Lumbale Bandscheibenschäden mit Radikulopathie

Zusammenfassung

  • Definition:Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulopathie (z. B. Ischialgie).
  • Häufigkeit:Die Prävalenz symptomatischer Bandscheibenvorfälle im Bereich der Lendenwirbelsäule beträgt etwa 0,2–0,5 %.
  • Symptome:Zunächst treten meist nach akuter Belastung Schmerzen des unteren Rückens auf. Ausstrahlende Schmerzen oder Symptome einer Radikulopathie zeigen sich in der Regel erst nach einer gewissen Zeit.
  • Befunde:Die klinische Untersuchung kann ein positives Lasègue-Zeichen sowie Änderungen der Sensibilität, Muskelkraft oder Reflexe ergeben, die auf die betroffene Nervenwurzel schließen lassen.
  • Diagnostik:Je nach Verlauf ist ggf. eine CT oder MRT indiziert (höchste Sensitivität).
  • Therapie:Die Therapie erfolgt vorzugsweise konservativ. Eine Operation erzielt langfristig keine besseren Ergebnisse als die konservative Therapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bandscheibenschäden im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Beteiligung von Nervenwurzeln, z. B. des Ischiasnervs
  • Häufig werden folgende Arten von Bandscheibenschäden unterschieden:
    • Bandscheibenprotrusion (Bandscheibenvorwölbung): Das Ligamentum longitudinale posterius ist intakt.
    • Bandscheibenprolaps (Bandscheibenvorfall): Das Ligamentum longitudinale posterius ist perforiert.
    • Bei einem medialen Bandscheibenvorfall kommt es zu einem Austritt von Bandscheibengewebe in die Mitte des Wirbelsäulenkanals, bei einem lateralen Bandscheibenvorfall tritt das Bandscheibengewebe zur Seite aus.
  • Bandscheibenprotrusion
    • Wird häufig diagnostiziert, wenn der Faserring der Bandscheibe (Anulus fibrosus) nicht durchgerissen ist.
  • Ischialgie (Ischiassyndrom)
    • Schmerzzustände im Versorgungsbereich des Nervus ischiadicus (Dermatome L5 und S1)
    • Wenn das Dermatom L4 betroffen ist, spricht man vom L4-Syndrom.

Häufigkeit

  • Prävalenz
    • In Deutschland liegen symptomatische Bandscheibenvorfälle bei 0,2–0,5 % der Bevölkerung vor.
    • Dies betrifft maximal 10 % der Patient*innen mit Rückenschmerzen.1
    • Mehr als die Hälfte aller Bandscheibenvorfälle verlaufen asymptomatisch.2
  • Alter
    • Das Ischiassyndrom tritt meist in der Altersgruppe 30–50 Jahre auf, zeigt die höchste Inzidenz in der Altersgruppe 40–50 Jahre und bricht im Vergleich zu einer unspezifischen Lumbago typischerweise 5–10 Jahre später aus.
    • Auch im Kindesalter sind Bandscheibenschäden möglich.
  • Lokalisation
    • Die meisten Bandscheibenschäden treten zwischen den Wirbeln L4 und L5 oder L5 und S1 auf und betreffen die L5- bzw. S1-Nervenwurzel.

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Bandscheibenschäden sind die Hauptursache von Radikulopathien im Bereich der Wirbelsäule.
  • Andere mögliche Ursachen sind degenerative Veränderungen an Bandscheiben und Facettengelenken, Spinalstenose oder Spondylolisthesis (Gleitwirbel).
  • Bei der Spondylolisthesis handelt es sich um eine angeborene oder früh erworbene Instabilität der Wirbelsäule, die eine erhöhte Anfälligkeit für das Ischiassyndrom mit sich bringt.
  • Man geht davon aus, dass genetische Faktoren im Zusammenspiel mit biomechanischen Belastungsfaktoren bestimmen, wie schnell die Degeneration der Bandscheiben im Laufe der Jahre voranschreitet.3
  • Immunologische Ursachen
    • Beim Austritt des Gallertkerns (Nucleus pulposus) aus der Bandscheibe in den Spinalkanal kommt es zu einer Autoimmunreaktion, bei der sich Antigen-Antikörper-Komplexe bilden.
    • Das Ischiassyndrom kann daher auch auf einer immunologisch verursachten Entzündungsreaktion beruhen.

Pathogenese

  • Die Pathogenese des Bandscheibenvorfalls ist nicht abschließend geklärt, aber viele Bandscheibenschäden werden akut durch körperlich schwere Arbeiten ausgelöst.
  • Degenerative Veränderungen der Bandscheibe (insbesondere L4/L5)
    • Treten in der Altersgruppe 20–50 Jahre auf.
      • Wurzelkompressionssyndrome in jüngerem Lebensalter sind meist durch einen Bandscheibenvorfall bedingt.4
    • Im Laufe der Zeit verändern sich Konsistenz und Höhe der Bandscheibe, und es bilden sich Risse im hinteren Bereich des Faserrings, durch die der Gallertkern austreten kann.
    • Bei einem Bandscheibenvorfall gelangt der Inhalt des Gallertkerns in den Spinal- bzw. Wurzelkanal. Dadurch kommt es u. U. zu einer mechanischen Kompression oder chemischen Reizung der Nervenwurzel mit Entzündungsreaktion.
    • Ist die Funktion der Nervenwurzel betroffen, kann es zu neuropathischen (radikulären) Schmerzen und neurologischen Funktionsausfällen im Versorgungsgebiet der Nervenwurzel kommen.
  • Verkalkungen im Bereich der Bandscheiben und Facettengelenke bei älteren Patient*innen können eine oder mehrere Nervenwurzeln betreffen und Schmerzen, Lähmungen sowie sensorische Ausfälle auslösen.5

Prädisponierende Faktoren

  • Verschleiß (degenerative Veränderungen)
  • Rauchen
  • Sportarten mit hoher Gewichtsbelastung
  • Berufe mit einseitiger körperlicher Belastung
  • Tätigkeit als Berufskraftfahrer*in

ICPC-2

  • L86 Rückensyndrom mit Schmerzausstr.

