Definition:Unterfunktion der Schilddrüse, bei manifester Hypothyreose mit erniedrigten peripheren Schilddrüsenhormonen.
Häufigkeit:Prävalenz in Deutschland 0,9 %, Frauen deutlich häufiger betroffen.
Symptome:Die Symptome sind zu Beginn vage und diffus, werden im weiteren Verlauf jedoch charakteristischer und umfassen Müdigkeit, Kälteintoleranz, Trägheit, Obstipation und trockenes und dünnes Haar.
Befunde:Im frühen Stadium liegen kaum klinische Befunde vor. Später können eine psychomotorische Trägheit, trockene Haut, trockenes Haar, verlangsamte Reflexe und Bradykardie festgestellt werden.
Diagnostik:Laborchemische Diagnosestellung durch Bestimmung von TSH und FT4.
Therapie:Bei manifester Hypothyreose (FT4 erniedrigt) oder TSH-Wert > 10 mU/l Hormon-Substitution mit Levothyroxin empfohlen.
Manifeste Hypothyreose: zudem periphere Schilddrüsenhormonwerte erniedrigt1
Das klinische Spektrum ist breit und reicht von asymptomatischen Patient*innen bis hin zu lebensbedrohlichen Fällen mit Myxödemkoma (sehr selten).
Kretinismus
Syndrom, das durch mentale Retardierung, Taubheit, MinderwuchsKleinwuchs und typische Gesichtsdeformierungen gekennzeichnet ist, und das bei Kindern mit unbehandelter angeborener Hypothyreose auftritt.2
In Deutschland kaum noch existent, da beim Neugeborenen-Screening eine TSH-Bestimmung erfolgt.
Einteilung
Primär (thyreogen)
Schädigung der Schilddrüse führt zu erniedrigter Hormonkonzentration.
Häufige Ursachen sind Autoimmunthyreoitiden (M. Hashimoto) oder iatrogen bedingt, z. B. operative Eingriffe an der Schilddrüse, Strahlentherapie oder Radiojodtherapie.3-4
Diese kann bei einer subakuten oder postpartalen Thyreoiditis beobachtet werden.
Die Hypothyreose tritt im Anschluss an eine vorübergehende Hyperthyreose auf und besteht meist 2–8 Wochen, kann in einigen Fällen jedoch auch Monate andauern oder dauerhaft bleiben.
Strahlentherapie: insbesondere bei Einwirkung des Strahlenfelds in der Nähe der Schilddrüse, z. B. bei einem Lymphom oder einem Mammakarzinom13
Jodmangel: häufige Ursache für eine Hypothyreose bei Erwachsenen und Kindern in Regionen mit einem zu geringen Jodgehalt in Nahrungsmitteln und Getränken
viele verschiedene Medikamente als mögliche Auslöser: Carbimazol, Propylthiouracil, Amiodaron, Lithium, Interferone, Thalidomid, Rifampicin, Tyrosinkinasehemmer
Amiodaron-Therapie: Dieses Antiarrhythmikum ruft aufgrund des sehr hohen Jodgehalts des Präparats bei 14–18 % der Patient*innen eine Hypothyreose oder Hyperthyreose hervor.14
Eine Langzeitbehandlung mit Lithium kann zu einer behandlungsbedürftigen Hypothyreose führen, die mit dem Absetzen des Mittels reversibel ist.
Ursachen wie bei primärer und zentraler Hypothyreose
Zusätzlich häufiges Auftreten bei inadäquater Substitutionsbehandlung mit Thyroxin bei bekannter Hypothyreose
ICD-10
E01 Jodmangelbedingte Schilddrüsenkrankheiten und verwandte Zustände
E02 Subklinische Jodmangel-Hypothyreose
E03 Sonstige Hypothyreose
E03.0 Angeborene Hypothyreose mit diffuser Struma
E03.1 Angeborene Hypothyreose ohne Struma
E03.2 Hypothyreose durch Arzneimittel oder andere exogene Substanzen
E03.3 Postinfektiöse Hypothyreose
E03.4 Atrophie der Schilddrüse (erworben)
E03.5 Myxödemkoma
E03.8 Sonstige näher bezeichnete Hypothyreose
E03.9 Hypothyreose, nicht näher bezeichnet
inkl. Myxödem
E89.0 Hypothyreose nach medizinischen Maßnahmen
Inkl.: Hypothyreose nach Bestrahlung, postoperative Hypothyreose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Die Bestätigung der Diagnose primär manifeste Hypothyreose erfolgt durch den Nachweis eines erhöhten TSH (> 4,0 mU/l) und eines erniedrigten FT4-Spiegels18
Bei einer zentralen Hypothyreose liegen häufig weniger Symptome vor als bei der primären Hypothyreose.
