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Akoholdelir (Delirium tremens)

Zusammenfassung

  • Definition:Eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation des Alkoholentzugssyndroms, die sich nach besonders langem und schwerem Alkoholmissbrauch, zumeist 2–4 Tage nach dem letzten Konsum, einstellen kann.
  • Häufigkeit:Etwa 5 % aller Alkoholkranken machen ein Alkoholdelir durch.
  • Symptome:Kernsymptome eines Delirs sind Bewusstseinsstörungen und kognitive Defizite. Beim Alkoholdelir können je nach Verlaufsform zusätzlich psychomotorische Störungen, halluzinatorisch-psychotische oder neurovegetative Symptome dominieren.
  • Befunde:Neurologische und psychische Symptome des Delirs. Evtl. neurovegetative Entgleisung mit Tachykardie, vermehrtem Schwitzen, Fieber, Angst, Insomnie und Hypertonie.
  • Diagnostik:Sorgfältige neurologische und internistische Untersuchung zur Abgrenzung andere Delirursachen; ggf. Bildgebung.
  • Therapie:Ein vollständiges Alkoholdelir bedarf der stationären Überwachung und Behandlung, ggf. auf der Intensivstation. Die Behandlung zielt in erster Linie darauf ab, die Betroffenen zu sedieren, ohne die vitalen Schutzreflexe zu beeinträchtigen. Gleichzeitig beugt die Therapie epileptischen Anfällen vor. Vorzugsweise kommen Clomethiazol oder Benzodiazepine zum Einsatz.

Allgemeine Informationen

  • Soweit nicht anders gekennzeichnet, beruhtbasiert der gesamte Abschnitt auf folgendendiesen Referenzen:.1-5

Definition

  • Ein Alkoholdelir (Delirium tremens, Entzugsdelir) tritt nach besonders langem und schwerem Alkoholmissbrauch ein, meist 2–4 Tage nach dem letzten Konsum.
  • Diese Komplikation weist sowohl Symptome des eigentlichen Delirs als auch Symptome einer neurovegetativen Dysregulation auf.
  • Ein Delir ist gekennzeichnet durch:
    • Kernsymptome
      • vorübergehende qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen (eingeschränkte Wahrnehmung der Umgebung und verminderte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, aufrechtzuerhalten oder umzustellen)
      • kognitive Defizite (z. B. Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Kurzzeitgedächtnis, Orientierung in Bezug auf Zeit, Ort und Person) 
    • fakultativ: Störungen von:
      • Psychomotorik
      • Emotionalität
      • Schlaf-Wach-Rhythmus.
  • Neurovegetative Störungen beim Alkoholdelir, z. B.:
  • Ein Alkoholdelir ist potenziell lebensbedrohlich und macht eine stationäre Einweisung erforderlich, bei Bewusstseinsstörungen unter kontinuierlicher Überwachung, in der Regel auf Intensivstation.
    • ggf. stabile Seitenlage als erste Notfallmaßnahme

Klinische Einteilung nach Symptomgruppen

Exogener Reaktionstyp

  • Gedächtnisstörungen
  • Desorientiertheit
  • Denkstörungen
  • Merkmale der verbalen Kommunikation
    • verworren
    • vorbeiredend
    • häufig vermehrter, evtl. auch verminderter Redefluss
  • Psychomotorische Störungen
    • Unruhe
      • Jaktationen der Extremitäten oder des Kopfes
      • Antriebssteigerung mit Bettflucht
      • Reizbarkeit
      • Schreckhaftigkeit
    • Schlafstörungen
      • Insomnie (ausgeprägter Schlafmangel, Änderung des Schlaf-Wach-Rhythmus)
      • nächtliche Verschlimmerung der Symptome
    • unvorhersehbare Wechsel zwischen Hypo- und Hyperaktivität
    • evtl. Verlangsamung
      • verzögerte Reaktionszeit
      • Anlaufschwierigkeiten bei komplexen psychomotorischen Abläufen
      • bei schweren Verläufen Bewusstseinsstörungen, selten bis zum Koma
  • Affektive Symptome, z. B.:
    • Heiterkeit
    • Angst bis hin zu extremen Angst- und Panikzuständen (Selbst- und Fremdgefährdung!)
    • Depressivität
  • Epileptische Anfälle