ICD-10

  • M51.- Sonstige Bandscheibenschäden:
    • M51.1 Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie
  • M54.- Rückenschmerzen:
    • M54.3 Ischialgie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Anamnese und klinische Untersuchung ermöglichen eine relativ sichere Diagnose.6
  • Je nachdem, welche Spinalnervenwurzel betroffen ist, treten typische neurologische Ausfälle auf.

Red Flags

  • Als „Red Flags“ bezeichnet man Warnhinweise, die auf eine spezifische Ursache der Rückenschmerzen hindeuten.
  • Siehe Tabelle Kreuzschmerzen, Red Flags.
  • Red Flags, die für eine Schädigung der Nervenwurzel sprechen:4
    • im Dermatom in ein oder beide Beine ausstrahlende Schmerzen, ggf. verbunden mit:
      • Sensibilitätsstörungen wie Taubheitsgefühle oder Kribbelparästhesien im Schmerzausbreitungsgebiet
      • Schwächegefühl
    • Konus-Kaudasyndrom
    • Sensibilitätsstörung perianal/perineal
    • ausgeprägtes oder zunehmendes neurologisches Defizit (Lähmung, Sensibilitätsstörung) der unteren Extremität
    • Nachlassen des Schmerzes und zunehmende Lähmung bis zum kompletten Funktionsverlust des Kennmuskels (Nervenwurzeltod)

Differenzialdiagnosen

  • Näheres zur Differenzialdiagnostik siehe die Artikel Akute Rückenschmerzen und Chronische Rückenschmerzen.
  • Wichtige Differenzialdiagnosen
    • funktionelle Störungen (unspezifische Rückenschmerzen)
    • Spinalstenose
    • Spondylolisthesis
    • ankylosierende Spondylarthritis (Morbus Bechterew)
    • muskulär bedingte Schmerzen
      • funktionelle Tonuserhöhung
      • degenerative Muskelerkrankungen, z. B. myotone Dystrophie Typ 2, fazioskapulohumerale Muskeldystrophie
    • Tumoren im Bereich von Darmbein, Kreuzbein, Rückenmark, Cauda equina, Wirbelkörpern oder kleinem Becken
    • spinale Ischämien, Aneurysmen oder Blutungen
    • Erkrankungen des Hüftgelenks
    • Kniegelenkserkrankungen
      • Bei einer L3-Kompression können Knieschmerzen ganz im Vordergrund stehen.7
    • Facettensyndrom
    • Iliosakralgelenk-Syndrom (umstritten)
    • dissezierendes Aortenaneurysma

Anamnese

Beginn und Dauer der Schmerzen

  • Evtl. treten beim Heben eines Gegenstands oder bei einer anderen Belastung akute Schmerzen im Lendenwirbelbereich auf.
  • Die Schmerzen können auch Stunden oder Tage nach einem solchen Ereignis und manchmal in einer Phase langen Sitzens auftreten.
  • Meist kann die schmerzauslösende Ursache nicht sicher festgestellt werden.
  • Radikuläre Schmerzen treten in der Regel mit einer Verzögerung von einigen Stunden oder Tagen auf; häufig haben die akuten Schmerzen dann bereits etwas nachgelassen.
  • Siehe Tabelle Bandscheibenprolaps – betroffene Nervenwurzeln und Versorgungsgebiete.

Typische Symptome

  • Der einseitige Beinschmerz ist stärker als der Rückenschmerz.
  • Schmerzausstrahlung bis in Fuß oder Zehen
  • Taubheit und Parästhesien innerhalb desselben Dermatoms
  • Nervendehnungsschmerz: positiver Lasègue
  • Bei manchen Patient*innen kommt es zu einem Kraftverlust, der sich in Problemen beim Fersengang (L5-Nervenwurzel) oder Zehengang (S1-Nervenwurzel) äußert.
  • Echte radikuläre Schmerzen sind neuropathische Schmerzen. Der Schmerzcharakter ist bei dabei eher scharf, elektrisierend, einschießend und auf ein bestimmtes Nervenversorgunggebiet begrenzt. Bei unspezifischen nozizeptiven, pseudoradikulären oder somatoformen Schmerzen ist der Schmerzcharakter dagegen dumpf, diffus und nicht auf Dermatome oder Myotome begrenzt.
  • Auch Symptome wie Schmerzverstärkung beim Husten und Pressen, Ausstrahlung ins Gesäß oder den Oberschenkel sowie diffus lokalisierte Parästhesien sind unspezifisch. Sie treten auch bei pseudoradikulären, unspezifischen Rückenschmerzen auf.3
  • Zur Abgrenzung neuropathischer Schmerzen von anderen Schmerzarten bei Rückenschmerzpatienten empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie standardisierte Fragebögen. 8
    • als Ergänzung zum klinischen Befund
    • nicht als alleiniges Mittel zur Diagnose neuropathischer Schmerzen geeignet
    • Sollte neben der subjektiven Schmerzwahrnehmung auch psychosoziale Komponenten des Schmerzes umfassen. Hierfür eignet sich z. B. der Schmerzfragebogen der Deutschen Schmerzgesellschaft
    • Ebenfalls gebräuchlich und innerhalb weniger Minuten durchführbar ist z. B. der painDETECT-Fragebogen

