Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2
Red Flags |
Abwendbar gefährlicher Verlauf |
Akutes neurologisches Defizit |
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Dyspnoe, Thoraxschmerzen |
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Starke Schmerzen |
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Weißes, blasses, kaltes Bein |
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Schwellung, livide, zyanotisch |
tiefe Venenthrombose (Wells Score) |
Lokale Entzündungszeichen:
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Erysipel, |
Fieber > 38,5 °C |
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Lokale Schwellung, Tumor |
Malignom |
Allgemeine Informationen
Definition
- Schmerzen, die von Patient*innen in der unteren Extremität lokalisiert werden.
Häufigkeit
- Bei Kindern
- abends auftretende Wachstumsschmerzen in den Beinen häufig
- Bei älteren Erwachsenen
- gehäuft vaskuläre, neurologische und degenerativ bedingte Ursachen
- Bei jüngeren Erwachsenen
- In der Altersgruppe von 30–50 Jahren ist das Bein die häufigste Lokalisation von überlastungsbedingten Beschwerden.3
- insbesondere bei Freizeit- und Leistungssportler*innen
Diagnostische Überlegungen
- Ziel ist es, durch Anamnese und körperliche Untersuchung die Beinschmerzen einem medizinischen Fachbereich zuzuordnen, um zielgerichtete Diagnostik und adäquate Therapie einleiten zu können. 4
- Überprüfung von o. g. Red Flags, um gefährliche Verläufe frühzeitig zu erkennen.
ICPC-2
- L14 Beinsymptome/-beschwerden
ICD-10
- M79.65 Schmerzen in den Extremitäten: Beckenregion und Oberschenkel (Becken, Femur, Gesäß, Hüfte, Hüftgelenk, Iliosakralgelenk)
- M79.66 Schmerzen in den Extremitäten: Unterschenkel (Fibula, Tibia, Kniegelenk)
- M79.67 Schmerzen in den Extremitäten: Knöchel und Fuß (Fußwurzel, Mittelfuß, Zehen, Sprunggelenk, sonstige Gelenke des Fußes)
Differenzialdiagnosen
- Akute Verletzungen, z. B.:
- Frakturen
- Distorsionen.
- Degenerative muskuloskelettale Ursachen, z. B.:
- lumbale Bandscheibenschäden mit Radikulopathie
- Hüftgelenksarthrose
- Kniegelenksarthrose
- Neurologische Ursachen, z. B.:
- Vaskuläre Ursachen, z. B.:
- Infektionen, z. B.:
- Autoimmunerkrankungen, z. B.:
- Dermatologische Ursachen, z. B.:
Anamnese
Allgemeines
- Schmerzbeginn
- plötzlich (Trauma?) oder schleichend
- Lokalisation der Schmerzen
- Ausstrahlung?
- Provokation der Schmerzen durch bestimmte Bewegungen/Aktivitäten?
- Aktuell durchgeführte sportliche/berufliche Aktivitäten
- Unfälle/Operationen in der Vergangenheit
- Bisher durchgeführte Therapiemaßnahmen?
- Abfragen der o. g. Red Flags
Bei Sportler*innen
- Wechsel des Schuhwerks erfolgt?
- Steigerung vom Trainingsumfang und -intensität?
- Auf welchem Untergrund wird trainiert?
Klinische Untersuchung
Allgemeines
- Ab dem thorakolumbalen Übergang (Pathologie des Wirbelsäulensegments Th12/L1 kann Leistenschmerzen verursachen) kann nahezu jede distal gelegene Struktur des muskuloskelettalen Systems Beinschmerzen verursachen:
- u. a. Lendenwirbelsäule, Sakroiliakalgelenk, Hüftgelenk, Kniegelenk, muskuläre Verletzungen, Tendopathien, Bursitiden etc.
- Zur Untersuchung dieser Strukturen siehe Artikel Klinische Untersuchung des Bewegungsapparats.
- Zudem sind neurologische, vaskuläre, infektiöse, dermatologische oder andere seltene Ursachen möglich.
- Insbesondere bei o. g. Red Flags sollten auch diese Ursachen in Betracht gezogen und weiter abgeklärt werden.
- z. B. Überprüfung vom peripheren Puls bei plötzlichen Beinschmerzen und kaltem, weißem Bein
- Insbesondere bei o. g. Red Flags sollten auch diese Ursachen in Betracht gezogen und weiter abgeklärt werden.
Ergänzende Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
- In der Regel keine weiterführenden Untersuchungen notwendig, da bei ernsthaften Verletzungen oder Vorliegen von Red Flags Überweisung zu Spezialist*in bzw. Einweisung ins Krankenhaus zur weiteren Diagnostik und Therapie erfolgt.
Bei Spezialist*innen
- Abhängig von Verdachtsdiagnose
- Zum Beispiel Bildgebung bei muskuloskelettaler Ursache
- Röntgen
- u. a. bei Verdacht auf eine Fraktur
- Sonografie
- u. a. zur Darstellung von muskulären und tendinösen Läsionen 5
- auch zum Ausschluss tiefer Beinvenenthrombose bei Unterschenkelschmerzen geeignet
- MRT
- u. a. bei Radikulopathien mit motorischen Defiziten oder unklaren Tumoren
- Röntgen
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
- Bei unklarer Ursache zur weiteren Diagnostik
- Zur Therapie von Erkrankungen/Verletzungen, die in der Hausarztpraxis nicht behandelt werden können.
Checkliste zur Überweisung
Beinschmerzen
- Zweck der Überweisung
- Bestätigende Diagnostik? Therapie? Operation? Sonstiges?
- Anamnese
- Dauer und Beginn? Durch ein Trauma oder durch Überlastung ausgelöst? Entwicklung, Rezidiv, evtl. Progression? Besondere körperliche Belastung bei Arbeit oder Sport?
- Symptome und Anzeichen? Schmerzen: Lokalisierung, Aktivitäten, die die Schmerzen auslösen, Ausstrahlung, Ruheschmerz, Nachtschmerz? Verminderte Kraft? Schwellungen? Eingeschränkte Mobilität? Allgemeinsymptome: Fieber, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust?
- Bei Verdacht auf eine Gefäßerkrankung: Rauchen, andere Anzeichen einer Herzkrankheit?
- Durchgeführte Behandlungsmaßnahmen und Wirkungen?
- Sonstige relevante Erkrankungen?
- Regelmäßige Medikamente?
- Folgen: Beruf, Sport, Gehdistanz, Sonstiges?
- Klinische Untersuchung
- Anzeichen einer generellen Erkrankung? Anzeichen einer lokalen Infektion oder Entzündung? Schmerzlokalisierung?
- Ergebnisse der systematischen funktionellen Untersuchung? Inspektion, Palpation, passive Bewegungen in angrenzenden Gelenken, isometrische Tests, neurologische Untersuchung, ggf. spezielle Tests?
- Ergänzende Untersuchungen
- in der Regel keine, evtl. Röntgen oder Blutuntersuchungen
Quellen
Literatur
- Schaufelberger M, Meer A, Furger P, Derkx H et al. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
- Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
- Campbell JT. Posterior calf injury. Foot Ankle Clin 2009; 14:761. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Segeth A, Czihal A, Hoffmann U. Unklare Beinschmerzen - Leitfaden für die tägliche Praxis. MMW - Fortschritte der Medizin 2020; 162: 40-44. link.springer.com
- Woodhouse JB, McNally EG. Ultrasound of skeletal muscle injury: an update. Semin Ultrasound CT MR 2011; 32:91. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).