Hyperemesis gravidarum

Zusammenfassung

  • Definition:Anhaltende und starke Übelkeit mit Erbrechen, die vor der 20. SSW beginnt und mit Gewichtsverlust, Exsikkose, Stoffwechselentgleisung und Störungen des Elektrolythaushaltes einhergehen kann.
  • Häufigkeit:Kommt bei ca. 1 % aller Schwangeren vor.
  • Symptome:Übelkeit gefolgt von Erbrechen und erhöhter Speichelproduktion, die oftmals den gesamten Tag persistiert.
  • Befunde:Reduzierter Allgemeinzustand, im Verlauf Entwicklung von Gewichtsabnahme, Exsikkose und Elektrolytstörungen.
  • Diagnostik:Labor und Sonografie.
  • Therapie:Die meisten Schwangeren mit Emesis gravidarum können ohne Medikamente behandelt werden, handelt es sich jedoch um eine Hyperemesis gravidarum nach o. g. Definition sind Medikamente und oftmals ein stationärer Aufenthalt indiziert.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Unter einer Hyperemesis gravidarum versteht man eine in der Schwangerschaft anhaltende, starke Übelkeit mit Erbrechen (mehr als 5 x pro Tag) mit Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes, erschwerter Nahrungsaufnahme und Gewichtsabnahme (> 5 % des Ausgangsgewichtes).1
  • Es kann zu metabolischen Störungen (Azidose durch mangelnde Nahrungsaufnahme, Alkalose durch HCL-Verlust), Dehydrierung, Ketonurie und Störungen im Elektrolythaushalt (Hypokaliämie) kommen.1
  • Sie beginnt vor der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) (meist in der 4.–9. SSW) und bessert sich bei 50 % der betroffenen Schwangeren in der 14. SSW.1-2
    • In der 22. SSW sind bereits über 90 % symptomfrei.
    • In bis zu 20 % aller Schwangerschaften kann die Übelkeit, wenn auch nicht immer als Hypermesis gravidarum, über den gesamten Verlauf der Gravidität persistieren.1
  • Schwangerschaftserbrechen (Emesis gravidarum) im 1. Trimester ist normal.
    • Die Übelkeit tritt meist morgens auf und kann Erbrechen mit sich bringen, beeinträchtigt aber nicht den Allgemeinzustand und führt nicht zu einer beträchtlichen Gewichtsabnahme.3

Häufigkeit

  • Emesis gravidarum (Schwangerschaftserbrechen)
    • Ca. 50–90 % der Schwangeren erleben Übelkeit und/oder Erbrechen im Laufe der Schwangerschaft.2
  • Hyperemesis gravidarum stellt mit einer Inzidenz von 0,5–2 % eine häufige Erkrankung in der Schwangerschaft dar.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ursache ist unbekannt, es liegen unterschiedliche Theorien vor.
  • Ein Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen (erhöhtes HCG, Östrogen, Progesteron) wird angenommen. Allerdings ist die Datenlage nicht eindeutig.3
    • Hyperemesis gravidarum ist häufiger mit einem weiblichen Fetus assoziiert.
      • Dies könnte ein Hinweis dafür sein, dass ein erhöhter Östrogenspiegel in utero ein Risiko für Hyperemesis ist.3
    • Zudem wird vermutet, dass Patientinnen mit Hyperemesis sensibler auf Östrogenwirkungen reagieren als asymptomatische Schwangere.2
  • Psychologische Faktoren können ebenfalls eine Rolle spielen, diese sind jedoch nicht ausreichend untersucht.4
  • Erbliche Faktoren können von Bedeutung sein.
    • Eine Studie zeigt, dass Schwangere, deren Mutter an Hyperemesis erkrankte, ein 3- bis 4-mal höheres Risiko tragen, ebenfalls eine Hyperemesis zu entwickeln.5
  • Außerdem wurde ein Zusammenhang zwischen Hyperemesis und einer Helicobacter-pylori-Infektion festgestellt.6
  • Eine obere gastrointestinale Dysmobilität kann ebenfalls eine Rolle spielen.3
  • Ebenfalls kann ein selbstlimitierender transienter Hyperthyreoidismus mit einer Hyperemesis gravidarum assoziiert sein.
    • Hierbei sind FT3 und FT4 normwertig und TSH erniedrigt.
      • Eine schilddrüsenspezifische Therapie ist nicht notwendig.3

