Zusammenfassung
- Definition:Das Budd-Chiari-Syndrom umfasst Veränderungen durch eine meistens thrombotisch verursachte Störung des hepatischen Ausflusses.
- Häufigkeit:In westlichen Ländern sehr seltene Erkrankung mit einer jährlichen Inzidenz von ca. 1 Fall pro 2,5 Millionen Einwohnern.
- Symptome:Typisch ist die Trias aus Bauchschmerzen, Hepatomegalie und Aszites. Ikterus, Ösophagusvarizenblutung.
- Befunde:Hepatosplenomegalie, Aszites, Ikterus, evtl. Zeichen einer hepatischen Enzephalopathie.
- Diagnostik: Diagnosestellung beruht auf klinischem Bild, Labor (häufig angeborene oder erworbene Thrombophilie) und Bildgebung (Sonografie, CT, MRT).
- Therapie:Die Behandlung umfasst medikamentöse Therapie (Antikoagulation), katherinterventionelle Verfahren (Angioplastie/Stenting, TIPS) und Lebertransplantation als Ultima Ratio.
Allgemeine Informationen
Definition
- Das Budd-Chiari-Syndrom (BCS) umfasst Veränderungen durch eine Störung des hepatischen Ausflusses1
- Die Abflussstörung kann im Bereich der Lebervenen oder der V. cava inferior liegen.
- Eine rechtskardiale Ursache liegt dabei definitionsgemäß nicht vor.2
Klinische Präsentation
- Variierende klinische Präsentation, von asymptomatischen Patienten bis hin zum akuten Leberversagen3
- Nicht spezifisch, aber typisch ist die Trias:
- Bauchschmerzen
- Hepatomegalie
- Aszites.
- Nach Art der klinischen Manifestation können unterschieden werden:1,4
- fulminantes Leberversagen (ca. 5%)
- akute Form mit Manifestation innerhalb von Wochen
- subakute Form (am häufigsten) mit Entwicklung innerhalb dreier Monate (Aszites und hepatische Nekrosen aufgrund der Ausbildung von Kollateralvenen weniger häufig)
- chronische Form gekennzeichnet durch Leberzirrhose und ihre Komplikationen
Häufigkeit
- Sehr seltene Erkrankung in westlichen Ländern, häufigeres Vorkommen in Asien5
- geschätzte jährliche Inzidenz im Westen: 1 Fall pro 2,5 Mio. Einwohner6
- Gehäuftes Auftreten in der 3.–5. Lebensdekade, kann aber in jedem Alter auftreten.7
- Frauen in der westlichen Welt etwas häufiger betroffen als Männer4,8
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- In 80 % der Fälle kann eine Grunderkrankung identifiziert werden.4
- Ätiologisch am bedeutsamsten sind angeborene und erworbene Gerinnungsstörungen, Letztere vor allem im Rahmen myeloproliferativer Erkrankungen.
Häufige Ursachen2
- Angeborene Trombophilien
- Antithrombin-III-Mangel
- Faktor-V-Leiden-Mutation
- Prothrombin-Mutation
- Protein-S-Mangel
- Protein-C-Mangel
- Erworbene Thrombophilien
- myeloproliferative Erkrankungen, JAK-2-Mutation
- paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
- Antiphospholipid-Syndrom
- Malignome
- Schwangerschaft
- orale Antikontrazeptiva
Seltenere Ursachen2
- Tumorinvasion, hepatozelluläres Karzinom
- Aspergillose
- Behcet-Syndrom
- Kongenitale Stenosen oder intravasale membranöse Netze
- Trauma
- Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie
- Idiopathisch
Pathophysiologie
- Ein Budd-Chiari-Syndrom ist keine Erkrankung des Leberparenchyms, sondern entwickelt sich als Folge einer venösen Obstruktion.9
- Die Ausflussobstruktion verursacht:10
- Ischämie mit Leberzellnekrose und Leberinsuffizienz
- Erhöhung des sinusoidalen Drucks mit:
- Leberstauung/stauungsinduzierter Fibrose
- portaler Hypertension mit Aszites, Ösophagusvarizen.
- Die Beteiligung von mindestens 2 Lebervenen ist erforderlich, um eine Erhöhung des sinusoidalen Drucks hervorzurufen.11
- bis zu 25 % der Patienten mit asymptomatischem Verlauf12
- In der chronischen Phase dominiert die Entwicklung der Fibrose mit Atrophie der betroffenen Bereiche und kompensatorischer Hypertrophie der nicht betroffenen Segmente.11
Prädisponierende Faktoren
- Siehe Abschnitt Ätiologie.
