Allgemeine Informationen
Definition
- Tiefe Venenthrombose (TVT) und/oder Lungenembolie (LE) während Schwangerschaft oder Wochenbett
- TVT und LE bilden zusammen den Komplex der venösen Thrombembolien (VTE).
- Das Risiko im Vergleich zu Nicht-Schwangeren ist etwa 4-fach erhöht.1-2
- durch die Veränderungen der Schwangerschaft per se leicht erhöhtes Risiko
- ohne zusätzliche disponierende Faktoren aber Einstufung des Risikos als gering3
- individueller Anstieg des Risikos durch vorbestehende, transiente oder schwangerschaftsbedingte Risikofaktoren
Häufigkeit
- Häufigkeit von VTE während der Schwangerschaft 0,05–0,2 %4
- Schwangere haben im Vergleich zu Nicht-Schwangeren gleichen Alters ein erhöhtes VTE-Risiko.5
- Zunahme des Risikos im Verlauf der Schwangerschaft5
- höchstes Risiko in der ersten postpartalen Woche3
- 6 Wochen post partum ist das Risiko wieder wie bei Nicht-Schwangeren.4
- Ein Kaiserschnitt erhöht das Risiko für VTE um den Faktor 5 im Vergleich zur vaginalen Entbindung.3
- Risiko einer tödlichen Lungenembolie ca. 0,002 % – d. h. 2/100.000 Schwangerschaften3
- VTE zählen zu den führenden Todesursachen in Schwangerschaft und Wochenbett.2
- In Deutschland sind bis zu 14 % der Todesfälle bei Schwangeren LE-assoziiert.6-7
- Nach schwangerschaftsassoziierter VTE hohes Risiko (4,5 %) für erneute VTE in einer weiteren Schwangerschaft8
Ätiologie und Pathogenese
Tiefe Venenthrombose
- Schwangerschaft assoziiert mit allen Bestandteilen der Virchow-Trias:1
- Hyperkoagulabilität
- Gefäßschädigung
- venöse Stase.
- Abnehmender Venentonus unter Progesteroneinfluss9
- Anstieg von Gerinnungsfaktoren (Fibrinogen, Faktor VIII:C), Abnahme von Gerinnungsinhibitoren (Protein S)9
- Kompression durch den Uterus
- während der Schwangerschaft 78–90 % aller TVT im linken Bein (vs. 55 % bei Nicht-Schwangeren)1
- Während der Schwangerschaft 72 % der TVT iliofemoral (vs. 9 % bei Nicht-Schwangeren) mit somit höherer Wahrscheinlichkeit für eine Embolisierung1
Lungenembolie
- Kardiozirkulation
- erhöhter pulmonalarterieller Widerstand durch Obstruktion und LE-induzierte Vasokonstriktion
- Anstieg des pulmonalarteriellen Drucks bei Verlegung von mehr als 30–50 % des Gefäßbettquerschnitts
- Belastung des rechten Ventrikels (RV) durch erhöhten pulmonalarteriellen Widerstand und Druck
- Kompensation durch den RV nur bis zu einem mittleren pulmonalarteriellen Druck von etwa 40 mmHg möglich
- abhängig vom Grad der Belastung RV-Dilatation mit begleitender Trikuspidalinsuffizienz
- Verlagerung des Ventrikelseptums mit verminderter linksventrikulärer Füllung
- bei zunehmendem Pumpversagen Hypotonie bis zum kardiogenen Schock/Herzstillstand
- Gasaustausch
- Hypoxämie und reaktive Hyperventilation/Hypokapnie (Hyperkapnie nur bei massiver LE)
- neurohumoral verursachte Bronchokonstriktion mit erhöhtem Atemwegswiderstand
- Verlust an Surfactant mit verminderter Lungencompliance
- insgesamt bei höhergradiger LE Entwicklung einer respiratorischen Insuffizienz
Risikofaktoren
- Beeinflussung des individuellen Risikos für VTE durch Risikofaktoren
