Definition:Angst vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen. Die Angst führt zur Vermeidung zwischenmenschlicher Begegnungen. Bei ausgeprägter Symptomatik meist niedriges Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik.
Häufigkeit:Lebenszeitprävalenz ca. 10–15 %; Verhältnis Frauen zu Männern ca. 2:1; durchschnittliches Ersterkrankungsalter 13 Jahre.
Symptome:Ausgeprägte Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen, in denen die oder der Betroffene einer möglichen Beobachtung durch andere ausgesetzt ist. Evtl. sekundäre Angstsymptome wie Erröten, Händezittern, Übelkeit oder Harndrang.
Befunde:Evtl. Zeichen autonomer Hyperaktivität.
Diagnostik:Basiert auf der Anamnese; ggf. umfassendere Psychodiagnostik zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung und Detektion psychischer Komorbidität. Körperliche Untersuchung, Basislabor und EKG zum Ausschluss somatischer Angstursachen; ggf. weiterführende internistische, neurologische oder HNO-ärztliche Diagnostik.
Therapie:Psychotherapie: kognitive Verhaltenstherapie, evtl. psychodynamische Verfahren, Patientenselbsthilfe- und Angehörigengruppen. Medikamentöse Therapie: 1. Wahl sind die SSRI Escitalopram, Paroxetin oder Sertralin und der SNRI Venlafaxin. Moclobemid ist ein Reservemedikament. Benzodiazepine wegen des hohen Suchtpotenzials nur in gut begründeten Ausnahmefällen.
Allgemeine Informationen
Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf der S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen.1
Definition nach ICD-10
F40.1 Soziale Phobien nach ICD-10-GM Version 20212
Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen, die zur Vermeidung sozialer Situationen führt.
Umfassendere soziale Phobien sind in der Regel mit niedrigem Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik verbunden.
Bei etwa der Hälfte der Betroffenen liegt eine generalisierte soziale Phobie vor; sie empfinden Angst vor den meisten sozialen Situationen und versuchen, sie zu vermeiden.
Geschlecht und Alter
Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Laut einer US-amerikanischen Studie suchen jedoch etwa gleich viele Männer wie Frauen Hilfe.
erstmaliges Auftreten oft in jungen Jahren
Das durchschnittliche Ersterkrankungsalter liegt bei 13 Jahren.
In 95 % der Fälle erfolgt das erstmalige Auftreten im Alter unter 20 Jahren.
Ätiologie und Pathogenese
Biologische, psychische und soziale Ursachen
Genetische Faktoren können im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren zur Entwicklung einer Soziophobie beitragen.
Psychosoziale Faktoren
Personen, die als Kleinkinder schüchtern und gehemmt sind, haben ein erhöhtes Risiko, als Jugendliche eine soziale Phobie zu entwickeln.
Die meisten schüchternen Kinder entwickeln jedoch keine Soziophobie.
Kinder, deren Eltern überängstlich, stark kontrollierend und überprotektiv sind und denen es an emotionaler Wärme fehlt, scheinen ein erhöhtes Risiko zu haben, später eine soziale Phobie zu entwickeln.
Ob eine Kausalität zwischen elterlicher Haltung und soziophober Entwicklung der Kinder besteht, ist allerdings unklar.
Neurobiologische Korrelate
Bei bildgebenden Untersuchungen betroffener Patient*innen wurde in sozial herausfordernden Situationen eine erhöhte Reaktivität in der Amygdala nachgewiesen.
Andere Studien weisen Veränderungen im Serotonin- und Dopaminsystem nach.
Soziale Phobie, induziert durch Situationen, die vom Betroffenen als bedrohlich erlebt werden, z. B. Leistungsdruck, geht mit einer messbar erhöhten Reaktivität des vegetativen Nervensystems einher.
Konsequenzen
Menschen mit Soziophobie entwickeln Vermeidungsstrategien bei Aktivitäten, bei denen sie einer Beurteilung durch andere ausgesetzt sind – wie zur Schule gehen oder an Treffen teilnehmen; oder aber sie nehmen unter hoher Anspannung an diesen sozialen Aktivitäten teil.
Sie schneiden in der Schule und im Arbeitsleben schlechter ab, und es ist es weniger wahrscheinlich, dass sie Lebenspartner*innen finden.
Die Soziophobie ist unterdiagnostiziert und -behandelt.
Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1,3-4
Diagnostische Kriterien nach DSM-5
Ausgeprägte Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen, in denen die betroffene Person einer möglichen Beobachtung durch andere ausgesetzt ist, z. B.:
Soziale Interaktionen wie ein Gespräch führen.
Beobachtet sein, etwa beim Essen oder Trinken.
Leistungen vor anderen Menschen erbringen, z. B. eine Rede halten.
Die Betroffenen befürchten, dass sie sich in einer Weise verhalten werden oder dass sie Angstsymptome zeigt, die von den Mitmenschen negativ bewertet werden.
Soziale Situationen
Verursachen fast immer Angst.
Werden vermieden oder mit starker Anspannung und Angst ausgehalten.
Die Angst ist
unverhältnismäßig hoch gegenüber der wirklichen Bedrohung durch die soziale Situation.
nicht auf die Wirkung von Drogen oder Medikamenten oder auf eine andere Erkrankung zurückzuführen.
Die Angst oder das Vermeidungsverhalten
halten lange an, meist länger als 6 Monate.
verursachen eine klinisch relevante Belastung oder Behinderung im sozialen oder beruflichen Leben oder in anderen Lebensbereichen.
lassen sich nicht besser durch eine andere psychische Erkrankung erklären:
Falls eine andere Krankheit besteht (z. B. M. Parkinson, Übergewicht, Entstellungen durch Verletzungen) ist die Angst oder das Vermeidungsverhalten übermäßig oder von dieser Erkrankung unabhängig.
Differenzialdiagnosen
Schüchternheit und Lampenfieber
Soziophobie unterscheidet sich von Schüchternheit und Lampenfieber durch die Schwere des Zustands, er ist tiefgreifender und führt zu erheblichem Leidensdruck und Funktionseinschränkungen.
Andere psychische Störungen
Fast alle psychischen Störungen gehen regelmäßig mit erheblicher Angst und viele auch mit sozialem Vermeidungsverhalten einher, z. B.:
Die Patient*innen haben Angst, dass andere dies alles bemerken.
Katastrophendenken
Die Betroffenen konzentrieren sich auf alles, was in einem sozialen Kontext schief gehen kann und malen sich stets die schlimmstmöglichen Folgen eigener Fehler aus.
Allmählich entwickelt sich ein Vermeidungsverhalten.
Die Patient*innen verbergen ihre soziale Phobie aus Scham und aus Angst, nicht ernst genommen zu werden.
Sie manövrieren sich an den Stresssituationen vorbei und vermeiden subjektiv unangenehm empfundene Situationen.
Dies führt zu Isolation und reduziert die Chancen auf Ausbildung und bei der Arbeit.
Niedergeschlagenheit und Depressionen können die Folge sein.
Ergänzende Untersuchungen – je nach klinischem Verdacht
Internistisch
Herzecho
Röntgen-Thorax
24-Std.-RR
24-Std.-EKG
Neurologisch
klinische Untersuchung
EEG
Bildgebung
Liquordiagnostik
Doppler Halsgefäße und transkraniell
HNO
Elektronystagmografie
Videonystagmografie
kalorischer Reflextest
Vestibularisprüfung
Rotationsprüfung
Indikationen zur Überweisung
Voraussetzungen für eine Behandlung in der Hausarztpraxis
Patient*innen mit leichter oder mittelschwerer Angststörung
lege artis durchgeführte Diagnostik möglicher somatischer und psychischer Erkrankungen
adäquate psychotherapeutische Qualifikation der Hausärzt*innen, z. B. psychosomatische Grundversorgung oder fachgebundene Psychotherapie
Überweisung zur Psychotherapie
nach spätestens 6 Wochen bei nicht ausreichender Besserung
Wenn die Störung zu erheblichen Funktionseinschränkungen oder Behinderungen im täglichen Leben führt.
auf Wunsch der Patient*innen
Überweisung zu einer Fachärztin/einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
unzureichendes Ansprechen auf die empfohlenen Standardmedikamente
Reservemedikamente wie Duloxetin, Moclobemid und Buspiron gehören nach Auffassung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), Arbeitsgruppe Angststörungen, zum Kompetenzbereich von Spezialist*innen.4
Mögliche Indikationen für eine stationäre oder teilstationäre Behandlung
Benzodiazepine sollten wegen des hohen Suchtpotenzials vermieden werden.