Die Schilddrüse kann eine bis zu einem gewissen Grad autonome Funktion zeigen und produziert weiterhin eine gewisse Menge Hormone, auch wenn die TSH-Stimulation entfällt.
Andere Symptome und Beschwerdebilder, die mit der Grunderkrankung in Zusammenhang stehen, insbesondere Symptome eines Kortisolmangels, sind häufig dominierender.
Bei einem Hypophysentumor können z. B. folgende Symptome vorliegen:
Bei klinischem Verdacht auf Hypothyreose Bestimmung des TSH-Werts
DEGAM-Leitlinie: Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis18
Ein TSH-Wert > 4,0 mU/l weist darauf hin, dass die Hypophyse vermehrt aktiv ist, um möglicherweise eine latente oder manifeste Hypothyreose auszugleichen.
In diesem Fall empfiehlt die DEGAM folgendes Vorgehen zur weiteren Abklärung.
1. Anamnese
Faktoren mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für Hypothyreose in der Anamnese?
Schilddrüsenerkrankung, Z. n. Schilddrüsenoperation
autoimmune Schilddrüsenerkrankung/Hypothyreose bei Verwandten 1. Grades
Z. n. Radiatio im Kopf-Hals-Bereich, Z. n. Radiojodtherapie bei Hyperthyreose
TPO-Antikörper nicht nachweisbar: primär subklinische (latente) Hypothyreose
3. Sonderfall
Bei Erstbefund eines TSH-Wertes > 10,0 mU/l oder eines TSH-Wertes > 4,0 mU/l und auffälligen anamnestischen Befunden sollte eine weiterführende Diagnostik eingeleitet werden.
Den Handlungsalgorithmus als Abbildung finden Sie in der DEGAM-Leitlinie.
Das FT3 ist selbst bei ausgeprägter Hypothyreose meist normal und liefert somit bei leichter oder mäßiger Hypothyreose keinerlei zusätzliche Informationen.3
In diesem Fall kann eine zentrale Hypothyreose vorliegen.
Die Werte können auch auf ein hoch dosiertes Thyreostatikum, Lithium, Amiodaron, Interferon-alpha, Interleukin-2, Glukokortikoide, Dopamin oder Dobutamin zurückzuführen sein.20
Blutentnahme
Die Blutprobe zur Bestimmung von TSH und FT4 sollte am Morgen genommen werden.
Probe ohne Arzneimitteleinfluss: Die Patient*innen sollten erst nach der Entnahme der Blutprobe ihre tägliche Thyroxindosis einnehmen18, da das freie Thyroxin innerhalb der ersten 8–9 Stunden nach der Einnahme der Thyroxindosis um 15–20 % ansteigt.
Antikörper
Häufigste Ursache für Hypothyreose ist eine autoimmune Thyreoiditis (Hashimoto)21
Bei 90 % der Patient*innen mit Hashimoto-Thyreoiditis finden sich Antikörper gegen die Thyreoperoxidase (Anti-TPO) und bei 70 % gegen das Thyreoglobulin (Anti-TG).22
Bei latenter Hypothyreose kann einmalig eine Bestimmung der TPO-Antikörper durchgeführt werden, um den Verdacht auf eine Hashimoto-Thyreoiditis zu klären.18
Bei der Hashimoto-Thyreoiditis besteht ein erhöhtes Risiko für einen Übergang in eine manifeste primäre Hypothyreose.
Risikoeinschätzung für das Vorliegen von anderen Autoimmunerkrankungen (Assoziation von Thyreoiditis z. B. mit Typ-1-Diabetes)
Bei manifester Hypothyreose bringt die TPO-AK-Bestimmung für die weiteren hausärztlichen Entscheidungen keinen Zugewinn.18
Patient*innen, die für ihr eigenes Krankheitsverständnis nach Ursachen ihrer Erkrankung suchen, könnten aber von dem Nachweis oder Ausschluss einer Hashimoto-Thyreoiditis profitieren.
Zu bedenken ist jedoch, dass dieses Wissen Patient*innen potenziell auch verunsichern kann und die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer somatoformen Störung begünstigen könnte.
