Chronische myeloische Leukämie (CML)

Zusammenfassung

  • Definition:Die chronische myeloische Leukämie (CML) gehört zu den myeloproliferativen Erkrankungen. Krankheitsdefinierend ist das verkürzte Chromosom 22 mit dem Fusionsgen BCR-ABL (Philadelphia-Chromosom). Gesteigerte Tyrosinkinaseaktivität führt zur Überproduktion insbesondere von Granulozyten und ihren Vorläuferzellen.
  • Häufigkeit:Jährliche Inzidenz ca. 1.5/100.000 Einw.
  • Symptome:Zumeist langsame Entwicklung von unspezifischen Symptomen wie Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Fieber, Nachtschweiß und Oberbauchbeschwerden.
  • Befunde:Vergrößerte Milz, vergrößerte Leber, evtl. Anämie.
  • Diagnostik:Nicht selten Zufallsbefund einer Blutbildkontrolle. Leukozytose mit Linksverschiebung hin zu unreifen Vorstufen, Thrombozytose, evtl. Anämie. Nachweis von BCR-ABL im peripheren Blut mittels PCR. Knochenmarkspunktion mit zytogenetischem Nachweis des Philadelphia-Chromosoms.
  • Therapie:Unter medikamentöser Behandlung mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) nur noch gering reduzierte Lebenserwartung. Selten allogene Stammzelltransplantation bei Therapieresistenz.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die chronische myeloische Leukämie (CML) gehört zu den myeloproliferativen Erkrankungen.
  • Krankheitsdefinierend ist das verkürzte Chromosom 22 (Philadelphia-Chromosom) mit dem Fusionsgen BCR-ABL. 
  • Die CML wird als Modellerkrankung für Diagnostik und Therapie neoplastischer Erkrankungen betrachtet.1
    • Krankheitsauslösung durch ein einzelnes Gen mit Enstehung einer dauerhaft aktivierten Tyrosinkinase
    • gezielte Therapien zur Hemmung der Tyrosinkinaseaktivität

Häufigkeit

  • Jährliche Inzidenz ca. 1,2–1,5/100.000 Einw.1
    • etwa 1.000–1.200 jährliche Neuerkrankungen in Deutschland1
  • Erkrankungsgipfel bei 55–60 Jahren, Vorkommen aber in allen Altersgruppen möglich (bei Kindern sehr selten)1
  • Verhältnis Männer zu Frauen ca. 3:22
  • Die CML macht ca. 10 % aller Leukämien aus.3

Ätiologie und Pathogenese

  • Bei über 90 % der Patient*innen Nachweis des sog. Philadelphia-Chromosoms
    • anomal kleines und verändertes Chromosom 22
      • Entstehung durch balancierte Translokation zwischen Chromosom 9 und 22, t(9;22)
    • Durch Translokation Bildung eines onkogenen Hybridgens BCR-ABL, das auf Chromosom 22 lokalisiert ist.
    • BCR-ABL kodiert für ein Fusionsprotein mit hoher Tyrosinkinaseaktivität.
    • Die hohe Tyrosinkinaseaktivität führt zur unkontrollierten Vermehrung hämatopoetischer Stammzellen.
    • Bildung von BCR-ABL ist notwendig und ausreichend für die Entwicklung einer CML.
  • Geringer Anteil von Patient*innen mit CML ohne Philadelphia-Chromosom, aber dennoch mit Hybridgen BCR-ABL in Leukämiezellen
    • Die Ursache ist eine Translokationsvariante mit mehreren Chromosomen.

Prädisponierende Faktoren

  • Es sind keine erblichen oder infektiösen Faktoren bekannt, die für eine CML prädisponieren.4
  • Ionisierende Strahlung führt zu erhöhtem Risiko.4
  • Jahrelange berufliche Exposition mit 1,3-Butadien (Kunststoffindustrie)5

ICPC-2

  • B73 Leukämie

ICD-10

  • C92.1 Chronische myeloische Leukämie

Diagnostik

  • Häufig zufällige Diagnose bereits im symptomfreien Stadium bei Blutbildkontrolle aus anderen Gründen6

Anamnese

  • In der chronischen Phase unspezifische Symptome wie:4,6
  • Bei Erstmanifestation in fortgeschrittenem Stadium (Akzeleration oder Blastenkrise):4
    • Blutungszeichen (Petechien und/oder Hämatome)
    • Infektionen
    • Anämiezeichen (Blässe, schneller Puls, Atemnot)
    • bei Leukozytose > 200.000/μl Leukostasesymptome möglich (Kopfschmerzen, Visusverlust bei Verschluss der V. centralis retinae, Priapismus), Notfallsituation

Klinische Untersuchung

  • Splenomegalie bei ca. 75 %7
    • Milzgröße in cm unter Rippenbogen prognoserelevant4 
  • Hepatomegalie bei ca. 50 %7
  • Lymphknotenschwellungen nur selten

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Labor: Blutbild

  • Verdacht auf CML bei anderweitig nicht erklärbarer persistierender Leukozytose mit folgenden Blutbildveränderungen:4,8
    • Leukozyten im Median bei 100.000/μl (Schwankungsbereich 12.000–1000.000/μl)
    • Linksverschiebung im Blutausstrich mit unreifen Zellen der Myelopoese (Metamyelozyten, Myelozyten, Promyelozyten und Myeloblasten)
    • häufig Basophilie (prognoserelevant)
    • häufig Eosinophilie
    • Thrombozytose (hochnormal bis stark erhöht > 1.000.000/μl)
    • häufig Anämie.

Labor: klinische Chemie

Sonografie Abdomen

  • Nachweis und Quantifizierung einer Vergrößerung von Milz und Leber

EKG

  • Ausschluss einer QT-Verlängerung vor Beginn einer Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (siehe auch EKG, Checkliste)

Diagnostik bei Spezialist*innen

Peripheres Blut

  • Multiplex-PCR auf BCR-ABL-Transkripte6
    • Bestätigung der Diagnose
    • wichtig auch als Ausgangswert für Verlaufskotrollen

Knochenmarksaspirat

  • Zytologie: Anteil von Blasten und Promyelozyten, Eosinophile, Basophile6
  • Zytogenetik: Metaphasenanalyse mit Nachweis des Philadelphia-Chromosoms6

Knochenmarksbiopsie

  • Zellularität, Fibrose, Blastenzahl und -verteilung6

Erkrankungsphasen

  • Die Diagnosestellung erfolgt zumeist in der chronischen Phase, wenn die Erkrankung klinisch inapparent oder oligosymptomatisch ist.
  • Ohne Therapie erfolgt im weiteren Verlauf nach unterschiedlicher Dauer die Progression in die Akzeleration und in die Blastenkrise4

Chronische Phase

  • Leukozytose mit Linksverschiebung
  • Splenomegalie
  • Blasten und Promyelozyten im peripheren Blut oder Knochenmark von < 10 %4
  • Hyperzelluläres Knochenmark mit dominanter Granulopoiese4

Akzelerierte Phase – Kriterien1,9

  • 15–29 % Blasten in Blut oder Knochenmark – oder –
  • Blasten plus Promyelozyten im Blut oder Knochenmark > 30 % (mit < 30 % Blasten) – oder –
  • ≥ 20 % Basophile in Blut oder Knochenmark – oder –
  • Therapieunabhängige Thrombozytopenie < 100.000/µl – oder –
  • Thrombozyten > 1.000.000/µl – oder –
  • Neu entstandene klonale Evolution – oder –
  • Progrediente Fibrose des Knochenmarks – oder –
  • Progrediente Splenomegalie und ansteigende Leukozyten, die auf die Therapie nicht ansprechen.

Blastenkrise – Kriterien1,9

  • ≥ 30 % Blasten in Blut oder Knochenmark – oder –
  • Nachweis einer Proliferation extramedullärer Blasten

Risikostratifizierung

  • Für die Einschätzung der Prognose stehen 4 Scores zur Verfügung:1
  • Aktuell wird die bevorzugte Anwendung des ELTS (EUTOS-Long Term Survival Score) empfohlen.1
  • In den ELTS gehen folgende Parameter ein (ELTS-Rechner):1
    • Alter
    • Milzgröße (cm unter Rippenbogen)
    • Thrombozyten (109/l)
    • Blasten im Blut (%).

