Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2
Red Flags |
Abwendbar gefährlicher Verlauf |
Fieber > 38,5 °C, Schüttelfrost, ggf. akuter Verwirrtheitszustand Z. n. Gelenkpunktionen, Operationen, operativer Gelenkersatz |
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Trauma mit:
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Fraktur, Hämarthros, Hydrops, Gefäßverletzung, Nervenschädigung oder Nervenkompression |
Entzündungszeichen:
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septische Arthritis, Osteomyelitis, Tumor |
Bewegungseinschränkung, blockiertes Gelenk |
Hämarthros, Hydrops, Osteochondrosis dissecans |
Intravenöser Drogenabusus |
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Hämophilie |
Hämarthros |
Allgemeine Informationen
Definition
- Übersichtsartikel zu den hausärztlich am häufigsten anzutreffenden Krankheitsbildern, die Knieschmerzen verursachen können.
Häufigkeit
- 12-Monats-Prävalenz von Knieschmerzen in Deutschland
- 17,3 % der Frauen und 15,1 % der Männer
Diagnostische Überlegungen
- Atraumatische Knieschmerzen können diverse Ursachen haben, deren Häufigkeit sich je nach Alter unterscheidet.
Beibei Säuglingen oder Kleinkindern vor allem angeborene Pathologien oder entzündlich bedingte Krankheitsbilder.Beibei Kindern oft Wachstumsschmerzen (typischerweise bilateral und vor allem abends und nachts).- Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Krankheitsbilder wie Morbus Osgood-Schlatter oder Osteochondrosis dissecans in Betracht ziehen.
- Bei sportlich aktiven Erwachsenen häufig Überlastungserscheinungen.
- Bei älteren Menschen stehen degenerative Krankheitsprozesse und internistische Erkrankungen (u. a. Gicht, Rheuma) im Vordergrund.
- Zudem sollte an Ursachen gedacht werden, die ihren Ursprung nicht im Kniegelenk haben, sondern Richtung Knie ausstrahlen (
beispielsweisez. B. von der Lendenwirbelsäule, Hüftgelenk oder bei Thrombose in der Wade).
ICPC-2
- L15 Kniesymptomatik/-beschwerden
ICD-10
- M25.56 Gelenkschmerz: Unterschenkel (Fibula, Tibia, Kniegelenk)
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnosen atraumatischer Knieschmerzen in Abhängigkeit vom Alter
- Auflistung entsprechend nachfolgender Referenz
- Säuglinge und Kleinkinder
Angeboreneangeborene Kniegelenk-/Patellaluxation- Scheibenmeniskus
- Fehlstellungen
- Arthritis
- Osteomyelitis
- Epiphysenlösung
- M. Perthes (ausstrahlende Schmerzen vom Hüftgelenk)
- Jugendliche und junge Erwachsene
- Ältere Erwachsene
- Gonarthrose
Degenerativedegenerative Meniskusläsion- Gicht
Rheumatischerheumatische Arthritis- M. Ahlbäck (aseptische Knochennekrose der Femurkondyle)
- Tumoren
Differenzialdiagnosen traumatischer Knieschmerzen
- Bei Kindern sind die Bänder oft stärker als der Knochen, sodass es beispielsweise eher zu Avulsionsfrakturen (Ausrissfrakturen) als zu einem Kreuzbandriss kommt.
- In allen Altersklassen sollte nach einem Trauma eine systematische klinische Untersuchung des Kniegelenks erfolgen, um die
potentiellpotenziell verletzten Strukturen zu identifizieren. - Insbesondere bei einem posttraumatischen Kniegelenkserguss besteht ein hochgradiger Verdacht auf eine Binnenschädigung des Kniegelenks.