- Daher wird eine dokumentierte Beurteilung der Risikofaktoren bei allen Frauen vor oder zu Beginn einer Schwangerschaft empfohlen (I/C).4,10
Vorbestehende Risikofaktoren11
- Frühere VTE
- Thrombophilie
- angeboren
- Faktor-V-Leiden-Mutation
- heterozygot: Prävalenz 2,0–7,0 %, Odds Ratio (OR) 8,32
- homozygot: Prävalenz 0,2–0,5 %, OR 34,4
- Prothrombinmutation G20210A
- heterozygot: Prävalenz 2,0 %, OR 6,8
- homozygot: selten, OR 26,4
- AT-III-Mangel (< 80 % Aktivität)
- Prävalenz < 0,1–0,6 %, OR 4,8
- Protein-C-Mangel (< 75 % Aktivität)
- Faktor-V-Leiden-Mutation
-
- Prävalenz 0,2–0,3, OR 4,8
- Protein-S-Mangel (< 75 % Aktivität)
-
- < 0,1–0,1, OR 2,2
- erworben
- Antiphospholipid-AK-Syndrom (Cardiolipin-AK, ß2-Glykoprotein-AK, Lupus-Antikoagulanzien)
- angeboren
- Alter > 35 Jahre
- BMI > 30 kg/m2
- ≥ 3 Schwangerschaften
- Raucherin
- Ausgeprägte Venenvarikose
- Komorbiditäten, z. B.:
- Malignom
- Herz- oder Lungenerkrankung
- systemischer Lupus erythematodes (SLE)
- chronisch-entzündliche Erkrankungen
- nephrotisches Syndrom
- Diabetes mit Nephropathie
- Sichelzellkrankheit
- i. v. Drogenabusus.
Schwangerschaftsbedingte Risikofaktoren11
- Multiple Schwangerschaften
- Präeklampsie
- Kaiserschnitt (elektiv oder notfallmäßig)
- Geburtsdauer > 24 h
- Totgeburt
- Peripartale Blutung (> 1 l oder Transfusion)
- Niedriges Geburtsgewicht (< 2.500 g)12
Transiente Risikofaktoren11
- Systemische Infektion
- Immobilisierung (> 3 Tage bettlägerig)
- Langstreckenflug (> 4 h)
- Jeder chirurgische Eingriff in Schwangerschaft und Wochenbett
- Hyperemesis, Dehydratation
- Ovarielles Hyperstimulationssyndrom
Risikostratifizierung und Prophylaxe einer VTE
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.11
- Die Risikostratifizierung gibt einen ungefähren Anhalt, eine genaue Quantifizierung des Gesamtrisikos durch die Summe einzelner Risikofaktoren ist bei derzeitiger Datenlage noch nicht möglich.3
- Die Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf Expertenmeinung, nur wenig Evidenz vorhanden gemäß Cochrane-Analyse.13
- Zur Prophylaxe NMH in körpergewichtsabhängiger prophylaktischer Dosierung (z. B. Enoxaparin 0,5 mg/kg 1 x tgl.) empfohlen (I/B)4,10
- Kompressionsstrümpfe erwägen während der Schwangerschaft und postpartal.
St. n. VTE oder Thrombophilie
- Frühere VTE und Thrombophilie sind eindeutige Risikofaktoren für eine VTE.11
- Odds Ratio von ca. 25 bei St. n. VTE
- Eine hereditäre Thrombophilie besteht bei 20–50 % schwangerschaftsassoziierter VTE.
- Frauen mit St. n. VTE sollte eine Prophylaxe mit NMH während der Schwangerschaft und postpartal angeboten werden.
- Ausnahme ist eine einzelne, operationsassoziierte VTE ohne sonstige Riskfaktoren.
- Frauen mit Thrombophilie sollte eine Prophylaxe mit NMH während der Schwangerschaft und postpartal angeboten werden.
4 Risikofaktoren (außer VTE/Thrombophilie)
- Prophylaktische Gabe von NMH während der Schwangerschaft und 6 Wochen postpartal sollte erwogen werden.
3 Risikofaktoren (außer VTE/Thrombophilie)
- Prophylaktische Gabe von NMH ab der 28. SSW und 6 Wochen postpartal sollte erwogen werden.