Differenzialdiagnosen

  • Reaktive Leukozytosen (z. B. Infektionen, rheumatologische Erkrankungen, Kortikosteroideinnahme)
  • Andere chronische myeloproliferative Neoplasie1

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf chronische myeloische Leukämie Überweisung zu Spezialist*innen
  • In der Blastenkrise sofortige Krankenhauseinweisung

Therapie

Therapieziele

  • Ziel der Behandlung ist die Remission.
    • hämatologisch
    • zytogenetisch
    • molekular
  • Abhängig vom Therapieerfolg werden die verschiedenen Ebenen der Remission erreicht:10
    1. zunächst Normalisierung des Blutbildes mit abnehmender Krankheitslast als Ausdruck der hämatologischen Remission
    2. Abfall Philadelphia-positiver Metaphasen als Ausdruck der zytogenetischen Remission
    3. Abfall der BCR-ABL-Transkripte als Ausdruck der molekularen Remission.

Definition der Remission1

  • Komplette hämatologische Remission im peripheren Blut (CHR)
    • Leukozyten < 10.000/μl
    • keine Myelozyten, Promyelozyten oder Myeloblasten
    • Basophile < 5 %
    • Thrombozyten < 450.000/µl
    • Milz nicht tastbar
  • Zytogenetische Remission (Knochenmark)
    • komplett (CCyR): keine Philadelphia-Chromosom(PH+)-Metaphasen
    • partiell (PCyR): 1–35 % Ph+ Metaphasen
    • minor (mCyR): 36–65 % Ph+ Metaphasen
    • minimal (minCyR): 66–95 % Ph+ Metaphasen
    • keine (keine CyR): > 95 % Ph+ Metaphasen
    • CCyR und PCyR definieren das majore zytogenetische Ansprechen auf die Therapie (MCyR).
  • Molekulare Remission (peripheres Blut)
    • major (MMR): BCR-ABL-Transkripte < 0,1 %
    • tief: BCR-ABL-Transkripte < 0,01 %

Definition des Ansprechens auf Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI)

  • Regelmäßiges Monitoring der Kriterien für hämatologische, zytogenetische und molekulare Remission zur Beurteilung des Therapieerfolgs
  • Ein optimales Ansprechen auf die Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) ist durch die Erreichung folgender Meilensteine definiert:
    • 3 Monate
      • Ph+ ≤ 35%
      • BCR-ABL-Transkripte ≤ 10 %
    • 6 Monate
      • Ph+ 0 %
      • BCR-ABL-Transkripte ≤ 1 %
    • 12 Monate
      • BCR-ABL-Transkripte ≤ 0,1 %
    • > 18 Monate
      • BCR-ABL-Transkripte ≤ 0,01 %.

Allgemeines zur Therapie

  • Patient*innen mit CML sollten möglichst in klinische Studien eingeschlossen werden.6
  • Behandlungsbeginn nach Diagnosestellung6
  • Hydroxyurea als Initialtherapie noch vor Klärung des BCR-ABL-Status, falls extrem erhöhte Leukozytenzahl mit Gefahr eines Hyperviskositätssyndroms1
  • Unmittelbar nach Nachweis von BCR-ABL Beginn einer Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI)1
  • TKI werden grundsätzlich als Dauertherapie verabreicht.4
    • Eine unregelmäßige Einnahme kann zur Resistenzbildung führen.
    • Ein unkontrolliertes Absetzen von TKI führt im Allgemeinen in 3–6 Monaten zum Rezidiv.
  • Von großer Bedeutung ist daher eine gute Therapieadhärenz der Patient*innen, häufige Gründe für eine nicht kontinuierliche Einnahme sind:11
    • unbeabsichtigtes Vergessen, z. B. Nichtmitnahme der Medikation auf eine Reise
    • beabsichtigte Nichteinnahme, z. B. wegen störender Nebenwirkungen.
  • Bei anhaltender molekularer Remission kann aber ein Absetzversuch der TKI unter streng kontrollierten Bedingungen eine Option sein.11

Spezielle Therapie in der chronischen Phase

  • Die Behandlung beruht heute vor allem auf Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI).
  • TKI hemmen das Fusionsprotein BCR-ABL, eine aktive Tyrosinkinase mit zentraler Bedeutung für Wachstum und Differenzierung der Leukämiezellen.
  • TKI greifen direkt in den Pathomechanismus der CML ein und haben dadurch die Behandlung revolutioniert.
  • Es stehen mittlerweile 3 Generationen an TKI zur Verfügung.

