Lymphödem

Zusammenfassung

  • Definition:Ansammlung von Lymphflüssigkeit außerhalb der Lymphbahnen. Kann primär (anlagebedingt) oder sekundär aufgrund einer Erkrankung oder Therapie sein.
  • Häufigkeit:Ein primäres Lymphödem ist selten; ein sekundäres Lymphödem tritt am häufigsten nach einer Brustkrebsbehandlung auf.
  • Symptome:Primäre Lymphödeme sind oft ausgeprägt und beidseitig. Das sekundäre Lymphödem betrifft typischerweise nur eine Extremität.
  • Befunde:Das Ödem hat meist eine teigige Konsistenz, und andere Ursachen für ein Ödem bestehen nicht.
  • Diagnostik:Diagnostik im Hinblick auf eine maligne Erkrankung bei unbekannter Ursache des Lymphödems. Selten spezielle lymphologische Diagnostik zur Differenzierung und Therapieplanung.
  • Therapie:Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) mit Physiotherapie, Kompressionsbehandlung, Bewegungstherapie und Vorbeugung von Infektionen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Ein Lymphödem ist eine interstitielle Ansammlung von Lymphflüssigkeit (mit proteinreicher Flüssigkeit, andere Ödemformen sind in der Regel proteinarm) und wird klinisch als eine spezielle Form des Ödems betrachtet.1
  • Es wird auf eine reduzierte Transportkapazität im Lymphgefäßsystem zurückgeführt.1
  • Primäres Lymphödem
    • Ohne eine andere zugrunde liegende Erkrankung: Es kann erblich sein, aber auch spontan vorkommen, und kann in allen Altersgruppen auftreten.2
  • Sekundäres Lymphödem
    • Entsteht als Folge einer mechanischen oder entzündlichen Beschädigung des Lymphsystems.
    • Am bekanntesten ist es als Postmastektomie-Syndrom – eine Schwellung des Armes bei Frauen, die wegen Brustkrebs operiert und evtl. bestrahlt wurden (ca. 20 % aller Operierten).1

Häufigkeit

  • Primäres Lymphödem
    • geschätzte Prävalenz 1:6000 bis 1:10.000 der Lebendgeborenen1,3
  • Sekundäres Lymphödem
    • wesentlich häufiger als das primäre Lymphödem
    • Inzidenz in Industriestaaten ca. 0,13–2 %
    • Filariosen sind weltweit die Hauptursache für ein Lymphödem – besonders in tropischen Ländern; weltweit haben ca. 120 Mio. Menschen ein Lymphödem als Folge einer Filariose.4
    • In der westlichen Welt ist das sekundäre Lymphödem nach der Behandlung von Krebserkrankungen am häufigsten; es fehlt aber an guten epidemiologischen Daten.

Physiologie des Lymphsystems

  • In den Kapillaren
    • Bei der normalen kapillaren Zirkulation tritt Flüssigkeit durch die Kapillarwände ins Interstitium aus.
    • Es besteht auch eine variable Permeabilität für Proteine; einige Serumproteine wandern ins Interstitium.
  • Wiederaufnahme von Flüssigkeit
    • Der Großteil der Flüssigkeit, der durch die Kapillaren hinausgefiltert wurde, wird in den venösen Kapillarschenkel aufgenommen.
    • Die filtrierte, proteinreiche Flüssigkeit, die nicht in die Kapillaren zurückkehrt, wird über das Lymphsystem in den zentralen Kreislauf zurücktransportiert.
  • Das Lymphsystem
    • Das Lymphsystem ist ein Niedrigdrucksystem.
    • Die Aufnahme der interstitiellen Flüssigkeit startet in den ersten Lymphgefäßen (Lymphkapillaren), die das Interstitium umgeben.
    • Die kleinen Lymphkapillaren vereinigen sich nach einiger Zeit zu größeren Gefäßen, deren Gefäßwand glatte Muskulatur hat, die peristaltische Bewegungen vollzieht und den Fluss der Lymphe fördert.
    • Der Transport wird darüber hinaus durch den Arterienpuls, die Muskelkontraktionen im Bewegungsapparat und die Lymphklappen, die den Rückstrom der Lymphflüssigkeit verhindern, angetrieben.
  • In den Extremitäten befinden sich zwei Schichten mit Lymphsystemen:
    • ein oberflächliches Lymphsystem zur Drainage der Haut und des subkutanen Gewebes sowie
    • ein tieferes System, das die subfaszialen Strukturen wie Muskeln und Knochen drainiert.
    • Beide Systeme laufen in den Achseln (obere Körperhälfte) und den Leisten (untere Körperhälfte) zusammen.
  • Mündung in den Blutkreislauf
    • Die großen Lymphgefäße münden schließlich in den zentralen venösen Kreislauf.
    • Die Lymphdrainage beider Beine, des Magen-Darm-Traktes und der linken Seite des Oberkörpers mündet über den Ductus thoracicus zwischen Vena subclavia sin. und Vena jugularis sin. in den venösen Kreislauf.
    • Die Lymphdrainage der rechten Seite des Oberkörpers erfolgt über die gleichen Venen auf der rechten Seite.