Konus-Kauda-Syndrom9

  • Das Konus-Kauda-Syndrom beruht auf einer Kompression des Conus medullaris (Höhe LW1/2) oder der Cauda equina, meist durch einen Bandscheibenvorfall. Es stellt eine absolute Indikation zur operativen Dekompression dar.
  • Blasen- und Mastdarmstörungen sowie sexuelle Dysfunktion in Verbindung mit Rückenschmerzen und ausstrahlenden Schmerzen
    • Kann als akutes Erstsymptom oder als Zeichen einer chronischen Progression der Nervenschädigung auftreten.
    • Die häufigste Ursache ist ein ausgeprägter medialer Bandscheibenvorfall in Höhe von LW4/LW5 oder LW5/SW1.
  • Typisch sind Sensibilitätsstörungen im perianalen Bereich und ein verminderter Analreflex.
  • Bei vollständiger Harnverhaltung ist das Risiko einer dauerhaft gestörten Blasenfunktion hoch.
  • Das Konus-Kauda-Syndrom kann auch vorliegen, ohne dass motorische oder sensorische Störungen in den unteren Extremitäten auftreten, und es löst nicht in jedem Fall Schmerzen aus.

Klinische Untersuchung

Inspektion

  • Bei vielen Patient*innen mit Radikulopathie sind Knie und Hüfte im Gehen leicht gebeugt.
  • Extension und Flexion des Rückens sind nur eingeschränkt möglich, und ggf. liegt eine Skoliose infolge der eingenommenen Schonhaltung vor.

Lasègue-Zeichen6

  • Ein positiver Lasègue oder gekreuzter Lasègue zeigt die Beteiligung der Nervenwurzel L5 oder S1 an, ein umgekehrter Lasègue auf die Wurzel L4.
  • Durchführung
    Lasegue-Test.jpg
    Lasègue-Test
    • Patient*in liegt auf dem Rücken. Untersucher*in hebt das gestreckte Bein an, das heißt, das Bein wird passiv in der Hüfte gebeugt.
    • Das Zeichen ist positiv, wenn die Schmerzen bis unter das Knie ausstrahlen, bevor das Bein über 60 Grad angehoben ist.
    • Das Zeichen ist gekreuzt positiv, wenn die Schmerzen auch beim Anheben des nicht betroffenen Beins auftreten.
    • Zur Prüfung des umgekehrten Lasègue-Zeichens wird das Kniegelenk bei gestrecktem Hüftgelenk gebeugt. Das umgekehrte Lasègue-Zeichen ist positiv, wenn der Test Schmerzen auslöst, die vorn in den Ober- bzw. Unterschenkel ausstrahlen.
  • Diagnostische Genauigkeit
    • In Bezug auf Bandscheibenschäden hat der einfache Lasègue-Test eine Sensitivität von 80 % und eine Spezifität von 40 %.
    • Beim gekreuzten Lasègue-Test beträgt die Sensitivität 25 % und die Spezifität 90 %.

Sensibilität, Motorik und Reflexe6

  • Mögliche Auswirkungen bei L4-Beteiligung
    • Schmerzen und Sensibilitätsstörungen vorn am Oberschenkel und medial am Unterschenkel
    • Quadrizeps geschwächt
      Dermatome
      Dermatome
    • Patellarsehnenreflex ggf. geschwächt
    • Lasègue-Zeichen negativ, umgekehrtes Lasègue-Zeichen positiv
  • Mögliche Auswirkungen bei L5-Beteiligung
    • Schmerzen und Sensibilitätsstörungen an der lateralen Seite von Ober- und Unterschenkel, am Fußrücken, medial am Fußrand sowie bis in die Großzehe hinein
    • Fußheberschwäche (Fersengang erschwert)
    • Reflexe nicht verändert
  • Mögliche Auswirkungen bei S1-Beteiligung
    • Schmerzen und Sensibilitätsstörungen an der Rückseite von Ober- und Unterschenkel, lateral am Fußrand sowie bis in die Ferse und die 5. Zehe hinein
    • Fußsenkerschwäche (Zehengang erschwert)
    • Achillessehnenreflex geschwächt oder ausbleiben

Konus-Kauda-Syndrom9-10

  • Medialer Bandscheibenvorfall oder Sequester, der auf den Conus medullaris oder die Cauda equina drückt (Ausfälle S2–S4). Die Ausfälle können auf eine Beteiligung lumbaler und sakraler Nervenwurzeln zurückzuführen sein.
  • Bei umfassender Beteiligung lumbaler und sakraler Nervenwurzeln
    • Blasen- und Mastdarmlähmung
    • umfassende Sensibilitätsstörungen und Lähmungen der Beine (Mono- oder Paraplegie)
  • Beteiligung von S2–S4
    • Blasenlähmung mit Harnverhalt und im weiteren Verlauf Überlaufinkontinenz
    • Mastdarmlähmung mit Flatus- und/oder Stuhlinkontinenz
    • Erektionsschwäche
    • Sphinktertonus und Analsphinkterreflex abgeschwächt
    • beidseitig ausstrahlende Schmerzen und Sensibilitätsstörungen im Reithosenbereich
    • auch schmerzlose Verläufe möglich
  • Harnverhaltung ist das häufigste Symptom des Kauda-Syndroms10 und bedarf einer unverzüglichen operativen Dekompression der betroffenen Nervenwurzeln.11
  • Um bleibende neurologische Folgeschäden wie Harninkontinenz und -verhaltung zu vermeiden, ist eine umgehende chirurgische Entlastung angezeigt. Das Syndrom ist als akuter Notfall zu behandeln.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Bei radikulären Symptomen und Befunden aus der körperlichen Untersuchung, die eindeutig einem radiologisch gesicherten Bandscheibenprolaps auf der anatomisch korrespondierenden Höhe zugeordnet werden können, ist keine weitere Diagnostik erforderlich. Bei radikulären Symptomen unklarer Genese sind folgende Laboruntersuchungen sinnvoll:7

Diagnostik bei Spezialist*innen – bildgebende Verfahren

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.7
  • Bei Kreuzschmerzen ohne Red-Flag-Symptome ist zunächst keine routinemäßige Bildgebung erforderlich.
  • Die Korrelation der Befunde in der Bildgebung mit den klinischen Beschwerden ist nicht gut. Oft werden Befunde in der MRT-Untersuchung überbewertet, tragen zur Verunsicherung der Betroffenen und damit zur Chronifizierung bei und haben prognostisch wenig Relevanz.