- Auswahl häufiger traumatischer Kniegelenksverletzungen
- Osteochondrosis dissecans (kann auch ohne schweres Trauma als Folge repetitiver Mikroverletzungen auftreten)
- Ruptur des vorderen Kreuzbands
- Ruptur des hinteren Kreuzbands
- Ruptur des lateralen Seitenbands
- Ruptur des medialen Seitenbands
- Meniskusläsion
- Fraktur im Bereich des Kniegelenks
Anamnese
- Berufliche Tätigkeit und sportliche Aktivitäten
- Hieraus ergeben sich meist der Funktionsanspruch ans Kniegelenk und damit auch das angestrebte Therapieziel.
- Grunderkrankungen (auch in der Familie), die zu Gelenkbeschwerden führen können, u. a.:
- Medikamente
Insbesondereinsbesondere Blutverdünner bei Trauma und Gelenkschwellung.
- Beginn der Schmerzen
AkutakutMeistmeist nach TraumaBeibei Trauma genaue Beschreibung des Unfallmechanismus
SubakutsubakutMeistmeist Überlastungsschäden- Neue, intensive Belastung für Kniegelenk?
SchleichendschleichendBeibei degenerativen Erkrankungen
- Lokalisation der Schmerzen
- Davos-Methode (
"„Da wo's wehtut"“): Patient*in soll mit Finger auf schmerzhafte Stelle zeigen.- Punktuelles Zeigen mit dem Finger gibt häufig einen guten Hinweis auf die verletzte Struktur (z. B. Tuberositas tibiae bei M. Osgood-Schlatter).
- Zeigen mit
gesamterder gesamten Hand deutet oft auf entzündliche Prozesse hin, z. B. bei Gonarthrose.
- Davos-Methode (
- Schmerzauslösende Bewegungen
Schmerzhafteschmerzhafte Hocke klassisch bei Meniskusverletzungen und GonarthroseSchmerzhaftesschmerzhaftes Knien Anhalt für präpatellare Bursitis
- Art der Schmerzen
- Anlaufschmerz und später Nacht- und Dauerschmerz bei Arthrose
Belastungsabhbelastungsabhängige Schmerzen häufig bei Überlastungsschäden
- Blockierungen im Kniegelenk
Typischtypisch für Osteochondrosis dissecans und Meniskusläsion (Korbhenkel-Riss)
- Instabilitätsgefühl (
"giving-way"„Giving Way“)Klassischklassisch beiKreuzband-VerletzungenKreuzbandverletzungen
- Vorherige Verletzungen des Kniegelenks und Operationen
- Beispielsweise ist eine stattgehabte Kreuzbandruptur ein starker Risikofaktor für sekundäre Gonarthrose.
- Bei Kniegelenkserguss unklarer Genese (kein Trauma)
Vorherigevorherige InfektionenInsbesondereinsbesondere urogenitale, enterische und respiratorische Infekte mögliche Trigger für reaktive Arthritis- Zustand nach Zeckenbiss Anhalt für Lyme-Borreliose
- Infiltrationen ins Kniegelenk oder Operationen
- Keimverschleppung mit bakterieller Arthritis möglich
- Weitere Beschwerden
- Insbesondere o. g. Red Flags sind relevant, wie Fieber, Schüttelfrost oder schweres Krankheitsgefühl als Anhalt für bakterielle Arthritis.
Klinische Untersuchung
- Siehe auch den Untersuchungskurs der Universität Freiburg – Kniegelenk.
Allgemeines
- Die klinische Untersuchung sollte stets mit entkleideten Beinen im Seitenvergleich erfolgen.
- Das gesunde Knie sollte zuerst untersucht werden, damit Patient*in entspannt bleibt und sich nicht wegen Schmerzen verkrampft.
Inspektion
- Gangbild
- Muskeldefizit
Beibei chronischen Beschwerden oft Atrophie des Vastus medialis vom Quadrizepsmuskel.
- Fehlstellungen (Patient*in stehend)
- Beinachse: Ausgeprägtes Genu varum oder valgum?
