Compare with  
Legend:
inserted text deleted text

Orale Manifestationen systemischer Erkrankungen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Verschiedene systemische Erkrankungen können zu Veränderungen in der Mundhöhle führen.1
  • Hierzu zählen z. B.:
    • immunologische Erkrankungen
    • Endokrinopathien
    • hämatologische Erkrankungen
    • systemische Infektionen 
    • Ernährungsstörungen.
  • Mehrere Studien haben eine Assoziation zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus, Herzkrankheiten, Schlaganfällen und Schwangerschaftskomplikationen gezeigt.2-4
  • Eine frühzeitige Diagnostik bei Veränderungen in der Mundhöhle kann zu einer frühzeitigen Diagnose und optimalen Behandlung beitragen.

Häufigkeit

  • Veränderungen in der Mundhöhle können insbesondere bei systemischen Erkrankungen häufig beobachtet werden.

Diagnostische Überlegungen

  • Systemische Erkrankungen gehen mit einem erhöhten Infektionsrisiko einher.
  • Veränderungen der Mundhöhle sind häufig; häufig handelt es sich um unspezifische Befunde. 
    • Die Befunde sollten an die Möglichkeit systemischer Erkrankungen denken lassen.
  • Einige Befunde sind typisch für bestimmte Systemerkrankungen und nicht selten ein frühes Symptom oder eine Erstmanifestation.1,5

ICPC-2

  • D19 Zahn-/Zahnfleischsympt./-beschw.
  • D20 Mund-/Zungen-/Lippenbeschwerden

ICD-10

  • C06.9 Mund, nicht näher bezeichnet

Differenzialdiagnosen

Schleimhautveränderungen

Anämie

  • Kann mit blassen Schleimhäuten, atrophischer Glossitis und Candidiasis einhergehen.
  • Eine atrophische Glossitis kann sich bei Patient*innen mit Eisenmangelanämie, perniziöser Anämie, Vitamin-B-Mangel und diversen anderen pathologischen Zuständen als totale oder fleckenweise Papillenatrophie äußern.
  • Zu den möglichen Symptomen zählen Brennen, Schmerzen, Druckempfindlichkeit und Erytheme.
  • Eine Candidiasis kann gleichzeitig vorliegen oder eine alternative Erklärung für Erytheme, Brennen und Atrophie sein.1

Epilepsie

  • Antiepileptika können eine gingivale Hypertrophie hervorrufen.6

Orale Läsionen

Lupus erythematodes

  • 9–45 % der Personen mit systemischem Lupus erythematodes und 3–20 % der Patient*innen mit diskoidem Lupus erythematodes weisen orale Läsionen auf.7
  • Die klinische Manifestation variiert, typische Läsionen sind:
    • Orale diskoide Läsionen, die sich durch eine charakteristische, klar abgegrenzte Zone mit Erythemen, Atrophie oder Ulzeration, umgeben von weißen, radiierenden Striae, äußern.
    • Die Läsionen gleichen den Läsionen, die bei einem erosiven Lichen planus beobachtet werden können.8-9
  • Behandlung der oralen Ulzera:
    • topische Steroide, z. B. Triamcinolon oral
    • bei Therapieversagen Wechsel auf hochpotentere Steroide (Betamethaseon, Colbetasol)
    • alternativ Calcineurininhibitoren: Tacrolimus 0,03 % oder 0,1 %10

Pemphigus vulgaris

  • Bei 50–80 % der Betroffenen stellen orale Läsionen die initiale Manifestation dar, sie können den Hautveränderungen 1 Jahr oder länger vorhergehen.11
  • Es handelt sich um multiple Blasen, die schnell rupturieren und schmerzhafte, diffuse orale Erosionen hinterlassen.
    • Malnutrition und Gewichtverlust können die Folge sein.12
  • Auch extraorale Veränderungen wie kutane Blasen, schorfbelegte Hauterosionen und eine bilaterale Konjunktivitis können vorliegen.12
  • Orale Läsionen lassen sich normalerweise gut mittels systemischer immunsuppressiver Therapie behandeln, gehen allerdings meist langsamer zurück als extraorale Läsionen.