Disponierende Faktoren

  • Junges Alter7
  • Nulliparität3
  • Schwangere mit früherer Hyperemesis7-8
  • Mehrlingsschwangerschaften7-8
  • Adipositas3
  • Trophoblasterkrankungen7-8
  • Schwangere nicht-westlicher Herkunft scheinen häufiger betroffen zu sein.3
  • In einer Studie wurde ein erhöhtes Risiko für eine stationäre Aufnahme aufgrund von Hyperemesis bei Frauen mit Hyperthyreose, Diabetes mellitus, Asthma bronchiale oder psychiatrischer Erkrankung festgestellt.9

ICPC-2

  • W05 Schwangerschaftsbedingte Übelkeit/Erbrechen

ICD-10

  • O21.-Übermäßiges Erbrechen während der Schwangerschaft
    • O21.0 Leichte Hyperemesis gravidarum
    • O21.1 Hyperemesis gravidarum mit Stoffwechselstörung
    • O21.2 Späterbrechen während der Schwangerschaft
    • O21.8 Sonstiges Erbrechen, das die Schwangerschaft kompliziert
    • O21.9 Erbrechen während der Schwangerschaft, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Referenz1 bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.
  • Typische klinische Symptomatik
  • Typische Laborabweichung
  • Typischer Urinbefund
    • Ketonnachweis
  • Nachweis einer intrauterinen Gravidität in der Sonografie
  • Ausschluss einer Differenzialdiagnose: Andere Ursachen für Übelkeit müssen ausgeschlossen werden – siehe Differenzialdiagnosen.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die meisten betroffenen Frauen leiden den ganzen Tag an Übelkeit, nicht nur am Morgen.10
  • Übelkeit, häufig begleitet von Erbrechen und erhöhter Speichelsekretion
  • Gewichtsabnahme?
  • Die Beschwerden beginnen in der Regel in der 4.–10. SSW.
  • Die Übelkeit ist meist um die 9. SSW am schlimmsten und kann so stark sein, dass eine stationäre Behandlung erforderlich ist.
    • Die Anzahl der stationären Aufnahmen ist um die 9. SSW am höchsten und nimmt dann sukzessiv bis zur 20. SSW ab.9 

Klinische Untersuchung

  • Die Referenz3 bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.
  • Es ist eine gründliche klinische Untersuchung erforderlich. Bauchschmerzen sind bei Hyperemesis ungewöhnlich.
  • Temperatur- und Pulsanstieg kommen vor.
  • Eine orthostatische Hypotonie kann vorliegen.
  • Zeichen der Exsikkose oder der Ketonämie, wie obstartiger Mundgeruch können vorliegen.
  • Zeichen der Leberaffektion mit Ikterus?
  • Benommenheit, geistige Verlangsamung, Delir?

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Störungen des Elektrolytenhaushalts und Ketonurie kommen häufig vor und sind ein Zeichen für eine Störung im Flüssigkeitshaushalt und im Fettmetabolismus. Nieren- und Leberfunktion können gestört sein.11
  • Blutuntersuchung
    • Blutbild, Hämatokrit, CRP
      • Hämatokrit und Hb sind häufig erhöht, dies kann jedoch als Folge der physiologischen Hämodilution während der Schwangerschaft maskiert sein.
    • Kreatinin, Elektrolyte (Na, K, Ca)
    • GOT, GPTGamma-GT, Lipase
      • Bei 50 % der Patientinnen mit Hyperemesis ist GOT und/oder GPT erhöht.
      • Ebenfalls erhöht bei Lebererkrankungen, die Ursache für Übelkeit und Erbrechen sein können.
    • FT3, FT4 und TSH
      • HCG kann die Schilddrüse beeinflussen und meist zu Hyperthyreose mit erhöhtem FT4 und erniedrigtem TSH führen.12
      • Transiente Hyperthyreose mit erniedrigtem TSH und normwertigem FT3 und FT4?
    • ggf. Quantifizierung des Beta-HCG bei Verdacht auf Trophoblasterkrankungen (kann meist mithilfe von Ultraschall ausreichend geklärt werden)
  • Urinstatus
    • Ketone, Albumin, Leukozyten und Nitrit

Weitere Untersuchungen, ggf. bei Gynäkolog*in

  • Sonografie
    • Sowohl Mehrlingsschwangerschaften als auch Trophoblasterkrankungen werden mit Hyperemesis assoziiert und können mit dieser Untersuchung diagnostiziert werden.