Andere Tests
Bei schwerer Hypothyreose zeigen sich in vielen der üblichen Labortests reversible pathologische Veränderungen.
Die Durchführung einer Sonografie ist bei Patient*innen mit erhöhten TSH-Werten verzichtbar.18
Eine Sonografie kann bei unsicherer Diagnose (verändertes Echomuster) oder einem unsicheren palpatorischen Befund (Schilddrüsenknoten/-karzinom) nützliche Zusatzinformationen liefern.
Schilddrüsenszintigrafie
Im Rahmen der üblichen Untersuchungen bei Verdacht auf eine Hypothyreose muss nur selten eine Szintigrafie durchgeführt werden.23
Falsch positive Testergebnisse
Die FT4- und TSH-Werte sind bei schwerer somatischer Erkrankung und schwerer Depression sowie bei über lange Zeit bestehender Unterernährung (z. B. Anorexia nervosa) mit Vorsicht zu betrachten.24-26
Häufig liegt in diesen Fällen eine zentrale Herunterregulierung der Schilddrüsenfunktion vor.
Screening
Ein allgemeines Screening auf Hypothyreose wird nicht empfohlen. Es sollten jedoch zielgerichtete Schilddrüsenuntersuchungen bei ausgewählten Gruppen durchgeführt werden.27
Die ausgewählten Gruppen umfassen u. a. das Screening von Neugeborenen und schwangeren Frauen.
Bei schwangeren Frauen, die mit Thyroxin behandelt werden, sollte der TSH-Wert herangezogen werden, um zu beurteilen, ob die Substitutionsdosis adäquat ist.
Initialdosis bei Patient*innen mit manifester Hypothyreose < 60 Jahre ohne Komorbiditäten
1,6 μg/kg Körpergewicht pro Tag
Initialdosis bei Patient*innen mit manifester Hypothyreose > 60 Jahre und/oder mit kardiovaskulären Erkrankungen
25 μg mit Dosisanpassung in Abhängigkeit vom TSH-Wert
Initialdosis bei Substitution einer latenten Hypothyreose
25–50 μg/d Levothyroxin
Bei älteren (≥ 60 Jahre) und hochbetagten (≥ 85 Jahre) Patient*innen ist – nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Multimorbidität und der damit einhergehenden Polymedikation – zu prüfen, ob eine Levothyroxin-Therapie einen Benefit für die Patient*innen bringt.
Bei Z. n. vollständiger Schilddrüsenentfernung
Dosen von 100–150 μg bei Frauen und 125–200 μg bei Männern
Die Dosisanpassung sollte individuell orientiert an den laborchemisch ermittelten Schilddrüsenwerten und dem subjektiven Wohlbefinden der Patient*innen erfolgen.
Einnahme
Die Resorption von Levothyroxin ist durch Lebensmittel (z. B. Milch) und andere Medikamente (z. B. Östrogene, Salicylate, Phenytoin) beeinflusst.18
Einnahme mit Wasser
zeitlicher Abstand zu Mahlzeit oder anderer Medikamenteneinnahme mindestens 30 Minuten
regelmäßiger Einnahmezeitpunkt mindestens 30 min vor dem Frühstück oder abends vor dem Schlafengehen
TSH-Verlaufskontrollen und Dosisanpassung laut DEGAM18
TSH-Verlaufskontrolle 8–12 Wochen nach Therapiebeginn
Die hierfür notwendige Blutentnahme sollte vor Einnahme der jeweiligen Tagesdosis des Thyroxins erfolgen, jedoch ohne Unterbrechung derselben in den Tagen und Wochen vor der Blutabnahme.
Dosisanpassung
TSH < 0,4 mU/l: Dosisreduktion, TSH-Kontrolle nach 8 Wochen
TSH 0,4–4 mU/l: Dosis beibehalten, TSH-Kontrolle nach 6 Monaten.
TSH > 4 mU/l: Dosiserhöhung, TSH-Kontrolle nach 8 Wochen
TSH-Verlaufskontrollen sollten nach etablierter Dosis halbjährlich und schließlich nur noch jährlich durchgeführt werden.
Bei Fehlen klinischer Symptome und Levothyroxin-Dosen < 125 μg/d ist bei Patient*innen ohne Amiodaron- oder Lithiumtherapie sowie ohne Schwangerschaft nach Stabilisierung eines normalen TSH ein 2-Jahres-Kontrollintervall ausreichend.
