sein sollten.
      • Raten Sie den Patient*innen zu eigeninitiativer, genussvoller Bewegung, egal in welchem Rahmen, mit welcher Methode oder Sportart.
      • Raten Sie den Patient*innen, Phasen der Bewegung und körperlichen Anstrengung mit Phasen der (ebenso genussvollen) Entspannung abzuwechseln.
    • soziale Aktivierung als unterstützende Teilkomponente
      • Raten Sie Patient*innen zu Bewegungsaktivitäten in der Gruppe oder zu Teamsportarten.
    • Raten Sie Patient*innen zu systematischen Aktivierungsprogrammen mit mehr Struktur, wie z. B. schrittweise aufbauendes Muskel- und Konditionstraining und vorsichtiger, schrittweiser Aktivitätsaufbau.
    • Zeitlich begrenzt können Sie auch aktivierende Physio- und Ergotherapie verordnen.
    • Verzichten Sie möglichst auf längerfristige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
      • Die Bescheinigung einer klar befristeten Arbeitsunfähigkeit kann aber sorgfältig erwogen werden, um eine spontane Beschwerde-Besserung zu unterstützen und um die therapeutische Beziehung bzw. die Behandlungsadhärenz zu fördern.
  6. Zusammenarbeiten und Rat einholen.
    • Fragen Sie die Patient*innen nach parallel verlaufenden Behandlungen und Konsultationen sowie nach deren Wirkung.
    • Bitten Sie die Patient*innen darum, dass Sie sich mit den Kolleg*innen der anderen Fachrichtungen austauschen können, bei Vorliegen einer Schweigepflicht-Entbindung.
    • Sorgen Sie für eine gute (telefonische) Erreichbarkeit für die Mitbehandler*innen.
    • Beraten Sie sich mit den Mitbehandler*innen hinsichtlich diagnostischer Einordnung evtl. Behandlungsprobleme und der weiteren Behandlungsplanung.
      • Erbitten Sie, falls erforderlich – am besten mit telefonischer Vorankündigung – die konsiliarische Einschätzung von Kolleg*innen anderer Fachrichtungen, besonders auch der P-Fächer.
    • Denken Sie vor allem bei besonders hartnäckigen Beschwerden und hoher Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen an mögliche aufrechterhaltende dysfunktionale Faktoren wie:
      • signifikante Vorteile durch die Krankenrolle
      • Medikamentenmissbrauch
      • gravierende Lebensereignisse
      • bisher unerkannte, evtl. seltene körperliche/psychische Differenzialdiagnosen.
    • Holen Sie ggf. den Rat von Kolleg*innen ein.
  • Eine gute, empathische Patient-Arzt-Beziehung ist unerlässlich für einen Behandlungserfolg.
  • Konsequente biopsychosoziale Simultandiagnostik ermöglicht Früherkennung somatoformer Körperbeschwerden.10
  • Vermitteln Sie eine plausible Erklärung für körperliche Symptome ohne nachweisbare organische Erkrankungen, und erklären Sie die Beschwerden der Patienten mit diesem Modell.
    • Multifaktorielle Erklärungsmodelle wie das biopsychosoziale Krankheitsmodell bedürfen der Erklärung, um von den Betroffenen nicht als zusätzlich stigmatisierend erlebt zu werden.1
    • Erarbeiten Sie gemeinsam mit den Patient*innen ganz persönliche, für sie gut nachvollziehbare, vorwurfsfreie Erklärungsmodelle, die an die bisherigen Annahmen anknüpfen und gleichzeitig mögliche Lösungen aufzeigen, vor allem Veränderungsmöglichkeiten durch die Patient*innen selbst (z. B. Abbau von Vermeidungs-, Schon- oder  Überforderungsverhalten, Lösung von Arbeitsplatzkonflikten).1
  • Erkennen Sie das Leid der Patient*innen an, ohne zu katastrophisieren.
  • Vermeiden Sie zu lange Arbeitsunfähigkeitszeiten, und machen Sie die Gründe dafür Ihren Patient*innen transparent.
  • Suchen Sie nach den Stärken der Patient*innen und danach, was sie bereits gut gemeistert haben (Ressourcenorientierung).
  • Symptomtagebücher sind selten eine gute Therapieoption, denn sie können die oft bereits bestehende Überfokussierung der Betroffenen auf ihre Beschwerden und das, was sie nicht mehr können, verstärken.
  • Die Therapie sollte sich stufenweise nach dem Schweregrad, dem Verlauf und den vorhandenen Ressourcen richten.11
    • Bei leichteren Verläufen genügt oft eine Aufklärung der Patient*innen, Ermutigung und Beruhigung, ggf. symptomatische Maßnahmen sowie eine soziale und körperliche Aktivierung (siehe Leitlinie Funktionelle Körperbeschwerden). 
      • Dazu dienen regelmäßige, beschwerdeunabhängige Termine.
    • In der Hausarztpraxis ist es oft gut, feste ärztliche Ansprechpartner*innen zu haben, die mit den Patient*innen regelmäßig Kontakt haben.1
    • Bei schwereren Verläufen empfiehlt sich immer das Einbeziehen weiterer Ressourcen, wie Einleitung einer Psychotherapie und/oder Hinzuziehen von Spezialist*innen.
  • Körperliche Aktivität hat sich bei somatoformen Körperbeschwerden als günstiger erwiesen als Ausruhen und Vermeiden von Aktivität.12