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei reduziertem Allgemeinzustand, bei Anzeichen von Dehydrierung oder bei Gewichtsabnahme von mehr als 5 % des Ausgangsgewichts (Gewicht vor Beginn der Schwangerschaft)
  • Bei Ketonurie in Kombination mit verschlechtertem Allgemeinzustand, Dehydrierung und Gewichtsabnahme
  • Bei Anzeichen für Zerebralsymptome, vor allem Ataxie und Desorientierung (siehe Wernicke-Enzephalopathie)
  • Allein die Einweisung bei Hyperemesis gravidarum kann bereits zu einer Verbesserung des Zustands führen, vermutlich als Folge der psychologischen Faktoren in Zusammenhang mit dem Umgebungswechsel.

Therapie

Therapieziele

  • Ein Schwangerschaftsverlauf mit möglichst wenig Beschwerden für die Mutter und einem möglichst geringen Risiko für das Kind

Allgemeines zur Therapie

  • Die Referenz1 bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.
  • Bei den meisten Frauen, die an Schwangerschaftserbrechen und -übelkeit leiden, ist keine medikamentöse Therapie indiziert; die Beschwerden sind häufig selbstlimitierend.
  • Mögliche Therapieoptionen
    • Anpassung der Ernährung
    • psychologische Betreuung (Reduktion von Stress)
    • alternative Therapieansätze (Akupunktur, Akupressur, Kräutertherapie, Ingwer)
  • Bei starken, anhaltenden Beschwerden ist eine medikamentöse Therapie indiziert.

Empfehlungen für Patientinnen

Anpassung der Ernährung

  • Häufige und kleine Mahlzeiten
    • Die erste Mahlzeit sollte im Bett eingenommen werden.
    • Nahrungsaufnahme vor Eintritt des Hungergefühls, ein leerer Magen kann die Übelkeit bei Nahrungsaufnahme verschlimmern.13
  • Einigen Frauen scheint kohlenhydratreiches, proteinhaltiges, leicht gewürztes und gesalzenes Essen besser zu bekommen.14
  • Speisen vermeiden, die Übelkeit auslösen oder verschlimmern können: starke Gerüche, fettes Essen, gebratenes Essen, stark gewürzte Speisen.15
  • Flüssigkeit scheint besser vertragen zu werden, wenn sie kalt, klar und kohlensäurehaltig ist (evtl. saure Getränke)
    • Häufiges Trinken, kleine Mengen und Flüssigkeitsaufnahme zwischen den Mahlzeiten trägt dazu bei, Dehydrierung vorzubeugen.16

Anpassung von Lebensumständen

  •  Faktoren vermeiden, die Übelkeit auslösen.
    • z. B. schlechte Luft, starke Gerüche, Wärme, hohe Luftfeuchtigkeit, laute Geräusche und flackerndes Licht oder Autofahren.15

Medikamentöse Therapie 

Allgemeines

  • Vorhandene Studien zur medikamentösen Therapie von Übelkeit, Erbrechen und Hyperemesis in der Schwangerschaft sind überwiegend qualitativ begrenzt.17
  • Insgesamt wird ein restriktiver Gebrauch von Medikamenten empfohlen.18
  • Bei leichter bis mäßiger Hyperemesis kann nach Versagen der Allgemeinmaßnahmen, eine ambulante medikamentöse Therapie versucht werden.1
    • In der Regel werden Meclozin, Doxylamin und/oder Pyridoxin (Vitamin B6) eingesetzt.
  • Bei Hyperemesis gravidarum mit Exsikkose und Elektrolytstörungen oder metabolischer Ketoazidose sollte eine stationäre Therapie erfolgen.
    • Hier kommen Metoclopramid, Dimenhydrinat, Promethazin, Ondansetron, evtl. bei therapierefraktärer Hyperemesis auch Mirtazapin, Diazepam oder Methylprednisolon zum Einsatz.
      • Die Datenlage zu den zuletzt genannten Medikamenten ist spärlich.1
    • Daneben sind ein sofortiger Kostaufbau und Volumen-, Vitamin- und Elektrolytsubstitution wichtig; bei fehlgeschlagenem Kostaufbau nach 48 Stunden wird zumeist die parenterale Gabe von Kohlenhydrat- und Aminosäurelösungen notwendig.1