Psychotherapie und/oder Medikamente?
keine Wirksamkeitsunterschiede in früheren Vergleichsstudien
Eine neuere randomisierte kontrollierte Studie (2016) zeigt jedoch, dass alleinige Psychotherapie (KVT) besser wirkt als Medikamente oder die Kombination (nach 26 Behandlungswochen).7
kein Vorteil der Kombination gegenüber einer alleinigen Pharmako- oder Psychotherapie6
pro Medikamente
schnellerer Wirkeintritt
pro Psychotherapie
geringeres Rezidivrisiko nach Beendigung der Therapie
Patient*innen mit sozialer Phobie soll angeboten werden (Ia/A):
Psychotherapie
Pharmakotherapie.
Dabei soll die Präferenz der informierten Patient*innen berücksichtigt werden.
Im Informationsgespräch sollen insbesondere folgende Aspekte eine Rolle spielen:
Wirkeintritt
Nachhaltigkeit
unerwünschte Wirkungen
Verfügbarkeit.
In Fällen, in denen eine Psycho- oder Pharmakotherapie nicht ausreichend wirksam war, soll die jeweils andere Therapieform angeboten werden oder kann eine Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie angeboten werden.
Empfehlungen für Patient*innen
Soziales Training unter Anleitung
In leichteren Fällen können gründliche Informationen über die Krankheit helfen, den Teufelskreis aus Angst und Vermeidung zu durchbrechen.
Selbsthilfe mithilfe von validierten Büchern und durch Selbstexposition sollte Betroffenen mit einer sozialen Phobie in Abhängigkeit von der Schwere der Symptomatik, dem Funktionsniveau und der Präferenz der informierten Patient*innen als ergänzende Maßnahme zu einer Standardtherapie angeboten werden.1
Psychotherapie
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Wirksamkeit
KVT ist das in der Behandlung der sozialen Phobie am besten untersuchte Psychotherapieverfahren.
Es gibt verlässliche Wirksamkeitsnachweise aus Metaanalysen randomisiert kontrollierter Studien (Ia).1,6
Hintergrund
KVT gegen soziale Phobie richtet sich auf den Teufelskreis aus Katastrophendenken („meine Stimme wird zittern, und alle werden denken, ich sei nicht normal“) und Verhalten (Vermeidung), der zu einer erhöhten Situationsangst, einem nicht angemessenen Verhalten und einem negativen Selbstbild führt.
Die Patient*innen werden informiert, welche körperlichen Symptome auftreten können und was die physiologische Erklärung ist.
Die Betroffenen lernen, die Symptome neu zu bewerten, indem sie alternative und harmlose Erklärungen erwägen.
Sie üben alternative Denk- und Handlungsstrategien, wenn unter Exposition Symptome auftreten.
Exposition
Die Patient*innen werden für kurze Zeit einer Situation ausgesetzt, die mit Ängsten verbunden ist. Danach wird die Exposition schrittweise erhöht, zu immer längeren Zeiten in immer schwierigeren Situationen.
Habituation: Nach und nach „gewöhnen“ sich die Betroffenen an die Angst und erleben, dass sie abnimmt.
Therapieverlauf
Eine Besserung kann innerhalb von 6–12 Wochen erwartet werden.
Nach Abschluss der Behandlung kann die Symptomatik weiter zurückgehen.
Behandlungsdauer
Optimal scheinen 12–16 Einzel- oder Gruppensitzungen zu sein, die einmal wöchentlich stattfinden, wobei jede Sitzung 60–90 min dauert.
Die Behandlung umfasst „Hausaufgaben“, d. h. Übungen, die die Patient*innen in ihrem täglichen Umfeld durchführen sollen.
Einzel- oder Gruppentherapie
Eine Einzel-KVT scheint wirksamer zu sein als eine Gruppen-KVT (Ib).1
Zu den bislang bei sozialer Phobie evaluierten Verfahren zählen:
KVT über eine manualisierte Anleitung mit Therapeutenkontakt, z. B. über E-Mail oder SMS
Virtuelle-Realität-Expositionstherapie
Es gibt keine ausreichenden Belege dafür, dass internet- oder computerbasierte therapeutengestützte KVT ebenso gut wirkt wie eine persönliche KVT.
Kontrollierte Studien zeigten jedoch, dass solche Verfahren bei sozialer Phobie besser wirken als eine Warteliste. Sie können daher zur Überbrückung bis zum Therapiebeginn oder auch therapiebegleitend angeboten werden.1
medizinrechtlich problematisch
In Deutschland darf eine Psychotherapie ohne vorherigen Kontakt mit einer Therapeutin/einem Therapeuten von Angesicht zu Angesicht nicht durchgeführt werden.
