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2019-W23Legale Suizidmedikamente: Würdiger Freitod oder doch Trend zum „sozialverträglichen Frühableben“?

Legale Suizidmedikamente: Würdiger Freitod oder doch Trend zum „sozialverträglichen Frühableben“?

Letzte Woche verlor ein älteres Ehepaar (75 und 82 Jahre alt) vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Paar wollte das Recht auf den Erwerb eines tödlichen Medikaments für einen gemeinsamen Suizid erstreiten. Die Eheleute möchten ihr Leben gemeinsam beenden, solange sie noch handlungsfähig und nicht schwer erkrankt sind. Laut tagesschau.de sah das Gericht in diesem Fall die Grundvoraussetzung für die Genehmigung des Erwerbs eines Suizidmedikaments als nicht erfüllt. Die hier geforderte Grundvoraussetzung ist eine Notlage durch schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierendem körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen und unerträglichem Leidensdruck, der nicht ausreichend gelindert werden kann.

Der Wunsch des Ehepaars scheint schon irgendwie nachvollziehbar. Sie möchten in Würde gehen, bevor das Leben unerträglich wird, einer der beiden zuerst stirbt, an Demenz erkrankt, pflegebedürftig wird. Die vom Bundesverwaltungsgericht bereits 2017 definierte Notlage kommt wahrscheinlich in der einen oder anderen Form noch auf dieses Paar zu, ebenso wie auf einen großen Teil aller Menschen. Außerdem haben die beiden vermutlich, wie wir alle, die aktuell diskutierten Probleme, wie Pflegenotstand oder Altersarmut im Hinterkopf. Altsein in Deutschland ist für die wenigsten eine positive Perspektive. So ist z. B. die Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen nur dann gut, wenn man Glück hat und eine gute hausärztliche und pflegerische Versorgung bekommt. Soll deswegen gestattet sein, aus dem Leben zu scheiden, so lange es noch einigermaßen schön ist, vielleicht auch damit man anderen nicht zur Last fällt? Dass das Gericht hier keinen Präzedenzfall schaffen wollte und konnte, der dazu führt, dass es für alte und kranke Menschen zur Normalität wird, ihr Leben vorzeitig zu beenden, ist wichtig für unseren gesellschaftlichen Umgang mit Alter, Krankheit und Tod. Auch wir Hausärzte sollten dagegen ankämpfen, dass es für Menschen irgendwann einmal besser ist, tot zu sein, als alt.

Leider gar nicht so anders ist die Situation für Patienten, auf die die Definition der Notlage zutrifft, die aber trotzdem vom BfArM keine Genehmigung eines Suizidmedikaments erhalten. Auf Anweisung des Gesundheitsministeriums werden derzeit keine derartigen Anträge positiv beschieden. Wie bei so vielen existenziellen Fragen ist es auch bei Sterbehilfe und assistiertem Suizid schwierig, ein Urteil zu fällen, so lange man nicht selbst oder eine nahestehende Person betroffen ist. Beispielsweise erheben beim Thema Schwangerschaftsabbruch auch viele (ältere) Männer, die niemals in die Situation einer ungewollten Schwangerschaft kommen werden, den moralischen Zeigefinger. Auf Spiegel Online beschrieb eine Patientin, die unter ALS leidet, sehr eindrücklich, warum es für sie so wichtig wäre, Phenobarbital „als letztes Mittel für schlechte Zeiten" zu haben. Jeder hat seine eigene Einstellung zum Leben und niemand möchte, dass Patienten so schwer krank sind, dass sie in einem assistierten oder genehmigten Suizid den letzten Ausweg sehen. Aber wir alle haben und hatten solche Patienten. Wir sollten ihnen gut zuhören, denn die Frage nach Leben und Tod ist eine sehr persönliche.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

 

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2019-W23Legale Suizidmedikamente: Würdiger Freitod oder doch Trend zum „sozialverträglichen Frühableben“?
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Letzte Woche verlor ein älteres Ehepaar (75 und 82 Jahre alt) vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Paar wollte das Recht auf den Erwerb eines tödlichen Medikaments für einen gemeinsamen Suizid erstreiten. Die Eheleute möchten ihr Leben gemeinsam beenden, solange sie noch handlungsfähig und nicht schwer erkrankt sind. Laut tagesschau.de sah das Gericht in diesem Fall die Grundvoraussetzung für die Genehmigung des Erwerbs eines Suizidmedikaments als nicht erfüllt. Die hier geforderte Grundvoraussetzung ist eine Notlage durch schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierendem körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen und unerträglichem Leidensdruck, der nicht ausreichend gelindert werden kann.
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