Ätiologie und Pathogenese

  • Wenn die Flüssigkeitsansammlung im Interstitium die Transportkapazitäten übersteigt, wird das Ödem sicht- und spürbar.3
    • Ist das Ödem die Folge einer Herzinsuffizienz, Zirrhose, eines nephrotischen Syndroms oder Nierenversagens, besteht das primäre Problem in dem erhöhten Flüssigkeitsstrom aus den Kapillaren aufgrund des erhöhten Venendrucks, einer Hypalbuminämie oder, seltener, einer erhöhten kapillaren Permeabilität.
    • Bei einem Lymphödem besteht der wichtigste Defekt im gestörten Lymphtransport als Folge des gehinderten Lymphflusses.5
  • Primäres Lymphödem
    • Ein anlagebedingter Schaden im Lymphgefäßsystem, der die Transportkapazität vermindert.
    • Es wird zwischen 3 Typen unterschieden:
      1. angeborenes Lymphödem (< 1 Jahr)
      2. Lymphoedema praecox (1–35 Jahre; in der Regel während der Pubertät) und
      3. Lymphoedema tarda (> 35 Jahre).
  • Sekundäres Lymphödem
    • Aufgrund einer Primärerkrankung, bei der die Lymphdrainage wegen mechanischer oder entzündlicher Veränderungen blockiert ist.
    • Häufigste Ursache in den westlichen Ländern ist Brustkrebs.3

Pathophysiologie

  • Lymphostase, meist in den Extremitäten (kann in seltenen Fällen generalisiert sein), führt zu einer Ansammlung von interstitieller Flüssigkeit und Proteinen.
  • Die proteinreiche Flüssigkeit löst interstitiell via Makrophagen, Zytokinen usw. einen Entzündungsprozess aus, der zu Fibrose, Fettgewebsproliferation und der erneuten Zerstörung von evtl. funktionierenden Lymphgefäßen führt.
  • Die Dilatation der Lymphgefäße führt außerdem zu einem insuffizienten Klappensystem (Klappen wie im Venensystem).

Disponierende Faktoren

Primäres Lymphödem

  • Familiäre Belastung, erbliche Krankheiten
  • Einige molekulare Krankheitsmechanismen konnten mittlerweile entschlüsselt werden, wie die Nonne-Milroy-Krankheit (eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung). 1

Sekundäres Lymphödem

  • Invasion von Malignomen mit Obstruktion der Lymphbahnen
  • Postoperativ nach einer Lymphknotendissektion 6
  • Nach Strahlenbehandlung 6
  • Nach Trauma
  • Eine Schilddrüsenerkrankungen mit Myxödem kann sich zu einem Lymphödem entwickeln.
    • Myxödem und Lymphödem liegen meist in traumatisierter Haut.
  • Nach Infektionen wie Erysipel und Lymphadenitis (Filariose)
  • Das Risiko für ein sekundäres Lymphödem wird durch Adipositas verstärkt, vermutlich durch eine mechanische Obstruktion des Lymphabflusses.1,7

