Allgemeine Informationen
Definition
- Hypokalzämie ist definiert als:1-2
- Geringfügige Variationen des angegebenen Normbereichs zwischen den einzelnen Laboren
Häufigkeit
- Breite epidemiologische Studien zur Häufigkeit einer Hypokalzämie liegen nicht vor.3
- Grob können Hypokalzämien hinsichtlich der Häufigkeit ihrer Ursachen folgendermaßen eingeteilt werden:1
- Häufig
- Vitamin-D-Mangel aufgrund geringer UV-Exposition oder geringer Aufnahme durch Nahrung
- Vitamin-D-Mangel durch Malabsorption
- Hypoparathyreoidismus nach Nebenschilddrüsen-OP/ autoimmun
- chronische Nierenkrankheit mit verminderter Vitamin-D-Aktivierung
- Selten
- Parathormon-Resistenz
- Vitamin-D-Resistenz
- Hypomagnesiämie
- osteoblastische Metastasen
- Im Übrigen sind Hypokalzämien häufig bei kritisch kranken, intensivpflichtigen Patient*innen.4
Physiologie des Kalziumstoffwechsels
- Kalzium hat eine wichtige Funktion für die:5
- Erregung von Nerven und Muskeln
- Aktivierung von Enzymen und Hormonen
- Blutgerinnung.
- Nur ca. 0,1 % des Körperkalziums von ca. 1.400 g befinden sich im Serum.6
- Ca. die Hälfte des Gesamtkalziums i. S. ist proteingebunden, biologisch aktiv ist das übrige ionisierte Kalzium.7
- Die Serumkonzentration resultiert aus:6
- intestinaler Absorption
- renal-tubulärer Reabsorption
- Kalziumaustausch im Skelett.
- Regulation der Kalziumhomöostase durch:
- Parathormon (PTH)
- Vitamin D
- in der Regel Bildung von 80–90 % des Vitamins D (Cholecalciferol) in der Haut durch UV-B-Strahlung, Anteil der Ernährung ca. 10–20 % (fetter Seefisch, Innereien, Speisepilze, Eier)9
- Hydroxylierung in der Leber zu 25-Hydroxy-Vitamin-D, in der Niere schließlich zu 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D8
- Negative Rückkoppelung zur Nebenschilddrüse, 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D und Kalzium bremsen die PTH-Freisetzung.8
- Vitamin D aktiviert die Kalziumaufnahme über den Darm und Einbau von Kalzium in den Knochen.8
- Bei der Beurteilung des Gesamtkalziums i. S. muss die Albuminkonzentration beachtet werden.6
- Abfall des Albumins um 1 g/dl bewirkt einen Abfall des Gesamtkalziums i. S. um 0,2 mmol/l.
- Das biologisch aktive ionisierte Kalzium i. S. bleibt durch einen Albuminabfall unbeeinflusst.8
Differenzialdiagnosen
- Die Ursachen einer Hypokalzämie können ätiologisch u. a. folgendermaßen eingeteilt werden:8
- Hypokalzämie ohne erniedrigtes bzw. mit erhöhtem Parathormon
- Vitamin-D-Defizienz oder -Resistenz (einschl. chronischer Nierenkrankheit, Leberinsuffizienz, Malabsorption)
- PTH-Resistenz (Pseudohypoparathyreoidismus)
- Ursächlich können verschiedene Mutationen sein, Symptome entwickeln sich häufig erst im Lauf der Kindheit mit unterschiedlicher Ausprägung.10
- Hungry-Bone-Syndrome (Hypokalzämie nach Nebenschilddrüsen-OP bei Hyperparathyreoidismus), Ausdruck einer postoperativ vermehrten Knochenaufnahme von Kalzium (und Phosphat)11
- Hyperphosphatämie (gesteigerte Aufnahme, gesteigerte Freisetzung bei Rhabdomyolyse oder Tumorlyse)
- osteoblastische Metastasen
- akute Pankreatitis
- Sepsis
- respiratorische Alkalose
- Hypokalzämie mit niedrigem Parathormon (Hypoparathyreoidismus)
- nach chirurgischen Eingriffen an Schilddrüse/ Nebenschilddrüse
- autoimmunbedingt
- selten: Z. n. Radiatio, M. Wilson, Hämochromatose, HIV etc.
- Hypokalzämie bei Hypomagnesiämie
- Magnesium beeinflusst die Sekretion von PTH, das Ansprechen von der Niere und des Knochens auf PTH und den Vitamin-D-Stoffwechsel.12
- Medikamenteninduziert (Schleifendiuretika, Foscarnet, Bisphosphonate, Cinacalcet, Phenytoin, Cisplatin, Fluorid u. a.)
ICPC-2
- A91 Pathologischer Befund einer Untersuchung NNB
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E83.5 Störungen des Kalziumstoffwechsels
- R70.0 Abnormaler Mineral-Blutwert
Diagnostik
Anamnese
- Die Symptomatik ist abhängig von Ausprägung, Geschwindigkeit der Entstehung und Dauer der Hypokalzämie.13-14
- Symptome einer Hypokalzämie
- akut
- Larynxspasmus
- Tetanie
- Parästhesien
- Krampfanfälle
- Palpitationen
- Symptome einer schweren akuten Grunderkrankung, z. B. akute Pankreatitis, Sepsis
- chronisch
- neuropsychologische Störungen: Lethargie, Konzentrationsschwäche, Angstzustände
- Hautveränderungen: trockene Haut, Juckreiz, brüchige Nägel, Haarausfall
- Sehstörungen (Katarakt)
- Muskelschwäche
- Parästhesien, Hypästhesien
- Dyspnoe, Palpitationen, Synkope
- akut
- Lebensstil
- geringe Exposition gegenüber Sonnenlicht
- Ernährungsgewohnheiten
- Vorerkrankungen
- chronische Nierenkrankheit, Niereninsuffizienz
- Nierensteine
- Malabsorption
- Alkoholabusus
- Leberinsuffizienz
- St.n. OP Schilddrüse/Nebenschilddrüse
- Katarakt
- Medikamente, z. B.:
- Schleifendiuretika
- Phenytoin
- u. a.
Klinische Untersuchung
- Zeichen erhöhter neuromuskulärer Erregbarkeit
- positives Chvostek-Zeichen (durch Beklopfen des Nervus facialis vor dem Ohr ipsilaterale Kontraktion der Gesichtsmuskulatur)
- positives Trousseau-Zeichen (durch Aufpumpen einer Blutdruckmanschette für 3 min Auslösen eines Karpalspasmus)
- Haut
- zervikale Operationsnarbe, trockene Haut, spröde Nägel, Haarausfall
- Neurologie
- Muskelschwäche, Hypästhesien
- Herz
- Arrhythmie
Ergänzende Untersuchungen in der hausärztlichen Praxis
Labor
- Gesamt-Kalzium
- Ionisiertes (biologisch aktives) Kalzium
- Albumin
- Albumin-Bestimmung notwendig für die Einordnung des Gesamt-Kalziums
- Parathormon (PTH)
- Phosphat
- Vitamin D
- 25-Hydroxy-Vitamin D (Synonyme 25-Hydroxy-Cholecalciferol, Calcidiol), gilt als bester Parameter zur Beurteilung der Vitamin-D-Versorgung.16
- Referenzwerte siehe Artikel Vitamin-D-Mangel.
- 1,25 Dihydroxy-Vitamin D (1,25-Dihydroxy-Cholecalciferol, Calcitriol), biologisch aktivste Form von Vitamin D
- 25-Hydroxy-Vitamin D (Synonyme 25-Hydroxy-Cholecalciferol, Calcidiol), gilt als bester Parameter zur Beurteilung der Vitamin-D-Versorgung.16
- Magnesium
- Hypomagnesiämie kann zu verminderter PTH-Sekretion führen.
- Kreatinin, eGFR, Elektrolyte
- Alkalische Phosphatase
Laborkonstellationen bei häufigen Ursachen einer Hypokalzämie
- Hypoparathyreoidismus
- PTH ↓, Phosphat ↑, 25-Hydroxy-Vitamin-D normal
- Vitamin-D-Mangel
- PTH ↑, Phosphat ↓ bis normal, 25-Hydroxy-Vitamin D ↓
- Chronische Nierenkrankheit
- PTH ↑, Phosphat ↑, 25-Hydroxy-Vitamin-D ↓ bis normal
EKG
- Evtl. verlängertes QT-Intervall, Rhythmusstörungen
Sonografie
- Nachweis eines strukturellen Nierenschadens
Indikationen zur Überweisung
- Abhängig von der (vermuteten) Grunderkrankung: Endokrinologie, Onkologie, Nephrologie, Gastroenterologie
Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Je nach zugrunde liegender Störung kommt die Gabe verschiedener Substanzen oder deren Kombination für die Behandlung einer Hypokalzämie in Betracht:
- Vitamin D
- Kalzium
- Magnesium
- Parathormon (PTH)
- Thiazid.
- Art und Dosierung der Medikation hängen von der Grunderkrankung und damit der korrekten Diagnosestellung ab, die Details der Therapie von Grunderkrankungen können u. a. folgenden Artikeln entnommen werden:
Medikamentöse therapeutische Maßnahmen
Akute Hypokalzämie
- Behandlung bei schwerer Grunderkrankung (z. B. akute Pankreatitis, Sepsis) üblicherweise im intensivmedizinischen Rahmen
- z. B. Bolusgabe 10 ml Kalziumgluconat 10 % in 50 ml Natriumchlorid 0,9 % über mindestens 10–20 min, ggf. Wiederholung2
Chronische Hypokalzämie
- Vitamin-D-Substitution
- Kalzium-Substitution
- Häufig eingesetzte Substanzen sind:
- Kalzium-Carbonat
- Kalzium-Citrat
- Kalzium-Gluconat.
- Häufig eingesetzte Substanzen sind:
- Magnesium-Substitution
- Magnesiummangel führt zu einer gestörten PTH-Sekretion (auch bei maximaler Stimulation durch eine Hypokalzämie), zusätzlich Abnahme der Sensibilität der Endorgane auf PTH.12
- Parathormon
- Im Gegensatz zu allen anderen Hormonmangelzuständen wird ein Hypoparathyreoidismus meist nicht mit dem fehlenden Hormon, sondern mit Kalzium und Vitamin D behandelt.10
- Seit 2017 ist zur Behandlung des Hypoparathyreoidismus ein rekombinantes Parathormon zugelassen, allerdings nur für Patient*innen, die unter Standardtherapie nicht adäquat eingestellt werden können.17
- Thiazid
- Vermeidung einer Hyperkalzurie, Option v. a. in der Behandlung eines Hypoparathyreoidismus14,18
Verlaufskontrolle
- Regelmäßige Kontrollen von Serum-Kalzium und -Phosphat, Ziel sollte ein Kalziumspiegel im unteren Normbereich sein.6,19
- Das Ca-Phosphat-Produkt sollte < 4,5 mmol2/l2 betragen.20
- bei höheren Werten erhöhtes Risiko von Gewebsverkalkungen
- Eine Überdosierung mit Vitamin D birgt das Risiko der Entstehung einer Hyperkalzämie.21
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
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- Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie. Hypoparathyreoidismus und Pseudohypoparathyreoidismus. AWMF-Leitlinie Nr. 174-005. S1, Stand 2022. www.awmf.org
Literatur
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- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Drug Safety Mail 2017-42. 30.11.2017 – Hyperkalzämie durch Überdosierung mit Vitamin D www.akdae.de
Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).