Halluzinatorische Psychose

  • Illusionäre Verkennungen mit Beziehung zum Alkohol (Pflegekräfte wären Kellner)
  • Halluzinationen
    • szenisch-optisch und taktil
      • Würmer, Käfer, kleine Elefanten laufen auf der Haut.
      • häufig mit Bezug zu Szenen aus dem Alltagsleben der Patient*innen
      • Die Patient*innen sind von diesen Eindrücken oft zu Tode erschrocken und meinen, die Tiere tatsächlich auf dem Körper zu spüren (taktile Halluzinationen).
    • seltener akustisch, z. B.:
      • Marschmusik
      • Akoasmen (nonverbal-akustische Halluzinationen wie Geräusche oder Lärm).
    • selten Halluzinationen in weiteren Sinnesmodalitäten
    • Halluzinationen verschiedener Modalitäten können gleichzeitig auftreten.
  • Schlafstörungen
    • Träume und Albträume, die nach dem Erwachen als Halluzinationen und illusionäre Verkennungen fortdauern.
  • Suggestibilität, z. B.:
    • Patient*in liest von einem leeren Blatt ab.
    • Trinkt aus einem imaginären Glas.
    • Bindet Knoten ohne Faden.
  • Evtl. Wahnsymptome wie Paranoia
  • Die Rastlosigkeit nimmt allmählich zu, und die betroffene Person meint, sich unbedingt mit etwas beschäftigen zu müssen. Typisch sind Bewegungen, wie sie normalerweise zur Arbeitswelt gehören, oder ein Gebaren, wie um lästige Tiere zu fangen.

Vegetative Entgleisung

  • Hyperthermie bis 38,5 °C
  • Hypertonie bis 180/110 mmHg (teilweise auch Hypotonie)
  • Tachykardie
  • Evtl. Hyperventilation
  • Ausgeprägte Hyperhidrose
  • Grobschlägiger Tremor (8–9 Hz) (daher „Delirium tremens")
  • Hyperreflexie
  • Evtl. Mydriasis

Klinische Einteilung nach Schweregrad

Unvollständiges Delir (Prädelir)

  • Bei Alkoholabhängigkeit synonym: kompliziertes Entzugssyndrom
  • Vorübergehende, typischerweise abendliche Halluzinationen oder leichte vegetative Symptome:
    • Schreckhaftigkeit
    • Schlafstörungen
    • Schwitzen
    • vorwiegend morgendlicher Tremor
    • evtl. (generalisierte) epileptische Anfälle.

Vollständiges Delir

Lebensbedrohliches Delir

  • Vollständiges Delir mit:
    • schweren, meist kardialen oder pulmonalen Komplikationen
    • Hyperthermie
    • schweren quantitativen Bewusstseinsstörungen (Koma).

Erkrankungsbeginn

  • Typischerweise treten die Entzugsreaktionen mit Entwicklung eines Delirs 2–4 Tage nach Beginn des Alkoholentzugs auf; ein früherer Zeitpunkt ist aber auch möglich.
  • Das Delir beginnt in der Regel mit:
    • Reizbarkeit
    • Unruhezuständen
    • Schlafstörungen
    • Alpträumen
    • Angst
    • evtl. vorübergehend illusionäre Verkennungen oder Halluzinationen
      • Die halluzinatorischen Phasen werden mit der Zeit länger und bekommen einen erschreckenden, angstauslösenden Charakter.

Häufigkeit

  • Alkoholbezogene Störungen
  • Etwa 5 % (3–15 %) der Alkoholkranken erleiden Delirien.
  • 12–23 % der Delirkranken machen Rezidive durch.
  • Episoden mit einem Alkoholdelir treten typischerweise bei Patient*innen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren nach 5–15 Jahren des Alkoholmissbrauchs auf.

Ätiologie und Pathogenese

  • Potenziell relevante pathophysiologische Korrelate
    • gesteigerte Aktivität noradrenerger Neuronen im Locus caeruleus
      • Zeitlicher Verlauf korreliert mit der Dauer des Delirs.
    • Unter Alkoholentzug kommt es zu einer Deregulierung der GABA- und Glutamat-Transmission und damit zu einem Zustand gesteigerter neuronaler Erregbarkeit.
    • 7–8 Stunden nach dem Absetzen von Alkohol ist eine drastische Abnahme des Serum-Magnesiums und ein Anstieg des arteriellen pH-Wertes aufgrund einer respiratorischen Alkalose zu beobachten. Diese beiden Faktoren können zusammen einen exzitatorischen Effekt auf bestimmte Teile des Zentralnervensystems ausüben.
      • Mögliche Ursache der respiratorischen Alkalose: Gesteigerte Empfindlichkeit von CO2-Sensoren im Atemzentrum von Alkoholkranken während des Entzugs. Das führt zu Hyperventilation und Erhöhung des arteriellen pH-Wertes.

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • P15 Chronischer Alkoholmissbrauch

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 2021:8
    • F10 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol
      • F10.4 Entzugssyndrom mit Delir

Diagnostik

  • Soweit nicht anders gekennzeichnet, beruhtbasiert der gesamte Abschnitt auf folgendendiesen Referenzen:.1-5

    • Die Diagnose Alkoholdelir setzt eine genaue klinische und ggf. apparative Diagnostik voraus, um organische Hirnerkrankungen, die ebenso mit einem Delir einhergehen können, nicht zu übersehen.
    • Es ist abzuklären, ob gleichzeitig noch andere behandlungsbedürftige Erkrankungen vorliegen.

    Diagnostische Kriterien

    • Die Diagnose des Alkoholdelirs stützt sich ausschließlich auf klinische Merkmale. Dazu gehören:
      • Eigenanamnese
      • Fremdanamnese
      • sorgfältige internistische, neurologische und psychiatrische Untersuchung
      • begrenzte Zusatzdiagnostik
      • Auf Co-Faktoren für die Entwicklung eines nicht-alkoholbedingten Delirs (siehe Differenzialdiagnosen) ist zu achten, z. B.:
        • Einnahme von Psychopharmaka
        • Sedativa
        • Entzug anderer Substanzen
        • Infektionen
        • operativer Eingriff
        • Fixierung
        • Sehbehinderung
        • Hörbehinderung.
    • Die Symptome beginnen plötzlich und können stark fluktuieren.

    Differenzialdiagnosen

    Anamnese

    • Zu explorieren:
      • Vorausgegangene Entzüge, Delirien?
      • Alkoholkonsum?
        • manchmal korrekte Angaben, oft aber Dissimulation durch betroffene Person und Angehörige
      • Medikamente? (s. o.)
      • Missbrauch von Psychopharmaka oder illegalen Drogen?
      • Andere toxische Einflüsse?
      • Psychiatrische Vorgeschichte
      • Verkehrsdelikte?
        • Führerscheinentzug?
      • Lebenssituation (z. B. Arbeitslosigkeit)
      • Berufliche Alkoholexposition?

    Klinische Untersuchung

    Somatische Abklärung

    • Vollständige körperliche Untersuchung, einschließlich:
      • Körpertemperatur
      • Zeichen der Mangelernährung und Exsikkose?
      • Frische oder abgeheilte Sturz- oder Stoßverletzungen?
      • Foetor alcoholicus?
      • Leberzeichen, z. B.:
        • Lebervergrößerung
        • Gerinnungsstörung
        • Ikterus.
      • Globale Muskelverschmächtigung?
      • Stammfettsucht?
      • Faziale Teleangiektasien?
      • Harnverhalt?
      • Obstipation?
    • Neurologische Zeichen für chronischen Alkoholabusus, z. B.:
    • Liegt die Ursache des Symptombildes in einem Alkoholdelir, so sind grober Tremor und Temperaturanstieg häufig die einzigen Befunde der körperlichen Untersuchung.

