Definition:Gleichzeitige Einnahme von 5 oder mehr Medikamenten. Steht häufig im Zusammenhang mit Multimorbidität. Wird begünstigt durch ungenaue Indikationsstellung, mangelnde Medikationsplanung und unzureichende Absprachen zwischen den Beteiligten (Patient*innen, Angehörige, Ärzt*innen, Apotheker*innen).
Häufigkeit:1/8 aller GKV-Versicherten nehmen 5 oder mehr Wirkstoffe ein.
Symptome:Häufig unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Schwindel, Verwirrtheitszustände, Tremor oder Stürze.
Befunde:Unerwünschte Arzneimittelwirkungen infolge von Interaktionen und oder Fehldosierungen. Evtl. eingeschränkte Therapietreue und fehlendes Ansprechen auf die Therapie.
Diagnostik:Bestandsaufnahme der Medikamenteneinnahme und Medikationsbewertung: Prüfung der Angemessenheit der Verordnungen.
Therapie:Verordnungsvorschlag auf Grundlage einer systematischen Bewertung bestehend aus Medikationserfassung, Angemessenheitsbewertung, gezielte Intervention.
Prüfungsrelevant für die Facharztprüfung Allgemeinmedizin1
Nach einer gebräuchlichen Definition ist Polypharmazie die gleichzeitige Einnahme von 5 oder mehr rezeptpflichtigen oder nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln.
Daneben existieren auch andere Definitionen, die eine Polypharmazie definieren als die Verschreibung von mehr Medikamenten, als es klinisch indiziert ist, und/oder ein Regime mit mindestens einem unnötigen Medikament.
Multimorbidität
Polypharmazie steht häufig im Zusammenhang mit Multimorbidität.
Laut DEGAM wird Multimorbidität als das Vorliegen von mindestens 3 chronischen Erkrankungen definiert.2
Nach einer gebräuchlichen Definition ist Polypharmazie die gleichzeitige Einnahme von 5 oder mehr rezeptpflichtigen oder nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Daneben existieren auch andere Definitionen, die eine Polypharmazie definieren als die Verschreibung von mehr Medikamenten, als es klinisch indiziert ist, und/oder ein Regime mit mindestens einem unnötigen Medikament.
Verschreibungskaskade
Medikamenteninduzierte Nebenwirkungen lassen sich leicht mit anderen geriatrischen Syndromen verwechseln, können Verwirrung, Sturzneigung und Inkontinenz verursachen und dann zuweilen dazu führen, dass Ärzt*innen noch mehr Medikamente verschreibtverschreiben (Verschreibungskaskade).
Medikationsprozess optimieren
Medikationsprozess: Um die Sicherheit und Qualität der Arzneitherapie zu optimieren und zu gewährleisten, soll der gesamte Verordnungsprozess betrachtet werden, mit folgenden Schritten, die zyklisch durchlaufen werden:
Bei Multimedikation sollte die behandelte Person eine Stammapotheke wählen, die zur Arzneimittelanwendung persönlich berät, die gesamte Medikation dokumentiert, Interaktionen prüft und somit Behandelnde und Behandelte unterstützt, den Überblick über die Medikation zu behalten.
Arzneimittelanwendung und Selbstmanagement
Eine sichere Arzneimittelanwendung kann durch verschiedene Berufsgruppen/Einrichtungen (Ärzt*innen, medizinische Fachangestellte, Apotheken, Pflegekräfte) sowie schriftliche Informationen unterstützt werden.
Monitoring und Verlaufskontrolle
Erhöhung der Arzneimitteltherapie-Sicherheit durch klinische und/oder Laborkontrollen bei bestimmten Wirkstoffen (z. B. Kontrolle von Kreatinin unter Spironolacton, Metformin, EKG-Kontrollen wegen möglicher QTc-Verlängerung)
Monitoring (Prüfung der Behandlungsergebnisse, Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen – UAW) bedeutet stets eine Wiederholung der Bestandsaufnahme (s. o.) in regelmäßigen Abständen.
Non-Adhärenz kann unterschiedliche Ausprägungen haben.
Auslassen (Vergessen) einzelner Arzneidosen, auch bei täglicher Einmalapplikation
Abweichen von verordneten Einnahmezeiten und Dosierungsintervallen
Einnahmepausen; von der behandelten Person initiierte „Drug Holidays“ (≥ 2 aufeinanderfolgende Tage)
Abbruch jedweder Therapie/Einnahme
Mindereinnahme (Unterdosierung), diese ist häufiger als Mehreinnahme (Überdosierung).
Morgendliche Einnahme ist regelmäßiger als abendliche Einnahme.
Regelmäßige Einnahme steht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Arztbesuch („Toothbrush Effect“, „White Coat Compliance“), mit zunehmendem zeitlichem Abstand nimmt sie ab.
Einfluss einervon Erhebung der Krankenkasse Barmer aus dem Jahr 2016 erhielt fast 1/8 aller Versicherten über mindestens ein Quartal 5 oder mehr Wirkstoffe verordnet. Über 3 Quartale traf dasPolypharmazie auf 5die % aller Versicherten zu.8
Adhärenz
bei 36 % aller medikamentös behandelten über 65-Jährigen „kumulative Polypharmazie“, definiert als eine Verordnung von 5 oder mehr Wirkstoffen innerhalb eines Quartals
Adhärenz sinkt mit der Anzahl der Medikamente und der Komplexität der Einnahmevorschriften.
Der Anteil der älteren Behandelten, die ärztliche Anordnungen zur Pharmakotherapie nicht befolgen, liegt bei ca. 20–50 %.
Gründe für die mangelnde Adhärenz
die hohe Anzahl der täglich einzunehmenden Tabletten
Vergesslichkeit oder Unsicherheit über die Dosierung
Nebenwirkungen und Arzneiunverträglichkeiten
Häufigkeit
Deutschland
Laut einer Erhebung der Krankenkasse Barmer aus dem Jahr 2016 erhielt fast 1/8 aller Versicherten über mindestens ein Quartal 5 oder mehr Wirkstoffe verordnet. Über 3 Quartale traf das auf 5 % aller Versicherten zu.10
Bei 36 % aller medikamentös behandelten über 65-Jährigen „kumulative Polypharmazie“, definiert als eine Verordnung von 5 oder mehr Wirkstoffen innerhalb eines Quartals
Kosten
Unter Multimedikation kommt es vermehrt zu stationären Behandlungen. Etwa 6,5 % aller Krankenhauseinweisungen erfolgen aufgrund von Nebenwirkungen, die in bis zu 80 % als schwerwiegend bewertet werden.
zusZusätzliche Gesundheitskosten durch Nebenwirkungen: in Deutschland ca. 400 Mio. Euro jährlich
Pharmakologie
Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.2-3,7-9
Allgemeines
Kaum Daten aus randomisiert kontrollierten Studien
Neue Arzneimittel werden hauptsächlich an jüngeren Menschen erprobt.