2 Riskofaktoren (außer VTE/Thrombophilie)
- Prophylaktische Gabe von NMH für mindestens 10 Tage postpartal sollte erwogen werden.
ICPC-2
- K93 Lungenembolie
- K94 Phlebitis/Thrombose
ICD-10
- O22 Venenkrankheiten und Hämorrhoiden als Komplikationen in der Schwangerschaft
- O22.3 Tiefe Venenthrombose in der Schwangerschaft, Tiefe Venenthrombose, präpartal
- O87 Venenkrankheiten und Hämorrhoiden als Komplikationen im Wochenbett
- O87.1 Tiefe Venenthrombose im Wochenbett, Thrombophlebitis der Beckenvenen, postpartal, Tiefe Venenthrombose, postpartal
- O87.9 Venenkrankheit als Komplikation im Wochenbett, nicht näher bezeichnet
- O88 Embolie während der Gestationsperiode
- O88.2 Thromboembolie während der Gestationsperiode Lungenembolie während der Gestationsperiode. Lungenembolie im Wochenbett
Diagnostik
Allgemeines
- In der Schwangerschaft soll jeder Verdacht auf eine VTE soweit abgeklärt werden, dass eine therapeutische Entscheidung erfolgen kann.2
- Abklärung der Lungenembolie auch mittels strahlendiagnostischer Methoden2
- Die Diagnose einer VTE in der Schwangerschaft ist schwierig.1
- Bestätigung des klinischen Verdachts einer VTE bei Schwangeren niedriger als bei Nicht-Schwangeren1
- Die Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer VTE mittels gängiger Scores (Wells Score, Genfer Score) ist für Schwangere nicht anwendbar.
- neu entwickelter Score („LEFt“) mit hohem negativem Vorhersagewert (100 %) unter Verwendung von 3 Parametern:14
- Symptome im linken Bein
- Unterschied des Wadenumfangs > 2 cm
- Präsentation im 1. Trimenon.
- Der LEFt-Score muss allerdings noch prospektiv evaluiert werden.
- neu entwickelter Score („LEFt“) mit hohem negativem Vorhersagewert (100 %) unter Verwendung von 3 Parametern:14
- Derzeit gibt es keine klare Evidenz für die Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer VTE durch Scoresysteme bei Schwangeren.15
- D-Dimer-Test weniger spezifisch
- D-Dimer-Anstieg physiologisch während Schwangerschaft
Anamnese und Befund bei tiefer Venenthrombose
- Siehe auch Artikel Tiefe Venenthrombose.
- Verdächtig sind vor allem Symptome und Befunde im linken Bein.
- Mehrheit der Thrombosen (> 85 %) links lokalisiert
Anamnese
- Frage nach Symptomen
- Schmerz
- Spannungsgefühl
- Einseitige Lokalisation der Symptome
- Isolierte Beckenvenenthrombose evtl. mit isoliertem Schmerz in Gesäß, Leiste, Flanke oder Abdomen
- Frage nach prädisponierenden Faktoren (s. o.)
Befund
- Schwellung, Umfangdifferenz
- Zyanose
- Vermehrte venöse Gefäßzeichnung
- Überwärmung
- Klassische Thrombosezeichen sind bei der körperlichen Untersuchung unspezifisch2, z. B.:
- Homans
- Wadenschmerz bei Dorsalflexion des Fußes
- Payr
- Druckschmerz im Bereich der medialen Fußsohle
- Sigg
- Schmerz in der Kniekehle bei Überstreckung des Knies
- Meyer
- Druckschmerz im Bereich der medialen Wade.
- Homans
Anamnese und Befund bei Lungenembolie
- Siehe auch Artikel Lungenembolie.
- Die klinische Beurteilung bei Schwangeren ist erschwert, da die Symptome noch unspezifischer sind als in der Allgemeinbevölkerung.6
- Befunde wie Kurzatmigkeit und Tachykardie kommen auch bei normalen Schwangerschaften vor.
Anamnese
- Frage nach Symptomen:
- Schlagartiges Auftreten?
- Symptombeginn in welchem Zusammenhang: Positionsänderung?
- Systematische Befragung nach prädisponierenden Faktoren (s. o.)