ICPC-2

  • K99 Herz-Gefäßerkrankung IKA
  • A87 Komplikation medizinischer Behandlung

ICD-10

  • Q82.0 Hereditäres Lymphödem
  • I97.2 Lymphödem nach Mastektomie
  • I97.8 Sonstige Kreislaufkomplikationen nach medizinischen Maßnahmen, anderenorts nicht klassifiziert
  • I89.0 Lymphödem, anderenorts nicht klassifiziert
  • B74.0 Filariose durch Wuchereria bancrofti

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose wird in der Regel aufgrund der Anamnese (Verlauf, zusätzliche Symptome, evtl. Vererbung oder bekannte Primärerkrankungen) und der typischen klinischen Befunde gestellt.
  • Ein neu aufgetretenes Lymphödem ist zunächst immer malignomverdächtig.1
  • Selten wird spezielle lymphologische Diagnostik zur weiteren Abklärung benötigt.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Beschwerdedauer? 
    • Rasche Progression mit Schmerzen kann auf Malignität hinweisen.
    • Ein proximaler Beginn ist typisch für eine maligne Erkrankung.
  • Schmerzen durch ein Lymphödem sind selten, es kann jedoch ein Spannungsgefühl auftreten sowie eingeschränkte Beweglichkeit.

Primäres Lymphödem

  • Breitet sich typischerweise weit aus, häufig auf beide Seiten.
  • Eine größere Ödemmenge kann sich ansammeln als bei der sekundären Form.
  • Die Lokalisierung des primären Lymphödems variiert je nach Ursache.5
    • Ein angeborenes Lymphödem betrifft häufig ein Bein oder beide Beine; es kann aber auch die Arme und sogar das Gesicht betreffen.
    • Lymphoedema praecox ist meist auf die unteren Extremitäten beschränkt (vor allem Fuß und Waden).
  • Familienanamnese

Sekundäres Lymphödem

  • Betrifft typischerweise eine Extremität.
  • Die Erkrankung entwickelt sich langsam; anfangs ist das Ödem weich, und es „dellt ein", später wird die Haut trocken und fest; bei der Palpation ist sie fibrös, und es entstehen kaum Dellen.
  • Beginn häufig nach Entfernung von Lymphknoten aus der Axilla oder Leiste6,8
    • Die Schwellung kann zunächst nur im proximalen Teil der Extremität sichtbar sein, oder nur den distalen Bereich der Extremität betreffen, inklusive Finger oder Zehen.
    • Nach einer Brustkrebsoperation kann die Schwellung auch die gleiche Seite der Brust/Brustwand umfassen.
    • Bei Rezidivbeschwerden oder bei behandlungsresistenten Fällen sollte überlegt werden, ob ein Rückfall der Krebserkrankung vorliegt.
  • Evtl. Traumata, Operationen, Strahlenbehandlung, rezidivierende Infektionen im Unterhautgewebe (Erysipel)
  • Komplikation einer Schilddrüsenkrankheit mit Myxödem
  • Beidseits bei Filariose
    • Reiseanamnese (Filariose)

Klinische Untersuchung

  • Lokalisiertes Ödem
    • Einseitig oder symmetrisch?
  • Ödemcharakteristika
    • Anfangs Ödem, bei dem nach Druck eine Vertiefung bleibt.
    • in fortgeschrittenen Stadien und bei Fibrose nicht eindrückbar1
  • Malignität soll als Ursache für das Ödem ausgeschlossen werden.
    • Lymphknotenstatus, Mammapalpation ggf. weitere, auch bildgebende Abklärung
  • Positives Stemmer-Zeichen
    • Hautverdickung beim Kneifgriff in die Haut über der Grundphalanx des 2. Zehs/Fingers
  • Ggf. Messung der Umfangsdifferenz der Extremitäten

Stadieneinteilung 1

  • Stadium 0: verringerte Transportkapazität, aber kein sichtbares Ödem
  • Stadium 1: Ödem, das spontan verschwindet, wenn die Extremität hochgelegt wird.
  • Stadium 2: Wird ohne Behandlung zu einem irreversiblen Ödem.
  • Stadium 3: deformierende harte Schwellung, z. T. lobäre Form z. T. mit typischen Hautveränderungen