Begleitmedikation ist in vielen Studien ein Ausschlusskriterium, Multimedikation erst recht.
Iatrogene Beschwerden
Die häufigsten iatrogenen Symptome bei älteren Menschen sind Nebenwirkungen von Arzneimitteln, insbesondere von Psychopharmaka und Herz-Kreislauf-Mitteln.
Pharmakokinetik bei älteren Menschen
Absorption
Kann bei älteren Menschen leicht verzögert sein.
Erkrankungen wie eine Herzinsuffizienz können die Geschwindigkeit und den Umfang der Absorption zusätzlich herabsetzen.
Distribution
Wird bei den meisten MedikamentenKann durch das Körpergewicht und durch altersbedingte Gewebeveränderungen beeinflusst: verringerte Muskelmasse, erhöhte Fettmasse und weniger Gesamtkörperflüssigkeit.
Inderverändert Praxis spielt dies meist nur eine sehr geringe Rollesein.
Metabolismus und Ausscheidung
Leber- und Nierenfunktion können im Alter stark beeinträchtigt sein.
Der Lebermetabolismus ist variabel und hängt von Lebensalter, Genotyp, Lebensstil, hepatischem Blutfluss, Lebererkrankungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten ab.
Die Nierenausscheidung wird durch den Alterungsprozess beeinträchtigt, jedoch mit großen interindividuellen Variationen. Die Elimination von Medikamenten korreliert mit der Kreatinin-Clearance, die vom 25. bis zum 85. Lebensjahr um 50 % abnimmt. Bei älteren Menschen ist eine verminderte renale Ausscheidung die häufigste Ursache für Störungen des Arzneimittelmetabolismus.
Bei älteren Menschen kann die völlige Elimination eines Medikaments aus Körpergeweben, auch aus dem Gehirn, sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.
Risikofaktoren für negative Folgen einer Multimedikation
Folgende Faktoren gehen bei Kombination mit Multimedikation (regelmäßige Einnahme von 5 und mehr Medikamenten) mit einem erhöhten Risiko für Arzneimittelnebenwirkungen und -interaktionen sowie für Symptome einer Unter- oder Fehlbehandlung einher:
Erkrankungs- und zustandsbezogene Faktoren
Chronische Krankheiten, wie Depression, Demenz oder kognitive Beeinträchtigung
Kombinationen aus psychischen und somatischen Erkrankungen, z. B. Diabetes und Schizophrenie
ZuständeErkrankungen und Ereignisse wie Gebrechlichkeit, Stürze, Harninkontinenz, unspezifische Symptome und ein sich verschlechternder Gesundheitszustand
Medikations- und einnahmebezogene Faktoren
Arzneimittel mit enger therapeutischer Breite, erforderlichem Monitoring, hohem Interaktionspotenzial und unklarem therapeutischem Nutzen
Probleme in der praktischen Durchführung der Therapie (Sicherheitsverschlüsse, Tropfflaschen, Spritzen, Aerosole)
Die betroffene Person bringt nicht die kognitive Leistung auf, die notwendig ist, um das Therapieregime einzuhalten.
Die betroffene Person ist bei mehreren Behandelnden – Ärzt*innen oder Heilpraktiker*innen – gleichzeitig in Behandlung.
Es fehlt das Verständnis für die Notwendigkeit und Funktionsweise der Therapie.
Mangelnde Koordination bei gleichzeitiger Behandlung durch mehrere Behandelnde
Kann bei bukkalen oder sublingualen Darreichungsformen – z. B. von Nitroglycerin und Buprenorphin – die Absorption durch die Schleimhaut verlangsamen und den Wirkeintritt verzögern.
Reduzierte Transportkapazität der Speiseröhre
altersassoziierte Ursachen
Trockenheit der Schleimhaut
verminderte Peristaltik, evtl. verstärkt durch autonome Neuropathie, infolge eines Diabetes mellitus oder chronisch entzündlicher Erkrankungen
Durch den verlängerten Kontakt des Medikaments mit der Schleimhaut kann es dort zu Irritationen, Entzündungen und Ulzera kommen.
Das Risiko ist besonders hoch bei Medikamenten mit niedrigem pH, hoher Osmolarität oder einem hohen Potenzial für chemische Irritationen, z. B.:
Tetrazykline (z. B. Doxycyclin)
Clindamycin
Rifampicin
Ascorbinsäure
Eisensulfat
Cyproteronacetat
Ethinylestradiol
Bisphosphonate
Kaliumpräparate.
Verminderte Säuresekretion im Magen
Dies kann zu verminderter Bioverfügbarkeit von Medikamenten führen, die zur Absorption einen niedrigen pH-Wert benötigen, wie einige orale Antimykotika (Ketoconazol und andere).
Die Albuminkonzentration im Plasma verringert sich mit zunehmendem Alter; der Albuminspiegel kann bei bestimmten chronischen Erkrankungen und bei schlechtem Ernährungszustand sehr niedrig sein.
Hochgradig an Albumin gebundene Arzneimittel wie Digitoxin und Phenytoin verbleiben dann zum größten Teil ungebunden im Plasma.
Nur die freie Konzentration eines Arzneimittels ist pharmakologisch aktiv. Die gemessene Serumkonzentration umfasst jedoch sowohl die freie als auch die proteingebundene Fraktion. Bei niedrigem Albumin können daher bereits bei normalen bis leicht erhöhten Plasmakonzentrationen Nebenwirkungen und toxische Effekte auftreten.
Bei niedrigen Albuminspiegeln kann es deshalb bei diesen Typen von Arzneimitteln angebracht sein, auf den untersten Teil des Referenzbereichs abzuzielen.
Körpergewicht
Das Körpergewicht verringertVerringert sich bei den meisten Menschen ab einem Alter von 70–75 Jahren,. beiBei einigen ist die Gewichtsabnahme beträchtlich.
Dies kann bei der Dosierung von Arzneimitteln, die als Einzeldosis verabreicht werden, eine gewisse Bedeutung haben, bei Langzeitgebrauch ist eine Dosisanpassung wegen des veränderten Körpergewichts jedoch nur selten erforderlich.
Reduzierte Nierenfunktion
Bei etwa 15 % der Personen, die in Deutschland in einer Pflegeeinrichtung wohnen, besteht eine hochgradige Niereninsuffizienz (eGFR < 30 ml/min).911
Dies ist wichtig bei Arzneimitteln, die unmetabolisiert ausgeschieden werden, und von noch größerer Bedeutung bei Arzneimitteln mit zusätzlich geringer therapeutischer Breite.
Die erforderliche Dosierungsreduktion ist im Allgemeinen proportional zur Einschränkung der Kreatinin-Clearance. Bei jüngeren gesunden Personen liegt die Kreatinin-Clearance bei ca. 120 ml/min (2,4 ml/s).
Beispiel: Die berechnete Kreatinin-Clearance beträgt 60 ml/min (1,2 ml/s). Als Faustregel erfordert das bei einem Arzneimittel, das unmetabolisiert ausgeschieden wird oder in den Urin ausgeschiedene aktive Metaboliten hat, z. B. Morphin, ein Halbieren der Dosis. Zur Berechnung der Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz siehe www.dosing.de.
Beispiele von Arzneimitteln, die hauptsächlich unmetabolisiert renal ausgeschieden werden:
T36-T50 Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
T88.7 Nicht näher bezeichnete unerwünschte Nebenwirkung eines Arzneimittels oder einer Droge
Diagnostik
Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.2-3,8-9
Zielgruppe
Generell sollte bei Multimedikation (≥ 5 dauerhaft angewandte Arzneimittel) und Multimorbidität (≥ 3 chronische Erkrankungen) mindestens 1 x im Jahr eine ausführliche Erfassung und Medikationsbewertung durchgeführt werden.
bei Bedarf anlassbezogene Medikationsprüfung, z. B. bei zusätzlichen Risiken, Stürzen oder Krankenhausaufenthalten
Für die eigene Praxis festlegen, wie Kandidat*innen für eine Medikationsprüfung erkannt werden, und wo dokumentiert wird, wann die nächste Medikationsprüfung stattfinden soll.
Eine Medikationsbewertung wird auch empfohlen bei:
einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes
Hinweisen auf Einnahmeprobleme (Adhärenz, Handhabung, kognitive Einschränkungen)
neuen Patient*innen der Praxis, die viele Medikamente einnehmen.
mehreren Psychopharmakaverordnungen
komplexen Medikationsplänen oder Arzneimitteln mit hohem Interaktionspotenzial und/oder enger therapeutischer Breite (z. B. Antikoagulanzien und Thrombozytenfunktionshemmer)
unspezifischen Symptomen
Problemen bei der Umsetzung des Therapieregimes.
Bestandsaufnahme
Bei der betroffenen Person aufgetretene Beschwerden, ihre Präferenzen und Therapieziele
Anamnese und ggf. körperliche Untersuchung
Die Person soll ermutigt werden, ihre persönlichen Ziele und Prioritäten darzulegen, z. B.:
Erhalt der sozialen Rolle (z. B. Berufstätigkeit, Familienleben)
Prävention spezifischer Ereignisse (z. B. Schlaganfall)
weitere Symptomverbesserung, (z. B. Schmerzlinderung)
Minimierung von Medikamentennebenwirkungen
Verringerung der Belastung durch Behandlungen
Lebensverlängerung.
Prüfen in der Krankenakte
Sind relevante Vorerkrankungen bekannt, und sind alle aktuellen Beschwerden und Diagnosen dokumentiert?
Schweregrad?
Beeinträchtigung der Lebensqualität und Funktionalität?
Sind Besonderheiten (Allergien, Antikoagulanzien-Therapie) und aktuelle Laborwerte (Nierenfunktion) dokumentiert?
Medikamentenanamnese
Stufe 1: nicht-schematisch im Rahmen einer Konsultation, z. B. bei bekannten Patient*innen ohne Hinweis auf Medikationsprobleme
Befragung nach Einnahme weiterer Medikamente inkl. Selbstmedikation
Befragung zu Lebensstilfaktoren (Rauchen, Alkohol, Ernährung etc.)
psychosozialer Kontext
Therapieziele der behandelten Person
Erlebt die betroffene Person die Therapie als Belastung? Wenn ja, soll die Therapiebelastung mit gezielten Fragen weiter evaluiert werden (ggf. Pflegende und Angehörige einbeziehen).
Die Erhebung erfolgt durch die Ärztin/den Arzt.
Bei Einverständnis der betroffenen Person ggf. Angehörige und andere an der Therapie beteiligte Berufsgruppen einbeziehen.
Stufe 2: gezielte Überprüfung bei Neuverordnung/Wiederholungsverordnung
Überprüfung des aktuellen Medikationsplans
Während der Sprechstunde wird nach Einnahme weiterer Medikamente inkl. Selbstmedikation gefragt.
Die Erhebung bei Neuverordnung erfolgt durch die Ärztin/den Arzt, bei Wiederholungsverordnung ggf. vorab durch medizinische Fachangestellte (MFA).
Durch die MFA könnte z. B. kontrolliert werden:
Ist das Medikament bereits im Medikationsplan aufgeführt?
Sind der zeitliche Abstand zur letzten Verordnung und die verordnete Menge plausibel?
Sind Laborkontrollen notwendig?
Stufe 3: gezielte Überprüfung anlässlich eines Briefes von Spezialist*innen oder nach Krankenhausentlassung
Die Überprüfung erfolgt durch die Ärztin/den Arzt.
Stufe 4: Bei neuen Patient*innen sowie bei bekannten Patient*innen mit Multimedikation erfolgt die Medikationserfassung und strukturierte Bewertung (z. B. mittels MAI, siehe Leitlinie Medication Appropriateness Index) mindestens 1 x jährlich bzw. bei Auftreten von Therapieproblemen. Hier kann auch die FORTA-Liste herangezogen werden. In der FORTA-Liste werden explizite Positiv-/Negativ-Empfehlungen für bestimmte Arzneimittelgruppen zum Einsatz bei geriatrischen Patient*innen gemacht. Ähnlich wie PRISCUS basiert FORTA auf konsentierten Expertenempfehlungen.13
Vereinbarung eines gesonderten Termins in der Praxis, zu dem die behandelte Person (ggf. eine Bezugsperson) alle Arzneimittel (inkl. Selbstmedikation) und Packungsbeilagen von zu Hause mitbringt.