Wenn bei Vorliegen einer latenten Hypothyreose keine Therapie begonnen wurde, kann das TSH nach 6–12 Monaten nochmals kontrolliert werden, um vorübergehende Ursachen (akute Erkrankungen, Medikamente) für einen erhöhten TSH-Spiegel auszuschließen.
Hormonsubstitution währen der Schwangerschaft
Mitbetreuung durch Spezialist*in empfohlen
Eine angemessen behandelte Hypothyreose stellt in der Schwangerschaft kein erhöhtes Risiko für Mutter oder Kind dar.
Die Schwangerschaft sollte geplant werden, sodass für die Patientin bei Beginn der Schwangerschaft eine gute Kontrolle über die Hypothyreose gewährleistet ist.
Die Thyroxindosis muss im Laufe der Schwangerschaft häufig um mehr als 50 % angehoben werden, wobei die größte Dosiserhöhung in den ersten 24 Wochen notwendig ist.31
Das TSH sollte engmaschig kontrolliert und die Thyroxindosis rasch angepasst werden.
Um eine optimale Entwicklung des Kindes zu gewährleisten, sollte der TSH-Spiegel über die gesamte Schwangerschaft hinweg im Normbereich liegen.
Schwangeren wird in Deutschland eine Supplementation von 100–150 µg Jod/d empfohlen.32
Bei Schilddrüsenerkrankungen sollten Betroffene vor der Supplementation Rücksprache mit den behandelnden spezialisierten Ärzt*innen halten.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Heute gibt es kaum noch Patient*innen, bei denen über mehrere Jahre eine unbehandelte Hypothyreose besteht. Die Diagnostik ist einfach, und die Schilddrüsenfunktion wird viel häufiger getestet als früher.
Eine unbehandelte Hypothyreose kann u. a. zu einer Beeinträchtigung der kognitiven Funktion, Depressionen, Demenz, Gewichtszunahme, Obstipation, trockener Haut, Haarausfall, Kälteintoleranz, Heiserkeit, unregelmäßiger Menstruation, Infertilität, Muskelsteifheit und -schmerzen, Bradykardie und Hypercholesterinämie führen.
Dabei handelt es sich um eine sehr seltene, lebensbedrohliche Komplikation bei dekompensierter Hypothyreose.
Typischerweise neurologische oder psychiatrische Auffälligkeiten plus Myxödem und Hypothermie bei bekannter Hypothyreose33
Intensivmedizinische Therapie notwendig
Kardiovaskuläre Erkrankungen
Es besteht unter der Substitution mit Schilddrüsenhormonen ein erhöhtes Risiko für kardiale Komplikationen, z. B. Tachykardien.
Deshalb ist zu Beginn einer Levothyroxin-Behandlung bei Patient*innen mit KHK oder Herzinsuffizienz besondere Vorsicht geboten und die Dosis langsam hochzutitrieren.
Das Risiko, an einer KHK zu erkranken oder zu versterben, steigt mit zunehmenden TSH-Werten, auch nach Adjustierung für typische KHK-Risiken.18
Entsprechend kann auch für diese Patientengruppe eine Substitutionstherapie von Nutzen sein.
Myxödem
Interstitielle Einlagerung von Glykosaminglykanen, vor allem prätibial und periorbital
Nicht eindrückbare Ödeme
Arzneimittelinteraktionen
Solange sich Patient*innen in einem hypothyreoten Zustand befinden, zeigen viele Medikamente, z. B. Digitalis, Betablocker, Morphin, Sedativa und andere Psychopharmaka, aufgrund der verlangsamten Metabolisierung in der Leber eine stärkere Wirkung.
Auch dies kann zur Entstehung eines Myxödemkomas beitragen.
Prognose
Bei einer behandelten Hypothyreose günstig
Häufig ist eine lebenslange Substitution notwendig.
Die Hypothyreose kann jedoch auch nur vorübergehend vorliegen, z. B. bei postpartaler oder subakuter Thyreoiditis.
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Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Angeborene primäre Hypothyreose: Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle. AWMF-leitlinie Nr. 027–017. S2k, Stand 2011. www.awmf.org
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Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Unterfunktion der Schilddrüse, bei manifester Hypothyreose mit erniedrigten peripheren Schilddrüsenhormonen. Häufigkeit:Prävalenz in Deutschland 0,9 %, Frauen deutlich häufiger betroffen.