Diagnostik beim Spezialisten

  • Malignität ausschließen bei neu aufgetretenem einseitigem Ödem.
    • Ultraschall, MRT oder CT, je nach Fragestellung, gynäkologische Untersuchung, Mammasonografie, Mammografie
  • Verdacht auf Filariose?
    • Mikrofilarien (am häufigsten Wuchereria bancrofti) können im Blutausstrich nachgewiesen werden; am besten nachts und bei Blutentnahme aus dem Ohrläppchen.9

Spezielle lymphologische Diagnostik1

  • Funktionslymphszintigrafie
    • Prinzip: Quantifizierung der Aufnahme eines radioaktiv markierten Tracers, der in der Peripherie subkutan injiziert und durch das Lymphsystem drainiert wird.
    • Ermöglicht eine Beurteilung der Funktion des peripheren Lymphsystems und Objektivierung eines Lymphödems im Frühstadium. Anwendung auch zur OP-Planung und Therapiekontrolle.
  • Indocyaningrün-Fluoreszenzlymphografie
    • Prinzip: subkutane Injektion von Indocyaningrün, Darstellung der lymphatischen Drainage mittels Infrarotkamera
    • Therapiekontrolle nach OP; zur primären Lypmhödemdiagnostik noch in Erprobung (Off-Label-Use)
  • Sonografie
    • Darstellung von interstitieller Flüssigkeit und sekundären Gewebsveränderungen
    • Lymphknotendiagnostik zur Abklärung sekundärer Lymphödeme
    • keine Differenzierung von anderen Ödemformen möglich
  • Indirekte Lymphografie
    • Prinzip: subepidermale Injektion eines Röntgenkontrastmittels; radiologische Darstellung der Drainage
    • Liefert Informationen über die Morphologie oberflächlich verlaufender Lymphgefäße in ausgewählter Lokalisation
  • Direkte Lymphografie
    • Prinzip: operative Freilegung eines Lymphgefäßes; direkte intraluminale Injektion eines ölhaltigen Kontrastmittels
    • Aufgrund des großen Aufwandes und zahlreicher Komplikationen (Ölembolie, Pneumonie, Anaphylaxie) keine Anwendung mehr zur Diagnostik. Wird selten therapeutisch bei Lymphfisteln angewandt, da ein Kontrastmittelaustritt zu einem Verschluss der Fistel führen kann.
  • Magnetresonanztomografie (MRT)
    • Darstellung von interstitiellen Flüssigkeitsansammlungen, erweiterten Lymphgefäßen und Lymphknoten. Liefert Hinweise auf Ätiologie von Lymphknotenvergrößerungen (benigne/malgine).
    • Goldstandard zur Diagnostik der lymphatischen Malformation
    • Weiterentwicklung in Zentren zur Magnetresonanz-Lymphografie mit intrakutaner Injektion eines Kontrastmittels
  • Fluoreszenz-Mikrolymphografie
    • Prinzip: Intrakutane Injektion des Makromoleküls Fluoreszeinisothiozyanat-Dextran, das ausschließlich lymphatisch drainiert wird. Darstellung der subkutanen Ausbreitung mittels speziellem Fotofilter.
    • zur Diagnostik bei unklarem Ödem angewandt

Indikationen zur Überweisung

  • Bei neu aufgetretenem Lymphödem unklarer Ätiologie zur Tumorsuche1
  • Bei relevanter Begleitmorbidität
  • Zur lymphologischen Diagnostik
    • Verdacht auf subklinisches Lymphödem Stadium 0 (Latenzstadium)/Lymphödem Stadium 1 (primär und sekundär)
    • Differenzierung multifaktorieller Ödeme oder bei Ödemen mit fehlenden lymphödemtypischen Symptomen/Befunden
    • Planung operativer Eingriffe
    • Therapie-/Verlaufskontrolle
    • Verdacht auf thorakale oder abdominelle Beteiligung
    • gutachterliche Fragestellungen

Therapie

Therapieziele

  • Symptome mildern und Lebensqualität verbessern.
  • Progression stoppen.
  • Komplikationen vermeiden.