Antihistaminika

  • Große klinische Studien zeigen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass Antihistaminika der 1. und 2. Generation teratogen sind.19
  • Häufig auftretende Nebenwirkungen bei Antihistaminika sind Müdigkeit und Mundtrockenheit.
  • Meclozin (initial 1‒2 x 25 mg/d p. o.)
    • In Deutschland nicht für diese Indikation zugelassen, obwohl es das am besten erprobte Mittel in Schwangerschaft und Stillzeit ist.
    • Kann über die Auslandsapotheke bestellt werden (Österreich, Frankreich).
    • Laut Embryotox gehört es zu den Mitteln der 1. Wahl bei Übelkeit und Erbrechen in Schwangerschaft und Stillzeit.19
  • Doxylamin (initial 12,5 mg 2 x tgl. p. o.) 
    • Doxylamin in Kombination mit Pyridoxin wird seit ca. 30 Jahren weltweit zur Behandlung von Hyperemesis eingesetzt.19
    • Ist seit 2019 auch in Deutschland für diese Indikation zugelassen.19
  • Dimenhydrinat (50 mg 3–4 x tgl. p. o. oder 1–3 Supp.) 
    • mögliche wirksame Alternative
    • Sollte im 3. Trimenon bei vorzeitiger Wehentätigkeit zurückhaltend angewendet werden.19
      • Es sind wehenfördernde Effekte, neonatale Hypoxie und Uterusruptur beschrieben.20
  • Promethazin (1‒2 x 25 mg/d p. o.)
    • Wird in Deutschland nur bei sehr strenger Indikationsstellung empfohlen, wenn andere Anthistaminika nicht ausreichend wirksam sind.20
    • Es liegen nur wenige Nutzenbelege vor.
      • Bei Einnahme von Promethazin bis zur Geburt sind beim Neugeborenen Anpassungsstörungen möglich, die mit neurologischen, gastrointestinalen und respiratorischen Symptomen einhergehen können.19
    • Zählt auch zu den Neuroleptika und Sedativa und hat starke sedierende Wirkung.

Pyridoxin (Vitamin B6)

  • Pyridoxin (10–75 mg/d p. o.)
    • Reduziert Übelkeit, aber nicht das Erbrechen.20
    • Die Wirkung ist unvollständig dokumentiert.18
    • Zur Therapie einer Hyperemesis sollte eine Tagesdosis von 80 mg/d nicht dauerhaft überschritten werden.19

Thiamin (Vitamin B1)

  • Thiamin 100 mg/d p. o.
    • Eine Wernicke-Enzephalopathie aufgrund des Thiaminmangels ist die schwerste Komplikation einer Hyperemesis gravidarum.19
    • Daher sollte an eine rechtzeitige Substitution von Thiamin gedacht werden.1

Ingwerwurzel

  • Eine Wirksamkeit bei leichten Formen der Schwangerschaftsübelkeit wurde in einigen Studien nachgewiesen, in anderen nicht.18,21
  • Es treten häufig Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Sodbrennen auf.19
  • Ingwer wird in verschiedenen Darreichungsformen angeboten, so z. B. auch in Tees.
    • Eine optimale Dosis ist nicht bekannt.
    • In Kapselform ist in Deutschland nicht in der Schwangerschaft zugelassen.
    • Laut Embryotox kann Ingwer in allen Phasen der Schwangerschaft in üblicher Dosierung eingenommen werden.19

Antiemetika

  • In manchen Kliniken werden bei stationär aufgenommenen Patientinnen Metoclopramid-Präparate eingesetzt, wenn Antihistaminika keine Wirkung zeigen; auch hierfür liegen keine guten Studiendaten vor, daher sollten diese als Reservemittel eingesetzt werden.18,20
  • In einer registerbasierten Kohortenstudie aus Dänemark, in der > 28.000 Frauen im 1. Trimenon Metoclopramid erhielten, wurden keine Anzeichen für einen teratogenen Effekt oder Auswirkungen auf die Schwangerschaft festgestellt.22
  • Das Risiko von neurologischen Nebenwirkungen (extrapyramidal-motorisch) steigt mit Dauer der Behandlung und der totalen kumulativen Dosis, weswegen so kurz wie möglich therapiert werden sollte.19

