Die klassische Symptomatik der Synkope besteht in einer zumeist sehr kurzen Ohnmacht und einer zügigen Reorientierung nach dem Aufwachen. Häufig kommt es während der Ohnmacht zu mehr oder weniger komplexen motorischen Phänomenen, die leicht mit ähnlichen epileptischen Phänomenen verwechselt werden können.2
Synkopen und damit assoziierte Kreislauffehlregulationen lassen sich ätiologisch in 3 Klassen differenzieren:2
anhaltender systolischen Blutdruckabfall um ≥ 20 mmHg (bzw. ≥ 30 mmHg bei Vorliegen eines Liegendhypertonus) und/oder
diastolischer Blutdruckabfall um ≥ 10 mmHg innerhalb von 3 Minuten nach dem Aufstehen.
Kann asymptomatisch sein, orthostatische Intoleranz bewirken oder eine Ursache von Stürzen durch Synkope darstellen.
Wird nur dann als neurogen bezeichnet, wenn sie Symptom einer autonomen Dysfunktion ist (z. B. bei M. Parkinson, Diabetes mellitus).
Hat dann unzureichende sympathisch vermittelte Vasokonstriktion als primäre Ursache.
Kann nicht-neurogene Ursachen haben, z. B. Blutvolumenmangel.
„Reflexsynkope“ und „vasovagale Synkope“ werden synonym verwendet und können nach den Auslösern unterschieden werden in:2
neurokardiogene Synkope (nach längerem Stehen)
emotional induzierte Synkope (vor allem durch Blut-/Verletzungsassoziationen)
Karotissinussynkope (durch Druck auf dem Karotissinus)
sonstige situative Synkopen (z. B. Schlucksynkope, Miktionssynkope)
Synkopen ohne erkennbaren Auslöser.
Häufigkeit
Synkopen treten bei bis zu 20–30 % der Bevölkerung auf. Bei den meisten Betroffenen tritt eine Synkope einmalig auf, sie begeben sich nicht in ärztliche Behandlung.
In der Hausarztpraxis ist die Reflexsynkope/vasovagale Synkope am häufigsten.
Ätiologie und Pathogenese
Pathophysiologie
Indem eine erhöhte parasympathische Aktivität bei gleichzeitig verringerter sympathischer Aktivität ausgelöst wird, kommt es zur Bradykardie, zur peripheren Vasodilation und zum Blutdruckabfall. Hierdurch kommt es zu einer Minderdurchblutung des Gehirns und in der Folge zur Synkope.
Beruht auf einer anomalen oder erhöhten vegetativen Reaktion durch verschiedene Auslöser, vor allem Kreislaufstress (Stehen) und emotionaler Stress.3-4
Über den Pathomechanismus ist wenig bekannt, neuronal-endokrin vermittelte Änderungen der Herzfrequenz oder des vaskulären Tonus spielen jedoch eine Rolle.5-6
Hypoperfusion des Gehirns
Die Blutversorgung des Gehirns hängt maßgeblich vom systemischen arteriellen Blutdruck ab. Die Aufrechterhaltung des Bewusstseins ist darüber hinaus von der Sauerstoffsättigung des Bluts abhängig.
Der systemische arterielle Blutdruck spiegelt das Herzminutenvolumen und den gesamten peripheren Gefäßwiderstand wider.
Herzminutenvolumen
Wird durch die venöse Füllung, die Herzfrequenz und die eigentliche Auswurfleistung bestimmt. Die Auswurfleistung ist von der Struktur und der Kontraktilität des Herzens abhängig.
Alle diese Faktoren, die Herzstruktur ausgenommen, werden vom vegetativen Nervensystem geregelt.
Totaler peripherer Widerstand
Wird vom vegetativen Nervensystem geregelt.
Darüber hinaus wird das Blutvolumen von hormonellen und nephrogenen Mechanismen geregelt.
Die vegetativen Regelmechanismen werden durch mechanische Druckrezeptoren, die im Aortenbogen, im Sinus caroticus, im und um das Herz herum angeordnet sind, vermittelt.
Über Endothelzellen und perivaskuläre Nerven im Gehirn laufen ebenfalls selbstregulierende Mechanismen ab.
Unabhängig vom Mechanismus können ein Abfall des Arteriendrucks von mehr als 60 mmHg, eine Unterbrechung der zerebralen Blutversorgung von mehr als 6–8 Sekunden oder ein schneller Abfall der Sauerstoffsättigung von über 20 % zu Bewusstlosigkeit führen.
Prädisponierende Faktoren
Kann durch Angst, Schmerzen, unangenehme Erlebnisse, Blutsehen, Erbrechen und Durchfall ausgelöst werden.
Bei älteren Menschen häufig nächtliche Synkope im Zusammenhang mit der Vagusstimulation bei der Miktion oder Defäkation
Der Bewusstseinsverlust tritt häufig allmählich ein, er wird durch Schwindel, Schwitzen, Blässe, Übelkeit, Herzklopfen und Schwarzwerden vor den Augen eingeleitet.5,12
In liegender Position tritt rasch Besserung ein. Die betroffene Person kann sich aber noch mehrere Stunden danach mitgenommen und unwohl fühlen.13-14
Blutdruck in liegender und stehender Position, 60 sec nach dem Aufstehen.