Weitere Probleme ergeben sich bei der Überwachung der Patient*innen, z. B. bezüglich Suizidalität.
Ob eine Erstattung der Kosten möglich ist, ist je nach Krankenversicherung unterschiedlich geregelt.
Psychodynamische Psychotherapie
Wirksamkeit
In der Therapie der sozialen Phobie weniger gut in kontrollierten Studien untersucht als die KVT.
Hinweise auf Unterlegenheit gegenüber der KVT
bislang keine Studien mit ≥ 30 Sitzungen
Systemische Therapie
Wurde 2017 aufgrund positiver Studien bei Angst- und Zwangsstörungen als viertes Richtlinienverfahren in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wies allerdings in seinem Abschlussbericht darauf hin, dass eine verlässliche Bewertung von Nutzen und Schaden der Behandlung im Vergleich zu etablierten Psychotherapieverfahren mangels aussagekräftiger Daten bislang nicht möglich ist.8
Patient*innen mit sozialer Phobie soll eine kognitive Verhaltenstherapie angeboten werden (Ia/A).
Patient*innen mit einer sozialen Phobie sollte kognitive Verhaltenstherapie als Einzeltherapie angeboten werden (Ib/B).
Die kognitive Verhaltenstherapie kann als Kombination von Einzel- und Gruppentherapie angeboten werden.
Kognitive Verhaltenstherapie sollte als Gruppentherapie angeboten werden, wenn eine Einzelbehandlung nicht zur Verfügung steht.
Psychodynamische Psychotherapie
Patient*innen mit sozialer Phobie sollte eine psychodynamische Psychotherapie angeboten werden, wenn (Ib/B)
sich eine kognitive Verhaltenstherapie nicht als wirksam erwiesen hat, nicht verfügbar ist – oder –
eine diesbezügliche Präferenz der informierten Patient*innen besteht.
Systemische Therapie
Kann angeboten werden, wenn sich eine KVT oder psychodynamische Psychotherapie nicht als wirksam erwiesen haben, nicht verfügbar sind oder wenn eine diesbezügliche Präferenz der betroffenen Person nach entsprechender Aufklärung besteht (IV/C).
Patientenselbsthilfe- und Angehörigengruppen
Patient*innen und Angehörige sollen über Selbsthilfe- und Angehörigengruppen informiert und, wenn angebracht, zur Teilnahme motiviert werden.
Medikamentöse Therapie
SSRI oder SNRI (Venlafaxin)
1. Wahl in der medikamentösen Therapie der Sozialphobie1,6
Innerhalb von 8–12 Wochen sprechen zwischen 50 % und 80 % der Patient*innen auf die Behandlung an.
Vergleiche zwischen SSRI und Venlafaxin ergaben keine signifikanten Unterschiede bei der Wirksamkeit.
Näheres zum Nebenwirkungsspektrum und Interaktionspotenzial einzelner Antidepressiva siehe Artikel Depression.
Citalopram ist nur zur Behandlung der Panikstörung zugelassen, ist aber in doppelter Dosis wirkäquivalent zu dem Enantiomer Escitalopram.4
Dauer
Um Rezidive zu vermeiden, sollte die Behandlung nach eingetretener Remission noch mindestens 6–12 Monate weitergeführt werden (Ia/A).
Die Dauer kann verlängert werden, z, B. wenn
ein Absetzversuch zu einem Wiederauftreten der Angstsymptomatik führt.
der Krankheitsverlauf besonders schwer war.
Langzeitstudien belegen die anhaltende Wirksamkeit über Behandlungszeiträume bis zu 12 Monaten.9
Absetzen nach 5–12 Monaten resultiert in 20–60 % der Fälle in einem Rezidiv.
Langsam ausschleichen.
Die Behandlung mit SSRI und SNRI sollte bei Beendigung langsam reduziert werden, um Absetzphänomene zu vermeiden.
Weitere Medikamente
Moclobemid
Die Studienlage zu dem reversiblen Inhibitor der MAO-A (RIMA) Moclobemid ist inkonsistent.
Unter RIMA niedrigere Ansprechraten und Effektstärken als unter SSRI.
nur als Reservemedikament
Benzodiazepine
Sind weniger gut verträglich als SSRI oder SNRI, besitzen Suchtpotenzial und sollten nur in begründeten Ausnahmefällen (z. B. schwere kardiale Erkrankungen, Kontraindikationen für Standardmedikamente, Suizidalität) verwendet werden.
Die Behandlung sollte in der Regel nur für wenige Wochen durchgeführt werden.
Nach längerer Behandlung sollten Benzodiazepine sehr langsam (ggf. über mehrere Wochen) ausgeschlichen werden.
Dosierungsbeispiel: Lorazepam 1–2,5 mg im akuten Angstanfall
nicht mehr als eine N1-Verordnung oder einzelne Tabletten
Die begrenzte Verschreibungsdauer zu Beginn kommunizieren.
Rezepte persönlich aushändigen.
Betablocker
In randomisierten Studien zeigten Betablocker bei Angststörungen keine Wirksamkeit auf die Kernsymptomatik.
Nur periphere Angstsymptome wie Herzklopfen und Tremor werden beeinflusst.
Viele Patient*innen mit Angststörungen haben einen niedrigen Blutdruck oder orthostatische Dysregulation (Cave: Verstärkung durch Betablocker!).
Betablocker wurden verwendet, um periphere Angstsymptome bei Musiker*innen mit Lampenfieber zu behandeln, aber diese Ergebnisse können nicht ohne Weiteres auf Patient*innen mit einer sozialen Angststörung übertragen werden.
Insgesamt sind Betablocker daher in der Angstbehandlung obsolet.
Eine von der BKK Mobil Oil unterstützte, an der Universität Bremen erarbeitete Expertise (Neufassung März 2021) kommt nach umfassender Sichtung der Datenlage zur Einschätzung, dass Angststörungen unter die „möglichen Indikationen“ für den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden fallen.10
Diese Einschätzung stützt sich auf:
Studien an Schmerzpatient*innen, bei denen Angstsymptome unter den Cannabis-Präparaten Dronabinol, Nabilon oder Nabiximols (Näheres siehe Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel) zurückgingen.11
Eine kleine Studie, an der 24 Patient*innen mit sozialer Phobie teilnahmen. Diese erhielten randomisiert entweder Cannabidiol (CBD) oder Placebo. Im daraufhin durchgeführten Provokationstest, bei dem die Betroffenen eine Rede halten mussten, zeigten die mit CBD Behandelten niedrigere Angstwerte als die der Placebogruppe.12
Weitere randomisiert kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von Cannabinoiden bei Angststörungen fehlen bislang.
Rezidivprophylaxe
Therapie mit Antidepressiva nach Möglichkeit für mindestens 1 Jahr nach Remission fortsetzen.4,13
Patient*innen mit sozialer Phobie sollen die SSRI Escitalopram, Sertralin oder Paroxetin angeboten werden (Ia/A).
Tagesdosierungen
Escitalopram 10–20 mg
Paroxetin 20–50 mg
Sertralin 50–150 mg
Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor (SNRI)
Patient*innen mit sozialer Phobie soll der SNRI Venlafaxin angeboten werden (Ia/A).
Tagesdosierung 75–225 mg
Reversibler Inhibitor der MAO-A (RIMA)
Wenn die oben empfohlenen Therapien unwirksam waren oder nicht vertragen wurden, kann Patient*innen mit einer sozialen Phobie Moclobemid angeboten werden.
Tagesdosierung 300–600 mg
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,4
Verlauf
Die soziale Phobie ist in der Regel eine chronische Störung, die eine langfristige Behandlung erfordert.
Bei Patient*innen mit sozialer Phobie, die sich in Behandlung begeben, bestehen die Symptome meist seit 10 Jahren und länger.
Komplikationen
Erhöhtes Risiko für begleitende psychische Störungen, insbesondere für Depressionen (Näheres siehe Abschnitt Komorbidität)
Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern: Netz und Boden
Quellen
Leitlinien
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Behandlung von Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 051-028. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Behandlung von Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 051-028. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2018. F40.1 Soziale Phobien. Stand 22.09.2017; letzter Zugriff 08.11.2017. www.dimdi.de
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Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
F40; F401
ångestneuros; Social fobi; p74 ångeststörning/- tillstånd
CCC MK 21.09.2021 revidiert auf der Basis der neuen LL, wenige Änderungen.
CCC MK 01.06.2019, DEGAM-Praxisempfehlung
chck go 9.8.
CCC MK 10.11.17, komplett überarbeitet, LL im Text
Definition:Angst vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen. Die Angst führt zur Vermeidung zwischenmenschlicher Begegnungen. Bei ausgeprägter Symptomatik meist niedriges Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik.