Ventrikuläre Rhythmusstörungen und plötzlicher Herztod
Häufigkeit
- Der plötzliche Herztod zählt zu den häufigsten Todesursachen, weltweit verantwortlich für bis zu 50 % aller kardiovaskulär bedingten Todesfälle.1
- 2/3 der Fälle von plötzlichem Herztod beruhen auf Kammerflimmern.1
- In Deutschland ca. 100.000 Fälle/Jahr mit Herzkreislaufstillstand2
- ca. 65–80 % durch ventrikuläre Herzrhythmusstörungen2
- Jährliche Inzidenz des plötzlichen Herztods in Deutschland ca. 80/100.0003
- 34 % der Fälle im Alter < 65 Jahre3
- Das Risiko des plötzlichen Herztods ist bei Männern größer als bei Frauen.
- ca. 75 % der Fälle bei Männern4-5
Ätiologie und Pathogenese
- Zunehmendes Risiko für plötzlichen Herztod mit dem Alter6
- Ursachen bei jüngeren Personen v. a.:
- Ionenkanalerkrankungen
- Kardiomyopathien
- Myokarditis
- Koronaranomalien.
- Ursachen bei älteren Menschen v. a.:
- KHK: akutes Koronarsyndrom, chronisches Koronarsyndrom
- Herzinsuffizienz unterschiedlicher Ätiologie
- Klappenerkrankungen.
- Ursachen bei jüngeren Personen v. a.:
- Häufigste pathophysiologische Kaskade für plötzlichen Herztod7
- ventrikuläre Tachykardien mit Degeneration zu Kammerflimmern und schließlich Asystolie
- Bei 70–80 % der Betroffenen liegt eine koronare Herzkrankheit vor.6,8
- Erstes Ereignis häufig letal, in nur 10–15 % der Fälle eines plötzlichen Herztods sind bereits zuvor Arrhythmien aufgetreten.9
- Die Identifikation der Ursache eines plötzlichen Herztodes ist wichtig für die Beurteilung des Risikos für Angehörige.1
Diagnostik bei V. a. ventrikuläre Arrhythmien bzw. dokumentierten ventrikulären Arrhythmien
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
- Nichtinvasiv
- 12-Kanal-EKG
- LZ-EKG
- Event-Rekorder oder implantierbarer Loop-Rekorder
- bei sporadischen Symptomen
- Stresstest
- V. a. KHK
- V. a. belastungsabhängige ventrikuläre Tachykardie
- Bildgebung
- transthorakale Echokardiografie bei allen Patient*innen
- Kardio-MRT: In den aktuellen Leitlinien wird der Anwendungsbereich des MRT deutlich ausgeweitet.1
- Genetische Diagnostik: auch die genetische Diagnostik wird in den aktuellen Leitlinien deutlich aufgewertet, auch als Baustein der Risikostratifikation hinsichtlich ICD-Indikation.1
- Provokationstests: z. B. Ajmalin-Test bei Verdacht auf Brugada-Syndrom u. a.
- toxikologisches Screening: v. a. bei jungen Patient*innen nach überlebtem plötzlichem Herztod
- Invasiv
- Koronarangiografie bei V. a. relevante KHK
- elektrophysiologische Untersuchung bei ausgewählten Patient*innen
Prädisponierende Faktoren
- Koronare Herzerkrankung
- Reduzierte systolische LV-Funktion10-12
- Genetische Prädisposition
Indikationen zur ICD-Implantation
- ICD ermöglicht die Terminierung von ventrikulärer Tachykardie und Kammerflimmern und somit Verhinderung des plötzlichen Herztods.13-16
- Durch Schrittmacherfunktion des ICD werden auch bradykarde Rhythmusstörungen behandelt.17
- Sekundärprophylaktische Indikation bei St. n. Kammerflimmern oder hämodynamisch nicht tolerierter ventrikulärer Tachykardie
- Primärprophylaktische Implantation eines ICD führt zu geringerer Mortalität bei Risikopatient*innen.
- Wichtiges Kriterium für ein erhöhtes Risiko ist eine eingeschränkte linksventrikuläre Funktion (EF ≤ 35 %).
- Wenn ein ICD indiziert ist, sollte evaluiert werden, ob die Patient*innen von einer gleichzeitigen CRT (kardiale Resynchronisationstherapie) profitieren könnten (ICD-CRT-System).6
Leitlinie: Indikationen zur ICD-Therapie6
Sekundärprävention
- ICD-Implantation ist empfohlen bei Patient*innen mit dokumentiertem Kammerflimmern oder hämodynamisch nicht tolerierter ventrikulärer Tachykardie bei Abwesenheit reversibler Ursachen (I/A).
Primärprävention
- KHK mit reduzierter LV-Funktion
- ICD-Implantation ist empfohlen bei Patient*innen mit KHK, symptomatischer Herzinsuffizienz (NYHA II–III) und LVEF ≤ 35 % trotz ≥ 3 Monate optimaler medikamentöser Therapie (I/A).
- Dilatative Kardiomyopathie, hypokinetische Kardiomyopathie
- ICD-Implantation sollte erwogen werden bei Patient*innen mit Kardiomyopathie, symptomatischer Herzinsuffizienz (NYHA II–III) und LVEF ≤ 35 % trotz ≥ 3 Monate optimaler medikamentöser Therapie (IIa/A).
- Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC)
- ICD-Implantation sollte erwogen werden bei Patient*innen mit hämodynamisch tolerierter anhaltender ventrikulärer monomorpher Tachykardie (IIa/C).
- Hypertrophe Kardiomyopathie
- ICD-Implantation sollte erwogen werden bei Patient*innen ≥ 16 Jahre und mit einem geschätzten 5-Jahres-Risiko für plötzlichen Herztod ≥ 6 % (IIa/B).
ICD-Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Erstimplantation eines ICD im Jahr 198022
- Im Jahr 2020 wurden in Deutschland insgesamt über 39.000 ICD-Interventionen vorgenommen23
- Implantationen: 31.331
- Aggregatwechsel: 10.100
- Revisionen/Systemwechsel/Explantationen: 7.761
-
- gleichzeitige Depolarisation des Myokards durch einen elektrischen Impuls und dadurch Terminierung der ventrikulären Tachykardie bzw. des Kammerflimmerns
- Komponenten
- Ein ICD besteht wie ein Herzschrittmacher aus dem Aggregat und mindestens einer Sonde (rechtsventrikuläre Sonde mit Schockelektrode(n) und Stimulations/Detektionselektrode).
- Zweikammersysteme haben zusätzlich eine Sonde im rechten Vorhof (insoweit missverständliche, aber übliche Bezeichnung).
- Dreikammersysteme zusätzlich mit 3. Sonde in der Koronarvene für kardiale Resynchronisationstherapie (ICD-CRT)
- ICD-Aggregate etwas größer als reine Stimulationsschrittmacher
- Trend zu immer kleineren Aggregaten mit gutem kosmetischem Ergebnis
- Implantation
- Durchführung unter lokaler Anästhesie und Sedierung
- Platzierung des Aggregats üblicherweise unterhalb der linken Klavikula
- bei linksseitiger Implantation günstigere Ausrichtung des Stromflusses für effektive Defibrillation
- Sondenführung über V. subclavia oder V. cephalica
- bis vor kurzem routinemäßige Testung der Wirksamkeit des ICD durch Induktion von Kammerflimmern am Ende der Implantation
- Neuere Daten zeigen gleich gute Wirksamkeit auch ohne intraoperativen Test.24
Therapieformen und Nachsorge
- Antitachykarde Stimulation
- nach Detektion einer ventrikulären Tachykardie zunächst Versuch der Unterbrechung mit antitachykarder Stimulation
- schnelle Abgabe von Impulsen zur Erzeugung refraktären Myokards und dadurch Unterbrechung des Erregungskreises
- zwei Stimulationsformen
- Burst-Stimulation: konstantes Intervall zwischen den Stimulationen
- Ramp-Stimulation: abnehmendes Intervall zwischen den Stimulationen
- durch erfolgreiche antitachykarde Stimulation Vermeidung einer sonst notwendigen, die Patient*innen belastenden Schockabgabe
- Defibrillation
- Defibrillation notwendig bei Detektion von Kammerflimmern bzw. nicht erfolgreicher antitachykarder Stimulation einer ventrikulären Tachykardie
- zunächst Aufladen des Kondensators
- Dauer ca. 7–10 s
- Abgabe eines biphasischen Schocks von 30–40 J
- Nachsorge
- ICD werden nach der initialen Einstellung im weiteren Verlauf üblicherweise alle 6 Monate kontrolliert.
Komplikationen
Perioperative Komplikationen
- Pneumothorax
- Hämatothorax
- Taschenhämatom
- Tascheninfektion
- Thrombosen
- Sondendislokation
- Perikarditis
- Myokardperforation
Komplikationen im weiteren Verlauf
- Komplikationen und Fehlfunktionen im weiteren Verlauf nach einer ICD-Implantation sind relativ häufig.25-26
- Inadäquate Schocks (Abgabe von Schocks ohne Vorliegen einer ventrikulären Tachykardie)
- Ursachen27
- Fehlinterpretation von supraventrikulären Tachykardien durch die Detektionsalgorithmen
- Sondendefekte
- T-Wellen Oversensing
- elektromagnetische Interferenz
- 12-Jahres-Inzidenz 20 %28
- Ursachen27
- Infektion
- 12-Jahres-Inzidenz 6 %28
- Sondenversagen
- 12-Jahres-Inzidenz 17 %28
- Psychosomatische Beeinträchtigungen, Angststörungen2,29
- Multiple adäquate Schocks („elektrischer Sturm“)
- adäquate Therapie durch den ICD mit Wiederbeginn der Rhythmusstörung in kurzer Zeit
- Notfall, sofortige Krankenhauseinweisung
- evtl. antiarrhythmische Therapie mit Amiodaron
- Sedation, ggf. Narkose mit Intubation und Beatmung
Nichtkardiale Operationen
- Störsignale durch Elektrokauter können inadäquate ICD-Therapie auslösen.
- Perioperativ Deaktivierung der ICD-Therapiefunktion31
- Rhythmusmonitoring und Defibrillationsbereitschaft, solange ICD-Therapie deaktiviert31
MRT-Untersuchungen
- MRT galt lange bei ICD-Patient*innen als absolut kontraindiziert.
- Viele der heute am Markt befindlichen Systeme gelten als „bedingt MR-sicher“32
- Durchführung aber nur nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko33
- Umprogrammierung vor der Untersuchung in speziellen MR-Modus, die Schockfunktion des ICD ist während der Untersuchung deaktiviert.32
Fahrerlaubnis
- Eine intensive Aufklärung über die Fahrtauglichkeit ist von großer Bedeutung.
- Die folgenden Angaben beziehen sich auf die entsprechenden Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.36
Privatfahrer*innen mit ICD
- Sekundärprävention
- Fahreignung 3 Monate nach Implantation
- Primärprävention
- Fahreignung 1–2 Wochen nach Implantation
- Nach adäquatem Schock
- Fahreignung nach 3 Monaten
- Nach inadäquatem Schock
- Fahreignung nach Beseitigung der zugrunde liegenden Ursache
- Nach Aggregatwechsel
- Fahreignung nach 1 Woche
Berufsfahrer*innen mit ICD
- In der Regel nach ICD-Implantation nicht fahrgeeignet
- Siehe auch Artikel Beurteilung der Fahreignung.
Vorgehen am Lebensende
- Ziel sollte Vermeidung von sinnlosen oder unerwünschten Schocktherapien sein.37
- Ggf. ICD-Deaktivierung37
- durch qualifiziertes Personal
- nach adäquater Diskussion mit den Patient*innen
- in Absprache mit den betreuenden Kardiolog*innen/Elektrophysiolog*innen
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- European Society of Cardiology. Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death. Stand 2022. www.escardio.org
- European Society of Cardiology. Guidelines on cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy. Stand 2021. www.escardio.org
- Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Pocket-Leitlinie Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen. Stand 2018. www.leitlinien.dgk.org
- Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und Deutsche Röntgengesellschaft. Konsensuspapier: MR-Untersuchungen bei Patienten mit Herzschrittmachern und implantierbaren Kardioverter-Defibrillatoren. Stand 2017. www.leitlinien.dgk.org
Literatur
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).