Ein Abfall des systolischen Blutdrucks um 20 mmHg in Kombination mit einer Erhöhung der Pulsfrequenz um 10–20 Schläge deutet auf eine orthostatische Hypotonie hin.
Alternativtest: Die zu untersuchende Person soll 10 Minuten8,10 aufrecht stehen, am besten an eine Wand gelehnt, damit die Muskelpumpe in den Beinen nicht angeregt wird. Anschließend kann ggf. ein Blutdruckabfall festgestellt werden.
Klinische Untersuchung
Während einer Synkope
niedriger Blutdruck und langsamer Puls
Nach dem Ereignis ist die Person bei klarem Bewusstsein, aber physisch erschöpft.
Die Untersuchung ist ein orthostatischer Stresstest.17-18
Nur als Bestätigungstest bei Hinweisen auf Reflexsynkopen geeignet, nicht aber als Screeningverfahren8
Bei ungeklärten Synkopen kann der Kipptisch-Test neurokardiogen induzierte Bewusstlosigkeit hervorrufen.
Unter die neurokardiogenen Synkopen werden z. B. Situationssynkopen (Husten, Miktion, Schlucken, Defäkation u. a.) gefasst.
Die Sensitivität und Spezifität des Kipptisch-Tests ist je nach Dauer des Tests, dem Steilstellungsgrad des Kipptisches und der evtl. Gabe von Stresshormonen unterschiedlich.
Der Kipptisch-Test ist positiv, wenn er typische Symptome hervorruft, begleitet von Hypotonie und/oder Bradykardie.15
Das Ergebnis wird entweder als vasodepressorisch, kardioinhibitorisch oder als Kombination von beidem eingestuft. Das Ergebnis ist maßgeblich für die spezifische Intervention.
Indikationen zur Überweisung
Eine Überweisung ist bei unsicherer Diagnose oder zur Beurteilung einer Behandlung angeraten.
Wenn eine Synkope zum ersten Mal auftritt und kein Verdacht auf eine zugrunde liegende Herzerkrankung vorliegt, ist eine weitere fachärztliche Untersuchung nicht erforderlich. Dasselbe gilt auch bei einer typischen Reflexsynkope ohne häufige Rezidive.
Bei häufigen vasovagalen Synkopen, die mit Beschwerden verbunden sind und nicht auf eine andere Behandlung ansprechen, ist eine entsprechende kardiologische Ursachenabklärung und ggf. ein Herzschrittmacher indiziert.19
Bei Betroffenen, die ohne Puls- oder Blutdruckänderungen das Bewusstsein verlieren, sollte eine psychische Störung erwogen werden. Je nach Fragestellung neurologische, psychiatrische und/oder psychosomatisch-psychotherapeutische Abklärung (Näheres zum Thema psychogene Bewusstlosigkeit siehe Artikel Bewusstlosigkeit, Bewusstseinsstörung).20
Indikationen zur Klinikeinweisung
Verdacht auf:
kardiale Synkopen und/oder hohes Risiko für plötzlichen Herztod8
In den meisten Fällen ist diese Form von Synkopen harmlos. Deswegen ist außer einer Aufklärung meist keine weitere Behandlung erforderlich.
Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine medikamentöse Therapie wirksamer ist als der Einsatz physikalischer Maßnahmen. Deshalb sind physikalische Maßnahmen (soweit dafür eine ausreichende Compliance erwartet werden kann) auch bei häufigen oder zu Verletzungen führenden Synkopen als Therapie der 1. Wahl zu empfehlen.
Zur Basistherapie gehören ausreichende Trinkmengen (2–2,5 l Wasser täglich) und eine ausreichende Kochsalzzufuhr.
Tragen einer Kompressionsstrumpfhose bei häufigen Rezidiven
Auslösenden Faktoren identifizieren und vermeiden (z. B. mithilfe kognitiver Techniken).
Schmerzen, Angst oder unangenehme Erlebnisse?
Synkope nach Miktion, Defäkation, Husten, Schlucken?
Schnelles Aufstehen aus liegender oder sitzender Position?
Isometrische Gegenmanöver in der synkopalen Prodromalphase (Hocken oder Kreuzen der Beine oder Anspannung der Bein-, Gesäß-, Bauch- und Armmuskeln) verhindern wirksam die sich anbahnende Synkope.10
begrenzte Studienlage
empfohlen bei Betroffenen < 60 Jahren mit Prodromi (IIa/B)10
Regelmäßiges Stehtraining
bei Betroffenen mit neurokardiogenen Synkopen
In sicherer Umgebung durchführen.
täglich mindestens 30-minütiges angelehntes Stehen (Füße in ca. 20 cm Abstand von der Wand).
Wird von vielen Betroffenen nicht lange toleriert.
Empfehlungen für Patient*innen
Auf der Bettkante sitzen und die Muskelpumpe anregen, um sich nach längerem Liegen aufzurichten.
Nach längerem Sitzen die Muskelpumpe in den Armen und Beinen vor dem Aufstehen anregen.
Aktiver Muskeleinsatz bei frühen Anzeichen oder bei Anzeichen von Bewusstlosigkeit21
Die Hände gegeneinander pressen oder die Beine überkreuzen und zusammenpressen.
Hierdurch erhöht sich der Blutdruck, was eine Synkope beenden oder verhindern kann.
Sofortmaßnahmen bei eintretender Ohnmacht: Betroffene Person hinlegen, um Stürze zu vermeiden, ggf. Beine hoch lagern, um den venösen Rückfluss zu unterstützen. Auch bei bewusstseinsgetrübten Kindern aufrechte Lage nicht erzwingen (nicht hochnehmen).22
Ggf. Reduktion von Antihypertensiva: Zielblutdruck 140 mmHg systolisch (IIa/B)10
Aktive medikamentöse Therapie nur bei rezidivierenden Synkopen, die auf die o. g. Maßnahmen nicht ansprechen.
Kortikosteroide
Können in besonderen Fällen in Kombination mit hoher Flüssigkeitszufuhr angezeigt sein, um das Blutvolumen zu erhöhen.
Empfohlen wird Fludrocortison 0,1–0,2 mg/d.
Sympathomimetika (Alphaagonisten)
Sorgen für einen erhöhten Gefäßwiderstand und venösen Tonus.
Empfohlen wird Midodrin 3 × 5–10 mg/d.
Die früher als Therapie der 1. Wahl angesehene Therapie mit Betablockern ist nicht wirksamer als Placebo.23
Weitere Therapien
Die Herzschrittmacherstimulation sollte nur bei sonst therapierefraktären Synkopen mit initial bradykarder Symptomatik oder Asystolie (im Provokationstest oder mittels ILR) und im Alter > 40 Jahre erwogen werden.10,24
Prävention
Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
Für die Vorbeugung von Reflexsynkopen hat sich das Blutvolumen als bedeutsam erwiesen.
Eine Hydrierung kann angestrebt werden, die durch reichliches Trinken und gesteigerte Salzzufuhr (bzw. Vermeiden einer salzarmen Ernährung) erreicht wird.
Das einfachste klinische Zeichen für ausreichende Hydrierung ist farbloser Urin.22
Insbesondere bei klassischer Synkope mit schnellem Blutdruckabfall ist es wichtig, mit den Betroffenen vorbeugende Maßnahmen einzuüben. Sie sollen Warnsignale vor einer Synkope und einfache Maßnahmen kennenlernen, um den Blutdruck aufrechtzuerhalten.
Die Betroffenen sollen sich hinsetzen oder -legen, die Beine anheben und die Muskelpumpe anregen, etwa durch Verschränken der Arme oder Überkreuzen der Beine, um den venösen Rücktransport des Bluts zu unterstützen.
Die Maßnahmen werden beendet, wenn die Symptome ca. 30 Sekunden ausgeblieben sind.
In den meisten Fällen treten Synkopen einmalig oder mit seltenen Rezidiven auf.
Komplikationen
Verletzungen beim Fallen
Prognose
Die Reflexsynkope/vasovagale Synkope hat eine gute Prognose15, kann jedoch zu einer erheblich verringerten Lebensqualität führen. Beim Fallen besteht Verletzungsgefahr.25
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Synkopen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-072, S1, Stand 2020. www.awmf.org
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Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Miriam Spitaler, Dr. med. univ., Ärztin für Allgemeinmedizin, Innsbruck/Österreich
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Zusammenfassung
Definition:Synkope, die durch eine Fehlfunktion des vegetativen Nervensystems ausgelöst wird. In der Folge kommt es zu Bradykardie und Blutdruckabfall. Kann emotional induziert sein: durch Schmerzen, Angst und unangenehme Sinneseindrücke. Kann situativ induziert sein: bei älteren Patient*innen häufig bei der Miktion/Defäkation.
Häufigkeit:Die Reflexsynkope/vasovagale Synkope ist die häufigste Ursache für eine Synkope bei Kindern und Jugendlichen, häufig auch bei älteren Patient*innen.
Symptome:Tritt plötzlich auf, begleitet von Schwindel, Schweißausbrüchen, Übelkeit und Schwarzwerden vor den Augen. Schnelle Besserung in liegender Position.
Befunde:Niedriger Blutdruck und langsamer Puls während der Synkope. Die Betroffenen sind häufig bei klarem Bewusstsein, fühlen sich nach der Ohnmacht jedoch erschöpft.
Diagnostik:Untersuchung bei unklarer Ursache der Synkope, z. B. Hb, EKG.
Therapie:Über die Harmlosigkeit aufklären und beruhigen. Bei Anzeichen einer Synkope hinlegen. Evtl. Vorbeugen durch Anregung der Muskelpumpe.
Definition:Synkope, die durch eine Fehlfunktion des vegetativen Nervensystems ausgelöst wird. In der Folge kommt es zu Bradykardie und Blutdruckabfall. Kann emotional induziert sein: durch Schmerzen, Angst und unangenehme Sinneseindrücke. Kann situativ induziert sein: bei älteren Patient*innen häufig bei der Miktion/Defäkation.