Allgemeines zur Therapie

  • Das Lymphödem ist eine chronische, behandlungsbedürftige Erkrankung. Die zugrunde liegende Ursache kann normalerweise nicht behandelt werden.
  • Die Wirkung der Maßnahmen ist besser, wenn die Erkrankung früh diagnostiziert und behandelt wird.10
  • Es wird am besten durch ein multidisziplinäres Team behandelt.
  • Therapiewahl
    • Die Grundbehandlung eines Lymphödems ist die Physiotherapie. Sie besteht aus einem multimodulären Regime (komplexe physikalische Entstauungstherapie) mit manueller Lymphdrainage, Hautpflege, Bandagierung und Bewegungsübungen sowie Anpassung von Kompressionsstrümpfen.1
    • Ödeme sollen in einer 1. Phase mobilisiert werden; anschließen soll dieser Erfolg konserviert werden.1
      • Die 1. Phase (Behandlungsphase) umfasst eine gründliche Haut- und Nagelpflege, therapeutische Übungen, manuelle Lymphdrainage und wiederholte Kompression der Extremitäten. Diese Behandlung dauert 2–4 Wochen.
      • Die 2. Phase (Erhaltungsphase) hat das Ziel, die Behandlungserfolge aus der 1. Phase zu bewahren und zu optimieren. Sie umfasst tagsüber das Tragen von Kompressionsstrümpfen, nachts evtl. von komprimierenden Bandagen, weiterhin Hautpflege und Übungen sowie, wenn notwendig, manuelle Lymphdrainage durch die Patienten.
    • Nur in Ausnahmenfällen kommt eine chirurgische Therapie infrage.

Leitlinie: Lymphödeme – konservative Therapie1

  • Die Standardtherapie der Lymphödeme ist die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE). Diese besteht aus folgenden aufeinander abgestimmten Komponenten:
    • Hautpflege und falls erforderlich Hautsanierung
    • manuelle Lymphdrainage, bei Bedarf ergänzt mit additiven manuellen Techniken
    • Kompressionstherapie mit speziellen mehrlagigen, komprimierenden Wechselverbänden und/oder lymphologischer Kompressionsstrumpfversorgung
    • entstauungsfördernde Sport-/Bewegungstherapie
    • Aufklärung und Schulung zur individuellen Selbsttherapie.
  • Wirkmechanismen
    • Mobilisierung und Reduktion pathologisch vermehrter interstitieller Flüssigkeit einschließlich Abtransport lymphpflichtiger Substanzen
    • Verbesserung der gestörten Homöostase im Interstitium, Reduzierung der stauungsbedingten inflammatorischen Vorgänge
    • Reduktion des alterierten Bindegewebes
  • Kontraindikationen
    • absolut: dekompensierte Herzinsuffizienz, akute tiefe Beinvenenthrombose, erosive Dermatosen, akutes schweres ErysipelPAVK Stadium III/IV
    • Relativ: Malignes Lymphödem, Hautinfektionen, Hauterkrankungen (z. B. blasenbildende Dermatosen), PAVK Stadium I/II; ggf. sollte eine stationäre Einleitung der Therapie erfolgen.

Empfehlungen für Patienten

  • Vermeiden Sie Situationen, bei denen Extremitäten unbeweglich herabhängen, z. B. langes Stehen, Sitzen oder Überkreuzen der Beine.
  • Eng sitzende Kleidung sollte vermieden werden, um den Lymphabfluss nicht zusätzlich abzudrücken.
  • Vermeiden Sie Verletzungen an der betroffenen Extremität.
  • Übergewicht kann ein Lymphödem verstärken. Bei Übergewicht ist eine Gewichtsabnahme ratsam.1,11
  • Flugreisen?
    • Es gibt theoretische Überlegungen über das Fliegen als Risikofaktor; zahlreiche Studien zeigen aber, dass dieses Risiko äußerst gering ist.12