ICPC-2
- D97 Lebererkrankung NNB
ICD-10
- I82 Sonstige venöse Embolie und Thrombose
- I82.0 Budd-Chiari-Syndrom
ICD-10 Allgemeinmedizin
- I82 Sonstige venöse Embolie und Thrombose / I82.0 Budd-Chiari-Syndrom
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnose eines Budd-Chiari-Syndroms beruht auf:
- klinischem Bild
- Labor
- Bildgebungsverfahren.
Differenzialdiagnosen
- Andere Lebererkrankungen
Anamnese
- Symptome
- Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Appetitlosigkeit/Völlegefühl, Übelkeit/Erbrechen
- Bauchbeschwerden/-schmerzen
- Zunahme des Bauchumfangs
- Gelbfärbung von Skleren/Haut
- blutiges Erbrechen (Ösophagusvarizen)
- Vorgeschichte
- Thrombosen
- bekannte Thrombophilie
- myeloproliferative Erkrankungen
- paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
- Malignome
- Schwangerschaft
- Medikation
- orale Antikontrazeptiva
Klinische Untersuchung
- Ikterus
- Hepatomegalie
- Splenomegalie
- Aszites
- Vergrößerte subkutane Venen des Abdomens (Kollateralen)
- Zeichen einer hepatischen Enzephalopathie
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Labor
Basislabor
- Blutbild (Hinweis für myeloproliferative Erkrankungen?)
- Leberwerte
- Nierenretentionsparameter
Evtl. ergänzend Thrombophilielabor
- Antithrombin-III
- Faktor-V-Leiden-Mutation
- Prothrombin-Mutation
- Protein-S
- Protein-C
- Antiphospholipid-AK
Sonografie
- Aszites
- Hepatomegalie
- Splenomegalie
Untersuchungen beim Spezialisten
Bildgebung
- Ziele der Bildgebung bei V. a. BCS11
- Diagnosestellung (nicht selten schwierig)
- Planung der Strategie bei endovaskulärer Therapie
- Abgrenzung regenerativer Läsionen von einem seltenen hepatozellulären Karzinom
- Direkte Zeichen eines BCS11
- verschlossene Lebervenen
- Stase oder retrograder Fluss in Lebervenen
- Kollateralen
- Indirekte Zeichen eines BCS11
- heterogene Parenchymdarstellung
- Hypertrophie nicht betroffener Leberareale
- Atrophie von Arealen ohne Abfluss
- portale Hypertonie
Duplex- und Doppler-Sonografie
CT
- Weniger genau als Ultraschall in der Lebervenendarstellung, aber besser in der Erfassung von Kollateralen11
- Gute Erfassung von Parenchymveränderungen11
MRT
- Gute Darstellung von Lebervenen und intra- und extrahepatischen Kollateralen11,15
- Gute Darstellung und Charakterisierung von Parenchymveränderungen11
Venografie
- Bei Unsicherheit nach Durchführung der nichtinvasiven Bildgebung13
- Im Rahmen der Planung endovaskulärer Eingriffe13
Leberbiopsie
- Im Einzelfall Nachweis von Thrombosierungen der kleinen Lebervenen, wenn die Bildgebung keine Verschlüsse der großen Lebervenen gezeigt hat.13,16
Labor
- Mutation des JAK2-Gens (myeloproliferative Erkrankungen)
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Diagnostik bei V. a. Budd-Chiari-Syndrom13
- Die Diagnose eines Budd-Chiari-Syndroms (BCS) sollte bei allen asymptomatischen und symptomatischen Patienten mit einer akuten oder chronischen Lebererkrankung erwogen werden (A1).
- Doppler Ultraschall ist die Erstlinienbildgebung, MRI und CT dienen der Bestätigung der Diagnose (A1).
- Diagnostik bei BCS sollte erfolgen auf (A1):
- Thrombophilie (angeboren und erworben)
- myeloproliferative Erkrankungen
- paroxysamale nächtliche Hämoglobinurie
- Autoimmunerkrankungen
- intraabdominelle Malignome und Entzündungsprozesse.
- Patienten mit BCS sollten an ein Zentrum überwiesen werden (A1).
Therapie
Therapieziele
- Prognose verbessern durch Beseitigung oder Umgehung der Obstruktion.
- Neue Obstruktionen vermeiden.
- Komplikationen behandeln.
