Sinneswahrnehmung ohne relevante Einwirkung auf die Sinnesorgane, d. h. etwas sehen, hören, fühlen, riechen oder schmecken, was es eigentlich nicht gibt.
Zu unterscheiden von Wahnvorstellungen, bei denen es sich um feste Überzeugungen oder unwahrscheinliche Auffassungen ohne gleichzeitige Sinneseindrücke handelt.
Halluzinationen sind leicht zu verwechseln mit dissoziativen Erlebnissen wie:
Depersonalisation: Die eigene Person wird als fremd erlebt.
Derealisation: Die Umwelt wird als unwirklich und fremd erlebt.
Illusion: falsche Deutung eines Sinneseindrucks.
Halluzinationen können für sich vorkommen, jedoch sind sie oftmals Teil eines komplexeren Krankheitsbildes.
Ein Syndrom, bei dem Halluzinationen dominieren, bezeichnet man als Halluzinose.
Häufigkeit
Wie häufig Halluzinationen in der Gesamtbevölkerung vorkommen, ist ungewiss. In repräsentativen Umfragen variiert die Prävalenz auditorisch-verbaler Halluzinationen zwischen 0,6 % und 84 % (Median 13,2 %).1
Am häufigsten kommen akustische Halluzinationen vor.
Hörerlebnis von einzelnen Worten (wie den eigenen Namen) sowie Fallerlebnis beim Einschlafen sind häufig.
Diagnostische Überlegungen
Grundsätzlich können alle außergewöhnlichen Einflüsse auf die Gehirnfunktionen zu Halluzinationen führen.
Halluzinationen können Symptome psychischer Erkrankungen sein, wie akute Psychosen, schwere Depression, Manie oder Schizophrenie.
Halluzinationen kommen auch bei hirnorganischen Erkrankungen vor, dazu gehören Demenz und Delir sowie unter dem Einfluss von Alkohol, Drogen, Narkotika, Sedativa, Opioiden, anderen starken Schmerzmitteln oder durch deren Entzug.
Auch wenn bestimmte Halluzinationen bei einigen Störungen öfter vorkommen, gibt es keine pathognomonischen Charakteristika der halluzinatorischen Qualitäten. D. h. die Art der Halluzination ist für eine Diagnose nicht entscheidend.
Pseudohalluzinationen
Der Betroffene hört Geräusche, Stimmen oder nimmt Gerüche wahr, ist sich aber gleichzeitig bewusst, dass diese Wahrnehmungen irreal sind.
bei Drogenabhängigen
bei hirnorganischen Störungen mit intaktem kognitivem Vermögen
bei posttraumatischer Belastungsstörung im Rahmen von Intrusionen, d. h. dem wiederholten Erleben früherer traumatischer Ereignisse mit starken emotionalen Reaktionen
Halluzinationen allein veranlassen die Betroffenen nur selten dazu, ärztliche Hilfe zu suchen.
Auch wenn den Halluzinationen eine Erkrankung zugrunde liegt, sind es meist andere, begleitende Symptome, die die Patient*innen in die Arztpraxis führen.
Halluzinationen können in der akuten Phase verschiedener Erkrankungen sehr belastend sein.
Wenn sie länger bestehen, lernen die Betroffenen, mit ihnen umzugehen; in der Regel fühlen sie sich stärker durch andere Symptome beeinträchtigt.
Auch wenn Halluzinationen als die augenfälligsten Symptome erlebt werden, hat die Behandlung anderer Krankheitskomponenten meist einen höheren Stellenwert.
Abwendbar gefährliche Verläufe
Bei organischen Ursachen, z. B. intrakranielle Raumforderung
F29 Nicht näher bezeichnete nichtorganische Psychose
F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen
Differenzialdiagnosen
Handelt es sich um eine psychische Störung?
Erwägungen
Substanzbezogene organische Psychose (Alkohol, Narkotika, Medikamente) oder Symptom einer psychischen Störung?
Delir: akuter Verwirrtheitszustand infolge körperlicher Erkrankung oder substanzbezogener Störung
Abgrenzung zur Dissoziation: Wahrnehmung aus der Perspektive einer 3. Person; das Gefühl, außer sich zu stehen und neben dem, was um einen geschieht.
Psychische Störungen, allgemein
Akustische Halluzinationen sind bei Psychosen am häufigsten.
Eine zusätzlich zu den Halluzinationen auffällig veränderte Stimmungslage kann ein Hinweis auf eine affektive Störung (Manie oder Depression) sein. Depressivität und Affektabflachung können aber z. B. auch als Negativsymptomatik einer Schizophrenie vorkommen.3
Akute psychotische Zustände oft mit Agitiertheit und Verwirrtheit
Schizophrenie fällt durch ein charakteristisches Störungsmuster verschiedener psychischer Funktionen auf:
Erkrankungen des Gehirns, Intoxikationen oder ein Entzugssyndrom können schizophrenieähnliche Symptome hervorrufen. Die Diagnose Schizophrenie kann daher bei diesen Erkrankungen nicht gestellt werden.
Die psychotischen Symptome korrespondieren meist mit der Grundstimmung, d. h. sind negativ und gedrückt bei Depression bzw. in gehobener Stimmung bei Manie.
Psychotische Symptome bei einer schweren Depression sind oft anhaltend, während bei der Manie die Halluzinationen und Wahnvorstellungen eher vorübergehend sind.
Psychotische Wochenbett-Symptome können in eine bipolare Störung münden.
Persönlichkeitsstörungen, besonders vom Borderline-Typ, können mit psychotischen Zuständen oder besonders kurzen psychotischen Episoden von nur wenigen Stunden (Mikropsychosen) einhergehen.
