Subakute granulomatöse Thyreoiditis (Thyreoiditis de Quervain)

Zusammenfassung

  • Definition:Selbstlimitierende Entzündung der Schilddrüse. Vermutlich werden die Entzündungsprozesse durch virale Trigger bei genetisch prädispositionierten Personen ausgelöst.
  • Häufigkeit:Inzidenz 12 pro 100.000 Einw. Gehäuftes Auftreten nach viralen Infekten der oberen Atemwege, bei Frauen in der 3.–5. Lebensdekade und genetisch prädispositionierten Träger*innen des HLA-Bw35-Haplotyps (bis zu 50-fach erhöhtes Risiko).
  • Symptome:Die Krankheit durchläuft 3 klinische Phasen, die Wochen bis Monate andauern können: initiale Hyperthyreose, anschließende Hypothyreose und schließlich bei Mehrzahl der Patient*innen Rekonvaleszenz. In der Akutphase kann die Schilddrüse schmerzhaft sein, und es bestehen teils ausgeprägte Allgemeinsymptome.
  • Befunde:Klinisch präsentieren sich häufig kranke Patient*innen mit schmerzender und druckempfindlicher Schilddrüse.
  • Diagnostik:Laborchemische Bestimmung der Inflammations- und Schilddrüsenwerte. Schilddrüsensonografie liefert wichtige diagnostische Hinweise. In unklaren Fällen Feinnadelpunktion.
  • Therapie:Häufig keine Behandlung notwendig, ggf. erfolgt eine symptomatische Behandlung mit NSAR, Glukokortikoiden, Betablockern und/oder Thyroxin.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonym: Thyreoiditis de Quervain
  • Bei der subakuten granulomatösen Thyreoiditis handelt es sich um eine selbstlimitierende Entzündung der Schilddrüse, die vermutlich (post)viralen Ursprungs ist.1
    • Die Genese ist nicht im Detail geklärt, ein gehäuftes Auftreten nach Atemwegsinfektionen wurde beobachtet.
    • Erstbeschreiber ist der Schweizer Arzt Fritz de Quervain, der z. B. auch die Tendovaginitis stenosans de Quervain beschrieben hat, die pathogenetisch keinen Bezug zu der Thyreoiditis de Quervain aufweist.
  • Abzugrenzen ist die akute suppurative Thyreoiditis, die eine bakterielle Infektion der Schilddrüse bezeichnet und lebensbedrohlich sein kann.2

Häufigkeit

  • Jährliche Inzidenz von etwa 12 Fällen pro 100.000 Einw.3
    • Frauen in der 3.–5. Lebensdekade sind häufiger betroffen.4

Ätiologie und Pathogenese

  • Pathogenetisch wird eine virale Triggerung des thyreoidalen Entzündungsprozesses durch Infektionen der oberen Atemwege bei genetisch prädisponierten Individuen (HLA-Bw35, HLA-B67) angenommen.4-5
    • Das Vorliegen des HLA-Bw35-Haplotyps scheint die Immunantwort auf ein infektiöses Agens zu verstärken, sodass bei Träger*innen ein bis zu 50-fach erhöhtes Risiko für eine subakute granulomatöse Thyreoiditis besteht.
  • Die Entzündung tritt häufig im Zusammenhang mit Virusinfektionen (Coxsackie-, Mumps-, Influenza-, Echo-, Adenoviren) auf, doch ist ein direkter Virusnachweis im Schilddrüsengewebe bislang nur vereinzelt gelungen.4
  • Die Thyreoiditis durchläuft 3 klinische Phasen:
    1. initiale Hyperthyreose
      • Durch die entstehende Inflammation kommt es zu einer Beschädigung der Schilddrüsenfollikel und unkontrollierten Freisetzung von Schilddrüsenhormonen.2
      • Dauer von 3–6 Wochen, bis die Speicher der gebildeten Schilddrüsenhormone entleert sind.6
    2. transiente Hypothyreose
      • Follikel vollständig entleert, Schilddrüsenhormone werden nachproduziert.
      • Dauer üblicherweise einige Wochen bis 6 Monate2
    3. schließlich bei einem Großteil der Patient*innen Rekonvaleszenz7
      • Etwa 1/4 der Patient*innen hat nach 3 Jahren weiterhin eine Hypothyreose.8