Morbus Crohn

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.5
  • Die Prävalenz oraler Läsionen variiert beim Morbus Crohn zwischen 20 und 50 %.
  • Bei ca. 5–10 % der Patient*innen gehen die oralen Läsionen den abdominalen Symptomen voran.
    Aphtha2.jpg
    Aphthe bei Morbus Crohn
  • Die häufigste Form sind aphthöse Ulzera.
  • Weitere typische Läsionen, die verdächtig auf M. Crohn sind: Gingivahypertrophie, Pflastersteinrelief, Mukogingivitis, Lippenschwellungen mit vertikalen Fissuren, tiefe lineare Geschwüre der Wangen- und/oder Lippenschleimhaut, Lippenfissuren in der Mittellinie.
  • Therapie der oralen Läsionen im Zuge der Systemtherapie; bei ausbleibender Remission auch lokale Therapie mit Steroiden (als Mundspülungen oder Salben), antiinflammatorischen Salben oder Tacrolimus

Pigmentveränderungen

Morbus Addison, Nebennierenrindeninsuffizienz

  • Eine Hyperpigmentierung der Schleimhaut in der Mundhöhle kann die erste Manifestation einer primären Nebennierenrindeninsuffizienz sein.1
  • Eine diffuse Melaninpigmentierung der Mundschleimhaut ist ein unspezifischer Befund.
  • Weitere Ursachen

Parodontale Blutungen und Entzündungen

Diabetes

  • Zwischen Diabetes und parodontalen Erkrankungen wie Gingivitis und Parodontitis besteht ein enger Zusammenhang.
    • Der zugrunde liegende Mechanismus ist dabei noch nicht geklärt.13
  • Es scheint sich um einen beidseitigen Zusammenhang zu handeln: Diabetes kann zu schlechter parodontaler Gesundheit führen, und schlechte parodontale Gesundheit scheint die Kontrolle eines Diabetes zu erschweren.14
  • Patient*innen mit schlecht kontrolliertem Diabetes leiden häufiger unter parodontalen Beschwerden als jene, die gut eingestellt sind.
  • Die Therapie der Parodontitis geht mit einer Senkung des HbA1c einher.13

Thrombozytopenie

  • Liegt die Thrombozytenanzahl unter 50 x 109/l, so spricht man von einer Thrombozytopenie.15
  • Im Anfangsstadium Erstmanifestation als orale Läsionen möglich
  • Leichtere Verletzungen der Mundschleimhaut während der Routinefunktionen wie Kauen oder Schlucken können zur Entstehung diverser hämorrhagischer Läsionen wie Petechien, Purpura, Ekchymose, hämorrhagischen Bullae und Hämatomen führen.
  • Zudem kann es schon durch leichte Verletzungen oder spontan zu Zahnfleischbluten kommen.15

Leukämie (AML, ALL, CLL, CML)

  • Zu den möglichen oralen Manifestationen einer Leukämie zählen Schleimhautblutungen, Ulzerationen, Petechien, orale Infektionen und diffuse oder lokale Verdickungen der Gingiva.16
  • Orale Läsionen treten sowohl bei akuten als auch bei chronischen Formen aller Arten von Leukämie auf.
  • Sie können entweder das Ergebnis einer direkten Infiltration leukämischer Zellen (primär) sein oder sekundär zu einer zugrunde liegenden Thrombozytopenie, Neutropenie oder beeinträchtigten Granulozytenfunktion führen.16
    • infolge gestörter Immunfunktion Candidiasis, Herpes-simplex-Infektionen oder parodontale Knochendefekte.
    • infolge Thrombozytopenie Petechien oder Schleimhautblutungen
  • Auch therapieinduzierte orale Läsionen können auftreten, z. B. eine chemotherapeutisch induzierte Mukositis.

Dentale Erosionen

Gastroösophageale Refluxkrankheit

  • Bei Patient*innen mit gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD) sind das Speichelflussvolumen und die Schluckfunktion deutlich reduziert.
  • Infolgedessen kommt es zu einem irreversiblen Verlust des Zahnschmelzes.
    • Die Prävalenz liegt zw. 5 % und 47,5 %.17
  • Läsionen der Weichteilgewebe sind ebenfalls mit GERD assoziiert:
    • Tonsillitis, mukosale Atrophie, Erythem des weichen Gaumens und der Uvula, Glossitis, epitheliale Atrophie, Xerostomie, Dysgeusie (Geschmacksstörung)
    • Betroffene beklagen saueren oder bitteren Geschmack, Juckreiz und Brennen.
    • Die Läsionen sind unspezifisch, es besteht keine gesicherte Evidenz, dass GERD als Auslöser fungiert, lediglich eine Assoziation ist gesichert.17

Bulimie und Anorexie

  • Zu den möglichen Veränderungen in der Mundhöhle zählen dentale Erosionen, Xerostomie, erhöhte Kariesanfälligkeit und Sialadenose.
  • Durch das Erbrechen kommen die Zähne wiederholt mit Magensäure in Kontakt, was zum Abbau des Zahnschmelzes führt.
  • In erster Linie ist die linguale Oberfläche der Vorderzähne im Oberkiefer betroffen.18
    • Dies kann zu dentaler Überempfindlichkeit gegenüber kalten und süßen Stimuli führen.
  • Infolge von medikamentöser Therapie (Antidepressiva, Diuretika, Laxativa), Erbrechen und übertriebener körperlicher Aktivität kann es zur Xerostomie kommen.19

Anamnese

  • Dauer?
  • Beginn?
  • Andere Symptome und Anzeichen?
  • Andere bekannte Grunderkrankungen?

Klinische Untersuchung

  • Lokaler Status
  • Bei Verdacht auf eine zugrunde liegende systemische Erkrankung sollte ein genereller klinischer Status erstellt werden.

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • Abhängig vom klinischen Verdacht und den klinischen Befunden

Bei Spezialist*innen

  • Abhängig vom klinischen Verdacht und den klinischen Befunden

Maßnahmen und Empfehlungen

Überweisung

  • Abhängig vom klinischen Verdacht und den klinischen Befunden

Einweisung ins Krankenhaus

  • Bei Verdacht auf eine schwere zugrunde liegende Erkrankung

Illustrationen

Aphtha2.jpg
Aphthe bei Morbus Crohn (Quelle: Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/File:Aphtha2.jpg)

Video

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Thrombozytopenien. Stand 2021. www.onkopedia.com