- Füße: Deformitäten wie Plattfüße oder Hohlfüße
- Beckenschiefstand
- Kniegelenk
- Rötung
- Schwellung
- Hautverletzungen bei Trauma
Palpation
- Überwärmung
- Druckdolenz und Auswahl möglicher Pathologien
Üüber Verlauf vom medialen/lateralen Kollateralband bei Verletzungen der SeitenbänderMedialermedialer/Lateraler Gelenkspalt bei Meniskusschäden- Patella bei Bursitis
präpatellarispraepatellaris, Patellafrakturen oder retropatellarem Knorpelschaaden - Patellaspitze bei Patellaspitzensyndrom oder M. Sinding-Larsen
- Tuberositas tibiae bei Kindern M. Osgood-Schlatter
- Pes anserinus bei Tendopathie der dort ansetzenden Sehnen (Mm. gracilis, sartorius, semitendinosus)
- Schwellung
"„Tanzende Patella"“: Durch Ausstreichen des Recessus suprapatellaris nach kaudal und anschließendenendem Druck auf die Patella gerät diese ins"„Tanzen"“.Poplitealepopliteale Schwellung meist Baker-Zyste
Funktionstests
- Für die Durchführung der Funktionstests siehe den Untersuchungskurs der Universität Freiburg – Kniegelenk.
- Bewegungsausmaß der Extension und Flexion
Isometrischeisometrische Testung der Kraft gegen Widerstand
- Stabilität der Seiten- und Kreuzbänder
- Provokationstests der Menisken
GgfsGgf. Untersuchung angrenzender Gelenke (LWS, Hüftgelenk)
Ergänzende Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
Blutuntersuchungen
- Zum Ausschluss rheumatischer Erkrankungen, Gicht und septischer Arthritis
- BSG, CRP, Harnsäure, Leukozyten und Rheumaserologie
Ergänzende Untersuchungen bei Spezialist*ininnen
Leitlinie: Mögliche apparative Diagnostik bei speziellen Fragestellungen4
- Arthroseschmerzen: Röntgen Kniegelenk in zwei Ebenen (a. p. im Stehen oder Rosenbergaufnahme) und Patella tangential
- Grobe Achsabweichung in der Frontalebene: Ganzbeinstandaufnahme
- Schwellung: Sono, ggf. Punktion – intraartikulär? Bursa? Baker-Zyste?
- Rötung, Überwärmung: Serologie
- Meniskuszeichen, Kreuzbandinstabilität, Synovialitis, unklare Beschwerdesymptomatik: MRT
- Knochendefekte, einschl. posttraumatisch: CT
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung
- Bei traumatisch bedingten Beschwerden mit signifikanter Beschwerdesymptomatik (u. a. starke Schmerzen, Instabilität, Gelenkblockierung) Überweisung an Unfallchirurg*in
. - Bei chronischen Beschwerden, die nicht auf konservative Therapie ansprechen, Überweisung an Orthopäd*in.
- Bei o. g. Red Flags umgehende Überweisung an Spezialist*in oder Einweisung in ein Krankenhaus
.
Checklisten zur Überweisung
Schmerzen im Kniegelenk
Zweck der ÜberweisungDiagnosesicherung? Arthroskopie?Therapie
? Operation? Sonstiges?
AnamneseDauer und Beginn: Ausgelöst durch Trauma oder durch Überlastung? Verlauf, Rezidiv, evtl. Progression? Spezielle physische Belastungen bei der Arbeit oder beim Sport?Symptome und Beschwerdebilder: Schmerzen (Lokalisierung, Aktivitäten, die Schmerzen hervorrufen, Schmerzen in Ruhe, nächtliche Schmerzen)? Muskelschwäche? Schwellungen? Funktionseinschränkung? Allgemeinsymptome (Fieber, Müdigkeit, Gewichtsverlust)?Erfolgte Therapien und Behandlungsergebnisse?Andere relevante Erkrankungen?Derzeitige Medikamente?Berufliche, soziale oder sonstige Konsequenzen?