Erhöhte Lymphdrainage

  • Extremitäten intermittierend anheben/hochlagern, vor allem im Schlaf.
  • Kompressionsstrümpfe regelmäßig tragen.
  • Massage in Richtung Körperstamm, um das Ödem aus den Extremitäten zu „melken“ – nur sehr vorsichtig ohne Druck und nach einer Schulung!
  • Körperliches Training nach der Brustkrebsoperation13
    • Bewegungsübungen werden empfohlen. 14
    • Kraftübungen mit Gewichten, um die Inzidenz von Lymphödem-Exazerbationen zu verringern, geringere Symptome zu erreichen und bei Patienten mit sekundärem Lymphödem die Kraft in den oberen Extremitäten zu erhöhen.15

Vorbeugung von Infektionen

  • Gute Hygiene, Hautschäden vermeiden und übertriebenes Sonnenbad vermeiden.
  • Regelmäßig Feuchtigkeitscreme benutzen.
  • Pilzinfektionen der Zehen korrekt behandeln.
  • Gutes Schuhwerk
  • Kleine Schnittwunden oder Hautschäden mit Hautdesinfektionsmitteln (z. B. PVP-Jodlösung, alternativ Octenidin oder Polihexanid) behandeln.2
  • Bei lokalen oder systemischen Entzündungszeichen ärztliche Vorstellung und antibiotische Behandlung1-2

Medikamentöse Therapie

  • Es gibt keine wirksame medikamentöse Therapie für Lymphödeme. 
  • Diuretika
    • Sollten bei reinem Lymphödem nicht gegeben werden!
  • Bei sekundärer Phlegmone oder Erysipel
    • Antibiotika mit Wirksamkeit gegen Streptokokken, seltener Staphylokokken 
    • z. B. Penicillin V 1,5 Mega 3- bis 4-mal tgl.2
    • bei Penicillinallergie: Clindamycin2
  • Bei Filariose
    • Diethylcarbamazin ist das Mittel der Wahl zur antiparasitären Therapie. Alternativen sind Doxycyclin und Ivermectin.9

Chirurgische Therapie

  • Äußerst selten erforderlich

Leitlinie: Lymphödeme – chirurgische Therapie1

  • Erwachsenen Patienten mit Lymphödemen sollen eine operative Therapie erst nach leitliniengerechter ambulanter und/oder stationärer komplexer physikalischer Entstauungstherapie (KPE) Phase I und II von mindestens 6 Monaten Dauer angeboten werden.
  • Eine operative Therapie sollte in Betracht gezogen werden, wenn ein Patient trotz leitliniengerechter konservativer Therapie und Therapieadhärenz einen Leidensdruck oder eine Zunahme von sekundären Gewebeveränderungen aufweist.
  • Methode der Wahl ist die Rekonstruktion des unterbrochenen Lymphgefäßsystems bzw. ein deviierendes Verfahren.
  • Kontraindikationen
    • Vorliegen eines malignen Lymphödems
    • internistische oder anästhesiologische Kontraindikationen

Prävention

  • Es existieren keine Maßnahmen zur Primärprävention.1
  • Sekundärprävention1
    • Bei onkologischen Operationen Sentinel-Lymphknotenbiopsie, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die eine axilläre Lymphknotendissektion benötigen.16
    • prophylaktische postoperative Lymphdrainage in den ersten Tagen nach entsprechenden Operationen
    • Früherkennung eines Lymphödems und zeitnahe Einleitung der korrekten Behandlung 17
    • Darüber hinaus werden keine weiteren Maßnahmen zur Prävention sekundärer Lymphödeme empfohlen.
      • Komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) und Kompressiontherapie werden nur bei manifestem Lymphödem empfohlen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Chronische Erkrankung1
  • Die physikalische Behandlung hat eine gute Wirkung.1
  • Ohne Behandlung häufig progredienter Verlauf mit zunehmender Behinderung der alltäglichen Aktivitäten.18