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Eine stationäre Einweisung oder Tagesklinik ermöglicht eine multimodale Therapie mit verschiedenen Therapeuten und Verfahren.
  • Das ist besonders bei folgenden Indikationen in Erwägung zu ziehen:1
    • schwere körperliche und/oder psychische Symptomatik
    • hohe funktionelle Beeinträchtigung
    • Chronifizierungsgefahr (siehe Leitlinie Schutz- und Risikofaktoren)
    • krisenhafte Zuspitzung
    • ambulante Therapie ohne Erfolg
    • ambulante multimodale Behandlung nicht verfügbar
    • relevante sozialmedizinische Aspekte (z. B. krankheitsunterhaltendes soziales Umfeld, prekäre Wohnsituation)
    • schwer gestörte Interaktion zwischen behandelnder und betroffener Person

Empfehlungen für Patient*innen

  • Ermuntern Sie ressourcenorientiert zu körperlichen, geistigen und sozialen Aktivitäten.
    • „Was hat Ihnen gut getan?“
    • „Wo sind Sie stolz auf sich?“
  • Ermuntern Sie zum Erlernen eines Entspannungsverfahrens.
  • Regen Sie zur Selbstfürsorge an.
  • Auch für komplementärmedizinische Begleittherapien gilt: Verfahren, bei denen die Patienten selbst aktiv werden (z. B. Yoga, Qigong, Taichi, Meditation, Feldenkrais) sind passive Verfahren wie Massagen, Akupunktur oder Phytotherapie vorzuziehen.1
    • Passive Verfahren können der Beschwerdelinderung dienen.
    • Sie kommen nur vorübergehend und begleitend zu aktivierenden Verfahren infrage. 

Psychotherapie

  • Soll partizipativ vereinbart werden.
    • Sprechen Sie mögliche Vorbehalte der Patient*innen gegenüber einer Überweisung zur Psychotherapie offen an.1
    • Erklären Sie, dass Psychotherapie auch bei körperlich definierten Erkrankungen nachweislich wirksam sein kann.1
    • Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus: Konfrontieren Sie die Patient*innen nicht zu direkt mit den psychologischen Bedingungen für die Entstehung ihrer Beschwerden (tangentiale Gesprächsführung).
  • Bezüglich der psychotherapeutischen Verfahren liegt die beste Evidenz für die kognitive Verhaltenstherapie13 vor, empirisch belegt sind auch psychodynamische (interpersonelle) Therapie und hypnotherapeutische/imaginative Verfahren; Einzel- oder Gruppenpsychotherapie erreichen gleichermaßen niedrige bis mittlere Effektstärken.

