Definition: Das postkommotionelle Syndrom ist eine Erkrankung mit anhaltenden Beschwerden, die nach einem meist milden Schädel-Hirn-Trauma auftritt. Die Ätiologie des Syndroms ist umstritten, vermutlich handelt es sich um eine multifaktorielle Genese mit neuropathologischen und psychologischen Faktoren.
Häufigkeit: Die Angaben zur Häufigkeit sind aufgrund verschiedener Diagnosekriterien sehr uneinheitlich. Bei 30–80 % der Patienten treten nach einem leichten bis mittelschweren Schädel-Hirn-Trauma Symptome des postkommotionellen Syndroms auf.
Symptome: Es handelt sich um einen Symptomkomplex aus somatischen, kognitiven und psychologischen Beschwerden. Typisch sind Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen.
Befunde: Es gibt in der Regel keine klinischen Befunde, jedoch ist eine neurologische Beurteilung erforderlich.
Diagnostik: Körperliche und neurologische Untersuchung. Weiterführende Diagnostik in den meisten Fällen zum Ausschluss anderer (hirn-)organischer Ursachen der Symptome: zerebrale Bildgebung, apparative neurologische Diagnostik, psychiatrische Diagnostik.
Therapie: Es gibt keine spezifische Therapie zur Vorbeugung oder Behandlung des postkommotionellen Syndroms. Die Behandlung erfolgt daher symptomorientiert und meist mit einer Kombination aus medikamentöser und psychoedukativer Therapie.
Allgemeine Informationen
Definition
Das postkommotionelle Syndrom bezeichnet fortbestehende Symptome nach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma (Commotio cerebri).1-2
Leichtgradige Schädel-Hirn-Traumata (Glasgow Coma Scale 15–13) werden auch als Gehirnerschütterung bezeichnet und machen in Deutschland 91 % aller Schädel-Hirn-Verletzungen aus.3
Obwohl das Syndrom meist nach leichtem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) auftritt, kann es sich auch nach mittelgradigem oder schwerem SHT oder einem Schleudertrauma entwickeln.
Das postkommotionelle Syndrom manifestiert sich in einer Kombination aus somatischen, kognitiven und affektiven Symptomen.1,4
Typische Beschwerden sind Kopfschmerzen, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Leistungsminderung, Schwindel und Übelkeit, die nach dem Ereignis über Wochen bis Monate fortbestehen.
Auch bei Kindern tritt das postkommotionelle Syndrom insbesondere nach milden Kopfverletzungen auf und kann Auswirkungen auf die Lebensqualität haben.5
Die Häufigkeit und die Ursachen eines postkommotionellen Syndroms sind umstritten und noch nicht abschließend geklärt.1-2,6-7
Sowohl somatische als auch psychische Faktoren bei der Entstehung werden diskutiert.
Zu unterscheiden sind Verletzungsfolgen nach höhergradigem Schädel-Hirn-Trauma.
Auch wenn die Ätiologie umstritten ist, handelt es sich gemäß der WHO-Definition um ein häufiges Krankheitsbild, das eine Belastung für die Betroffenen darstellt.4
Die Erkrankung mit potenziell komplexen Mechanismen sollte nicht als hysterische Übertreibung alltäglicher Beschwerden abgetan werden.7
Ziel der Behandlung ist die Besserung der Symptome.
Häufigkeit
30–80 % entwickeln nach leichten bis mittelgradigen Schädel-Hirn-Traumata Symptome eines postkommotionellen Syndroms.2,6
große Variabilität in Angaben zur Häufigkeit durch unterschiedliche diagnostische Kriterien8
Die Prävalenz von posttraumatischen, chronischen Kopfschmerzen liegt einer Metaanalyse zufolge bei 57,7 %.7
nach milder Kopfverletzung in 75,3 % der Fälle, nach schwerer Kopfverletzung in 32,1 % der Fälle
häufiger bei vorbestehenden chronischen Kopfschmerzen
Frauen und ältere Menschen sind häufiger betroffen.9-10
Die betroffene Patientengruppe ist heterogen, mit unterschiedlichen Graden der Kopf- und Gehirnverletzungen.
Individuelle Merkmale und Vorerkrankungen der Patienten können die Manifestation des Syndroms beeinflussen.
In einer Studie wurden Patienten nach mildem Schädel-Hirn-Trauma mit Patienten nach kleinerem orthopädischem Eingriff verglichen.7
nach 3 Monaten Kopfschmerzen bei 15,3 % der Patienten mit Kopfverletzung und nur 2,2 % in der Kontrollgruppe
Pathophysiologie
Es gibt verschiedene Theorien zur der Pathogenese des postkommotionellen Syndroms.
Sowohl hirnorganische als auch psychologische Faktoren werden diskutiert.
Inzwischen wird meist von einer multifaktoriellen Genese beider Mechanismen ausgegangen.1
Vermutlich stehen in der akuten Phase hirnorganische Ursachen im Vordergrund während bei einem chronischen Verlauf psychosoziale Faktoren an Bedeutung zunehmen.