Nativröntgen der LWS in zwei Ebenen

  • Bei neu aufgetretenen Symptomen und Radikulopathie, bei denen keine weitergehende Schnittbilddiagnostik erforderlich ist. Zur Erkennung von:
    • Osteodestruktionen
    • knöchernen Fehlbildungen
    • Stufenbildung
    • Osteoporose-Frakturen.
  • Bei Verdacht auf Instabilität ggf. ergänzend Funktionsaufnahmen

MRT oder CT

  • MRT der Lendenwirbelsäule (oder CT, falls MRT aufgrund eines Herzschrittmachers, bestimmten Metallimplantaten oder Klaustrophobie nicht möglich ist)
    • Wenn unklare oder therapieresistente Befunde vorliegen, d. h. kein ausreichendes Ansprechen auf Therapiemaßnahmen über 6–8 Wochen.
    • Untersuchungsmethode zur Feststellung von Bandscheibenschäden mit relativ hoher Sensitivität, aber relativ niedriger Spezifität. Die Untersuchung zeigt daher viele klinisch unauffällige Bandscheibenschäden.12
    • Sofern nicht das Kauda-Syndrom oder erhebliche oder fortschreitende motorische Ausfälle vorliegen, ist in der Akutphase keine MRT erforderlich; diese sollte zur präoperativen Diagnostik eingesetzt werden.
    • Im Vergleich zur CT ist die Sensitivität der MRT insbesondere bei Abweichungen zwischen klinischem Bild und CT-Befund höher; allerdings kann die Untersuchung auch asymptomatische Bandscheibenschäden darstellen.2
    • Bei bereits operierten Patient*innen gilt die MRT mit intravenös verabreichtem Kontrastmittel als Primäruntersuchung, da diese die sicherste Differenzierung zwischen Narbengewebe und einem erneuten Bandscheibenschaden ermöglicht.13

Funktions- und Belastungsmyelografie mit Myelo-CT7

  • Nur selten erforderliche invasive Untersuchung
  • Bei polysegmentalen Spinalstenosen, bei Verdacht auf Instabilität und bei belastungsabhängigen Beschwerden
  • Ggf. bei voroperierten Patient*innen zur Differenzierung einer Narbe von einer Rezidivhernie
  • Wegen jodhaltigem Kontrastmittel Schilddrüsenstatus beachten!

Indikationen zur Überweisung

  • Eine Überweisung zur fachärztlichen Behandlung ist meist erst nach 4 Wochen erforderlich.
  • Wenn die Schmerzen länger als 3 Monate anhalten, sollte bei Verdacht auf Bandscheibenschaden eine Überweisung erfolgen, um eine evtl. Operationsindikation abklären zu lassen.

Checkliste zur Überweisung

Ischias, lumbaler Bandscheibenschaden

  • Zweck der Überweisung
    • Diagnostik? Konservative Behandlung? Operation?
  • Anamnese
    • Beginn und Dauer? Frühere Operationen am Rücken? Verlauf und Entwicklung? Progression? Anhaltende Beschwerden?
    • Stärke und Charakter der Schmerzen? Was löst Schmerzen aus, was lindert sie? Funktionsbeeinträchtigung? Anzeichen neurologischer Ausfälle? Paresen?
    • Beeinträchtigung der Blasen- und Mastdarmfunktion oder sexuelle Dysfunktion (Kauda-Syndrom)?
    • Wirkung der konservativen Behandlung?
    • Andere relevante Erkrankungen? Relevante psychosoziale Faktoren? Regelmäßige Medikamenteneinnahme?
    • Bewegungspotenzial?
    • Auswirkungen auf Beruf, Freizeit, Sozialleben?
  • Klinische Untersuchung
    • Schmerzen? Passives Anheben des gestreckten Beins (Lasègue-Test)? Neurologische Ausfälle (Sensibilität, Motorik, Reflexe)? In welchen Nervenversorgungsgebieten?
    • Abgleich der klinischen und radiologischen Befunde?
    • Zeichen des Konus-Kauda-Syndroms (Sensibilitätsstörungen im Analbereich)?
  • Ergänzende Untersuchungen
    • Röntgen: Befund
    • MRT: Befund
    • ggf. CT

Rasche Operation

  • Konus-Kauda-Syndrom mit Blasen- und Mastdarmlähmung sowie Sensibilitätsstörungen im Reithosenbereich
  • Rasche Ausbildung einer Beinparese von Kraftgrad 3 (Bewegung gegen die Schwerkraft gerade noch möglich) oder darunter14

Therapie

Therapieziele

  • Schmerzen lindern und möglichst schnell Alltagsaktivitäten wiederaufnehmen.
  • Neurologische Schäden verhindern.