Dies ermöglicht, die Arzneimittel in der Krankenakte zu erfassen, Interaktionschecks durchzuführen und den Medikationsplan zu aktualisieren.
Leitlinie: Fragen zur Eingrenzung des Problems der Non-Adhärenz3
Fragen an die Patient*innen, z. B.:
Sind Sie mit der bisherigen Medikation zurecht gekommenzurechtgekommen?
Gibt es bei der Anwendung der Arzneimittel Probleme, z. B. beim Öffnen der Packung, Tropfenzählen, Tablettenteilen, Einnehmen (z. B. Schlucken)?
Verstehen Sie, warum die Medikamente verordnet wurden?
Halten Sie die Einnahme der Medikamente weiterhin für sinnvoll?
Haben Sie die Dosierung selbstständig erhöht oder erniedrigt?
Haben Sie schon einmal einen Auslassversuch gemacht?
Wie stellen Sie die Medikamente für den Tag/die Woche zusammen, damit Sie nichts vergessen oder doppelt einnehmen?
Wie verhalten Sie sich, wenn Sie eine Einnahme vergessen haben?
Medikationsbewertung
Bei Behandelten ohne aktuelle Hinweise auf Medikationsprobleme sollte eine Multimedikation kritisch begleitet werden. Empfohlen wird eine regelmäßige Überprüfung des Medikationsplans.
Die Medikationsbewertung soll anhand von Leitfragen, z. B. des Medication Appropriateness Index1114(siehe Leitlinienkasten Medication Appropriateness Index), erfolgen.
Die Leitfragen werden Schritt für Schritt auf Basis der aktuellen Medikation durchgegangen.
Die auf diese Weise systematisch zusammengetragenen Informationen bilden die Basis für den neuen Verordnungsvorschlag.
Leitlinie: Medication Appropriateness Index (MAI): Medikation – Angemessenheit – Intervention3
Fragen zur Medikationsbewertung
Indikation
Gibt es eine Indikation für das Medikament?
Evidenz
Ist das Medikament wirksam für Indikation und Patientengruppe?
Dosierung
Stimmt die Dosierung?
Besteht eine relevante Einschränkung der Nieren- oder Leberfunktion?
Anwendungssicherheit
Sind die Einnahmevorschriften korrekt? (Applikationsmodus, Einnahmefrequenz, Einnahmezeit, Relation zu den Mahlzeiten?)
Anwendbarkeit
Sind die Handhabung und Anwendungsvorschriften praktikabel?
Interaktion
Gibt es klinisch relevante Interaktionen mit anderen Medikamenten, mit anderen Krankheiten oder Zuständen?
Bestehen kardiale Vorerkrankungen oder eine QT- oder AV-Verlängerung?
Gibt es Altersbeschränkungen?
Doppelverordnung
Wurden unnötige Doppelverschreibungen vermieden?
Therapiedauer
Ist die Dauer der medikamentösen Therapie (seit wann verordnet?) adäquat?
Wirtschaftlichkeit
Wurde die kostengünstigste Alternative vergleichbarer Präparate ausgewählt?
Zusätzlich zu prüfen:
Unterversorgung: Wird jede behandlungsbedürftige Erkrankung therapiert?
Einnahmeplan: Liegt ein aktueller und schriftlicher Einnahmeplan vor?
Vermeidung von UAW: Ist die Nierenfunktion bekannt?
Adhärenz: Ist die Adhärenz zur Therapie gegeben?
Differenzialdiagnosen
Arzneimittelnebenwirkungen sind unterdiagnostiziert.
Sie werden häufig missverstanden als Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung, als Anzeichen einer neuen Erkrankung oder als Ausdruck eines normalen Alterungsprozesses.
Nebenwirkungen bei Älteren sind im Vergleich zu Menschen jungen oder mittleren Alters oft weniger ausgeprägt und können sich klinisch anders manifestieren.
Typische Beispiele sind Delir (akute Verwirrtheit) oder Antipsychotika-induzierte extrapyramidalmotorische Symptome. Das medikamenteninduzierte Parkinson-Syndrom äußert sich bei Älteren eher durch allgemeine Körpersteifigkeit sowie Störungen der Gang- und Standfunktionen und in geringerem Maße durch Tremor. Auch Dyskinesien sind unter der Antipsychotikatherapie bei Älteren seltener als bei Jüngeren.
Nebenwirkungen und Therapieversagen
Um iatrogene Erkrankungen durch medikamentöse Übertherapie zu verhindern, soll bei älteren Menschen genau untersucht werden, ob ein neues Symptom oder ein neu aufgetretener Befund die Folge einer laufenden medikamentösen Behandlung ist.
Bei Älteren führt die Einnahme von Arzneimitteln relativ häufig zu Nebenwirkungen wie Verwirrung, Verstopfung und Schwindel.
Polypharmazie ist besonders schädlich, wenn die Person zu viele Medikamente in zu hoher Dosis über einen zu langen Zeitraum erhält.
Psychopharmaka – viele arzneimittelbedingte Probleme treten in Verbindung mit der Einnahme von Psychopharmaka auf, z. B.:
hohes Risiko für Nebenwirkungen und Interaktionen
Bei Älteren werden Psychopharmaka häufig außerhalb der zulassungskonformen Indikationen eingesetzt.
Oft werden sie viel zu lange eingenommen und zu hoch dosiert.
Tritt oft bei älteren Menschen auf; Kodein und andere Opioide, Verapamil, Arzneimittel mit anticholinerger Wirkung (z. B. Inkontinenzmittel und viele Psychopharmaka) und Dehydration, z. B. durch eine zu hohe Dosierung von Diuretika, können die Verstopfung verschlimmern.
Arzneimittelnebenwirkungen können Mitursache für eine Sturzneigung sein; dies gilt besonders für Psychopharmaka (Sedierung, muskuläre Hypotonie, medikamenteninduziertes Parkinson-Syndrom), Diuretika (arterielle Hypotonie), Antihypertensiva (arterielle Hypotonie) und Nitrate (arterielle Hypotonie, Bradykardie).
Eine Reduktion der verschriebenen Arzneimittel führt nachweislich zur Reduktion des Sturzrisikos.