Ergänzende Verfahren

  • Ergänzend zur Psychotherapie oder wenn diese nicht zustande kommt, sind weitere Behandlungsformen im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts zu erwägen, z. B.:1
    • Krankengymnastik
    • Physiotherapie
    • Entspannungs- oder Atemtherapie
    • Biofeedback, z. B. Neurofeedback
    • funktionelle Entspannung
    • Feldenkrais
    • konzentrative Bewegungstherapie
    • Tanztherapie
    • Gesundheitstraining
    • therapeutisches Schreiben
    • Musiktherapie
    • Meditation
    • Achtsamkeitstraining
    • achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness Based Stress Reduction, MBSR)
    • autogenes Training
    • Taichi
    • Qigong
    • Yoga.

Medikamentöse Therapie

  • Im Allgemeinen ist eine medikamentöse Therapie bei der Behandlung somatoformer Störungen von mäßigem Wert.7
  • Bei einer somatoformen Schmerzstörung sind Analgetika nicht indiziert.10
  • Besonders Opioide, Cannabinoide und Benzodiazepine sind wegen des bei somatoformen Störungen erhöhten Risikos für substanzbezogene Abhängigkeit zu vermeiden.
  • Die medikamentöse Therapie sollte sich eng an den Leitlinien zu der vorliegenden Störung oder Begleiterkrankung orientieren.1 Näheres dazu in den entsprechenden Artikeln, z. B.:
  • Psychopharmaka wie Antidepressiva, Anxiolytika, Hypnotika, Tranquilizer oder Neuroleptika sollten nur bei entsprechenden psychischen Komorbiditäten zum Einsatz kommen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Leitlinie: Schutz- und Risikofaktoren (Green, Yellow, Red Flags)1

Schutzfaktoren für einen günstigen Verlauf (Green Flags)

  • Funktionale Gedanken und Einstellungen, z. B. positive Lebenseinstellung, Humor, Selbstbewusstsein
  • Aktive Bewältigungsstrategien, z. B. sportliche Betätigung, aber auch Genuss- und Entspannungsfähigkeit
  • Individuelle Ressourcen, z. B. Hobbys, soziales Engagement, berufliche Pläne
  • Keine oder geringe psychosoziale Belastung, z. B. stabile Bindungen, gute soziale Unterstützung, gute Lebens- und Arbeitsbedingungen
  • Keine psychische Komorbidität
  • Weitgehend erhaltene Funktionsfähigkeit, z. B. Berufstätigkeit oder Sozialkontakte
  • Tragfähige Arzt-Patient-Beziehung
  • Biopsychosozialer Behandlungsansatz mit Vermittlung von Zuversicht und positiven Bewältigungsstrategien, unter Vermeidung unnötiger Diagnostik und Therapie

Indikatoren/Risikofaktoren für einen schweren Verlauf (Yellow Flags)

  • Mehrere Beschwerden (polysymptomatischer Verlauf)
  • Häufige bzw. anhaltende Beschwerden (ohne oder nur mit seltenen beschwerdefreien Intervallen)
  • Dysfunktionale Gedanken und Einstellungen, z. B. Katastrophisieren, Hilf-/Hoffnungslosigkeit, Angst-Vermeidungs- Überzeugungen, hohe gesundheitsbezogene Angst
  • Passives, überaktives oder suppressives Verhalten, z. B. ausgeprägtes Schon- und Vermeidungsverhalten, beharrliche Arbeitsamkeit/Durchhalte-Verhalten, hohes Inanspruchnahmeverhalten
  • Mäßige bis hohe psychosoziale Belastung, z. B. Distress (negativer Stress, vor allem berufs-/arbeitsplatzbezogen), Niedergeschlagenheit, Zukunftsängste, Einsamkeit
  • Psychische Komorbidität (besonders Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Traumafolgestörungen)
  • Deutlich reduzierte Funktionsfähigkeit, z. B. Arbeitsunfähigkeit, sozialer Rückzug, körperliche Dekonditionierung
  • Behandler-Patient-Beziehung wird von beiden Seiten als „schwierig“ erlebt.
  • „Iatrogene Somatisierung“ bzw. „Chronifizierung“ durch Nocebo-Botschaften, Förderung einer passiven Patientenhaltung, unnötige Diagnostik und Therapie

Warnsignale (Red Flags)

  • Selbstgefährdung bis hin zu Suizidalität (z. B. massive Mangelernährung/Untergewicht, schwere körperliche Folgeschäden von Schonung wie Kontrakturen, Suizidgedanken und -pläne)
  • Gefährdung durch andere, z. B. durch Ärzt*innen, meist durch fehlende oder ungeeignete Behandlungen (z. B. Vorenthaltung notwendiger Therapien körperlicher Begleiterkrankungen, Mangelsyndrome durch Ausleittherapien, hochriskante invasive Therapien wie nicht indizierte Operationen)
  • Besonders schwere psychische Komorbidität (z. B. völliger Rückzug bei Angsterkrankungen oder Depressionen)
  • Warnsignale bekannter körperlicher Erkrankungen (z. B. Blut im Stuhl bei Magen-Darm-Beschwerden, B-Symptomatik bei Erschöpfung, Probleme mit Stuhlgang oder Wasserlassen bei Rückenschmerzen)

Verlauf

  • Es gibt Warnsignale für schwere Verläufe (Red Flags), die eine sofortige Veranlassung geeigneter Intervention nötig machen (s. o.).
  • Der Verlauf ist unterschiedlich, und eine Spontanremission ist selten, wenn die Beschwerden länger als 12 Monate angedauert haben.
  • Die Erkrankung kann lebenslang persistieren, und die Patient*innen unterziehen sich oft ohne Erfolg zahlreichen Untersuchungen und Behandlungsversuchen.14

Komplikationen

  • Bei Patient*innen mit schweren somatoformen Störungen besteht ein erhöhtes Suizidrisiko.
  • Es kommt häufig vor, dass im Verlauf behandlungsbedürftige depressive Störungen auftreten.
  • Die negativen Auswirkungen von unnötigen medizinischen und chirurgischen Therapien und langanhaltender Arbeitslosigkeit können erheblich sein.
  • Substanzbezogene Suchterkrankungen, z. B. Abhängigkeit von Alkohol, Schmerz- oder Beruhigungsmitteln

Prognose

  • Als prognostisch günstig werden folgende Faktoren angesehen:1
    • aktive Bewältigungsstrategien
    • gesunde Lebensführung
    • sichere Bindungen
    • soziale Unterstützung
    • gute Arbeitsbedingungen
    • gute Patient-Arzt-Beziehung
    • Vermeidung unnötiger Diagnostik
    • Verzicht auf katastrophisierende Äußerungen.
  • Die Prognose ist für frühzeitig behandelte Fälle unbekannt.
  • Für Beschwerden, die eine lange Zeit bestanden, ist die Prognose im Hinblick auf vollständige Genesung schlecht. Der Gesundheitszustand kann aber verbessert werden.

Verlaufskontrolle

  • Die Schwere des Verlaufs sollte anhand einer Reihe klinischer Charakteristika (Yellow Flags) wiederholt eingeschätzt werden.
  • Regelmäßige und beschwerdeunabhängige Termine bei festen ärztlichen Ansprechpartner*innen mit dem Ziel, die Arztbesuche und die Unruhe der Patient*innen mit der Zeit zu vermindern und ihre Bewältigungskompetenz aufzubauen.
  • In den ersten 3 Monaten sollte eine Verlaufskontrolle häufiger, danach in der psychosomatischen Grundversorgung alle 3 Monate erfolgen.
  • Diese Termine dienen der Re-Evaluierung und Bilanzierung des Erreichten.
  • Relativieren Sie überzogene Erwartungen und setzen Sie Grenzen – auch die Ihrer Zeit!
  • Erkennen Sie das Leid Ihrer Patient*innen an und verstärken Sie positiv Erreichtes.
  • Führen Sie nur notwendige Untersuchungen durch, um evtl. neue Symptome zu erkennen und vermeiden Sie ein Überagieren.
  • Bleiben Sie aufmerksam gegenüber den geschilderten Symptomen.
  • Überprüfen Sie regelmäßig, ob ggf. eine fachpsychotherapeutische und/oder psychiatrische Diagnostik notwendig ist. 
  • Warnhinweise (Red Flags) auf eine somatische Differenzialdiagnose sollten regelmäßig überprüft werden, bei einem Reizdarmsyndrom z. B. sind das:9