Allgemeines zur Therapie

  • In den meisten Fällen tritt nach einigen Tagen Besserung ein, und der Schaden heilt nach 3–4 Monaten spontan aus.
  • Konservative/operative Therapie
    • Langfristig werden durch eine Operation keine besseren Ergebnisse erzielt als durch die konservative Therapie. Bei Patient*innen mit sehr starken Schmerzen kann eine Operation die Heilung aber beschleunigen.
    • Dies wird auch in einer neuen Studie bestätigt, laut der eine Operation zu einem schnelleren Rückgang von Schmerzen im Unterschenkel führt. Nach 2 Jahren war zwischen den Vergleichsgruppen jedoch kein Unterschied mehr feststellbar.11
    • Das Kauda-Syndrom erfordert eine rasche Operation, die möglichst innerhalb von 24 Stunden erfolgen sollte.
  • Alter
    • In der Regel lassen sich bei jüngeren Patient*innen bessere Behandlungsergebnisse erzielen als bei älteren.
    • Die konservative Therapie scheint bei älteren und jüngeren Personen gleichermaßen gut zu wirken.5
  • Allgemeinzustand
    • Bei Patient*innen, die in guter körperlicher Verfassung sind und konservativ behandelt werden, kommt es eher zu einer spontanen Besserung.

Kompression und Entzündung der Nervenwurzel?

  • Wenn sich bei einem Bandscheibenschaden Nervenwurzeln entzünden, trägt dies zur Schmerzentwicklung bei. Symptome einer Nervenwurzelbeteiligung können auch ohne radiologische Zeichen einer Kompression und umgekehrt vorliegen.
  • Die Unterscheidung von kompressions- und entzündungsbedingter Radikulopathie ist oft schwierig. Häufig liegt eine Kombination aus beiden vor.7

Empfehlungen für Patient*innen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.7
  • Keine länger als 4 Tage dauernde Bettruhe, spätestens dann mit leichter bis mäßiger Belastung, beginnen und diese weiter steigern. Möglichst frühzeitig wieder zu einem normalen körperlichen Aktivitätsniveau zurückkommen.
  • Die bisherigen Studien zur Wirksamkeit physikalischer Maßnahmen oder körperlicher Bewegung schließen Patient*innen mit Rückenschmerzen unterschiedlicher Genese ein. Die Wirksamkeit bei Menschen mit radikulären Beinschmerzen kann daher nicht beurteilt werden.
  • Physiotherapie kann in der Akutphase helfen, Fehlhaltungen auszugleichen. Aktive Bewegungsübungen sind vor allem bei chronischen Schmerzen angezeigt.
  • Chronische Schmerzen erfordern ein multimodales Therapiekonzept einschl. Patientenberatung, Physiotherapie, Ergotherapie, Bewegungstherapie, Entspannungsverfahren und ggf. Psychotherapie.8
  • Bei manchen Patient*innen sorgt Kälte (z. B. Kühlkompressen), bei anderen Wärme (z. B. Fangopackung) für Linderung.

Medikamentöse Therapie

Schmerzmittel7

  • Schmerzmittel sind zur Unterstützung der nichtmedikamentösen Maßnahmen angezeigt. Wegen deren Nebenwirkungsspektrum kommen primär Nicht-Opioid-Analgetika infrage. Die Datenlage zur Schmerztherapie von Patient*innen mit radikulären Schmerzen ist allerdings unbefriedigend. Die meisten Studien rekrutierten überwiegend Personen mit unspezifischen Kreuzschmerzen.
  • Nicht-Opioid-Analgetika
    • Paracetamol 2–3 x 500–1.000 mg/d (Tageshöchstdosis 4g)
      • für maximal 2 Wochen
      • bei stärkeren Schmerzen ist Paracetamol weniger wirksam als NSAR.
    • NSAR7,15-16
      • Wirksamkeit bei akuten wie chronischen Rückenschmerzen ohne radikuläre Ausfälle belegt.
      • Anfangsdosis so niedrig wie möglich
      • Gastrointestinale Nebenwirkungen einschließlich Blutungsrisiko beachten, besonders im höheren Lebensalter; ggf. Kombination mit einem PPI, z. B. Omeprazol 20– 40 mg/d.
      • Bei kardiovaskulären Begleiterkrankungen und Risikofaktoren sind NSAR zu vermeiden. Diclofenac erhöht das Herzinfarktrisiko um den Faktor 40, Ibuprofen um den Faktor 8. Naproxen ist vermutlich sicherer aber möglicherweise weniger wirksam.
    • Novaminsulfon (Metamizol) wegen des Agranulozytose-, Schock- und Allergierisikos nur als Ersatzmedikament, etwa bei Kontraindikationen gegen NSAR
  • Trizyklische Antidepressiva
    • Können zusätzlich zu Nicht-Opioid-Analgetika verabreicht werden.
    • Dosierungsbeispiel: 10–20 mg abends
    • Wirken schmerzdistanzierend und können beim Übergang vom akuten in einen chronischen Schmerz ähnlich wie bei anderen Schmerzsyndromen und Neuralgien auch bei lumbalen Radikulopathien eingesetzt werden.
    • Wirkstoffbeispiele
      • trizyklische Antidepressiva mit schmerztherapeutischer Zulassung: Amitriptylin, Clomipramin, Imipramin
      • Duloxetin (off label, nur bei diabetischer Polyneuropathie zugelassen)8
      • Näheres zum Neben- und Wechselwirkungsprofil von Antidepressiva siehe Artikel Depression.
  • Antikonvulsiva
    • Kommen als membranstabilisierende Therapie neuropathischer Schmerzen vor allem beim Übergang vom akuten in einen chronischen Schmerz und bei attackenartigen Schmerzen infrage, bei denen andere Maßnahmen nicht ausreichend wirken.
    • Wirkstoffe: Gabapentin und Pregabalin
      • Pregabalin ist bei Ischialgie nicht wirksam (Ib).17 Es wirkt nicht besser als ein Placebo, hat aber signifikant mehr Nebenwirkungen.
  • Opioide
    • unzureichende Datenlage bei akuten Rückenschmerzen
    • Gewöhnungsrisiko: Einnahme nur kurzzeitig!
    • bei akuten Schmerzen für maximal 2–3 Wochen und nur bei Nicht-Ansprechen auf andere Schmerzmittel
      • bei chronischen Schmerzen evtl. länger, bei fortlaufender Kontrolle der Wirksamkeit
      • Fehlendes Ansprechen über 6 Wochen sollte zum Absetzen führen.
    • Kontraindikationen beachten, z. B. psychische Erkrankungen einschl. Suchterkrankungen.
    • fester Einnahmezeitplan entsprechend der Wirkdauer
    • niedrig potente Opioide
      • Tramadol oder Tilidin/Naloxon
      • schmerztherapeutische Wirksamkeit bei chronischen Rückenschmerzen belegt
    • hochpotente Opioide
      • Sollten aufgrund des Abhängigkeitsrisikos und der als Nebenwirkung auftretenden Obstipation vermieden werden (siehe Artikel Chronische Rückenschmerzen).
  • Kortikosteroide
    • Zeigen die beste entzündungshemmende Wirkung.18
      • Prednisolon 50–100 mg/d kann zu einer Funktionsverbesserung führen.
      • Scheinen besonders bei foraminalen Hernien Schmerzen und Funktionsdefizite zu reduzieren. Ein belastbarer Wirksamkeitsnachweis steht jedoch noch aus.
    • Eine Tagesdosis von 40 mg Prednisolon über 3 Tage ist in der Regel gut verträglich.
    • Sollten nur erwogen werden, wenn andere medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungen nicht ausreichen, und nach Beachtung des breiten Spektrums potenzieller Nebenwirkungen und Kontraindikationen.