Viele Patient*innen weigern sich, ihre Erlebnisse zu schildern. Mögliche Gründe dafür:
fehlende Krankheitseinsicht
Angst vor der Psychiatrie, vor Zwangseinweisung oder Zwangsmedikation
Die Betroffenen ahnen, dass andere skeptisch gegenüber dem sind, was sie selbst als real erleben.
Oft fällt als Erstes eine plötzlich eingetretene schwere Beeinträchtigung der psychosozialen Interaktion auf. Wenn diese länger anhält und die Ursache unklar bleibt, sollte die psychiatrische Exploration wiederholt werden.
Um die Zusammenarbeit mit den Patient*innen zu erleichtern und zusätzliche Entfremdungsgefühle der Erkrankten zu vermeiden:
Eine empathische Haltung einnehmen.
Einfache Fragen stellen.
Eine Bewertung der Antworten vermeiden.
Nicht über den Wahrheitsgehalt der psychotischen Erlebnisse streiten.
Wie hat es begonnen?
Akut oder schleichend?
Zusammenhang mit psychosozialen Stressoren?
Änderung in der physischen Gesundheit oder medikamentöse Behandlung?
Psychische Begleitsymptome?
Jüngste Entwicklung?
Treten die Beschwerden episodisch auf?
Dauer?
Zusammenhang mit anderen Ereignissen (psychosoziale oder medizinische)?
Auswirkungen früherer Behandlungen?
Art der Halluzinationen?
Bedingt können daraus Hinweise auf die zugrunde liegende Erkrankung abgeleitet werden:
Unruhige, sehr ängstliche oder depressive Patient*innen mit Halluzinationen können eine Gefahr für sich selbst oder andere darstellen und dürfen nicht unbeaufsichtigt gelassen werden.
Bei langanhaltenden oder schwachen Symptomen mit bekannter Ursache und ruhigem Verlauf ist eine Behandlung in der Hausarztpraxis am besten geeignet.
Indikation zur Überweisung
Zu relevanten Fachärzt*innen oder eine Spezialabteilung
Psychiatrie
Innere Medizin
Neurologie
Suchtmedizin
Indikation zur Krankenhauseinweisung
Bei den meisten Patient*innen mit neu aufgetretener Halluzinose oder akuter Verwirrtheit ist eine unverzügliche Einweisung zur diagnostischen Abklärung und ggf. Notfallbehandlung notwendig.
Bei fehlender Krankheitseinsicht und Selbst- oder Fremdgefährdung, die anderweitig nicht abgewendet werden kann, muss ggf. von dem Instrument der Zwangseinweisung mithilfe länderspezifischer Unterbringungsgesetze (PsychKG oder UBG) oder von der Einrichtung einer Betreuung Gebrauch gemacht
Eine Sedierung während des Transports kann notwendig sein.
Begleitung durch die Polizei ist bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung gerechtfertigt.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
Die Aufklärung über die Erkrankung sollte taktvoll und mit Fingerspitzengefühl erfolgen, da viele Menschen mit Halluzinationen das von ihnen Wahrgenommene für real halten und sich oft vehement dagegen verwahren, eine psychiatrische Krankheit zu haben.
Man kann den Betroffenen z. B. mitteilen, dass man Anzeichen einer evtl. ernsthaften Krankheit sieht, die die Einweisung in ein Krankenhaus für eine nähere Untersuchung erfordert.
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Schizophrenie. AWMF-Leitlinie Nr. 038-009. S3, Stand 2019. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. AWMF-Leitlinie Nr. 030-006. S1, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
Johns LC, Kompus K, Connell M et al. Auditory verbal hallucinations in persons with and without a need for care. Schizophr Bull 2014; 40 Suppl 4:S255-264. PMID:24936085 PubMed
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 04.05.2021. www.dimdi.de
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Rolland B, Jardri R, Amad A et al. Pharmacology of hallucinations: several mechanisms for one single symptom? Biomed Res Int 2014. PMID: 24991548 PubMed
Schneemilch C, Schiltz K, Meinshausen E, Hachenberg T. Sexualbezogene Halluzinationen und Träume unter Anästhesie und Sedierung. Anaesthesist 2012; 61: 234-241. PMID: 22430554 PubMed
Powers AR, Gancsos MG, Finn ES et al. Ketamine-Induced Hallucinations. Psychopathology 2015; 48: 376-385. PMID: 26361209 PubMed
Waltereit R, Eifler S, Schirmbeck F, Zink M. Visual and auditory hallucinations associated with citalopram treatment. J Clin Psychopharmacol. 2013 Aug;33(4):583-584. PMID: 23775056 PubMed
Ottawa (ON): Canadian Agency for Drugs and Technologies in HealthAbuse and Misuse Potential of Dimenhydrinate: A Review of the Clinical Evidence. Stand 1. Dezember 2015. www.ncbi.nlm.nih.gov
Nakamura M, Koo J. Drug-Induced Tactile Hallucinations Beyond Recreational Drugs. Am J Clin Dermatol 2016 Epub ahead of print PMID: 27637620 PubMed
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. AWMF-Leitlinie Nr. 030-006. S1, Stand 2020 www.awmf.org
Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Sinneswahrnehmung ohne relevante Einwirkung auf die Sinnesorgane, d. h. etwas sehen, hören, fühlen, riechen oder schmecken, was es eigentlich nicht gibt. Zu unterscheiden von Wahnvorstellungen, bei denen es sich um feste Überzeugungen oder unwahrscheinliche Auffassungen ohne gleichzeitige Sinneseindrücke handelt.