    Mentaler Status

    • Näheres zum deliranten Symptombild s. o.
    • Aufmerksamkeit
    • Orientierungsfähigkeit
    • Sprache
    • Wahrnehmung
    • Stimmungslage

    Indikationen zur Überweisung

    Untersuchungen im Krankenhaus

    • Umfassende Blutuntersuchungen, um den körperlichen Zustand der betroffenen Person möglichst genau zu erfassen, z. B.:
      • Erkennen drohender Elektrolytentgleisungen
      • Überwachung der Hydratation.
    • CT, MRT und evtl. EEG bei Verdacht auf andere Ursachen des Delirs

    Therapie

    Therapieziele

    • In erster Linie sollte die Ausbildung eines Delirs nach Möglichkeit verhindert werden.
    • Bei voll ausgebildetem Delir ist das vorrangige Therapieziel, die Patient*innen möglichst bald in Schlaf zu versetzen und dadurch das Symptombild zu durchbrechen, während gleichzeitig die unterstützende Behandlung dafür sorgt, Komplikationen des Verlaufs möglichst zu verhindern.

    Therapeutisches Vorgehen 

    • Die Therapie eines Alkoholdelirs sollte so früh wie möglich einsetzen, idealerweise, noch ehe das typische Bild eines Delirs sich ausgebildet hat.
    • Bei einem voll ausgebildeten Alkoholdelir zielt die Therapie in erster Linie darauf ab,
      • die Betroffenen zu sedieren, ohne die vitalen Schutzreflexe zu beeinträchtigen.
      • die Schwelle für epileptische Anfälle zu erhöhen.
    • Sedative Hypnotika
      • Reduzieren die Letalität und die Dauer des Delirs stärker als Neuroleptika. Unterschiede zwischen den verschiedenen Hypnotika sind bislang nicht bekannt (Ia).
      • Neuroleptika sollten nicht als Mittel der 1. Wahl verwendet werden, vor allem im Hinblick auf die durch sie bewirkte Senkung der Krampfschwelle.
    • Benzodiazepine und Neuroleptika wirken sich auf kognitive Funktionen eher ungünstig aus. Besonders nach Hirnschädigungen bergen sie ein höheres Risiko für paradoxe Reaktionen oder ein malignes Neuroleptika-Syndrom.9

    Medikamentöse Therapie

    • Für leichte bis ausgeprägte Entzugssymptome siehe Artikel Entzugssyndrom.

    Voll ausgebildetes Alkoholdelir

    • Benzodiazepine
      • Mittel der Wahl in der prästationären Notfallbehandlung des Alkoholdelirs
      • Perorale oder intravenöse Verabreichung und Titration, bis sich der gewünschte Effekt einstellt. Die Dosierung sollte individualisiert und an den Symptomen orientiert erfolgen.
      • Wird so dosiert, dass die behandelte Person zwar schläft, aber noch leicht zu wecken ist.
      • Dosierungsbeispiele
        • Diazepam 10 mg p. o. (ggf. Wiederholung bis zu 6 x tgl.)
        • Diazepam 120–240 mg/24 h i. v.
        • Lorazepam 1 mg p. o. (ggf. Wiederholung bis zu 6 x tgl.)
      • Akkumulationsrisiko beachten (Überwachung!).
      • hohes Abhängigkeitspotenzial
      • Im epileptischen Anfall ggf. schnelle Aufdosierung (siehe Krampfanfall).
      • Im Falle einer Überdosierung steht ein Antidot zur Verfügung.
        • Flumazenil: 0,1–0,3 mg schnell intravenös bis zur gewünschten Wirkung
    • Clomethiazol
      • wirksamer als Benzodiazepine
      • Die parenterale Applikationsform ist nicht mehr verfügbar.
      • Hauptnebenwirkungen sind:
        • Bronchorrhö (kontraindiziert bei Lungenerkrankungen)
        • Atemdepression
        • Kreislaufdepression.
      • Stellt erhöhte Anforderungen an die Überwachung der Atmung.
      • sehr hohes Abhängigkeitspotenzial
      • nicht zur ambulanten Behandlung geeignet1
    • Antipsychotika (Neuroleptika)
      • keine Mittel der 1. Wahl
      • Die Behandlung des Delirs kann niedrig dosiert mit Antipsychotika erfolgen (Ia/C).3,10
        • Typische hochpotente Neuroleptika wie Haloperidol oder atypische Neuroleptika wie Risperidon oder Ziprasidon nur mit großer Zurückhaltung einsetzen, wegen fraglichemdes Effektfraglichen Effektes auf den Verlauf des Delirs und einemwegen des erheblichen NebenwirkungsrisikoNebenwirkungsrisikos, u. a. für Herzrhythmusstörungen und extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen.4
        • Näheres zur Sicherheit und Verträglichkeit der verschiedenen Neuroleptika (Antipsychotika) siehe Artikel Schizophrenie.
      • Haloperidol kann bei starken Unruhezuständen zusätzlich zu Benzodiazepinen indiziert sein.
        • Senkung der Krampfanfall-Schwelle durch Haloperidol beachten.
      • Eine Metaanalyse umfasste 15 Studien an insgesamt 949 Patient*innen mit Delir unterschiedlicher Ursache. Antipsychotika der 2. Generation scheinen dieser Studie zufolge wirksamer und verträglicher zu sein als Haloperidol.10
        • Dieses Ergebnis bedarf der Überprüfung in größeren kontrollierten Studien an Patient*innen mit Alkoholdelir.
    • Thiamin (Vitamin B1)
      • Bei der stationären Aufnahme wird regelmäßig Thiamin (3 x 50–100 mg/d p. o.) über 7–14 Tage verabreicht, um einer Wernicke-Enzephalopathie vorzubeugen.11
        • bei Erbrechen, Dysphagie oder Malabsorption i. v. oder i. m.
      • Symptome der Wernicke-Enzephalopathie
        • Bewusstseinstrübung
        • Verwirrtheit
        • Ataxie
        • komplexe Augenmotilitätsstörung
      • Bei geringsten Hinweisen auf eine Wernicke-Enzephalopathie, die auch inkomplett vorliegen kann:
        • Thiamin hoch dosiert (tgl. 3 x 250–500 mg i. v. über 30 min in jeweils 50–100 ml Ringer- oder 0,9-%-NaCl-Lösung) über 7 Tage
        • Cave: Tachyphylaxie bei der ersten Thiamin-Infusion!
    • Magnesium1
      • bei Hypomagnesiämie
        • Magnesiumcitrat oder Magnesiumaspartat hydrochlorid 1 × 100 mg tgl.
      • Ein prophylaktischer Nutzen von Magnesiumgaben wurde bislang nicht belegt.
    • Multivitamin-Präparate?
      • Es existieren keine Studien, die den Nutzen einer derartigen Therapie belegen.

    Leitlinie: Alkoholentzugssyndrom und Alkoholdelir1

    Pragmatische Empfehlungen auf der Basis klinischer Erfahrung (nicht in kontrollierten Studien evaluiert)