Prädisponierende Faktoren

  • Unspezifische Virusinfektion der oberen Atemwege
    • Latenz bis zum Auftreten der Thyreoiditis 2–8 Wochen9
  • HLA-Bw35-Haplotyp
    • bei über 80 % der Fälle nachweisbar5

ICPC-2

  • T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
  • T70 Endokrinologische Infektion

ICD-10

  • E06.1 Subakute Thyreoiditis

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Schmerzen im vorderen Halsbereich in Verbindung mit einem durchgemachten Infekt der oberen Atemwege sollten an die Erkrankung denken lassen.2
  • Laborchemisch erfolgt die Abgrenzung zu anderen Schilddrüsenerkrankungen.
  • Die Schilddrüsensonografie kann als einfache und schnelle Untersuchung wichtige Hinweise für die Diagnosestellung liefern.2

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Erkrankung tritt meist im Sommer oder Herbst nach einer Infektion der oberen Atemwege auf.7
  • Die Thyreoiditis tritt subakut, d. h. innerhalb einiger Wochen nach dem Infekt, auf.9
  • Kardinalsymptom sind Halsschmerzen.2
  • Bei einigen Betroffenen treten nur leichte, vorübergehende Symptome auf.
  • Typisch sind jedoch auch stärkere Beschwerden wie Abgeschlagenheit, Fieber, Muskelschmerzen, Schluckbeschwerden und Schmerzen im Bereich der Schilddrüse, die häufig in die Ohren ausstrahlen.4,10
  • Viele Betroffene berichten im frühen Stadium über die typischen Symptome einer Hyperthyreose, die durch Palpitationen, Zittern und erhöhtes Wärmeempfinden gekennzeichnet ist.

Klinische Untersuchung

  • Die Patient*innen wirken häufig krank.
  • Oft ist die Schilddrüse vergrößert und schmerzhaft.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis – Labor

  • Inflammationsparameter:
    • erhöhte BSG, erhöhtes CRP11
    • in Abgrenzung zur bakteriellen Thyreoiditis häufig fehlende Leukozytose
  • Schilddrüsenhormone
    • initial Nachweis einer Hyperthyreose mit erhöhtem FT4 und FT3 sowie supprimiertem TSH2
    • FT3/FT4-Ratio ist im Vergleich zum Morbus Basedow deutlich erniedrigt, typisch ist z. B. ein Wert < 0,4 (wenn beide freien Schilddrüsenhormone in pmol/l gemessen werden).2
  • Schilddrüsen-Antikörper 
    • Thyreotropin-Rezeptor-Autoantikörper als Hinweis auf M. Basedow
    • Antikörper gegen Thyreoglobulin (Tg-Antikörper) und Thyreoperoxidase (TPO-Antikörper) sind bei Diagnosestellung meist nicht erhöht, können aber bei Auftreten der hypothyreoten Phase vermutlich als Reaktion auf die Freisetzung von Schilddrüsenantigenen nachweisbar sein.2

Sonografie

Feinnadelpunktion

  • Zur Abgrenzung von malignen Prozessen empfehlen einige Autor*innen bei der Diagnosestellung eine Feinnadelpunktion.13
    • histologisch Riesenzellen mit granulomatösen Veränderungen des Schilddrüsengewebes14
  • Laut anderen Autor*innen spielt die Feinnadelpunktion der Schilddrüse eine untergeordnete Rolle, insbesondere falls sich in der Zusammenschau der klinischen und laborchemischen Befunde ein typisches Bild ergibt.2