Klinische UntersuchungAnzeichen einer allgemeinen Erkrankung? Anzeichen einer lokalen Infektion oder Entzündung? Lokalisation der Schmerzen?Ergebnisse der systematischen Funktionsprüfung: Inspektion, Palpation, passive Bewegungen, isometrische Tests, neurologische Untersuchung, eventuelle Spezialtests?
Ergänzende UntersuchungenBSG,CRP,HarnsäureundRheumaserologiebei Verdacht auf Gicht oder rheumatische Erkrankungevtl. Röntgen oder MRT
Therapie
Allgemeines
- Durch allgemeine konservative Maßnahmen kann ein Großteil der Knieschmerzen gelindert werden (PECH-Schema).
- Pause (bzw. Belastungsminderung)
- Eis
- Kompression
- Hochlegen des Kniegelenks
- Zusätzlich können topische oder systemische NSAR mit antiphlogistischer und analgetischer Wirkung empfohlen werden.
Beispielsweisez. B. Diclofenac-Salbe 1–2 xtäglichtgl. und Ibuprofen 600 mg 1-–0-–1 für 3–5 Tage (caveCave: Kontraindikationen und Wechselwirkungen!)
- Weitere
nicht-medikamentnichtmedikamentöse Maßnahmen umfassen u. a.Sportlichesportliche Betätigung (kardiovaskuläres Training, Krafttraining, Wassergymnastik, Spazierengehen, Eigenübungen)- Gewichtsreduktion (bei Übergewicht)
Psychologischepsychologische Interventionen (bei Co-Morbidität, Schmerzbewältigung, Verhaltenstherapie)Ausgleichendeausgleichende (valgisierende bzw. varisierende) Schuheinlagen- Gehhilfen, wenn nötig
- Bei Beschwerdepersistenz unter diesen Maßnahmen, Auftreten von Red Flags oder dem Verdacht auf schwerwiegende Verletzungen (z. B. Fraktur) Überweisung zur Weiterbehandlung an orthopädische/unfallchirurgische Praxis.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Video
Illustrationen

Knie mit Kreuzband, Menisken und Knie-Seitenband
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC).
LeitlinieGonarthrose. AWMF-Leitlinie Nr. 033-004.- 004S2k, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
- Schaufelberger M, Meer A, Furger P, Derkx H et al.. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
- Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
- Emmert D, Rasche T, Stieber C, et al. So behandeln Sie das schmerzende Knie. MMW - Fortschritte der Medizin 2018; 160: 58-64. link.springer.com
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC). Leitlinie Gonarthrose. AWMF-Leitlinie Nr. 033 - 004, Stand 2017 www.awmf.org
- Hochberg MC, Altman RD, April KT, Benkhalti M, Guyatt G, McGowan J, et al. American College of Rheumatology 2012 recommendations for the use of nonpharmacologic and pharmacologic therapies in osteoarthritis of the hand, hip, and knee. Arthritis Care & Research 2012; 64(4): 465-74. pmid:22563589 PubMed
- McAlindon TE, Bannuru RR, Sullivan MC, et al. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee osteoarthritis. Osteoarthritis and Cartilage 2014; 22: 363-88. doi:10.1016/j.joca.2014.01.003 DOI
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt
JanosDieSolyomursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL,överläkare, ortopedkliniken, Sahlgrenska universitetssjukhuset, MölndalStig Fossum, fysioterapeut, specialkompetens inom muskel- och skelettsjukdommar, Moholt Fysioterapi, TrondheimGunnar Husby, professor i reumatologi, Oslo Sanitetsforenings Revmatismesykehus, Universitetet i Oslo och Rikshospitalet, OsloPål Kristensen, specialist i allmänmedicin, Ranheim legesenter, TrondheimMagne Rø, överläkare Fysikalsk medisinsk avdeling, Regionsykehuset i Trondheim, och försteamanuens, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheimhttps://legehandboka.no/).