Glukokortikoid-Injektionen7

  • Epidural periradikulär (transforaminale epidurale Steroidinjektion, TFESI)
    • unter sterilen Bedingungen
    • Unter Bildwandlerkontrolle, kumulative Strahlendosis beachten.
    • Erfordert hohe Expertise der behandelnden Person.
    • Evtl. bei therapieresistenten Ischialgien, die länger als 3 Monate anhalten.
    • bislang jedoch keine zuverlässigen Wirksamkeitsbelege
      • Scheint, wenn überhaupt, dann nur eine kurzfristige Linderung zu erzielen, die weniger als 3 Monate anhält.
      • Ein Einfluss auf die Zahl der operativen Interventionen konnte bislang nicht nachgewiesen werden.

Kurative Therapie

  • Eine kurative Wirkung von Medikamenten ist nicht belegt.

Operation

  • Spontanheilung
    • Da es häufig zu Spontanheilungen kommt, wartet man auch bei ausgeprägten Beschwerden in der Regel 6–12 Wochen ab.
    • Ein Vergleich zwischen frühzeitiger Operation (mikrochirurgische Diskektomie) und konservativer Therapie zeigte, dass die konservativ behandelten Patient*innen in den ersten 4 Wochen eine schnellere und in den darauf folgenden 8 Wochen eine langsamere Symptomreduktion zeigten als die operierten Patient*innen. Nach 1 Jahr war kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen feststellbar.19
  • Sofortige Operation (absolute Indikation)7
    • bei Vorliegen eines Kauda-Syndroms mit akuter Paraparese bei Massenvorfall
    • Blasen- und Mastdarmlähmungen
    • progrediente und akut aufgetretene schwere, funktionell relevante motorische Ausfälle
  • Relative Indikation
    • Bei über 6–12 Wochen anhaltenden, nicht auf intensive konservative Maßnahmen ansprechenden radikulären Schmerzen, die durch eine bildmorphologisch gesicherte Wurzelkompression verursacht sind.7,20
  • Zweck der Operation
    • Entlastung der Nervenwurzel durch Beseitigung von ausgetretenem Bandscheibengewebe
  • Methoden (aufsteigend nach dem Grad des Gewebeverlusts und der Rekonvaleszenzzeit)
    • perkutane lumbale Diskektomie (Nukleotomie)
    • mikrochirurgische Sequesterentfernung und/oder Diskektomie
    • Laminektomie
  • Bewertung der Methoden
    • Eine Diskektomie wirkt sich bei bestimmten Patienten, deren Zustand sich durch eine konservative Therapie nicht gebessert hat, nachweislich günstig aus.21
    • Die mikrochirurgische Vorgehensweise ist heute Standard. Sie scheint bessere Ergebnisse zu erzielen und komplikationsärmer zu sein als das konventionelle Verfahren.7
    • Die Indikation für eine perkutane Chemonukleolyse oder mechanisch perkutane Nukleotomie ist bislang nicht abschließend geklärt.
  • Komplikationen
    • Treten bei etwa 3 % der mikrochirurgischen Bandscheibeneingriffe auf.7
    • Schwere Komplikationen sind sehr selten.
  • Auswahl der Patient*innen
    • Die korrekte Indikationsstellung ist für das Operationsergebnis wichtiger als die Operationsmethode oder die Zahl der behandelten Nervenwurzeln.3
  • Zeitpunkt der Operation
    • Mit einem früheren Operationszeitpunkt scheint man gegenüber einer zunächst konservativen und späteren operativen Behandlung zwar eine schnellere Symptombesserung, aber keine besseren Langzeitergebnisse zu erreichen.11,22
  • Ambulante Operation
    • Bei Anwendung schonender Operationstechniken, kurzzeitig wirksamer Lokalanästhetika mit minimalen Nebenwirkungen, früher Nahrungszufuhr, multimodaler Schmerztherapie und konsequent früher Mobilisation können lumbale Bandscheibenschäden auch ambulant operiert werden.23
    • Es gibt Hinweise darauf, dass ambulant operierte Patient*innen rascher wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können.
    • Die Langzeitergebnisse decken sich mit denen bei stationär operierten Patient*innen.24
  • Postoperative Rehabilitation24
    • Eine Einschränkung körperlicher Aktivitäten ist nicht erforderlich.25
    • Intensive Trainingsprogramme, die etwa 4–6 Wochen nach der Operation beginnen, wirken sich günstig auf die Funktionalität aus und fördern eine rasche Rückkehr an den Arbeitsplatz.
      • Das Risiko, dass erneut operiert werden muss, erhöht sich durch ein solches Training nicht.
      • Welche Art von Training am besten geeignet ist und wann dieses idealerweise beginnen sollte, ist nicht abschließend geklärt.12,26