Befund
- Inspektion
- Tachypnoe
- Unruhe
- Erschöpfung
- evtl. Halsvenenstauung bei Rechtsherzversagen
- Blutdruck/Puls
- häufig tachykard
- je nach Ausmaß der LE normoton bis hypoton
- Auskultation
- meistens keine oder nur uncharakteristische Befunde
- bei Lungeninfarkt evtl. pleurale Reibegeräusche (selten)
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- EKG (siehe auch Checkliste EKG, EKG: Veränderungen von P-Welle, QRS-Komplex und ST-T-Segment)
- S1-Q3-T3-Muster (S in I, Q in III und T-Inversion in III) relativ spezifisch für LE, jedoch mit geringer Sensitivität
- T-Negativierung in Abl. V2–V3 bei LE möglich
- evtl. inkompletter oder kompletter Rechtsschenkelblock
- nicht selten Sinustachykardie als einzige Veränderung im EKG
- Hinweis auf Differenzialdiagnosen (Myokardinfarkt, Perikarditis)
- Röntgen-Thorax
- Ausschluss von Differenzialdiagnosen
- bei großen Lungenembolien evtl. Erweiterung der Pulmonalarterien, Minderperfusion der betroffenen Abschnitte
- Ein Röntgen-Thorax beeinflusst das weitere diagnostische Vorgehen bei V. a. LE.
- bei unauffälligem Rö-Thorax weitere Bildgebung eher mit Perfusionsszintigrafie (ohne Ventilationsszintigrafie) als mit CT-Angiografie (niedrigere Strahlenbelastung)16
- D-Dimer-Test
- Die Bedeutung des D-Dimer-Tests bei V. a. VTE in der Schwangerschaft wird kontrovers diskutiert.
- Ein normaler D-Dimer-Test schließt VTE weitgehend aus.5
- Allerdings ist der D-Dimer-Wert in der Schwangerschaft physiologischerweise erhöht (niedriger positiver prädiktiver Wert für VTE).
- Ein erhöhter D-Dimer-Wert lässt daher nicht zuverlässig auf eine VTE schließen, und eine weitere Objektivierung durch Bildgebung ist erforderlich.4
Bildgebende Verfahren bei tiefer Venenthrombose
- Siehe auch Artikel Tiefe Venenthrombose.
- Bei einem Thromboseverdacht in der Schwangerschaft ist eine primäre Bildgebung anzustreben.2
Sonografie der Bein- und Beckenvenen
- Methode der 1. Wahl2,15
- Untersuchung mittels:
- Kompressionssonografie
- Duplexsonografie.
- Hohe Sensitivität und Spezifität v. a. im Bereich der proximalen Venen (Kniekehle bis Leiste)2
- Niedrigere Sensitivität im Bereich von Unterschenkel und Becken
- Bei initial negativem Befund erneute Sonografie innerhalb von 7 Tagen zur weiteren Erhöhung der diagnostischen Sicherheit2
- Kostengünstig
MR-Phlebografie
- In Erwägung ziehen bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit, positivem D-Dimer-Test, aber negativer Kompressionssonografie zum Nachweis/Ausschluss einer Beckenvenenthrombose4
CT-Phlebografie
- Aufgrund der Strahlenbelastung bei Schwangeren keine Alternative zur Sonografie
Konventionelle Phlebografie
- Früher Goldstandard in der Diagnostik der TVT
- Aufgrund der Strahlenbelastung heutzutage ohne Bedeutung
Bildgebende Verfahren bei Lungenembolie
- Siehe auch Artikel Lungenembolie.