Ondansetron (off label)

  • Ondansetron sollte nur bei ausgeprägter Symptomatik und Versagen der primär empfohlenen Antiemetika (Meclozin, Doxylamin, ggf. auch Dimenhydrinat) eingesetzt werden.19
  • Es besteht eine geringe Assoziation mit orofazialen Fehlbildungen (Lippen-Kiefer-Gaumenspalte).
    • Dazu wurde am 01.10.2019 vom Hersteller des Arzneimittels und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Rote-Hand-Brief herausgegeben.23
    • In einer retrospektiven Kohortenstudie aus den USA, die 1,8 Mio. Schwangerschaften einschloss und 88.000 Frauen, die Ondansetron im ersten Trimenon eingenommen hatten, fand man kein erhöhtes Risiko für angeborene Herzfehler, aber eine geringe Erhöhung der Rate an Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.24
      • 3 zusätzliche Fälle orofazialer Fehlbildungen pro 10.000 behandelter Frauen; adjustiertes relatives Risiko 1,24 (95 % KI: 1,03–1,48)23
  • Eine Assoziation zu Herzfehlbildungen wird ebenfalls diskutiert. Die verfügbaren epidemiologischen Studien zeigen widersprüchliche Ergebnisse.
    • Eine schwedische Registerstudie zeigt ein erhöhtes Risiko für angeborene Herzfehler (RR 1,62; 95 % KI 1,04–2,38) und ein erhöhtes Risiko für kardialen Septumdefekt (RR 2,05; 95% KI 1,19–3,28).25
    • Eine dänische Registerstudie kam zu dem Schluss, dass kein Zusammenhang zwischen angeborenen Fehlbildungen und dem Gebrauch von Ondansetron bestand und auch kein erhöhtes Vorkommen von Fehlgeburten, Totgeburten, Frühgeburten oder Kindern mit geringem Geburtsgewicht.26

Kortikosteroide

  • Glukokortikoide wie Methylprednisolon scheinen Effekt zu haben und werden in Einzelfällen bei schwerer Hyperemesis bei stationär aufgenommenen Patientinnen eingesetzt.27
  • Die Datenlage ist insgesamt spärlich.1
    • Ein geringfügig erhöhtes Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, wenn im sensiblen Zeitfenster zwischen Schwangerschaftswoche 8 und 11 p. m. behandelt wurde. Eine Dosisabhängigkeit wird angenommen, eine Grenzdosis ist nicht bekannt.19
  • Bei einer selten erforderlichen hohen systemischen Methylprednisolon-Therapie über Wochen sollte das fetale Wachstum sonografisch kontrolliert werden.19

Mirtazapin19

  • Weitere Therapiemöglichkeit bei schweren Verläufen und psychiatrischen Symptomen wie Depression und Ängsten im stationärem Setting
  • Die Datenlage bezogen auf Effektivität und Nebenwirkungen ist begrenzt.
  • Bei Einnahme von Mirtazapin bis zur Geburt sind beim Neugeborenen Anpassungsstörungen mit neurologischen, gastrointestinalen und respiratorischen Symptomen möglich.
  • Bei Einnahme sollte die Schwangerschaft engmaschig gynäkologisch und psychiatrisch begleitet werden, um Krisen bei der Mutter und Entwicklungskomplikationen beim Feten (Frühgeburtsbestrebungen, Wachstumsretardierung) rechtzeitig dedektieren zu können.