Konus-Kauda-Syndrom9-10

  • Bei rund 50 % der Patient*innen kann eine gestörte Blasenfunktion durch die operative Entlastung der Nervenwurzeln wiederhergestellt werden.
  • Ob eine Operation beim Konus-Kauda-Syndrom innerhalb 24 Stunden erfolgen sollte, oder ob ein Zeitfenster von 48 Stunden genügt, ist kontrovers.

Weitere Therapien

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.7
  • Es gibt kaum aussagekräftige Studien zur Behandlung von Patient*innen mit Radikulopathien nach Bandscheibenvorfall.
  • Physiotherapie
    • aktive Übungen (Krankengymnastik)
      • bei schmerzbedingt eingeschränkter Mobilität zur Korrektur von Fehlhaltung und Muskeltonus hilfreich
      • bei akuten Schmerzen kein eindeutiger Effekt auf Schmerz und Funktionsstatus
      • wichtig zur Funktionsverbesserung bei subakuten und chronischen Rückenschmerzen
    • Traktionsbehandlung
      • Kann vereinzelt Schmerzen lindern, erzielt aber keine nachhaltige Wirkung.5,27
    • manuelle Therapie
      • Spinale Mobilisationen sind beim akuten lumboradikulären Syndrom kontraindiziert.7,28
  • Rückenschule, rückenfreundliches Verhalten
    • Kommt vor allem bei rezidivierenden und chronischen Rückenschmerzen infrage und besonders beim Übergang eines akuten Rückenschmerzes mit Beinschmerzen in ein chronisches Stadium.
  • Kälte- und Wärmeanwendungen
    • Die Wirksamkeit kann mangels aussagekräftiger Studien nicht zuverlässig beurteilt werden. Lokale Wärmeanwendungen scheinen am ehesten bei Patient*innen mit akuten radikulären Schmerzen von Nutzen zu sein. Aktive Behandlungsformen sind grundsätzlich vorzuziehen, sobald die Betroffenen wieder ausreichend mobil sind.
  • Kombination von Bindegewebsmassage und Elektrotherapie
    • empirische Wirksamkeitshinweise auf Normalisierung des Muskeltonus bei akuter Radikulopathie mit ausgeprägtem Lokalsyndrom mit paravertebralem Hartspann
    • Sobald die betroffene Person ein ausreichendes Maß an Mobilität erreicht hat, soll jedoch aktiven Therapien der Vorzug gegeben werden.7
  • Verhaltenstherapie

Prävention

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.7
  • Man geht davon aus, dass körperliche Fitness sowie eine gut ausgebildete Rücken- und Bauchmuskulatur eine raschere Genesung fördern, zukünftige Schädigungen durch Bandscheibenvorfälle aber vermutlich nicht verhindern können.
  • Rauchen ist mit einem erhöhten Risiko für Bandscheibenvorfälle und Ischialgie assoziiert.
  • Rückentraining und rückenfreundliche Verhaltensweisen, etwa Sitzhaltung immer wieder wechseln und Bewegungselemente in den beruflichen Alltag integrieren (Rückenschule), sind vor allem in der Prävention und Behandlung chronischer Rückenschmerzen von Bedeutung.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Meistens allmähliche Besserung und schließlich komplette Remission der Beschwerden
  • Bei Personen mit zurückliegendem Bandscheibenschaden ist das Risiko erneuter Rückenschmerzen, Ischialgie oder Bandscheibenschäden erhöht.
  • Manche Patient*innen nehmen eine Vermeidungshaltung ein und bewegen sich weniger, was eine weitere Schwächung der Muskeln und funktionelle Rückenbeschwerden nach sich ziehen kann.

Komplikationen

  • Dauerhafte Nervenschäden, die zu funktionellen Beeinträchtigungen wie Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Blasenstörungen oder sexuellen Funktionsstörungen führen.

Prognose

  • Aufgrund der häufigen Spontanheilung meist günstige Prognose16
  • Eine Operation ist nur in 10 % der Fälle erforderlich.
  • Laut einer norwegischen Kohortenstudie mit 7-jähriger Nachbeobachtungszeit scheint eine Operation insbesondere kurzfristig zu guten Ergebnissen zu führen.
    • Demnach waren etwa 90 % der Patient*innen mit dem Ergebnis der Operation zufrieden, und etwa 80 % konnten ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen.
    • Bei etwa 50 % blieben Beschwerden einer Lumbago oder Ischialgie zurück, die jedoch leichter ausgeprägt waren als vor der Operation.
    • Langfristig wurde bei etwa 10 % der Patient*innen eine erneute Operation erforderlich.29