Literatur

  1. Chi AC, Neville BW, Krayer JW, Gonsalves WC. Oral manifestations of systemic disease. Am Fam Physician 2010; 82: 1381-8. American Family Physicianpubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Janket SJ, Baird AE, Chuang SK, Jones JA. Meta-analysis of periodontal disease and risk of coronary heart disease and stroke. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 2003; 95: 559-69. PubMed
  3. Xiong X, Buekens P, Fraser WD, Beck J, Offenbacher S. Periodontal disease and adverse pregnancy outcomes: a systematic review. BJOG 2006; 113: 135-43. PubMed
  4. Demmer RT, Jacobs DR Jr, Desvarieux M. Periodontal disease and incident type 2 diabetes: results from the First National Health and Nutrition Examination Survey and its epidemiologic follow-up study. Diabetes Care 2008; 31: 1373-9. PubMed
  5. Katsanos KH, Torres J, Roda G, Brygo A, Delaporte E, Colombel JF. Review article: non-malignant oral manifestations in inflammatory bowel diseases. Aliment Pharmacol Ther. 2015 Jul;42(1):40-60. onlinelibrary.wiley.com
  6. Cornacchio AL, Burneo JG, Aragon CE. The effects of antiepileptic drugs on oral health. J Can Dent Assoc. 2011;77:b140. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Manfredini M, Pedroni G, Bigi L, Apponi R, Murri Dello Diago A, Dattola A, Farnetani F, Pellacani G. Acquired White Oral Lesions with Specific Patterns: Oral Lichen Planus and Lupus Erythematosus. Dermatol Pract Concept. 2021 May 20;11(3). www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Gonsalves WC, Chi AC, Neville BW. Common oral lesions: Part I. Superficial mucosal lesions. Am Fam Physician 2007; 75: 501-7. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Nico MM, Vilela MA, Rivitti EA, Loureno SV. Oral lesions in lupus erythematosus: correlation with cutaneous lesions. Eur J Dermatol 2008; 18: 376-81. PubMed
  10. Manfredini M, Pedroni G, Bigi L, Apponi R, Murri Dello Diago A, Dattola A, Farnetani F, Pellacani G. Acquired White Oral Lesions with Specific Patterns: Oral Lichen Planus and Lupus Erythematosus. Dermatol Pract Concept. 2021 May 20;11(3):e2021074. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Sirois DA, Fatahzadeh M, Roth R, Ettlin D. Diagnostic patterns and delays in pemphigus vulgaris: experience with 99 patients. Arch Dermatol 2000; 136: 1569-70. PubMed
  12. Kasperkiewicz M, Ellebrecht CT, Takahashi H, Yamagami J, Zillikens D, Payne AS, Amagai M. Pemphigus. Nat Rev Dis Primers. 2017 May 11;3:17026. www.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Liccardo D, Cannavo A, Spagnuolo G, Ferrara N, Cittadini A, Rengo C, Rengo G. Periodontal Disease: A Risk Factor for Diabetes and Cardiovascular Disease. Int J Mol Sci. 2019 Mar 20;20(6):1414. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  14. Mealey BL. Periodontal disease and diabetes. A two-way street. J Am Dent Assoc 2006; 137(suppl): 26S-31S. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  15. Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. ThrombozytopenieThrombozytopenien. Stand 2021. www.onkopedia.com
  16. Francisconi CF, Caldas RJ, Oliveira Martins LJ, Fischer Rubira CM, da Silva Santos PS. Leukemic Oral Manifestations and their Management. Asian Pac J Cancer Prev. 2016;17(3):911-5. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  17. Durazzo M, Lupi G, Cicerchia F, Ferro A, Barutta F, Beccuti G, Gruden G, Pellicano R. Extra-Esophageal Presentation of Gastroesophageal Reflux Disease: 2020 Update. J Clin Med. 2020 Aug 7;9(8):2559. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  18. Valena V, Young WG. Dental erosion patterns from intrinsic acid regurgitation and vomiting. Aust Dent J 2002; 47: 106-15. PubMed
  19. Dynesen AW, Bardow A, Petersson B, Nielsen LR, Nauntofte B. Salivary changes and dental erosion in bulimia nervosa. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 2008; 106: 696-707. PubMed

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
C069
D19; D20
Systemische Erkrankungen; Mundhöhlenveränderungen; Veränderungen in der Mundhöhle; Erhöhtes Infektionsrisiko; Verminderte Gewebeoxidierung; Veränderte Speichelproduktion; Anämie; Epilepsie; Lupus erythematodes; Pemphigus vulgaris; Morbus Crohn; Morbus Addison; Nebenniereninsuffizienz; Pigmentveränderungen; Orale Läsionen; Schleimhautveränderungen; Paradontale Blutungen; Paradontale Entzündungen; Diabetes mellitus; Thrombozytopenie; Leukämie; Dentale Erosion; Gastroösophageale Refluxkrankheit; Bulimie; Anorexie
Orale Manifestationen systemischer Erkrankungen
Video Untersuchungskurs Rachen eingefügt 26.6.19 UB
BBB MK 17.05.2022 umfassend revidiert, umgeschrieben und gekürzt. Revision at 13.07.2015 07:54:37: Ingen endringer. chck go 23.5.
document-symptom document-nav document-tools document-theme
Verschiedene systemische Erkrankungen können zu Veränderungen in der Mundhöhle führen.1 Hierzu zählen z. B.: immunologische Erkrankungen Endokrinopathien hämatologische Erkrankungen systemische Infektionen  Ernährungsstörungen.
Hals/Nase/Ohren
Orale Manifestationen systemischer Erkrankungen
/link/3a05f945bede4936b16a09f0cb805e48.aspx
/link/3a05f945bede4936b16a09f0cb805e48.aspx
orale-manifestationen-systemischer-erkrankungen
SiteProfessional
Orale Manifestationen systemischer Erkrankungen
anders.skjeggestad@nhi.no
u.boos@gesinform.de
de
de
de