Erstlinientherapie

  • TKI der 1. Generation: Imatinib
    • Imatinib ist am besten dokumentiert und 1. Wahl unter den TK.12-14
    • Imatinib ist seit 2002 für Behandlung der CML zugelassen.
    • insgesamt gut verträgliches Medikament, Therapieabbruch aufgrund von Nebenwirkungen selten10– nicht-hämatologische Nebenwirkungen Grad 3/4 (schwer oder lebensbedrohend):10
      • Transaminasenanstieg
      • Flüssigkeitsretention.
  • TKI der 2. Generation: Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib
    • höhere Rate zytogenetischer und molekularer Remissionen im Vergleich zu Imatinib15-17
    • Aufgrund der höheren Remissionsrate erfolgte die Erstlinienzulassung für Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib.18
      • Eine Verlängerung der Überlebenszeit im Vergleich zu Imatinib konnte bislang noch nicht nachgewiesen werden.19-22
    • Neben der verbesserten Remissionsrate weisen idie TKI der 2. Generation andere Nebenwirkungsprofile im Vergleich zu Imatinib auf.
    • Nilotinib19,23 – nicht-hämatologische Nebenwirkungen Grad 3/4:10
    • Dasatinib20,24– nicht-hämatologische Nebenwirkungen Grad 3/4:10
    • Bosutinib15 – nicht-hämatologische Nebenwirkungen Grad 3/4:25
  • Therapieversagen bei TKI der 2. Generation etwas seltener6
  • Die unterschiedlichen Nebenwirkungsprofile sind bei der Wahl des TKI wichtig, z. B. ist Danatinib ungünstig bei Herzinsuffizienz, Nilotinib bei Diabetes mellitus.18,26
    • Bei Herzrhythmusstörungen, Blockbildern im EKG oder Pankreatitis ist bei allen TKI Vorsicht geboten.6
TKI in Kombination mit Interferon alpha
  • Vor der Einführung der TKI war Interferon alpha Basis der Behandlung, spielt als Monotherapie aber heutzutage keine Rolle mehr.
  • Die Kombination aus TKI und Interferon alpha führt möglicherweise zu höheren Remissionsraten.1
Absetzen der TKI-Behandlung bei anhaltender Remission
  • Bei Patient*innen in tiefer molekularer Remission kann ein Absetzen der Therapie erwogen werden.27-32
  • Dies kann insbesondere für jüngere Patient*innen mit nicht abgeschlossener Familienplanung wichtig sein.1
  • Ein Teil der Patient*innen verbleibt nach Absetzen in stabiler Remission, bei einem Teil kommt es zum Rezidiv, vor allem in den ersten Monaten nach dem Absetzen.18,33-35
  • Günstige Kriterien für ein Absetzen sind u. a.:1
    • chronische Phase der CML
    • optimales Ansprechen auf Erstlinientherapie
    • Dauer der TKI-Therapie insgesamt länger als 5 Jahre
    • tiefe Remission erreicht
    • Dauer der tiefen molekularen Remission kontinuierlich anhaltend über mehr als 2 Jahre

Zweitlinientherapie

  • Bei unzureichendem Ansprechen, Resistenz oder Intoleranz kann eine Zweitlinientherapie durchgeführt werden.1
  • Dabei erfolgt ein Wechsel auf einen alternativen TKI der 1. oder 2. Generation oder die Behandlung mit einem TKI der 3. Generation (Ponatinib).1
  • Bei der Wahl des TKI werden berücksichtigt:18
    • klinische Kriterien (Nebenwirkungsspektrum)
    • Mutationsstatus bei Resistenz gegen die Erstlinientherapie.

Allogene Stammzelltransplantation

  • Bei Therapieversagen unter TKI kommt bei Eignung und Spenderverfügbarkeit eine allogene Stammzelltransplantation in Betracht.1
  • Die Durchführung in der chronischen Phase ist erfolgreicher als in späteren Phasen, sodass die Indikationsstellung rechtzeitig erfolgen sollte.18

Therapie in der akzelerierten Phase oder Blastenkrise

  • Die Behandlung in fortgeschrittenen Stadien hängt davon ab, ob bereits eine Vorbehandlung mit TKI-Inhibitoren stattgefunden hat.1
  • Ohne Vorbehandlung kann ein TKI-Inhibitor verabreicht werden, wobei TKI der 2. Generation bevorzugt werden.18
  • Bei vorbehandelten Patient*innen kann ein alternativer TKI-Inhibitor verabreicht werden.1
  • Bei Eignung und Spenderverfügbarkeit kommt schließlich die allogene Stammzelltransplantation in Betracht.1