    • Ausgeprägteres Alkoholentzugssyndrom bis Prädelir
      • klinische Überwachung und Allgemeintherapie sowie Clomethiazol 4 x tgl. 2 Kapseln à 192 mg p. o. (oder 4 x tgl. 10 ml Saft), Reduktion nach Klinik (z. B. 2 Kapseln pro Tag) oder bedarfsadaptierte Gabe nach CIWA-Ar-Skala – oder –
      • Diazepam 4–6 x tgl. 10 mg p. o., Reduktion um 10 % pro Tag oder 3 × 20 mg im Abstand von 2 Stunden als Loading Dose oder bedarfsadaptierte Gabe nach CIWA-Ar   oder –
      • Lorazepam oder Clonazepam 4–6 x tgl. 1 mg p. o., Reduktion um 10 % pro Tag oder bedarfsadaptierte Gabe nach CIWA-Ar – oder –
      • Chlordiazepoxid 4–6 x tgl. 25–50 mg, Reduktion um 20 % pro Tag oder 3 × 100 mg im Abstand von 2 Stunden als Loading Dose
    • Vollständiges Delir
      • Clomethiazol 4–8 x tgl. 2 Kapseln à 192 mg p. o. (oder jeweils 10 ml Saft), Reduktion nach Klinik, bis zu 24 Kapseln pro 24 Stunden möglich – oder –
      • Haloperidol 3–6 x 5–10 mg p. o. oder i. m. pro Tag unter Monitorkontrolle – plus –
      • Clomethiazol 6 - 8 (max. 12) x tgl. 2 Kapseln à 192 mg p. o. (oder jeweils 10 ml Saft), Reduktion nach Klinik, bis zu 24 Kapseln pro 24 Stunden möglich – oder –
      • Diazepam 6 x tgl. 10 mg p. o.  – oder –
      • Lorazepam 6 x tgl. 1 mg p. o.
    • Lebensbedrohliches Delir
      • Haloperidol 3–6 x 5 mg (in Ausnahmen 10 mg) mg i. m. pro Tag unter Monitorkontrolle – plus –
      • Diazepam 120–240 mg i. v. pro Tag (kontinuierlich oder als Boli) – oder –
      • Midazolam bis 20 mg pro Stunde, nach Wirkung
      • fakultativFakultativ zusätzlich Clonidin initial 0,025 mg i. v. pro Stunde, Dosis bei Bedarf erhöhen.
      • fakultativ zusätzlich Dexmedetomidin oder bei therapierefraktären Patient*innen Propofol – jeweils nur unter intensivmedizinischer Überwachung

    Weitere Therapien

    • Bei schweren Verläufen des Alkoholdelirs sind Temperatur, Puls und Blutdruck wegen der Gefahr eines Kreislaufkollapses und einer Hyperthermie regelmäßig zu kontrollieren.
    • Korrektur eines gestörten Gleichgewichts des Wasser-Elektrolyt-Haushalts
      • Ein niedriger Natriumspiegel sollte nur langsam korrigiert werden, um eine zentrale pontine Myelinolyse (osmotische Schädigung des Pons cerebri) zu vermeiden.
    • Flankierende psychosoziale und pflegerische Maßnahmen sind von großer Bedeutung, um Unruhe, Desorientierung und Angst zu mildern. z. B.:
      • ruhige, gut beleuchtete Umgebung 
      • Verwendung von Seh- und Hörhilfen
      • Zuwendung und verbale Orientierung
      • regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus.
    • Näheres zu psychosozialen Maßnahmen finden Sie im Artikel Alkoholabhängigkeit.

    Überwachung

    • Atmung, Blutdruck, Temperatur und Flüssigkeitshaushalt
    • Wird Clomethiazol verabreicht, sind die Patient*innen besonders sorgfältig zu überwachen.

    Prävention

    • Durch Identifizierung der Frühsymptome eines aufkommenden Delirs (Reizbarkeit, Rastlosigkeit, Schlafstörungen, Angst und Alpträume) lässt sich dem Delir durch Verabreichung eines Benzodiazepins vorbeugen.

    Verlauf, Komplikationen und Prognose

    • Der gesamte Abschnitt basiert auf folgendendiesen Referenzen:.1-5

    Verlauf

    • Komplikationen treten vor allem im Zusammenhang mit alkoholassoziierten Begleiterkrankungen oder Verletzungen auf.
    • Bei den meisten Betroffenen ist der Verlauf eines Alkoholdelirs gutartig und von kurzer Dauer.
    • Wenn die Betroffenen nach einer Schlafphase wieder erwachen, haben sie häufig ein klares Bewusstsein, sind ruhig und erschöpft, meist mit einer fast vollständigen Amnesie in Bezug auf die delirante Episode.
    • In einigen Fällen nimmt der Delirzustand nur sehr allmählich ab.
    • In Fällen, in denen das Alkoholdelir als Einzelepisode auftritt, beträgt die Dauer bei über 80 % nicht mehr als 72 Stunden.
    • Evtl. rezidivierende Episoden eines Delirs von wechselnder Intensität, unterbrochen von symptomfreien Intervallen. Der gesamte Prozess kann mehrere Tage und in seltenen Fällen bis zu 4–5 Wochen dauern.