- Bei vielen Ärzt*innen gibt es eine innere Schwelle bei der Anordnung von Untersuchungen mit ionisierender Strahlung bei Schwangeren, dies bedingt allerdings die Gefahr von verfehlten LE-Diagnosen.6
- Strahlenexposition bei entsprechender Klinik ist gerechtfertigt zum definitiven Ausschluss/Nachweis einer LE.2
- Die Strahlendosen von CT oder Szintigrafie gelten insbesondere im 2. und 3. Trimenon für den Fetus als unbedenklich, aber auch im 1. Trimenon wird Unbedenklichkeit angenommen.17
Sonografie
- Bei V. a. LE und hämodynamischer Stabilität zunächst Durchführung einer Sonografie der Bein- und Beckenvenen2,4
- Bei Thrombennachweis ist eine Antikoagulation indiziert auch ohne weitere LE-Diagnostik.4
- Vermeidung einer Strahlenbelastung für Schwangere und Kind
- Wenn nach D-Dimer-Test und Sonografie kein Ausschluss/Nachweis einer TVT, dann ist eine andere Diagnose bei anhaltend verdächtigem Befund nicht wahrscheinlich; weitere Abklärung einer LE mittels CT-Angiografie oder Szintigrafie4-5,18
CT-Angiografie
- Höhere Strahlenbelastung der Brust im Vergleich zur Szintigrafie
- Bei modernen CT-Geräten ist die Auswirkung auf das mütterliche Malignomrisiko vernachlässigbar.5
- Strahlenbelastung für den Fetus geringer als bei einer Ventilations-Perfusionsszintigrafie4,19
- Unauffälliges CT und unauffällige Szintigrafie mit gleicher Wertigkeit zum Ausschluss einer LE5
Ventilations-Perfusionsszintigrafie
- Vermeidet die höhere Strahlenbelastung der Brust durch CT.
- Perfusionsscan meistens ausreichend, da bei Schwangeren in der Regel keine strukturelle Lungenerkrankung2
- Insbesondere bei bereits vorliegendem normalem Rö-Thorax ist der Perfusionsscan eine sinnvolle Option.16
MR-Angiografie
- Für die Diagnostik der Lungenembolie noch nicht ausgereift (niedrige Sensitivität, hoher Anteil nicht verwertbarer Aufnahmen)5
Konventionelle Pulmonalisangiografie
- Aufgrund der hohen Strahlenbelastung nicht empfohlen während der Schwangerschaft5
Echokardiografie
- Transthorakale Echokardiografie bei hämodynamisch instabilen Patientinnen
- Nachweis einer rechtsventrikulären Dilatation/Dysfunktion
Algorithmus zur Bildgebung bei V. a. Lungenembolie in der Schwangerschaft16
Thrombophiliescreening?
- Hereditäre Thrombophilie bei 20–50 % der Patientinnen mit schwangerschaftsassoziierter VTE11
- Ein routinemäßiges Screening auf Thrombophilie wird dennoch derzeit nicht empfohlen.2,20
- Abklärung sinnvoll, wenn
- Die Entscheidung über eine Thrombophilie-Diagnostik ist eine Einzelfallentscheidung, evtl. Einbeziehung von Hämostaseolog*in.2
- Thrombophilie-Diagnostik bei einer akuten venösen Thromboembolie ohne Einfluss auf die unmittelbaren therapeutischen Entscheidungen2
- Protein S kann während der Schwangerschaft physiologisch vermindert sein.21
- keine Indikation per se für eine Antikoagulation2
- Das Antiphospholipidsyndrom ist die häufigste erworbene Thrombophilie während der Schwangerschaft.22
Indikation zur Krankenhauseinweisung
- Jede Patientin mit V. a. Lungenembolie
- Bei V. a. tiefe Venenthrombose und Möglichkeit zur raschen Diagnostik einschließlich Kompressionsultraschall kann diese ambulant durchgeführt werden, ansonsten Einweisung ins Krankenhaus.