CML und Schwangerschaft

  • Wegen Teratogenität sollten Patient*innen unter TKI-Therapie keinesfalls schwanger werden, daher sichere Kontrazeption notwendig.
  • Eine Therapieunterbrechung für die Schwangerschaft ist nur unter stabiler molekularer Remission zu empfehlen.1
  • Alternativ kann Interferon alpha verabreicht werden.18
  • Bei männlichen Patienten mit Kinderwunsch sollte vor Therapiebeginn mit TKI die Kryokonservierung von Spermien erwogen werden.1

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Häufig chronische unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen11
  • Beeinträchtigung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität vor allem durch:36
    • Fatigue (alle TKI)
    • Schwellungen bzw. Wassereinlagerungen
    • Muskelkrämpfe (vor allem unter dem TKI Imatinib)
    • Beeinträchtigung der Berufstätigkeit
    • Sorgen und Ungewissheit über die zukünftige Gesundheit.
  • Progression der Erkrankung mit Akzeleration und Blastenkrise aufgrund von Therapieresistenz oder mangelnder Adhärenz

Verlauf und Prognose

  • CML war bis vor 2 Jahrzehnten eine lebensbedrohliche Erkrankung mit Lebenserwartung < 5 Jahre.36 
  • In der Ära der Therapie mit TKI ist die Lebenserwartung von Patient*innen mit CML nur noch wenig geringer als in der Allgemeinbevölkerung.37
  • Krankheitsfreies Langzeitüberleben unter Imatinib 85 % nach 8 Jahren4
  • Durch die verbesserte Prognose Anstieg der Prävalenz bei konstanter Inzidenz6

Anerkennung als Berufskrankheit

  • Tritt eine chronische myeloische Leukämie durch 1,3-Butadien im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit auf, kann diese Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden.38
  • Zuständig hierfür sind die gesetzlichen Unfallversicherungsträger.
  • Der Verdacht auf eine Berufskrankheit muss dort gemeldet werden (Meldebogen39).
  • Es wird eine ausführliche Arbeits- und Gefährdungsanamnese erhoben, und ein Gutachten entscheidet über die Anerkennung als Berufskrankheit.
  • Dann können bestimmte Maßnahmen auf Kosten der GUV durchgeführt werden:
    • spezielle therapeutische Maßnahmen
    • Einstellung der gefährdenden Tätigkeit
    • Minderung der Erwerbsfähigkeit bis zur Zahlung einer Rente.40
  • Manchmal muss die Tätigkeit erst vollständig aufgegeben werden, damit die Anerkennung als Berufskrankheit erfolgen kann.

Verlaufskontrolle

  • Nachsorge in Zusammenarbeit zwischen hämatologischem Zentrum und Hausärzt*in

Hämatologisches Zentrum

  • Anbindung an ein Zentrum mit Erfahrung in CML-Behandlung empfohlen41
    • hämatologische, zytogenetische und molekulargenetische Kontrollen nach Plan

Hausärzt*in

  • Blutbildkontrollen durch Hausärzt*in in Absprache mit dem hämatologischen Zentrum
  • Klinische Erfassung von Hinweisen für Rezidiv (wieder zunehmende Symptome wie Abschlagenheit, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Blässe, Oberbauchbeschwerden)
  • Erfassung von Nebenwirkungen der TKI (unterschiedliches Nebenwirkungsprofil der einzelnen TKI)
  • Infektionsüberwachung
    • Patient*in soll bei Infekten frühzeitig Kontakt mit Ärzt*in aufnehmen.
    • ggf. Kontrolle von BB, CRP
    • insbesondere bei Fieber und Neutropenie auch bei fehlendem eindeutigem Fokus sofortige Klinikeinweisung (Gefahr der Sepsis)
  • Impfungen

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Selbsthilfeorganisationen

Illustrationen

Blutausstrich, leukämische Blast-Zellen
Blutausstrich, leukämische Blast-Zellen

Quellen

Leitlinie

  • Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Chronische Myeloische Leukämie (CML). Stand 2018. www.onkopedia.com

Literatur

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Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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