    Komplikationen

    Prognose

    • Angaben zur Mortalität variieren je nach Population zwischen 6 % und 30 %.
      • Am höchsten scheint das Risiko bei notfallmäßig im Zustand eines Alkoholdelirs stationär aufgenommenen Betroffenen und bei älteren Menschen mit chronischen Vorerkrankungen.

    Patienteninformationen

    Patienteninformationen in Deximed

    Weitere Informationen

    Quellen

    Leitlinien

    • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. AWMF-Leitlinie Nr. 030-006. S1, Stand 2020. www.awmf.org
    • Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001. S3, Stand 2021. www.awmf.org
    • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-022. S3, Stand 2018. www.awmf.org
    • Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin. AWMF-Leitlinie Nr. 001-012. S3, Stand 2021. www.awmf.org

    Literatur

    1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. AWMF-Leitlinie Nr. 030-006, S1. Stand 2020. www.awmf.org
    2. Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001, S3, Stand 2021. www.awmf.org
    3. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin. AWMF-Leitlinie Nr. 001-012. S3, Stand 2021. www.awmf.org
    4. Hübscher A, Isenmann S. Delir: Konzepte, Ätiologie und klinisches Management. Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84: 233-44. PMID: 27100850 PubMed
    5. Spies M, Frey R, Friedrich ME et al. Delir – ein evidenzbasierter Überblick. Wien Klin Wochenschr Educ 2019; 14: 1–17 doi.org
    6. Bundesministerium für Gesundheit. Sucht und Drogen. Problematik in Deutschland. Stand 30.11.2020; letzter Zugriff 01.03.2021. www.bundesgesundheitsministerium.de
    7. Atzendorf J, Rauschert C, Seitz NN, Lochbühler K, Kraus L. Gebrauch von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen und MedikamentenSchätzungen zu Konsum und substanzbezogenen Störungen in Deutschland. Dtsch Arztebl Int 2019 ; 116: 577-84. www.aerzteblatt.de
    8. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 30.03.2021. www.dimdi.de
    9. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-022, S3. Stand 2018. www.awmf.org
    10. Kishi T, Hirota T, Matsunaga S et al. Antipsychotic medications for the treatment of delirium: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2015. doi:26341326 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
    11. Day E, Bentham PW, Callaghan R, Kuruvilla T, George S. Thiamine for prevention and treatment of Wernicke-Korsakoff Syndrome in people who abuse alcohol. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 7. Art. No.: CD004033. DOI: 10.1002/14651858.CD004033.pub3. DOI

    Autor*innen

    • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
    • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
F10; F104
Alkoholisme; alkoholisk delir; Delirium tremens; delirium tremens (dt)
P15
Alkoholismus; Delirium tremens; Alkoholdelir; Alkoholentzugsdelir; Entzugsdelir; Delir; Alkoholentzugssyndrom; Alkoholentzug; Alkoholmissbrauch; Alkoholabusus; Bewusstseinsstörungen; Kognitive Defizite; Halluzinationen
Akoholdelir (Delirium tremens)
BBB MK 19.10.2021 neue LL, keine Änderungen. Hinweis auf Fahreignung TH 5.3.18
BBB MK 07.03.2021 neue LL. chck go 3.7. MK 09.08.2017 komplett überarbeitet, LL berücksichtigt
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Definition:Eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation des Alkoholentzugssyndroms, die sich nach besonders langem und schwerem Alkoholmissbrauch, zumeist 2–4 Tage nach dem letzten Konsum, einstellen kann.
Psychische Störungen
Alkoholdelir (Delirium tremens)
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