Definition:Sepsis ist definiert als eine lebensbedrohliche Organdysfunktion, die durch eine fehlregulierte Wirtsantwort auf eine Infektion verursacht wird.
Häufigkeit:Im Jahr 2013 280.000 Patient*innen mit Sepsis in Deutschland. Die adjustierte Rate betrug 335/100.000 Einw., die Krankenhaussterblichkeit 24 %.
Befunde:Hypotonie, Tachykardie, Hyper- oder Hypothermie, Hypoxämie, Thrombozytenabfall, Laktatanstieg, Anstieg von Nieren- und Leberwerten.
Diagnostik:VerdachtDiagnosestellung auf bzw. Nachweis einerbei Infektion in Kombination mit demeiner qSOFA-infektbedingten oderOrgandysfunktion (SOFA-Score. Die SIRS-Kriterien werden nicht mehr verwendet).
Therapie:Intensivmedizinische Behandlung: Kreislaufstabilisierung mit Volumentherapie und ggf. Vasopressoren, antimikrobielle Therapie.
Allgemeine Informationen
Definition
Sepsis ist definiert als eine lebensbedrohliche Organdysfunktion, die durch eine fehlregulierte Wirtsantwort auf eine Infektion verursacht wird.1-23
2016 Veröffentlichung neuer Definitionen für Sepsis und septischen Schock: „The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3)“1
Keine Anwendung mehr der 1991 eingeführten SIRS-Kriterien zur Definition der Sepsis!
SIRS-Kriterien sind häufig auch bei Patient*innen ohne lebensbedrohliche Infektion erfüllt.
Umgekehrt sind trotz lebensbedrohlicher Infektion die SIRS-Kriterien nicht selten nicht erfüllt.
Die bisherige Einteilung in Sepsis, schwere Sepsis (AWMF) und septischer Schock unter Verwendung der SIRS-Kriterien entfällt.
Organdysfunktion – Erfassung mit SOFA-Score
Zentrum steht nun der SOFA-Score zur Beurteilung des Schweregrades der Organdysfunktion.
zwischen 2007 und 2013 Rückgang der Krankenhausmortalität von 27,0 auf 24,3 %
Mortalität beim septischen Schock weiterhin extrem hoch mit ca. 60 %
zwischen 2010 und 2013 Rückgang der Mortalität von 61,0 auf 58,8 %
ab dem 40. Lebensjahr beinahe linearer Anstieg der Mortalität
Trend – wahrscheinliche Ursachen für die Zunahme der Sepsisfälle:56
wachsende Zahl älterer Patient*innen
Ausweitung auch aggressiver Behandlungen auf immer ältere Menschen
gestiegenes Problembewusstsein mit Auswirkung auf die Kodierung und damit statistische Erfassung.
Ätiologie und Pathogenese
Eine Sepsis entwickelt sich, wenn eine initiale adäquate Reaktion auf eine Infektion sich zunehmend verstärkt und schließlich außer Kontrolle gerät.67
Von einer einfachen Infektion unterscheidet sich die Sepsis durch:1
fehlregulierte Immunantwort
Organdysfunktion.
Das Sepsissyndrom entwickelt sich durch ein Zusammenspiel von pathogenen Faktoren und Wirtsfaktoren (Geschlecht, Alter, Begleiterkrankungen, Umweltfaktoren).1
Nach Invasion von Mikroorganismen Erkennung von Keimbestandteilen durch Leukozyten und dadurch Aktivierung des Immunsystems78
Exotoxine grampositiver Bakterien können als Superantigen wirken.
Aktivierung immunkompetenter Zellen und Ausschüttung primärer Entzündungsmediatoren (TNF-Alpha, IL-1)89
Weitere Verstärkung der Immunantwort durch eine Vielzahl sekundärer Mediatoren89
in der Sepsis sequenzielle Erhöhung zunächst pro- und später antiinflammatorischer Zytokine78
Pathophysiologisch kommt es zur Beeinträchtigung einer Reihe von Körperfunktionen.89
Endothelschädigung mit:
Schädigung der Mikrozirkulation
Ausbildung eines Kapillarlecks mit Flüssigkeitsverlust ins Interstitium – intravasaler Volumenmangel.
Aktivierung des Gerinnungssystems mit disseminierter intravasaler Gerinnung (DICDIG)
Stimulation der endothelialen NO-Synthetase mit Vasodilatation und nachfolgender Hypotension
Beeinträchtigung der Herzfunktion durch septische Kardiomyopathie
wahrscheinlich auch Entwicklung einer endokrinen Dysfunktion
Letztlich Beeinträchtigung der Organfunktionen bis hin zum Multiorganversagen
Mikrobiologie
unterschiedliches Erregerspektrum je nach Region, einzelnem Krankenhaus, Patientenspektrum
Häufige Erreger außerhalb der Klinik sind Escherichia coli, Streptococcus pneumoniae und Staphylococcus aureus.
Im Krankenhaus sind vermehrt gramnegative Bakterien wie z. B. Pseudomonas aeruginosa und Angehörige der Gattung Enterobacter sowie grampositive Bakterien wie Enterokokken und koagulasenegative Staphylokokken beteiligt.910
Zunehmend beteiligt sind multiresistente Bakterien und Pilze.1011
Prädisponierende Faktoren
Ausgang fast immer von einem infektiösen Fokus
am häufigsten Infektion der Atemwege, Bauchhöhle, Harnwege oder Haut
bei qSOFA ≥ 2 Punkte V. a. Sepsis, weitere Abklärung (ICU)
Anstieg SOFA ≥ 2 Punkte? (für jedes Kriterium 0–4 Punkte möglich, siehe Tabelle SOFA-Score; der Ausgangs-SOFA-Score kann bei Patient*innen ohne vorbekannte Organdysfunktion als null angenommen werden)
EineProblematisch Metaanalyseist zur prädiktiven Validität vonbei qSOFA ergibtdie eine schlechteniedrige Sensitivität, beiein nur mittlerer Spezifität hinsichtlichTeil der Mortalität.13
qSOFA:Patient*innen Sensitivitätwird 60 %, Spezifität 72 % (d. h. 4 von 10 werden nicht identifiziert, sindalso falsch negativ)
Entnahme adäquater mikrobiologischer Kulturen (einschl. Blut) vor Beginn einer Therapie153,14
Sofern hierdurch keine substanzielle Verzögerung des Behandlungsbeginns verursacht wird.
Adäquate mikrobiologische Kulturen umfassen immer mindestens 2 Blutkulturen (aerob und anaerob).153,14
Mit zunehmendem Schweregrad der Sepsis werden Blutkulturen zunehmend positiv getestet, zu den Diagnosekriterien gehören sie aber nicht.
Neuere Verfahren
PCR und Schnelltests (< 4 Stunden) ermöglichen ggf. eine wesentlich schnellere Bestimmung als konventionelle Kulturen16, werden jedoch nicht routinemäßig eingesetzt.
Bildgebende Verfahren
Im Rahmen der Fokussuche sollten auch bildgebende Verfahren eingesetzt werden, v. a.:
konventionelles Röntgen
CT
Sonografie
Echokardiografie.
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
Bei Verdacht auf Sepsis unverzüglich stationäre Aufnahme
Therapie
Therapieziele
Mortalität senken.
Organversagen und Komplikationen vermeiden/begrenzen.
Allgemeines zur Therapie
Sepsis und septischer Schock sind medizinische Notfälle mit Notwendigkeit eines sofortigen Behandlungsbeginns!153,14
Kontinuierliche oder intermittierende Nierenersatzverfahren bei Patient*innen mit akutem Nierenschaden
Kontinuierliche Verfahren bei hämodynamischer Instabilität
Bikarbonatgabe
Nicht empfohlen zur Verbesserung der Hämodynamik/Verminderung des Vasopressorbedarfs bei pH ≥ 7,15
Thromboembolieprophylaxe
LMWHThromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) oder unfraktioniertem Heparin (UFH), sofern keine Kontraindikationen
Wenn möglich, Kombination aus pharmakologischer und mechanischer Prophylaxe
Stressulkusprophylaxe
Nur bei Patient*innen mit Risikofaktoren für GI-Blutung (Protonenpumpenhemmer oder H2H2-Antagonisten)
Ernährung
Keine parenterale Ernährung bei Patient*innen, die enteral ernährt werden können.
Keine parenterale Ernährung in den ersten 7 Tagen bei Patient*innen, die nicht enteral ernährt werden können.
Früher Beginn einer enteralen Ernährung empfohlen
Minimale „trophische“ Ernährung möglichst innerhalb der ersten 48 h nach Beginn der Sepsis
Kombiniert enterale/parenterale Ernährung innerhalb der ersten 7 Tage, sofern eine Steigerung der enteralen Ernährung nicht möglich ist.
Bei Kontraindikationen für eine enterale Ernährung frühzeitiger Einsatz einer an die inividuelle metabolische Toleranz adaptierten rein parenteralen Ernährung.
Nicht empfohlen sind Gabe von:
Omega-3-Fettsäuren als Immunsupplement
Selen
Arginin
Glutamin.
Behandlungsziele
Die Behandlungsziele sollten mit Patient*innen und Angehörigen besprochen werden.
Palliative Behandlung ggf. in die Planung mit einbeziehen.
Deutsche Sepsis-Gesellschaft. Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge. AWMF-Leitlinie Nr. 079-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org
Surviving Sepsis Campaign: International Guidelines for Management of Sepsis and Septic Shock, Stand 20162021. www.survivingsepsis.org
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Intravasale Volumentherapie beim Erwachsenen. AWMF-Leitlinie Nr. 001-020. S3, Stand 2020. www.awmf.org
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses ArtikelArtikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Sepsis ist definiert als eine lebensbedrohliche Organdysfunktion, die durch eine fehlregulierte Wirtsantwort auf eine Infektion verursacht wird. Häufigkeit:Im Jahr 2013 280.000 Patient*innen mit Sepsis in Deutschland. Die adjustierte Rate betrug 335/100.000 Einw., die Krankenhaussterblichkeit 24 %.