Alkoholentwöhnung, Kurzintervention

 Bedeutung von Kurzinterventionen

  • Motivational Interviewing (motivierende Gesprächsführung)1-2
    • in Deutschland als Kurzintervention etabliert
    • zentrale Gesprächsführungstechniken
      • offene Fragen
      • Bestätigung
      • aktives Zuhören und Zusammenfassen
    • Berücksichtigt die Motivationslage der betreffenden Person entsprechend dem Modell von Prochaska und DiClemente (s. u.).
    • Diese Beratungsmethode kann in einem 8-stündigen Kurs erlernt werden.
      • Auffrischungsseminar nach 4 Wochen, um die ersten Erfahrungen zu besprechen.
      • Zur Ausbildung gehört das Erlernen von Verhaltensweisen, Gesprächstechniken und -modulen wie auch das Erkennen des vorliegenden Stadiums der Änderungsbereitschaft.

Leitlinie: Kurzinterventionen1

  • Kurzinterventionen zur Reduktion von problematischem Alkoholkonsum sollen im Rahmen der medizinischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung umgesetzt werden (Ia/A).
    • in der primärmedizinischen Versorgung zur Reduktion problematischen Alkoholkonsums (Ia/A)
    • unabhängig vom Geschlecht (Ia/A)
    • Kurzinterventionen
      • Sollen auch älteren Menschen (> 65 Jahre) mit problematischem oder riskantem Alkoholkonsum angeboten werden (Ia/A).
      • Sollen bei komorbiden affektiven Störungen, Angststörungen oder Psychosen zur Reduktion eines riskanten oder problematischen Alkoholkonsums durchgeführt werden (Ia/A).
      • Können am Arbeitsplatz zur Reduzierung von schädlichem Konsum und zur Minimierung von Folgen des Alkoholkonsums angeboten werden.
  • Riskanter Konsum
    • Kurzinterventionen sollen angeboten werden (Ia/A).
  • Rauschtrinken
    • Kurzintervention zur Reduktion des Rauschtrinkens sollte angeboten werden (Ia/B).
  • Abhängigkeit
    • Kurzinterventionen können angeboten werden (Ia/C).

Die Abhängigkeit ermitteln

  • Siehe auch die Artikel:
  • Der Fragebogentest AUDIT und die Kurzversion AUDIT-C sind die am besten untersuchten Verfahren zur Erkennung einer alkoholbezogenen Störung.1
    • auch in jüngeren Populationen und bei älteren Menschen valide und reliabel
      • Das gilt für andere Verfahren wie den CAGE-Test nicht.
  • AUDIT-C1
    • AUDIT-Fragen 1–3
    • Korreliert gut mit der AUDIT-Vollversion.
    • Bei einem Score von 5 oder höher sollten Maßnahmen zur Einschränkung des Alkoholkonsums erwogen werden.

Modell von Prochaska und DiClemente

  • Das Modell der Verhaltensänderung von Prochaska und DiClemente2 geht davon aus, dass eine Veränderung schädlicher Verhaltensmuster mehrere Stadien durchläuft, und dass dieser Ablauf mehrfach wiederholt wird, bevor sich neue, konstruktive Verhaltensweisen etabliert haben.
  • Je nachdem, in welcher Phase sich die behandelte Person befindet, werden mit ihr unterschiedliche Zielsetzungen erarbeitet, z. B.:
    • Motivationsaufbau
    • Trinkmengenreduktion
    • Kontaktaufnahme zu Suchthilfeeinrichtungen
    • Stabilisierung des Abstinenzwunsches.
  • Eine große Herausforderung besteht darin, auch den großen Anteil alkoholkranker Personen zu erreichen, die sich in Phase I oder II befinden und wegen ihres Alkoholproblems keine Hilfe in Anspruch nehmen.
  • I. Unkenntnis
    • Ich weiß nicht, dass ich ein Problem habe.
  • II. Absichtslosigkeit
    • Ich weiß, dass ich ein Problem habe, kann aber nichts dagegen tun.
  • III. Absichtsbildung
    • Ich weiß, dass ich ein Problem habe. Was kann ich dagegen tun?
  • IV. Vorbereitung
    • Ich weiß, dass ich ein Problem habe und will etwas dagegen tun.
  • V. Handlung
    • Ich weiß, dass ich ein Problem habe. Ich versuche, etwas dagegen zu tun.
  • VI. Aufrechterhaltung und Rückfall
    • Ich habe es geschafft, aber es ist nicht einfach, weiter durchzuhalten – oder
    • Ich bin schwach geworden, was soll ich jetzt tun?

Phasenorientierte Intervention

  • Nachdem Sie gemeinsam mit der betroffenen Person ermittelt haben, welche Phase am ehesten auf ihre gegenwärtige Sichtweise zutrifft, orientiert sich die weitere Behandlung an den Empfehlungen, die nachfolgend für die jeweiligen Phasen gegeben werden.

I. Unkenntnis

  • „Ich weiß nicht, dass ich ein Problem habe.“
  • Wirksame Abwehrmechanismen
    • Verharmlosung oder Verleugnung des Problems
    • Rationalisierung (Rechtfertigung)
  • Therapeutische Maßnahmen
    • Ansatzpunkte suchen, wo sich die betroffene Person oder ihr Umfeld über den Alkoholkonsum Gedanken machen (z. B. Gesundheit, Arbeit, Familie).3
    • Nach Möglichkeit eine Verbindung zwischen den jeweiligen Beschwerden und dem Alkoholkonsum herstellen.
    • Alkoholanamnese („Darf ich Ihnen ein paar Fragen zu Ihren Trinkgewohnheiten stellen?“), falls nicht bereits erhoben.
    • neutrale Aufklärung
      • Risiken von übermäßigem Alkoholkonsum und Abhängigkeit
      • Zusammenhang zwischen dem Gesundheitsproblem und dem Alkoholkonsum erklären.
      • Weitere Informationen, ggf. Kontrolltermin anbieten.
      • In dieser Phase keine Warnungen oder Empfehlungen geben.

II. Absichtslosigkeit

  • „Ich weiß, dass ich ein Problem habe, kann aber nichts dagegen tun.“
  • Diese Phase ist der erste Schritt im Veränderungsprozess.
  • Wirksame Abwehrmechanismen
    • Verharmlosung oder Verleugnung des Problems
    • Rationalisierung (Rechtfertigung)
    • Widerspruch gegen die bereitgestellten Informationen
    • Resignation und Mutlosigkeit
  • Therapeutische Maßnahmen
    • Besorgnisse erfragen.
    • Entscheidungsfindung fördern, aber nicht drängen.
    • Aufbau eines stärkeren Bewusstseins für die Gefahren, die bei einer Beibehaltung des Trinkverhaltens bestehen.3
    • Ggf. eine genauere Erfassung/Erhebung des Alkoholkonsums anbieten.
    • Die persönliche Kontrolle über und die Verantwortung für das eigene Handeln hervorheben.
    • individuell geeignete Informationsmaterialien
    • vor allem bei resignierten Betroffenen
      • Hoffnung und Optimismus vermitteln, dass das Aufhören gelingen kann.
      • Aus eigener Erfahrung bewährte oder neue Methoden zur Entwöhnung empfehlen.
    • Frustration bei sich selbst und konfliktgeladene Diskussionen vermeiden.
    • Einen weiteren Termin vereinbaren.

III. Absichtsbildung

  • „Ich weiß, dass ich ein Problem habe. Was kann ich dagegen tun?“
  • Diese Phase ist von Ambivalenz geprägt: Es bestehen Konflikte zwischen will/will nicht und kann/kann nicht.
  • Wirksame Abwehrmechanismen
    • Warten auf den richtigen Moment.
      • „Ich höre mit dem Trinken auf, sobald ...“
    • Warten, bis man absolut sicher ist, dass man will oder muss.
    • Wunschdenken (Rationalisierung)
    • unüberlegte Handlungen, häufiger Wechsel von Abstinenzphasen und Rückfällen
  • Therapeutische Maßnahmen
    • Unterstützung bei der Erkundung der Ambivalenz
      • Welche positiven und negativen Seiten hat der Alkoholkonsum?
    • Bilanz ziehen:
      • Was mögen Sie am Trinken am meisten?
      • Was finden Sie nicht so gut?
      • Was würden Sie vermissen, wenn Sie aufhören würden?
      • Welche Vorteile hätte es, wenn Sie aufhören würden?
      • Was ist für Sie im Moment am wichtigsten? Was könnte längerfristig wichtig für Sie werden?
    • Vereinbarung eines weiteren Termins; evtl. ist in dieser Phase ein weiteres Gespräch erforderlich; evtl. Fortsetzung in der nächsten Phase.

IV. Vorbereitung

  • „Ich weiß, dass ich ein Problem habe und will etwas dagegen tun.“
  • Die Betroffenen sind nun eindeutig motiviert, mit dem Trinken aufzuhören.
    • Der Schwerpunkt verlagert sich von „Warum aufhören?“ zu „Wie aufhören?“
  • Therapeutische Maßnahmen3
    • Optionen zur Verhaltensänderung anbieten (Reduktions- oder Abstinenzversuch, weitergehende Hilfe).
    • Ermunterung zur Offenheit; Aufforderung, andere in die Entscheidung einzubeziehen.
    • evtl. leichte Veränderung von Gewohnheiten zur Vorbereitung auf die Beendigung des Trinkens
    • Plan erstellen (die betroffene Person entscheidet!).
      • Vereinbarung eines Datums, ab dem kein Alkohol mehr oder weniger Alkohol getrunken wird.

V. Handlung

  • „Ich weiß, dass ich ein Problem habe und tue etwas dagegen.“
  • Die Betroffenen hören auf, Alkohol zu trinken oder verändern ihr Verhalten deutlich.
  • Therapeutische Maßnahmen
    • Im Entschluss bekräftigen.
    • Ziele überprüfen (Abstinenz, Reduktion, Inanspruchnahme von Hilfe).
    • Erfolge überprüfen.3
      • Messung biochemischer Parameter – zur Belohnung, nicht zur Kontrolle
    • Bei der Planung für schwierige/verlockende Situationen unterstützen.
    • Das Bewusstsein für positive Auswirkungen stärken: eigene Belohnung.
    • Strategien vermeiden, die in der Vergangenheit nicht zum Erfolg geführt haben.

VI. Aufrechterhaltung und Rückfall

  • „Ich habe es geschafft, aber es ist nicht einfach, weiter durchzuhalten.“ Oder: „Ich bin schwach geworden, was soll ich jetzt tun?“
  • Maßnahmen
    • Aufklärung: Viele haben weiterhin ein Verlangen nach Alkohol und erneute ambivalente Phasen, Rückfall möglich.
    • Frühere Motive für das Aufhören wachrufen.
    • Nach 6 Monaten gehen das Verlangen und das Rückfallrisiko deutlich zurück.
      • bei anhaltendem Rückfall evtl. erneuter Start des Programms in der jeweiligen Phase
      • weitere Kontrollen nach Bedarf

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001. S3, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  2. Miller WR & Rollnick S: Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing. Freiburg i. Br.: Lambertus 2015.
  3. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hrsg.): Leitfaden - Kurzintervention bei Patientinnen und Patienten mit problematischem Alkoholkonsum. Letzter Zugriff 11.12.2017 www.dhs.de

Autor

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg

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