Differenzialdiagnosen
Tiefe Venenthrombose
- Oberflächliche Thrombophlebitis
- Postthrombotisches Syndrom
- Chronisch venöse Insuffizienz
- Venöses Kompressionssyndrom
- Erysipel, Phlegmone
- Traumatisches Ödem
- Muskelriss
- Baker-Zyste
- Begleitödem bei Arthritis/aktivierter Arthrose
- Ödem/Herzinsuffizienz
- Lymphödem
- Acrodermatitis atrophicans
- Hypoalbuminämisches Ödem
- Nephrotisches Syndrom
- Arzneimittelinduzierte Ödeme
Lungenembolie
- Akutes Koronarsyndrom
- Aortendissektion
- Perikarditis
- Herzinsuffizienz
- Pneumonie
- Pleuritis
- Spontanpneumothorax
- Asthma
- Exazerbation der COPD
- Schock
Therapie
Therapieziele
- Vermeidung einer akuten Bedrohung für Mutter und Kind durch erfolgreiche Behandlung einer Lungenembolie
- Verhinderung einer Lungenembolie bei manifester tiefer Venenthrombose
- Langfristig Verhinderung eines postthrombotischen Syndroms und/oder einer pulmonalen Hypertonie
Medikamentöse Therapie
- Basis der medikamentösen Therapie bei VTE ist die Heparinisierung, überwiegend mit niedermolekularem Heparin (NMH).4-5
- Heparin nicht plazentagängig
- Heparin geht nicht in relevanter Menge in die Muttermilch über.23
- Heparingabe bei VTE mindestens 3 Monate2
- mindestens bis 6 Wochen post partum2
Niedermolekulare Heparine (NMH)
- NMH Mittel der Wahl bei VTE in Schwangerschaft und Wochenbett4-5
- NMH während Schwangerschaft effektiv und sicher24
- Rezidiv-VTE 1,15 % unter therapeutischer Dosierung
- Blutungskomplikationen 1,86 %
- Geringeres Risiko im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin (UFH) für:
- heparinindizierte Thrombozytopenie (HIT)
- Osteoporose
- Gewichtsadaptierte Gabe der NMH
- Notwendigkeit von Anti-Xa-Bestimmungen wird kontrovers diskutiert.
- In Erwägung ziehen bei Frauen mit:5,10
- rezidivierender VTE
- sehr hohem oder sehr niedrigem Körpergewicht
- Niereninsuffizienz.
- In Erwägung ziehen bei Frauen mit:5,10
- NMH sollten mindestens 24 h vor der Geburt bzw. Einleitung einer Regionalanästhesie gestoppt werden.2
- Nach der Geburt bzw. Entfernung des Regionalanästhesiekatheters Heparinisierung frühestens nach 4–24 h2
Unfraktioniertes Heparin (UFH)
- Heute im Vergleich zu NMH nur noch von untergeordneter Bedeutung
- UFH wird typischerweise noch in der Akutbehandlung der massiven Lungenembolie verwendet.4
- Bei Hochrisikopatientinnen unter therapeutischer NMH-Gabe wird empfohlen,4,10
- spätestens 36 h vor der Entbindung von NMH auf UFH zu wechseln.
- die UFH-Infusion 4–6 h vor der erwarteten Entbindung abzusetzen.
- Die aPTT sollte vor der Regionalanästhesie normal sein.
Vit-K-Antagonisten
- Während der Schwangerschaft kontraindiziert (plazentagängig)17
- Embryopathie, Blutungen
- Postpartal kann von Heparin auf Vit-K-Antagonisten umgestellt werden unter Beachtung der Empfehlungen zur Vitamin-K-Prophylaxe des Säuglings.2
- Die Behandlung mit Vit-K-Antagonisten kann am 2. Tag nach der Geburt begonnen werden.4
Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)
- Kontraindiziert während Schwangerschaft und Stillzeit4-5
Thrombolyse
- Option nur bei Hochrisiko-LE mit schwerer Hypotension oder Schock
Weitere Therapiemöglichkeiten bei LE
Cava-Filter
- Option nur bei absoluter Kontraindikation für Antikoagulation oder rezidivierenden LE unter adäquater Antikoagulation
- Sowohl frühe als auch späte Komplikationen häufig
Katheterinterventionelle Verfahren
- Mechanische Verfahren: Rotations-, Aspirations-, hydrodynamische oder Saug-Thrombektomie2
Chirurgische Embolektomie
- Ultima Ratio
Kompressionstherapie
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
- Bei TVT frühzeitiger Beginn einer Kompressionstherapie empfohlen
- Ziel = Verhinderung des postthrombotischen Syndroms
- Kompressionstherapie nur an dem Bein mit Thrombosenachweis
- Prophylaktische Therapie bei LE ohne Nachweis einer TVT nicht erforderlich
- In der Regel sind Kompressionsstrümpfe der Klasse II ausreichend.
