Die primäre Myelofibrose (früher: Osteomyelofibrose/-sklerose) ist eine chronische myeloproliferative Neoplasie (MPN, früher chronische myeloproliferative Erkrankung), die charakterisiert ist durch eine autonome klonale Vermehrung der hämatopoietischen Stammzelle und fibrotische Veränderungen des Knochenmarksmilieus.1-4
Die maligne Proliferation der blutbildenden Zellen wird angetrieben durch sog. Driver-Mutationen.3-4
Mittels Knochenmarkshistologie unterscheidet man folgende Subentitäten:4
präfibrotische primäre Myelofibrose
fibrotische primäre Myelofibrose
Kann aus den anderen chronischen myeloproliferativen Neoplasien, Polycythaemia vera und der essenziellen Thrombozythämie entstehen („Post-PV-MF“ und „Post-ET-MF“).3
Häufigkeit
Die jährliche Inzidenz liegt bei 0,4–1,5 pro 100.000 Personen.3,5-6
Betroffen sind insbesondere ältere Menschen. Das mittlere Alter bei der Diagnosestellung beträgt 65 Jahre.
Ca. 20 % aller Patienten sind zum Diagnosezeitpunkt unter 55 Jahre alt.6
Männer sind etwas häufiger betroffen (62 % der Patienten).3,7
Ätiologie und Pathogenese
Die Ursache der primären Myelofibrose ist unbekannt.
Eine Schlüsselrolle in der Pathogenese spielen, wie bei anderen chronisch myeloproliferativen Neoplasien auch, Mutationen, die zu einer unkontrollierten Zellteilung führen („Treiber/Driver-Mutationen“). Es kommt zu einer klonalen Vermehrung der blutbildenden Zellen.1,3,8
Am häufigsten sind Mutationen in den Genen JAK2 (Januskinase 2), CALR (Calreticulin) und Thrombopoietinrezeptor (MPL).
JAK2 (Januskinase 2), Punktmutation V617F
nachweisbar in 60 % der Fälle
MPL (Myeloproliferative Leukaemia Virus Oncogene Gene), Thrombopoetinrezeptor, Punktmutation W515L und andere
nachweisbar in 6 % der Fälle
CALR (Calreticulin), Deletionen/Insertionen in Exon 9
nachweisbar in 25 % der Fälle
mit einer guten Prognose assoziiert
„Triple negative“: keine Driver-Mutation nachweisbar
9 % der Fälle
mit einer schlechten Prognose assoziiert
In Studien wurden Mutationen in weiteren Genen nachgewiesen, die teils prognostisch relevant sind.
Es kommt zu einem fibrotischen Umbau des Knochenmarks. Da die Fibroblasten selbst polyklonal sind, vermutet man, dass der Umbau durch Ausschüttung von Wachstumsfaktoren durch die maligne entarteten hämatopoietischen Stammzellen angetrieben wird.9
Infolge des fibrotischen Umbaus der Knochenmarks kommt es zu extramedullärer Hämotopoese mit Splenomegalie. Symptomatisch werden Patienten oft erst spät aufgrund einer gestörten Blutbildung, die zu (Pan-)Zytopenie führen kann mit den entsprechenden Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Infekt- und Blutungsneigung. Darüber hinaus kommt es zu thromboembolischen Komplikationen (s. u.).3,6
Die Erkrankungswahrscheinlichkeit steigt mit dem Lebensalter.
Wie bei anderen Malignomen besteht ein erhöhtes Risiko für Patienten, die ionisierender Strahlung oder Chemikalien wie aromatischen Kohlenwasserstoffen (z. B. Benzol) ausgesetzt waren.10-11
ICPC-2
B74 Maligne Bluterkrankung, andere
ICD-10
D47.1 Chronische myeloproliferative Krankheit
D47.4 Osteomyelofibrose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien (WHO-Kriterien)
Die Diagnose erfolgt nach den WHO-Kriterien von 2016. Es müssen alle 3 Hauptkriterien und mindestens 1 Nebenkriterium erfüllt sein.2,4
Hauptkriterien
Knochenmarkbiopsie mit Nachweis von Megakaryozytenproliferation und -atypien, in der Regel begleitet von entweder Retikulin- und/oder Kollagenfibrose. Bei Abwesenheit einer vermehrten Fibrosebildung im Knochenmark müssen die Megakaryozytenveränderungen begleitet sein von einer gesteigerten Markzellularität mit Granulozytenproliferation und oft von eingeschränkter Erythropoiese (präfibrotisch, hyperzelluläre Phase).