Indikationen zur Überweisung

  • Bei unsicherer Diagnose
    • ggf. Feinnadelaspiration
    • ggf. Szintigrafie zur Differenzialdiagnostik bei Hyperthyreose 
      • typischerweise niedriger Tracer-Uptake, insbesondere im Vergleich zum generell gesteigerten Uptake bei Morbus Basedow oder der fokal konzentrierten Aufnahme bei Schilddrüsenautonomie2

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Meist ist keine Behandlung notwendig, da die Symptome leicht ausgeprägt und zum Zeitpunkt der Diagnose häufig schon am Abklingen sind.15
  • Bei starken Schmerzen können NSAR lindernd wirken.
  • Bei ausgeprägten Allgemeinsymptomen können Glukokortikoide erwogen werden.
  • Die hyperthyreote Phase kann mit Betablockern gemildert werden.
  • Thyreostatika sind kontraindiziert.6
  • Bei langdauernder hypothyreoter Phase kann Thyroxin eingesetzt werden.

Medikamentöse Therapie

  • Schmerzlinderung, z. B. mit Salicylaten oder NSAR
  • Glukokortikoide
    • Bei unzureichender Analgesie unter NSAR oder starkem Krankheitsgefühl 
    • Cave: Auf Patient*in individuell abgestimmte Therapie unter Beachtung der Kontraindikationen und Nebenwirkungen einer Steroidtherapie!2
    • Die amerikanische Leitlinie (deutsche Leitlinie nicht vorhanden) empfiehlt folgendes Therapieschema:6
      • 40 mg Prednison über 1–2 Wochen
      • gefolgt von einem Ausschleichen über 2–4 Wochen bzw. je nach klinischem Verlauf auch über längere Zeit
      • Eine langsamere Reduktion der Steroiddosis im niedrigeren Dosisbereich (2,5 mg pro Woche bei Dosierung unter 15–20 mg/d) kann dazu beitragen, das Auftreten von Rezidiven zu verhindern.4
  • Tritt eine deutliche Besserung der Beschwerden unter Prednisolon-Gabe nicht binnen 48–72 Stunden ein, sollte die Richtigkeit der Diagnose überprüft werden.2,4  
    • In diesem Fall sollte großzügig eine Feinnadelpunktion der Schilddrüse erfolgen, um z. B. einen malignen Prozess ausschließen zu können.2
  • Propranolol
    • symptomatische Therapie bei ausgeprägter Hyperthyreose
    • 10–40 mg 3–4 x/d, Dosisanpassung unter Kontrolle der Herzfrequenz und des Blutdrucks
  • Levothyroxin
  • Thyreoidektomie: Ultima Ratio bei steroidrefraktärem Verlauf oder häufigen Rezidiven

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Erkrankung besteht über Wochen bis Monate und kann vorübergehend zu Symptomen einer Hyperthyreose und später Hypothyreose führen.
  • In manchen Fällen erreicht die Erkrankung ihren Höhepunkt nach 3–4 Tagen und ist nach 1 Woche vorüber.
  • Typischer sind Beschwerden, die über einen Zeitraum von 1–2 Wochen an Intensität zunehmen und anschließend in schwankender Ausprägung 3–6 Wochen anhalten.

Komplikationen

Prognose

  • Eine subakute Thyreoiditis de Quervain heilt bei etwa 90 % der Patient*innen spontan und folgenlos innerhalb von 6–12 Monaten aus.
  • Bei 5–25 % der Patient*innen kann aufgrund einer dauerhaften Hypothyreose eine permanente Thyroxinsubstitution erforderlich sein.4,8
  • Die Angaben zur Häufigkeit von Rezidiven schwanken zwischen 2–20 %.4,16

Prognostische Faktoren

  • Dauerhafte Hypothyreose gehäuft bei:8
    • weiblichem Geschlecht
    • kumulativ hohen Prednisolon-Dosen