Diazepam

  • Die Datenlage ist spärlich.1
  • Stationäre Therapieoption bei schweren Verläufen und Versagen anderer Therapiemöglichkeiten3
  • Bei der Anwendung muss das Abhängigkeitspotenzial bedacht werden.3
  • Nach Therapie im 1. Trimenon sollte eine sonografische Feindiagnostik zur Bestätigung der normalen fetalen Entwicklung empfohlen werden. Die Schwangerschaft sollte sorgfältig gynäkologisch überwacht werden.19

Intravenöse Therapie

  • Sollte eine orale Einnahme nicht möglich sein, können fast alle Substanzen i. v. verabreicht werden.
  • Eine intravenöse Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr ist bei Exsikkose und Elektrolytstörungen erforderlich.
    • In der Regel werden Kochsalz-, Ringer-Lösung mit Laktat und 5–10 % Glukoselösung eingesetzt.
  • Die Rehydrierung sollte möglichst innerhalb 48 h erfolgen.1

Enterale oder totale parenterale Ernährung

  • Kohlenhydrat- und Aminosäurelösungen sind der letzte Ausweg bei Patientinnen, bei denen durch andere Behandlungen keine Besserung erzielt werden kann.28
  • Auf eine ausreichende Vitaminzufuhr (insbesondere Vitamin B1, B6 und B12) sollte geachtet werden.19

Sekundärbehandlung

  • Akupressur auf einen Punkt am Handgelenk (CP6)
    • Wird von vielen als nichtmedikamentöse Alternative verwendet.
    • In einer norwegischen Studie gaben 71 % eine Verbesserung durch Akupressur und 59 % eine Verbesserung durch Placebo an, d. h. es besteht kein besonders großer Unterschied, der Placeboeffekt ist jedoch ausgezeichnet.29
    • Cochrane-Analysen kommen zu dem Schluss, dass Akupunktur (P6 oder herkömmliche Akupunkturpunkte) keinen besseren Effekt als ein Placebo aufweisen18 (Ia).

Prävention

  • Es gibt keine effektive präventive Therapie.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Übelkeit beginnt in der Regel in der 4. bis 10. SSW.
  • Die Hyperemesis klingt im Laufe der Schwangerschaft ab, aber 15–20 % der Schwangeren leiden auch im 3. Trimenon an Übelkeit, und bei 5 % dauern die Beschwerden bis zur Geburt an.16,30
  • Die Anzahl der stationären Aufnahmen aufgrund von Hyperemesis ist um die 9. SSW am höchsten und nimmt dann bis zur 20. SSW ab.9

Komplikationen

  • Maternale Komplikationen sind selten, aber möglich.1,31-32
  • Fetale Komplikationen
    • Bei maternalem Gewichtsverlust zu Beginn der Schwangerschaft von > 5 % sind beim Neugeborenen:
      • niedrigere Geburtsgewichte bzw. eine verkürzte Gestationszeit
      • und verlängerte postpartale stationäre Behandlungsintervalle möglich.1
  • Bei starker Übelkeit und Erbrechen erwogen 1 von 4 Frauen die Schwangerschaft abzubrechen und 3 von 4 Frauen von weiteren Schwangerschaften Abstand zu nehmen.33

Prognose

  • Übelkeit und Erbrechen sind an sich nicht schädlich für Mutter und Kind.
  • Die Beschwerden haben bedeutende Konsequenzen für die Lebensqualität und die täglichen Aktivitäten, sowohl beruflich als auch privat.34-35
    • Laut einer norwegischen Studie sind das gesamte alltägliche Funktionsniveau und die Lebensqualität durch Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft stark beeinträchtigt.33
  • Hyperemesis mit Gewichtsabnahme und Dehydration der Mutter können ein niedrigeres Geburtsgewicht und eine verkürzte Gestationszeit nach sich ziehen.
  • Das Risiko, dass auch in den darauf folgenden Schwangerschaften eine Hyperemesis auftritt, liegt bei Frauen, die bereits davon betroffen waren, bei 15–20 % während das Risiko bei Frauen ohne frühere Hyperemesis bei ca. 1 % liegt.32,36

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patientinnen informieren?

  • Bei den meisten Patientinnen hören die Symptome um die 16.–20. SSW auf.
  • Leichte morgendliche Übelkeit ist physiologisch. Bei den allermeisten Frauen, die an Hyperemesis gravidarum leiden, kommt es auch zu anderen Tageszeiten zu Übelkeit und Erbrechen.
  • Es kommt in den häufigeren Fällen nicht zu Schädigungen des ungeborenen Kindes, wenn die Mutter an Hyperemesis leidet, auch dann nicht, wenn die Schwangere Antiemetika verwendet.10

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

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Autor*innen

  • Kristine Scheibel, Dr. med. Fachärztin für Allgemeinmedizin, Norderney
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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