Komplikationen

  • Rezidiverende Infektionen wie Lymphangitis, Phlegmone und Erysipel1-2,5
    • Hierdurch können wiederum die Lymphgefäße geschädigt werden, sodass es zu einem Circulus vitiosus kommt.
  • Ulzerationen, Varizen oder Stauungsdermatitis (Pigmentierungen) kommen kaum vor – aber Hyperkeratose und Papillomatose im Stadium 3.
  • Wenn möglich, Vermeiden von medizinischen Interventionen (Blutentnahmen, peripherer Venenkatheter) an der betroffenen Extremität1
  • Lymphangiosarkom (Stewart-Treves-Syndrom)
    • Kommt sehr selten vor, hat aber immer eine schlechte Prognose.
    • Kommt nur bei einem Lymphödem vor.
  • Lebensqualität
    • Ein Lymphödem prädisponiert für psychische Probleme und reduziert die Lebensqualität hinsichtlich emotionaler, funktionaler, physischer und psychischer Aspekte.19

Prognose

  • Chronische Erkrankung1
  • Bei korrekter Behandlung kann ein Fortschreiten verhindert werden.2

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen (GDL). Diagnostik und Therapie der Lymphödeme. AWMF-Leitlinie Nr. 058-001. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Dermatosen bei dermaler Lymphostase. AWMF-Leitlinie Nr. 013-084. S1, Stand 2017. www.awmf.org

Literatur

  1. Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen (GDL). Diagnostik und Therapie der Lymphödeme. AWMF-Leitlinie Nr. 058-001. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
  2. Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Dermatosen bei dermaler Lymphostase. AWMF-Leitlinie Nr. 013-084. S1, Stand 2017. www.awmf.org
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  5. Kerchner K, Fleischer A, Yosipovitch G. Lower extremity lymphedema update: pathophysiology, diagnosis, and treatment guidelines. J Am Acad Dermatol 2008; 59: 324. PubMed
  6. Cormier JN, Askew RL, Mungovan KS, Xing Y, Ross MI, Armer JM. Lymphedema beyond breast cancer: a systematic review and meta-analysis of cancer-related secondary lymphedema. Cancer 2010; 116: 5138. PubMed
  7. Cormier JN, Askew RL, Mungovan KS, Xing Y, Ross MI, Armer JM. Lymphedema beyond breast cancer: a systematic review and meta-analysis of cancer-related secondary lymphedema. Cancer 2010; 116: 5138. PubMed
  8. Szuba A, Shin WS, Strauss HW, Rockson S. The third circulation: radionuclide lymphoscintigraphy in the evaluation of lymphedema. J Nucl Med 2003; 44: 43. PubMed
  9. Robert Koch Institut: Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten. edoc.rki.de
  10. Erickson VS, Pearson ML, Ganz PA, Adams J, Kahn KL. Arm edema in breast cancer patients. J Natl Cancer Inst 2001; 93: 96. PubMed
  11. Shaw C, Mortimer P, Judd PA. A randomized controlled trial of weight reduction as a treatment for breast cancer-related lymphedema. Cancer 2007; 110: 1868. PubMed
  12. Kilbreath SL, Ward LC, Lane K, et al. Effect of air travel on lymphedema risk in women with history of breast cancer. Breast Cancer Res Treat 2010; 120: 649. PubMed
  13. Chan DN, Lui LY, So WK. Effectiveness of exercise programmes on shoulder mobility and lymphoedema after axillary lymph node dissection for breast cancer: systematic review. J Adv Nurs 2010; 66: 1902. PubMed
  14. Ahmed RL, Thomas W, Yee D, Schmitz KH. Randomized controlled trial of weight training and lymphedema in breast cancer survivors. J Clin Oncol 2006; 24: 2765. PubMed
  15. Schmitz KH, Ahmed RL, Troxel A, et al. Weight lifting in women with breast-cancer-related lymphedema. N Engl J Med. 2009;361:664-673. PubMed
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  18. Casley-Smith JR. Alterations of untreated lymphedema and it's grades over time. Lymphology 1995; 28: 174. PubMed
  19. McWayne J, Heiney SP. Psychologic and social sequelae of secondary lymphedema: a review. Cancer 2005; 104: 457. PubMed

Autoren

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Dietrich August, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Innere Medizin, Freiburg
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim

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