Anämie, sehr häufig normochrom und normozytär. Kann jedoch mikrozytär und hypochrom (Eisenmangel) oder makrozytär (Folsäuremangel wegen erhöhten Zell-Turnovers) sein.13
Die Anzahl der Leukozyten und Thrombozyten kann normal, erhöht oder erniedrig sein in Abhängigkeit von der Erkrankungsphase. In der frühen (präfibrotischen) Phase zeigt sich häufig eine Thrombozytose.
Symptome lindern und die Lebensqualität verbessern.
Eine Knochenmarktransplantation kann die Erkrankung heilen.14
Allgemeines zur Therapie
Die Therapie der primären Myelofibrose ist von ihrem Schweregrad abhängig.
Die einzige kurative Therapieoption ist die allogene Blutstammzelltransplantation.
Diese ist mit erheblichen Nebenwirkungen (s. u.) verbunden und wird deshalb nur die Patienten mit Hochrisikoformen und gutem Allgemeinzustand empfohlen.
Bei Niedrig- oder Intermediärrisiko erfolgt eine palliative Therapie.
abwartendes Vorgehen („Watchful Waiting“)
Behandlung der Symptome mit dem selektiven JAK1/2-Hemmer Ruxolotinib, Splenektomie oder andere Medikamente (u. a. Kortikosteroide, Erythropoetin).
Risikoabschätzung
Entscheidend für die bestmögliche Therapie ist die möglichst exakte Abschätzung des Krankheitsverlaufs.
Hierfür wurden zahlreiche Prognose-Scores entwickelt, in die Patientenalter, Symptome und klinische, laborchemische und zunehmend auch molekulare Befunde einfließen.3
IPSS (International Prognostic Scoring System)
Dynamischer IPSS (DIPSS)
MIPSS-70+ (Mutation- and Karyotype-enhanced International Prognostic Scoring System) 15
Ist aber mit einem hohen Risiko für schwere Nebenwirkungen und Tod verbunden.
Die transplantatasoziierte Mortalität nach 100 Tagen beträgt 18–35 %.17
Eine häufige Nebenwirkung ist eine schwere Graft-versus-Host-Disease (GVHD Grad II–IV), die bei 24–43 % der Patienten akut und bei 23–43 % chronisch auftritt.17-18
Für ausgewählte jüngere Patienten (biologisches Alter < 70 Jahre) mit schwerer Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung.3,14-15,19
„Entzugssyndrom“ mit Wiederauftreten der Symptome bis hin zu einem sepsisartigen Krankheitsbild bei plötzlichem Absetzen der Medikation
Hydroxyurea
Zur zytoreduktiven Therapie bei ausgeprägter Leukozytose oder Thrombozytose und zur Reduktion der Splenomegalie3,15
Off-Label-Anwendung
Zu den unerwünschten Nebenwirkungen zählen eine Knochenmarksdepression mit Anämie und Leukopenie, gastrointestinale Beschwerden, Hautausschläge, Kopfschmerzen und sekundäre Malignome wie Leukämien Jahre später, weshalb von einer Therapie bei jungen Patienten teils abgeraten wird.
Knochenmarkuntersuchung bei Verdacht auf Transformation durch Hämatoonkologie
Quellen
Leitlinie
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Myeloproliferative Neoplasien (MPN). Onkopedia Leitlinie, Stand Juli 2018. www.onkopedia.com
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Myeloproliferative Neoplasien (MPN). Onkopedia Leitlinie, Stand Juli 2018. www.onkopedia.com
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Definition:Chronisch myeloproliferative Neoplasie mit autonomer klonaler Vermehrung der Knochenmarksstammzelle und Fibrose des Knochenmarks, wodurch es zu einer Panzytopenie und extramedullären Blutbildung mit Splenomegalie kommt.
Häufigkeit:1 Fall/100.000 Personen/Jahr. Betroffen sind insbesondere ältere Menschen.
Symptome:Unspezifische Allgemeinsymptome (Abgeschlagenheit, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß), lokale Beschwerden durch Splenomegalie (Völlegefühl), thromboembolische Ereignisse, Blutungen, Infektionen.
Befunde:Anfänglich oft Thrombozytose, später Anämie oder Panzytopenie, Blasten im peripheren Blut (Leukerythroblastose; Tränentropfenformen), erhöhte LDH, Splenomegalie.
Therapie:Abhängig von krankheitsspezifischer Prognose und Allgemeinzustand.Allogene Stammzelltransplantation in kurativer Intention bei jüngeren und fitten Patienten mit Hochrisikovarianten. Anderenfalls palliative symptomorientierte Behandlung, u. a. durch den Tyrosinkinaseinhibtor Ruxolitinib.
Definition:Chronisch myeloproliferative Neoplasie mit autonomer klonaler Vermehrung der Knochenmarksstammzelle und Fibrose des Knochenmarks, wodurch es zu einer Panzytopenie und extramedullären Blutbildung mit Splenomegalie kommt.
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