Dünnes Eis: Freunde und Familienmitglieder als Patienten

Jeder kennt das: Man wird gefragt, ob man sich schnell mal einen Nävus eines Freundes oder die Rachenmandeln des Nachbarskindes anschauen kann. Manchmal wird man auch ganz unverhohlen um Gefälligkeitsatteste gebeten. Wie geht man generell am besten mit solchen Privatkonsultationen außer der Reihe um? Letztendlich handelt es sich ja um eine Mischung aus ärztlichem Behandlungsvertrag und freundschaftlichem Rat.

Wo beginnt hier die ärztliche Verantwortung (auch rechtlich) und was ist erbetene oder auch ungebetene Einmischung? Besonders konfliktträchtig ist die ungebetene, aber gefühlte Verantwortung für das eigene Umfeld, also Freunde und Familienmitglieder: wenn man also das Gefühl hat, man müsste jetzt endlich mal eingreifen oder etwas sagen, um den Betreffenden „die Augen zu öffnen“. Selten wird es gerne gehört, wenn man Verwandte auf ihren Alkohol- oder Nikotinkonsum anspricht, wenn man einer depressiven Freundin zur Psychotherapie rät oder wenn man wiederholt darauf pocht, dass die Belastungsdyspnoe der eigenen Mutter abgeklärt wird. Man kann sich verpflichtet fühlen, hier einen ärztlichen Rat abzugeben, aber ist man es auch? Haben wir denn in solchen Fällen eine Art ärztliche Verantwortung ohne Beratungs- oder Behandlungsvertrag? Sind wir als Ärzte schuld, wenn wir uns in solchen Fällen nicht ungefragt einmischen und eine Krankheit einen sehr ungünstigen Verlauf nimmt? Wenn ja, ist diese Schuld rein moralisch zu sehen oder kann das auch rechtliche Konsequenzen haben?

Schwierig wird es, wenn uns Freunde oder Familienmitglieder dringlich um einen ärztlichen Rat ersuchen, diesen aber erst einmal ignorieren, weil er unbequem klingt, wie z. B. die Empfehlung sportlicher Aktivitäten bei Adipositas, arterieller Hypertonie oder Diabetes mellitus. Für viele besonders aufreibend ist die ärztliche Behandlung und Beratung der eigenen, manchmal schon betagten Eltern. In der Rolle des Kindes steckt man oft einfach fest. Deswegen kann es auch für die eigenen Eltern schwierig sein, ihre Tochter oder ihren Sohn als professionell und nicht als ein sich immer wieder einmischendes Kind wahrzunehmen. Manchmal kann es helfen, Familienmitglieder und Freunde an Kollegen zu verweisen, denen man vertraut, und natürlich erst einmal vorsichtig anzufragen, ob ein ungefragter, aber gut gemeinter ärztlicher Rat überhaupt erwünscht ist.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

 

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