Neuropathologische Mechanismen
Nach Schädel-Hirn-Trauma verschiedener Intensität kann es vermutlich zu diffusen und fokalen Hirnschäden mit strukturellen und biochemischen Veränderungen kommen.7
Sowohl nach schweren als auch nach milden Kopfverletzungen kann es zu einer diffusen axonalen Schädigung kommen.1,7,11-12
Axone der weißen Substanz scheinen besonders vulnerabel zu sein.
Eine axonale Schädigung kann verzögert auftreten.1
Eine Studie zeigte eine Abnahme der grauen Substanz in bestimmten Hirnbereichen in der MRT nach Schleudertrauma.7
Die Veränderungen bildeten sich meist nach etwa 1 Jahr, gleichzeitig mit den Kopfschmerzen, zurück.
In der Bildgebung (SPECT, PET und funktionelle MRT) wurden Bereiche mit anomaler Hirnaktivität aufgezeigt.1,13
oft kein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Veränderungen und dem Grad der Symptome
In der fMRT konnten Veränderungen im Arbeitsgedächtnis nachgewiesen werden, die mit dem Ausmaß der Symptome korrelierte.
Veränderungen in apparativen elektrophysiologischen Untersuchungen (visuelle evozierte Potenziale) bei einem protrahierten postkommotionellen Symdrom unterstützen eine neuropathologische Grundlage.1
Ein erhöhter Wert des S‐100B Proteins, ein Marker von Hirnschädigung, wurde bei Patienten mit posttraumatischen Kopfschmerzen nachgewiesen.7
Psychologische Faktoren
Die Angst vor bleibenden Hirnschäden kann zur selektiven Wahrnehmung und Fokussierung auf die Symptome führen.4
pathologische Befunde in der neurologischen Untersuchung
pathologische Befunde in der apparativen Diagnostik (z. B. Bildgebung).
Hinweise auf eine andere organische Erkrankung sind z. B. gastrointestinale oder urogenitale Beschwerden, motorische oder sensible Defizite oder epileptische Anfälle.17
Bestärkung, kognitives Training und Verhaltenstherapie können die Beschwerden bei langwierigen Verläufen lindern und das Outcome verbessern.1,31
Etwa 16 % der Patiennten mit unbehandeltem postkommotionellem Syndrom könnten durch kurze psychiatrische Behandlung Symptomfreiheit erlangen.1
Die Vermittlung von Stressbewältigungs- und Entspannungstechniken kann in manchen Fällen hilfreich sein.10
Psychoedukative Interventionen
Ein Wissen über das Syndrom, die Häufigkeit und den Verlauf kann den Betroffenen im Umgang mit ihren Beschwerden helfen.10,32
Eine Aufklärungsmaßnahme mit Informationsbroschüre innerhalb von 5–7 Tagen nach der ursächlichen Kopfverletzung konnte die Rate von Symptomen und Belastung 3 Monate nach dem Ereignis senken.33
Aktive Rehabilitation
Aerobe körperliche Aktivität in niedriger Intensität, Gleichgewichtsübungen und andere Maßnahmen können den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflussen.31
Empfehlungen für Patienten
Nach einer Kopfverletzung ausreichend Erholung bis zur Besserung der Symptome34
Dabei ist es wichtig, nach einem gewissen Zeitraum wieder einen aktiven Lebensstil zu führen, da dies die Beschwerden günstig beeinflusst.31
Patienten sollten sich über die Erkrankung, ihre Häufigkeit und meist gutartigen Verlauf informieren.
Diese Erkenntnis scheint den Verlauf des Syndroms günstig zu beeinflussen.32
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Symptome und Beschwerden in Zusammenhang mit einem postkommotionellen Syndrom treten bei den meisten Patienten innerhalb von 7–10 Tagen auf.
Eine Studie zeigt, dass kognitive und emotionale Symptome während der ersten Woche schrittweise zunehmen und danach wieder abnehmen, während die somatischen Symptome stetig zurückgehen.19
Nach einem Monat bessern sich die Symptome in den meisten Fällen, häufig persistieren jedoch Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen.19,26
Drei Monate nach der ursächlichen Kopfverletzung bestand in den meisten Fällen Symptomfreiheit.4,19,27
Kopfschmerzen als häufigstes, persistierendes Symptom (etwa 5 %)
Nach einem Jahr beschreiben noch etwa 10–15 % der Patienten weiterhin Symptome, und in manchen Fällen kann das postkommotionelle Syndrom zu bleibenden Einschränkungen führen.2,35
Gründe können eine unzureichende Therapie, übermäßiger Gebrauch von Analgetika oder Komorbidität sein.36
Komplikationen
Einschränkung des alltäglichen Lebens und der Arbeitsfähigkeit
Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie. Schädel-Hirn-Trauma im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlinie Nr. 008-001. S2e, Stand 2015. www.awmf.org
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