- Dauer der Kompressionstherapie in Abhängigkeit vom Ergebnis phlebologischer Kontrollen
Mobilisierung
- Schnellstmögliche Mobilisierung unabhängig von Lokalisation und Morphologie der TVT2
- Immobilisation nur zur Linderung starker Schmerzen2
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Bei unbehandelter TVT entwickelt sich in 15–25 % der Fälle eine LE.
- In der Frühphase der LE Letalität etwa 10 %
- bis zu 90 % der Todesfälle akut in den ersten 2 Stunden nach Symptombeginn2
- Der weitere Verlauf ist v. a. vom Ausmaß der LE bestimmt, im Einzelfall aber sehr variabel und schwer vorherzusagen.
- Üblicherweise Auflösung der Emboli innerhalb von einem Monat
- Entwicklung einer chronischen thrombembolischen pulmonalen Hypertonie (CTEPH) wahrscheinlich häufiger als früher gedacht (4 % nach 2 Jahren)26
Komplikationen
- Etwa 25 % der Patient*innen mit erstmaliger TVT entwickeln ein postthrombotisches Syndrom.27
- Rezidiv-LE ca. 2,5–5 % in den ersten 6–12 Monaten; Rate fataler Rezidive einer venösen Thrombembolie in den ersten 3 Monaten unter Antikoagulation 0,4 %28
- Blutungen: Häufigkeit abhängig vom Alter, von zugrunde liegenden Erkrankungen, dem Antikoagulationsniveau und der Behandlungsdauer (2–6 % in den ersten 6–12 Monaten); Rate fataler Blutungen bei Patient*innen mit venöser Thrombembolie in den ersten 3 Monaten unter Antikoagulation 0,2 %28
- Chronische thromboembolische pulmonale Hypertonie29
Prognose
- Unbehandelt beträgt die Sterblichkeit bei Lungenembolie bis zu 30 %.
- Unter Therapie Sterblichkeit 2–8 %30
- Hohe Mortalität bei massiver Embolisation (30–50 %)31
Verlaufskontrolle
- Bei Hausärzt*innen
- Verlaufskontrollen der Blutgerinnung bei Patientinnen mit oraler Antikoagulation
- klinische Untersuchung in den ersten Wochen nach Therapieeinleitung2
- Bei Angiolog*innen
- sonografische Untersuchung nach 3 Monaten und/oder bei Abschluss der Antikoagulation zur Erfassung von Residualthromben2
- Bei Kardiolog*innen
- bei Patientinnen mit persistierender Dyspnoe nach Lungenembolie echokardiografische Untersuchung empfohlen zur Erfassung einer chronischen thrombembolischen pulmonalen Hypertonie (CTEPH)2
- kein echokardiografisches CTEPH-Screening bei beschwerdefreien Patientinnen mit einer TVT oder LE in der Anamnese2
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patientinnen informieren?
- Aufklärung über:
- Symptome und Zeichen einer VTE in der Schwangerschaft
- Notwendigkeit der Arztkonsultation bei Symptomen und Zeichen einer VTE.
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). AWMF-Leitlinie Nr. 003–001. S3, Stand 2015. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V. Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 065–002. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
- European Society of Cardiology. Guidelines for the management of cardiovascular diseases during pregnancy, Stand 2018. www.escardio.org
- European Society of Cardiology. Guidelines for the diagnosis and management of acute pulmonary embolism, Stand 2019. www.escardio.org
- Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Pocket-Leitlinie: Kardiovaskuläre Erkrankungen in der Schwangerschaft, Stand 2018. leitlinien.dgk.org
- Royal College of Obstetricians and Gynaecologists. Reducing the risk of venous thromboembolism during pregnancy and the puerperium. Green-top Guideline No. 37a, Stand 2015. www.rcog.org.uk
- Royal College of Obstreticiens and Gynaecologists. Thromboembolic Disease in Pregnancy and the Puerperium: Acute Management. Green-top Guideline No. 37b, Stand 2015. www.rcog.org.uk
Literatur
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Erika Baum, Prof. Dr. med., Professorin für Allgemeinmedizin, Biebertal (Review)
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).