Unterschiedliches Ansprechverhalten
Die Wirkung von Pharmaka wird von Krankheit und Alterungsprozess beeinflusst und ist deshalb im individuellen Fall sehr unterschiedlich; das Ansprechverhalten auf diese Pharmaka variiert immer mehr mit zunehmendem Alter.
Die systemische Anwendung von Glukokortikoiden erhöht das Osteoporoserisiko; eine derartige Behandlung sollte möglichst begrenzt eingesetzt werden.
Die Langzeitbehandlung mit Diuretika kann zu einem Risikofaktor werden. Furosemid erhöht die renale Kalziumausscheidung. Thiazide dagegen vermindern die Ausscheidung von Kalzium, was bei Osteoporose vorteilhaft sein kann.
Unter- und Fehlernährung sind bei Älteren ein Risikofaktor und können zu Stürzen und vorzeitigem Tod führen.
Gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö), die zu Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme führen, können Nebenwirkungen von Arzneimitteln sein wie z. B. Eisenpräparate, Cimetidin, Digitaloide, Furosemid, Spironolacton, Phenothiazine, Haloperidol, SSRI, Levodopa, Lithium, Metronidazol, NSAR, Theophyllin, Cholinesterase-Hemmer, Bisphosphonate und Metformin.
Herzinsuffizienz wird bei vielen älteren Menschen nicht adäquat behandelt. Dies gilt besonders für Menschen in Pflegeeinrichtungen.
Zu den häufigsten Fehlern zählt die Monotherapie mit einem zu hoch dosierten Diuretikum, oft in Kombinationen mit negativ inotropen Arzneimitteln.
Auch bei älteren Menschen gehören ACE-Hemmer zur Basisbehandlung, wobei jedoch anfangs eine sehr niedrige Dosierung mit langsamer Steigerung geboten ist, wegen des bei eingeschränkter Nierenfunktion erhöhten Hyperkaliämie-Risikos.
Gleichgewicht zwischen zu enger und zu großzügiger Indikation und zwischen zu geringer und zu hoher Dosierung austarieren.
Strenge Indikationen
Vor allem dann, wenn es verträglichere nichtmedikamentöse Alternativen gibt.
Regelmäßig die Indikation überdenken, weil die Indikationsgrundlagen sich häufig ändern oder nicht (mehr) bestehen.
Im Alter Kontraindikationen besonders sorgfältig beachten.
Start low, go slow
Beginn mit einer niedrigen Dosierung. Langsam je nach Bedarf steigern.
Interaktionsrisiko
Besondere Aufmerksamkeit ist geboten bei Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon), NSAR, Antidepressiva, Makrolidantibiotika, ACE-Hemmern, Diuretika und Antiepileptika.
Allgemeine Therapieempfehlungen bei älteren Menschen
Man kann altersbedingte Veränderungen mit Pharmaka weder anhalten noch heilen. Die Indikation einer Arzneimittelbehandlung soll adäquat, die Zielsetzung klar definiert und die Durchführung realistisch sein.
Zu Beginn einer Behandlung sollte immer die kleinste Packungsgröße verschrieben werden. Vor der Fortsetzung der Behandlung Medikation erneut bewerten.
So wenige Arzneimittel wie möglich, so viele wie nötig. Rangliste der wichtigsten Arzneimittel erstellen. Dosierung nach Möglichkeit verringern oder das Medikament ganz absetzen, wenn die Symptome nachlassen. Nicht mehrmals Rezepte nach telefonischen Bestellungen ausstellen, wenn in der Zwischenzeit keine Kontrolluntersuchung erfolgt.
Einfaches Regime wählen (am besten mit Dosisintervallen, die nicht kürzer als 12 Stunden sind). Schriftliche und gut lesbare Informationen sowie ausführliche Anweisungen an Angehörige und Pflegende.
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik können sich bei älteren Menschen oft ändern. Dosistitrationen sind deshalb häufig notwendig. Im hohen Alter können Interaktionen infolge eines hohen Arzneimittelverbrauchs sehr schnell auftreten.
Medikationsplan erstellen und feste Verfahren zu dessen regelmäßiger Aktualisierung etablieren. Regelmäßig die gesamte Medikation und die zugrunde liegenden Indikationen prüfen. Eine gut funktionierende Kommunikation mit anderen Behandelnden und Pflegenden ist wichtig.
Praktische Empfehlungen
Tablettenbox
Wenn ältere Menschen mehr als 3 Arzneimittel gleichzeitig einnehmen, sollten sie eine Tablettenbox nutzen, oder Angehörige und andere Bezugspersonen sollen dafür sorgen, dass die Medikamente richtig eingenommen werden.
Bei Arzneimitteln, die nur bei Bedarf einzunehmen sind, ist eine Tablettenbox überflüssig.
Tabletten sind immer zusammen mit reichlich Flüssigkeit einzunehmen.
Ältere Menschen haben oft trockene Schleimhäute und Schluckbeschwerden. Arzneimittel sind mit reichlich Flüssigkeit einzunehmen, d. h. mit einem vollen Wasserglas, um eine Schädigung der Speiseröhrenschleimhaut zu vermeiden. Das gilt besonders für potenziell schleimhautschädigende Medikamente (Näheres siehe Abschnitt Physiologische Faktoren) und bei Bettlägerigen.
In manchen Fällen sind flüssige Präparate oder eine rektale Darreichung zu bevorzugen.
Lokalbehandlung
Eine Lokalbehandlung kann oft von Vorteil sein. Es können aber auch systemische Nebenwirkungen von lokal verabreichten Arzneimitteln auftreten, z. B. bei Augentropfen mit nichtselektiven Betarezeptorantagonisten (z. B. Timolol) zur Glaukomtherapie.
Fehlendes Ansprechen auf die Behandlung
Kann von mehreren Faktoren abhängen, z. B.:
Polypharmazie
Die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinnahme von Arzneimitteln steigt mit der Anzahl der gleichzeitig einzunehmenden Medikamente.
unzureichende Verständigung/Information
Zwischen Ärzt*innen und Patient*innen über die Art und Weise, wie die Behandlung durchzuführen ist, und welches Ziel sie hat.
kognitive Defizite, z. B. Gedächtnisstörungen
praktische Probleme
Schwierigkeiten mit der Medikation selbst (z. B. Augentropfen, Zäpfchen etc.); Schwierigkeiten, die Tabletten aus dem Glas zu nehmen; große Tabletten sind schwer zu schlucken; eingeschränktes Sehvermögen.
fehlende Abstimmung
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen, Patient*innen, Angehörigen, Pflegenden und ggf. Sozialdiensten sind unverzichtbar.
Vorsicht bei reduzierter Nierenfunktion
Bei den meisten Personen über 85 Jahre ist eine mittelgradig bis schwer verminderte glomeruläre Filtrationsrate zu beobachten.
Arzneimittel mit niedrigem therapeutischem Index und Arzneimittel mit überwiegend oder ausschließlich renaler Ausscheidung (z. B. Digoxin und Aminoglykoside möglichst vermeiden). Prüfen, ob sicherere Alternativen verfügbar sind.
Für einige nierengängigen Arzneistoffe gibt es Alternativen, die ggf. erwogen werden können.
Bei Arzneimitteln oder Metaboliten, die hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden werden, ist eine Dosisanpassung unbedingt erforderlich.
Beispiele solcher Arzneimittel: ACE-Hemmer, Metformin, Allopurinol, Spironolacton und Sotalol
Einige Arzneimittel erzielen bei normaler Dosierung eine adäquate Wirkung nur dann, wenn eine gute Nierenfunktion vorliegt. Dies gilt z. B. für Mittel, die lokal in den Nieren (u. a. Thiaziddiuretika) oder in den Harnwegen (Antibiotika bei Harnwegsinfektionen) wirken sollen.
Risiko für eine weitere Verschlechterung der Nierenfunktion
Wirkstoffe wie z. B. NSAR, COX-2-Hemmer, ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Antagonisten können bei Älteren mit herabgesetzter Nierenfunktion zu einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion führen.
Die Einnahme dieser Mittel soll deshalb genau überwacht werden, insbesondere in den ersten Monaten nach Beginn der Behandlung sowie bei Veränderungen des klinischen Zustands oder der sonstigen Medikation.
Die Abteilung für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie der Uni Heidelberg hat eine online zugängliche Handreichung zu den gängigen Medikamenten zusammengestellt, bei denen eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz erforderlich ist: www.dosing.de.1215
In den DEGAM-Handlungsempfehlung zum Medikamentenmonitoring wird bei folgenden Medikamenten/-gruppen ein Monitoring der eGFR und ggf. auch von Na und K sowie weiterer Parameter empfohlen:1316
Diuretika
Thrombinhemmer
Mesalazin/Sulfasalazin
Methotrexat
Dronedaron
Lithium
ACE-Hemmer/Sartan.
Häufige Medikamentennebenwirkungen
ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Antagonisten
erhöhtes Risiko für herabgesetzte Nierenfunktion und Hyperkaliämie
Eine richtig durchgeführte Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten im therapeutischen Bereich bei Vorhofflimmern (INR 2,0–3,0) bewirkt ein relativ geringes Nebenwirkungsrisiko.
Oft haben ältere Menschen Schwierigkeiten mit der praktischen Durchführung der oralen Antikoagulation. Deshalb sollte diese sehr gut begleitet werden.
Bei Kombination mit einem Thrombozytenaggregationshemmer oder NSAR: PPI verordnen.8
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hebt in einer Gesamtbeurteilung der Datenlage die Vorteile einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA, in Deutschland in der Regel Phenprocoumon) hervor. Unter anderem zähle zu den Vorteilen gegenüber den DOAK die gute Steuerbarkeit der Gerinnungshemmung anhand des INR.28
Die PRISCUS-Liste zählt weder die VKA noch die DOAK zu den PIM. Nur Dagibatran gilt als fragliches PIM.
Besonders bei Menschen mit Demenz sollten sie vermieden werden.
Antipsychotika
Können Sedierung, tardive Dyskinesien, Dystonie, anticholinerge Effekte und Hypotonie verursachen.
Können zu Sturzneigung, Frakturen, Verwirrtheit, medikamenteninduziertem Parkinson-Syndrom, Obstipation, Harnretention und auffälligem Verhalten führen.
Als Augentropen verabreichtes Timolol kann Nebenwirkungen wie kardiovaskuläre (Bradykardie, Hypotonie), respiratorische (Asthma), psychische (Verwirrtheit, Depression) und unspezifischere Symptome (Abgeschlagenheit) verursachen.
Digoxin
Ältere Menschen sind besonders anfällig für Digitalis-Intoxikationen, die sich als Appetitlosigkeit, Übelkeit, abdominelle Beschwerden, Gewichtsabnahme, Synkopen oder Delir manifestieren.
Bei gleichzeitiger Einnahme von NSAR und SSRI vervielfacht sich das Risiko für gastrointestinale Blutungen.
bei Kombination mit anderen serotonergen Medikamenten, z. B. Triptanen, MAO-Hemmern oder Tramadol, erhöhtes Risiko für ein potenziell lebensbedrohliches Serotonin-Syndrom
TrizyklischeTri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA)
Trizyklische Antidepressiva können anticholinerge Effekte und orthostatische Hypotonie verursachen.
Können zu Sturzneigung, Verwirrtheit, Obstipation und Harnretention führen.
Bei zahlreichen Medikamenten ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens – z. T. gravierender – unerwünschter Arzneimittelwirkungen im Vergleich zum möglichen Nutzen gerade bei älteren oder vulnerablen Behandelten erheblich. Seit über 20 Jahren wird daher an Listen solcher „potenziell inadäquater Medikation“ (PIM) für ältere Behandelte gearbeitet (Beers-Kriterien).
DieseAngepasst beiden inzwischen erheblich weiterentwickelten Instrumente sind für die Praxis tauglich.
Die PRISCUS-Liste hat den Vorteil, aufan die deutsche Verordnungsrealität angepasst zu sein.
SieDie aktuelle Fassung der PRISCUS 2.0 Liste umfasst 83177 Arzneistoffe des deutschen Arzneimittelmarktes, die im Expertenkonsens als potenziell inadäquate Medikation (PIM) bei älteren Menschen eingestuft wurden, da die potenziellen Risiken den Nutzen übersteigen können.
Im Folgenden ein Auszug häufig verordneter Wirkstoffe, die PRISCUS 2.0 als PIM klassifiziert. Die Zuordnung als PIM bezieht sich auf die genannten Einzelwirkstoffe, aber nicht immer auf die gesamte Wirkstoffklasse.
ACE-Hemmer + Angiotensin-Rezeptor-Blocker (fehlender Nutzen bei erhöhtemhten Nebenwirkungsrisiken)
Azathioprin + Allopurinol oder Febuxostat (erhöhtes Risiko hämatologischer Toxizität)
Trimethoprim oder Cotrimoxazol + ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker (erhöhtes Risiko für StürzeHyperkaliämie und plötzlichen Herztod)Knochenbrüche .
DieOpioid Deutsche+ Gesellschaft für Innere MedizinTranquilizer (DGIM)erhöhte rMortalität)
Johanniskrautpräparat im+ RahmenSubstrate ihrerdes Initiative CYP3A4-Systems, z. B.:
Ciclosporin
Tacrolimus
Digoxin
Theophyllin
Antidepressiva wie Amitriptylin, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin
Antikonvulsiva wie Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital
Anti-HIV von-Medikamente: einerProteaseinhibitoren, Verordnungz. vonB. BenzodiazepinenIndinavir, evtl. auch Efavirenz und anderen Sedativa als Mittel der 1. Wahl bei Schlafstörungen, Agitation oder Delir bei älteren Menschen ab.Nevirapin
Alprazolam
MittelCitalopram mitoder anticholinergerEscitalopram Wirkung+ QTc-Zeit-verlängernde Substanz (erhöhtes Risiko für plötzlichen Herztod), z. B.:
verminderteFluorochinolon Nierenfunktion,+ Blutdrucksteigerung,multivalente FlüssigkeitsretentionKationen mit Zunahme einer Herzinsuffizienz
Viele ältere Menschen nehmen heute NSAR hauptsächlich gegen Schmerzen aufgrund von Arthrose und anderen degenerativen Erkrankungen des Bewegungssystemsp. o. Durch(Wirkungsbeeinträchtigung Gewichtsabnahmedurch Chelatbildung), körperliches Training und eine adäquate Schmerztherapie könnten die von Älteren eingenommenen NSAR-Mengen vermutlich stark herabgesetzt werden.
Interaktionen mit mehreren anderen Arzneimitteln
Besonders problematisch sind Mittel mit langer Halbwertzeit wie z. B. Piroxicam.:
WegenKalziumpräparate
Eisenpräparate
Magnesiumpräparate
Zinkpräparate
Rifampicin ihres+
Apixaban kardiovaskul(Beeinträren und gastrointestinalen Risikospektrums sollten auch andere NSAR, wie Diclofenac, Ibuprofen oder Coxibe, die nicht inchtigung der PRISCUSantikoagulativen Wirkung)
Vitamin-ListeK-Antagonist als(beschleunigte PIMElimination aufgeführtdes sindVKA, beiüberschießende Antikoagulation nach Absetzen von Rifampicin)
Makrolidantibiotikum (besonders Azithromycin) + QTc-Zeit-verlälterenngernde Menschen möglichst vermieden werden. Ist eine Behandlung mit NSAR unvermeidbar, dann scheint bei Substanz (erhöhtem kardiovaskulärem Risiko oder für eine längerfristige Therapie am ehesten Naproxen infrage zu kommen. Allerdings ist dabei ebenfalls das erhöhtehtes Risiko für gastrointestinaleplötzlichen KomplikationenHerztod), zuz. beachtenB.:
Amiodaron
Fluconazol
Terfenadin
Sotalol
Citalopram
Escitalopram
Clarithromycin + Simvastatin oder Lovastatin (erhöhtes Rhabdomyolyse-Risiko)
Fluconazol oder Itraconazol + Vitamin-K-Antagonist (stark erhöhtes Blutungsrisiko)8,27
ASS als Gerinnungshemmer + Ibuprofen (Beeinträchtigung der antithrombotischen Wirkung)
Weitere Kombinationen mit potenziellem Interaktionsrisiko
ASS + weiterer Thrombozytenfunktionshemmer (z. B. Clopidogrel) oder NSAR oder Kortikosteroid oder Antikoagulans
DieSSRI Deutsche+ GesellschaftAntikonvulsiva, fürAntipsychotika, InnereKodein, MedizinTramadol, (DGIM)Triptane, rät im Rahmen ihrer Initiative Klug Entscheiden von einer regelmäßigenMAO-Hemmer, NSAR-Gabe bei Menschen mit Hypertonie oder chronischer Nierenerkrankung jeder Genese, auchPhenprocoumon Diabetes, abu. a.
Insbesondere sollten die TZA Amitriptylin und Doxepin älteren Personen nicht verabreicht werden2.
Wirken stark anticholinerg und sedierend.
Besonders bei Menschen mit Demenz sollten sie vermieden werden.
Vorteilhafte Medikamente0
EinigeDie Medikamentein sinddiesem Abschnitt genannten Wirkstoffe haben laut PRISCUS 2.0 für ältere Patient*innen deutliche Vorteile gegenüber den bei der jeweiligen Indikation häufig verwendeten PIM.18
Die Empfehlungen beziehen sich nicht auf die jeweilige gesamte Wirkstoffklasse (z. B. SSRI) sondern auf die genannten Einzelwirkstoffe.
Die Einordung als mögliche Alternative ist nicht mit einer generellen Empfehlung der genannten Substanzen für die Behandlung älterer Menschen gleichzusetzen. Die verwendeten Therapien und deren Nutzen/Risiko-Verhältnis ist im individuellen Fall abzuwägen.
Zu berücksichtigen ist dabei das besonders vorteilhaftbei älteren Menschen ebenfalls erhebliche Nebenwirkungs- und Interaktionsrisiko, auch bei vielen der vorgeschlagenen Alternativen.
Oft ist die Ausschöpfung aller nichtmedikamentösen Therapieoptionen die bessere Alternative.
Alternativen zu risikoreichen systemischen Antihistaminika
Denpflanzliche größtenPräparate, Nutzen haben Hochrisiko-Patient*innen bei einer Einnahmedauer von mindestens 3 Jahren; evtl. lebenslange Einnahme.Arzneitees
Dosierung:Setrone, 75z. B. Ondansetron
Ingwerwurzelpulver
Antiemetika und Mittel gegen Übelkeit
pflanzliche Präparate
Ingwerwurzelpulver
Setrone
Mirtazapin (Off-Label-Use)
Dexamethason (Off-Label-Use)
Melperon < 100 mg/d, < 6 Wochen (Off-Label-Use)
Mittel gegen Obstipation
Macrogol
Flohsamen
Lactulose
rektale Klistiere
Sennoside < 1 Woche
Natriumpicosulfat < 1 Woche
Mittel gegen Diarrhö
Loperamid < 3 Tage, < 12 mg/d
Racecadotril
Opiumtinktur
Säureblocker
alginathaltige Antazida
PPI < 8 Wochen
ggf. Famotidin
Analgetika, Antiphlogistika, Antirheumatika und Muskelrelaxanzien
Paracetamol
NSAR ≤ 1 Woche, mit PPI ≤ 8 Wochen
Ibuprofen ≤ 3 x 400 mg/d
Naproxen ≤ 2 x 250 mg/d
BetablockerMetamizol
Glukokortikoide
Topika
Sollten bis zu einem Jahr nach Herzinfarkt eingesetzt werden.19Lidocain
Auch vorteilhaft für Personen mit Herzinsuffizienz, jedoch mit Vorsicht zu dosieren.
Betablocker sind nicht mehr 1. Wahl als Antihypertensivum.NSAR
ThiaziddiuretikaTilidin
Andere Opioide (außer Pethidin, Tramadol, Tapentadol, Methadon und Levomethadon)
niedrige Dosierung bei der Behandlung von HypertonieSSRI
Eine zu hohe Dosierung von Thiaziddiuretika kann erhöhte Harnsäurespiegel verursachen und Gicht auslösen sowie den Blutzucker bei Diabetes mellitus erhöhen.SNRI
Unter Hydochlorothiazid laut Registerdaten erhöhtes Risiko für nichtmelanotischen Hautkrebs. Unter langjähriger Einnahme von Hydochlorothiazid kam es in einer retrospektiven Kohortenstudie zu einem im Vergleich zu anderen Thiaziden erhöhten Risiko für Plattenepithelkarzinom der Haut.20-21Antikonvulsiva
könnenPipamperon sie als Behandlung psychischer Begleitsymptome wie Depression und Angst angezeigt sein.< Der Nutzen bei Demenzerkrankten ist jedoch nicht eindeutig belegt.120 mg/d
EsMelperon gibt bislang nur wenige Studien zur Behandlung von Verhaltenssymptomen bei Demenzkranken. Die SSRI Sertralin und Citalopram waren in 2 Studien mit der Reduktion von Agitiertheit assoziiert.23< 100 mg/d
TZAQuetiapin sollten wegen ihrer anticholinergen Effekte vermieden werden (s. o.).
ProblematischAndere istanxiolytisch diewirksamen GefahrSubstanzen von Interaktionen zwischen (SSRI und Antiepileptika, AntipsychotikaSNRI, Kodein, Tramadol, Triptanen, MAO-Hemmern etc.Pregabalin)
SSRIAntidepressiva erhöhenmit dassedierender Blutungsrisiko unter Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon24, jedoch ohne INR-Veränderung.Komponente
Mirtazapin
Sie sollen nicht mit NSAR kombiniert werden, da dies das Risiko für Magenblutungen vervielfacht.Trazodon
Statine
Phytotherapeutika
Die Wirksamkeit ist am besten belegt bei Patient*innen mit Koronarerkrankung, früherem Schlaganfall, Diabetes, PAVK, Karotisstenose und abdominellem Aortenaneurysma.Baldrian
Unter Statinen treten vermehrt Myopathien auf (Ia).
Vor allem während und kurz nach dem Absetzen für ausreichend engmaschige Kontrolluntersuchungen sorgen.
Unterstützung bietet das kanadische Absetztool MedStopper sowie das ARRIBA-Modul MediQuit.
Therapiebelastung reduzieren
Empfindet die behandelte Person die Therapie als Belastung, dann sind folgende Faktoren daraufhin zu überprüfen, ob deren Anpassung zu einer Reduktion der Therapiebelastung beitragen kann (IV/A):3
Zahl der Medikamente und Komplexität des Medikationsregimes
Aufwand und Umfang der erforderlichen Therapiekontrollen (Labortests, Kontrolltermine, Selbstkontrollen)
Aufwand und Umfang anderer Arten von Selbstmanagement
Koordination von Arztbesuchen und Folgerezepten.
Grundsätze der Prävention bei Älteren
Medikamente nur dann verschreiben, wenn die betreffende Erkrankung wirklich so schwer ist, dass sie eine Medikation notwendig macht.
Nur Medikamente verschreiben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ausreichend effektiv sind.
Zielgerichtet verschreiben und fortlaufend die Wirksamkeit bewerten.
Keine Medikamente mit hohem Nebenwirkungsrisiko
Überblick über aktuelle Medikamente und aktuelle Diagnosen verschaffen.
Einfache Regime bewirken bessere Compliance; für schriftliche Informationen sorgen.
Mit einer niedrigen Dosis beginnen und diese bei Bedarf nur langsam erhöhen.
Interaktionen und Nebenwirkungen bedenken.
Ggf. Serumkonzentrationsmessungen
Dosierung und Dosierungsintervall bei Bedarf neu einstellen.
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Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Guido Schmiemann, PD Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Universität Bremen (Review)
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
T36-T50 Vergiftungen; T887
eldre; polyfarmasi hos eldre; Polypharmazie im Alter; polypharmazie im alter (multimedikation)
A84; A85; A86
Arzneimittelwechselwirkungen im Alter; Pharmakokinetik im Alter; Metabolismus im Alter; Polymedikation; Polypharmakotherapie; Medikamente im Alter; Arzneimittel im Alter; Arzneimittelwechselwirkungen bei älteren Patienten; Pharmakokinetik bei älteren Patienten; Metabolismus bei älteren Patienten; Medikamente bei älteren Patienten; Arzneimittel bei älteren Patienten; choosing wisely; klug entscheiden; KEE
DEGAM-Review Schmiemann 30.03.23
BBB MK 23.03.2023 neue PRISCUS-Liste und neue LL.
DEGAM Rev. 20.08.21
Revision at 07.12.2015 17:44:18:
Final German Version
Revision at 30.10.2015 16:48:42
DEGAM 18.1.16 Schmiemann
MK 19.12.2017
CCC MK 06.08.2018, sprachlich und inhaltlich überarbeitet
Definition:Gleichzeitige Einnahme von 5 oder mehr Medikamenten. Steht häufig im Zusammenhang mit Multimorbidität. Wird begünstigt durch ungenaue Indikationsstellung, mangelnde Medikationsplanung und unzureichende Absprachen zwischen den Beteiligten (Patient*innen, Angehörige, Ärzt*innen, Apotheker*innen).