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Es kommt häufig vor, dass psychische Faktoren körperliche Symptome verursachen.
  • Schmerz heute hängt oft auch mit früheren Schmerzerfahrungen zusammen. Schmerz wird nicht vergessen. Auch seelischer Schmerz hinterlässt Spuren im Gehirn und verändert die Empfindlichkeit für Schmerzen. Die Betroffenen sind auf diese Weise möglicherweise verletzlicher als andere.
  • Auch alltagssprachliche Metaphern können psychosomatische Erklärungen erleichtern, z. B.:
    • Etwas schlägt auf den Magen.
    • Schiss haben.
    • Es zerreißt einem das Herz.
    • Aus der Haut fahren.
    • Einen dicken Hals bekommen.
    • Eine schmerzliche Erfahrung machen.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e. V. (DGPM). Funktionelle Körperbeschwerden. AWMF-Leitlinie Nr. 051-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org
  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Psychosomatische Dermatologie (Psychodermatologie). AWMF-Leitlinie-Nr. 013-024. S1, Stand 2018. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e. V. (DGPM). Funktionelle Körperbeschwerden. AWMF-Leitlinie Nr. 051-001, Stand 2018. www.awmf.org
  2. Rief W, Broadbent E. Explaining medically unexplained symptoms-models and mechanisms. Clin Psychol Rev 2008; 27: 821-41. PubMed
  3. Witthöft M, Hiller W: Psychological approaches to origins and treatments of somatoform disorders. Annu Rev Clin Psychol 2010; 6: 257–83. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Strauß, B. Unsichere Bindung – Ein entwicklungspsychologisches „missing link” zur Erklärung somatoformer Störungen? PPmP-Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie 2011; 61(06): 245-255.
  5. Rudolf G. Psychodynamische Psychotherapie. Die Arbeit an Konflikt, Struktur und Trauma. Stuttgart: Schattauer, 2012 (2. Aufl. 2014).
  6. Henningsen P, Rudolf G. Somatoforme/funktionelle Störungen: Klassifikation, psychodynamische Erklärungsmodelle, Diagnostik und Therapie. In: Rudolf G, Henningsen P. (Hrsg.): Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik: Ein einführendes Lehrbuch auf psychodynamischer Grundlage. Schattauer: Stuttgart, 2013.
  7. Oyama O, Paltoo C, Greengold J. Somatoform disorders. Am Fam Physician 2007; 76: 1333-8. PubMed
  8. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2019. Somatoforme Störungen (F45.-). Stand 21.09.2018; letzter Zugriff 04.03.2019. www.dimdi.de
  9. Häuser W, Layer P, Henningsen P, Kruis W: Functional bowel disorders in adults. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(5): 83–94 www.aerzteblatt.de
  10. Schaefert R, Hausteiner-Wiehle C, Häuser W, Ronel J, Herrmann M, Henningsen P: Clinical Practice Guideline: Non-specific, functional and somatoform bodily complaints. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(47): 803–13. www.aerzteblatt.de
  11. Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Psychosomatische Dermatologie (Psychodermatologie). AWMF-Leitlinie-Nr. 013-024, Klasse S1, Stand 2018. www.awmf.org
  12. Henningsen P, Zipfel S, Herzog W. Management of functional somatic syndromes. Lancet 2007; 369: 946-55. PubMed
  13. Burton C. Beyond somatisation: a review of the understanding and treatment of medically unexplained physical symptoms (MUPS). Br J Gen Pract 2003; 53: 231-9. PubMed
  14. Birket-Smith M. Somatization and chronic pain. Acta Anaesthesiol Scand 2001; 45: 1114-20. PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Iris Veit, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Herne (Review)
  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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