Verlaufskontrolle

  • Bieten Sie den Patient*innen Kontrolluntersuchungen im Abstand einiger Wochen an.
  • Überprüfung des Allgemeinbefindens sowie der Schilddrüsen- und Inflammationswerte

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Die Erkrankung klingt in der überwiegenden Zahl der Fälle von selbst ohne dauerhafte Folgen ab.
  • Rezidive können auftreten, sind insgesamt aber selten.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Ross DS, Burch HB, Cooper DS, et al. American Thyroid Association guidelines for the diagnosis and management of hyperthyroidism and other causes of thyrotoxicosis. Stand 2016. www.pubmed.gov

Literatur

  1. Sweeney LB, Stewart C, Gaitonde DY. Thyroiditis: An integrated approach. Am Fam Physician. 2014 Sep 15;90(6):389-396. PubMed
  2. Trummer C, Theiler-Schwetz V, Pilz S. Subakute Thyreoiditis und akute suppurative Thyreoiditis. Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel 2020; 13: 124-9. link.springer.com
  3. Golden SH, Robinson KA, Saldanha I, et al. Clinical review: Prevalence and incidence of endocrine and metabolic disorders in the United States: a comprehensive review. J Clin Endocrinol Metab 2009; 94(6): 1853-78. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Heufelder A.et al. Die Thyreoiditiden: Aktueller Stand der Pathogenese, Diagnostik und Therapie. Dt Ärztebl 1998; 95: A-466–476. www.aerzteblatt.de
  5. Stasiak M, Tymoniuk B, Michalak R, et al. Subacute Thyroiditis is Associated with HLA-B*18:01, -DRB1*01 and -C*04:01—The Significance of the New Molecular Background. J Clin Med 2020; 9: 534. www.mdpi.com
  6. Ross DS, Burch HB, Cooper DS, et al. 2016 American Thyroid Association guidelines for the diagnosis and management of hyperthyroidism and other causes of thyrotoxicosis. Thyroid 2016; 26: 1343-1421. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Nishihara E, Ohye H, Amino N, et al. Clinical characteristics of 852 patients with subacute thyroiditis before treatment. Intern Med 2008;47:725-729. PubMed
  8. Görges J, Ulrich J, Keck C, et al. Long-term Outcome of Subacute Thyroiditis. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2019; 128(11): 703-8. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Desailloud R, Hober D. Viruses and thyroiditis: an update. Virol J 2009; 6: 5. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Bindra A, Braunstein GD. Thyroiditis. Am Fam Physician 2006;73:1769-1776. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Pearce EN, Farwell AP, Braverman LE. Thyroiditis. N Engl J Med 2003; 348: 2646-55. New England Journal of Medicine
  12. Frates MC, Marqusee E, Benson CB, et al. Subacute granulomatous (de Quervain) thyroiditis: grayscale and color Doppler sonographic characteristics. J Ultrasound Med 2013; 32: 505-11. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Stasiak M, Michalak R, Lewinski A. Thyroid primary and metastatic malignant tumours of poor prognosis may mimic subacute thyroiditis—time to change the diagnostic criteria: case reports and a review of the literature. BMC Endocr Disord 2019; 19(1): 86 . pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  14. Engkakul, P., Mahachoklertwattana, P. & Poomthavorn, P. Eponym: de Quervain thyroiditis. Eur J Pediatr (2011) 170: 427. https://doi.org/10.1007/s00431-010-1306-4 link.springer.com
  15. Bahn RS, Burch HB, Cooper DS, et al. Hyperthyroidism and other causes of thyrotoxicosis: management guidelines of the American Thyroid Association and American Association of Clinical Endocrinologists. Endocr Pract 2011;17:456-520. PubMed
  16. Iitaka M, Momotani N, Ishii J, Ito K. Incidence of subacute thyroiditis recurrences after a prolonged latency: 24-year survey. J Clin Endocrinol Metab 1996;81:466-469. PubMed

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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