Prognostische Faktoren

  • Faktoren, die die Prognose nach einer Operation negativ beeinflussen:
    • pessimistische Haltung in Bezug auf die Heilung
    • Lang anhaltende postoperative Schmerzen, die eine Wiederaufnahme körperlicher Aktivitäten verhindern.
    • psychosoziale Probleme
    • Verminderte fibrinolytische Aktivität im Blut, die häufig in Verbindung mit Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel anzutreffen ist.
  • Frauen haben eine etwas bessere Prognose als Männer, wobei dies nicht für Mehrfachmütter gilt.
  • Am besten ist die Prognose nach einer Operation, wenn diese aufgrund typischer Nervenwurzelschmerzen und den Nachweis einer Wurzelkompression in der Bildgebung indiziert war.
  • Wenn eine Operation nicht zwingend indiziert ist, unterscheiden sich konservative und operative Therapie in der Langzeitwirkung kaum.
  • Je länger Patient*innen krankgeschrieben sind, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in den Beruf zurückkehren.29

Anerkennung als Berufskrankheit

  • Treten lumbale Bandscheibenschäden im Zusammenhang mit beruflichen Belastungen auf (langjährige, vorwiegend vertikale Ganzkörperschwingungen im Sitzen), können diese als Berufskrankheit anerkannt werden.30
  • Zuständig hierfür sind die gesetzlichen Unfallversicherungsträger.
  • Der Verdacht auf eine Berufskrankheit muss dort gemeldet werden (Meldebogen31).
  • Es wird eine ausführliche Arbeits- und Gefährdungsanamnese erhoben und ein Gutachten entscheidet über die Anerkennung als Berufskrankheit.
  • Dann können bestimmte Maßnahmen auf Kosten der GUV durchgeführt werden:
    • spezielle therapeutische Maßnahmen
    • Einstellung der gefährdenden Tätigkeit
    • Minderung der Erwerbsfähigkeit bis zur Zahlung einer Rente.32
  • Manchmal muss die Tätigkeit erst vollständig aufgegeben werden, damit die Anerkennung als Berufskrankheit erfolgen kann.

Verlaufskontrolle

  • In der akuten Phase sollte der Zustand betroffener Patient*innen regelmäßig kontrolliert werden.
  • Bei Anzeichen einer Verschlechterung (z. B. zunehmende Lähmungserscheinungen, Blasenstörungen oder perianale Hypästhesie) sollten Patient*innen unverzüglich ärztlichen Rat einholen.
  • Kontrollieren Sie die Wirkung der Schmerztherapie mittels visueller Analogskala und Entwicklung des Zustands (Verschlechterung oder Verbesserung).

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Die Erkrankung heilt in der Regel spontan aus und hat bei konservativer Therapie eine gute Prognose.
  • Zunehmende Lähmungserscheinungen, Blasen- oder Mastdarmfunktionsstörungen, Taubheit im Anal- oder Genitalbereich sowie sexuelle Dysfunktion sind Alarmsignale.
  • Es ist wichtig, dass Patient*innen nach der akuten Phase oder einer Operation möglichst rasch mobilisiert werden und ein körperliches Training mit allmählich zunehmender Intensität aufnehmen. Immobilisationen länger als 4 Tage sind zu vermeiden.7

Patienteninformationen in Deximed

Fragebogen

  • Deutscher Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz: painDETECT 

Illustrationen

Lumbaler Bandscheibenvorfall: Seitenansicht
Lumbaler Bandscheibenvorfall, Seitenansicht
Bandscheibenvorfall: Querschnitt der Bandscheibe
Bandscheibenvorfall, Querschnitt der Bandscheibe
Dermatome
Dermatome
Lasegue-Test.jpg
Lasègue-Test

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Lumbale Radikulopathie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-058. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
  • Nationale Versorgungsleitlinie (NVL-Programm) der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-007. S3, Stand 2016. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114. S2k, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

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  2. Borenstein DG, O'Mara JW Jr, Boden SD, et al. The value of magnetic resonance imaging of the lumbar spine to predict low-back pain in asymptomatic subjects. J Bone Joint Surg Am 2001; 83-A (9): 1306-11. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Waddell G (Hrsg.): The back pain revolution. Edinburgh, London, New York, Oxford, Philadephia, St Louis, Sydney, Toronto: Churchill Livingstone, 2004.
  4. Nationale Versorgungsleitlinie (NVL-Programm) der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-007, Klasse S3, Stand 2016. www.awmf.org
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  7. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Lumbale Radikulopathie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-058, Klasse S2k, Stand 2018. www.awmf.org
  8. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie 030-114, Klasse S2k, Stand 2019. www.awmf.org
  9. Lavy C, James A, Wilson-MacDonald J, Fairbank J. Cauda equina syndrome. BMJ 2009; 338: b936. BMJ (DOI)
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  30. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dortmund. Merkblätter und wissenschaftliche Begründungen zu den Berufskrankheiten der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), zuletzt aktualisiert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. Dezember 2014. Zugriff 24.1.2017. www.baua.de
  31. DGVU Formtexte für Ärzte: Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit. www.dguv.de
  32. Mehrtens, G. Valentin, H. Schönberger, A. Arbeitsunfall und Berufskrankheit : rechtliche und medizinische Grundlagen für Gutachter, Sozialverwaltung S.878ff. Berlin: Erich Schmidt Verlag 9: Auflage, 2017.

Autoren

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Stig Fossum, fysioterapeut, specialkompetens inom muskel- och skelettsjukdomar, Moholt Fysioterapi, Trondheim
  • Pål Kristensen, specialist i allmänmedicin, Ranheim legesenter, Trondheim
  • Even Lærum, professor i allmänmedicin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Universitetet i Oslo
  • Magne Rø, överläkare, Fysikalsk medisinsk avdeling, Regionsykehuset i Trondheim, og försteamanuens Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
  • Espen Dietrichs, professor och avdelningsöverläkare, Universitetet i Oslo og Nevrologisk avdeling, Rikshospitalet, Oslo

 

 

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