Allgemeines zur Therapie
- Der stufenweise Therapiealgorithmus umfasst folgende Schritte:13,17-19
- medikamentöse Behandlung
- Angioplastie/Stenting
- Shunt (TIPS, chirurgischer Shunt)
- Lebertransplantation.
- Eine portale Hypertonie und ihre Folgen (Aszites, Varizen) sollten nach den hierfür üblichen Empfehlungen behandelt werden.13,20
Medikamentöse Therapie
- Eine dauerhafte Antikoagulation sollte so früh wie möglich begonnen werden.13
- Beginn mit niedermolekularem Heparin und anschließender Umstellung auf Vit-K-Antagonist mit INR 2–313
- zur Zeit keine eindeutigen Empfehlungen zu NOAK10
- Das Risiko von Aszitespunktionen bei BCS-Patienten unter oraler Antikoagulation ist allenfalls gering erhöht.21
- Kontrolle der Erkrankung in ca. 25 % der Fälle durch Antikoagulation, vor allem bei leichten Verläufen10
- Nur wenige Daten zur Thrombolyse von Lebervenenverschlüssen13-14
Angioplastie/Stenting
- Option vor allem bei Patienten mit membranösen Obstruktionen oder kurzstreckigen Stenosen in Lebervenen oder Vena cava inferior22
- Stentimplantation vermindert das Risiko einer Restenose um ca. 75 %, kann allerdings eine später evtl. notwendige Behandlung mit TIPS erschweren.22
- Angioplastie/Stenting stellen für ca. 10 % der Patienten die definitive Behandlung dar.13
Shuntverfahren
Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt, TIPS
- Indiziert bei Patienten mit nicht beherrschbaren Folgen der portalen Hypertonie2
- Prinzip des TIPS: Senkung des Pfortaderdrucks durch Verbindung zwischen Pfortadersystem und ableitendem Lebervenensystem mittels eines Stents
- Zurzeit werden in Europa ca. 60 % der BCS-Patienten mit TIPS versorgt.10
- TIPS kann auch eine Überbrückungsmethode bis zu einer Lebertransplantation sein.9
Chirurgischer Shunt
- Heutzutage aufgrund der im Vergleich erhöhten Morbidität und Mortalität Option nur für Patienten, die katheterinterventionell nicht behandelt werden können.9
- Meso-cavaler Shunt ist die am häufigsten verwendete Technik.13
Lebertransplantation
Leitlinie: Therapie des Budd-Chiari-Syndroms13
- Alle BCS Patienten sollen antikoaguliert werden, sofern keine Kontraindikation vorliegt (A1).
- Bei invasiven Prozeduren wie Aszitespunktion kann eine kurze Unterbrechung der Antikoagulation erwogen werden.
- Angioplastie/Stenting sollte bei Patienten mit kurzstreckigen Lebervenenstenosen oder Stenose der V. cava inferior als dekompressive Erstlinientherapie erwogen werden (A1).
- Patienten, die auf die initiale Therapie oder Angioplastie/Stenting nicht ansprechen, sollten mit TIPS behandelt werden (A1).
- Falls TIPS nicht durchführbar oder ohne Erfolg, sollte ein chirurgischer Shunt diskutiert werden (B1).
- Bei Versagen der Shuntbehandlungen sollte eine Lebertransplantation vorgeschlagen werden (A1).
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Leberversagen
- Komplikationen der portalen Hypertonie
- Blutungskomplikationen unter Antikoagulation
Verlauf und Prognose
- Sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe von asymptomatisch bis zu fulminantem Leberversagen
- Unbehandelte Patienten versterben im Allgemeinen innerhalb von 3 Monaten bis 3 Jahren an progredientem Leberversagen.14
- In den letzten beiden Dekaden deutliche Besserung der Prognose durch die modernen Behandlungsmethoden.
- Frühe Diagnose und Behandlung bessert die Prognose.3
- Tod vor allem durch Leberversagen, Auszehrung durch therapierefraktären Aszites und gastrointestinale Blutungen.10
- Verlaufskontrollen sollten auch das Screening auf ein hepatozelluläres Karzinom umfassen.13
Patieninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Gastrointestinale Blutung. AWMF-Nr. 021-028. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Komplikationen der Leberzirrhose. AWMF-Leitlinie 021-017. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
- European Association for the Study of the Liver. Clinical Practice Guidelines: Vascular Diseases of the Liver. Stand 2015. www.easl.eu
Literatur
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Autoren
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim