Zusammenfassung
- Definition:Zu den Frakturen im Kniegelenk zählen die Patellafraktur, Frakturen der Femurkondylen, die Fraktur der Eminentia intercondylaris tibiae, die Fraktur der Tuberositas tibiae, die Fraktur des Tibiaplateaus und Abrissfrakturen der Ligamentansätze.
- Häufigkeit:Häufige Verletzungen bei Verkehrsunfällen und Sport, vor allem bei jüngeren Patient*innen.
- Symptome:Direktes oder indirektes Trauma, das zu Schmerzen, Funktionseinschränkung und Schwellung des Kniegelenks führt.
- Befunde:Druckschmerz über Fraktur, ggf. Prellmarke. Aktives und/oder passives Bewegungsausmaß eingeschränkt. Weichteilschwellung und Gelenkerguss (Hämarthros). Evtl. Deformität und palpable Krepitation.
- Diagnostik:Röntgen, evtl. ergänzt durch CT (komplexe Fraktur) oder MRT (V. a. Weichteilverletzung). Ggf. diagnostische Gelenkpunktion (Hämarthros? Fettaugen?)
- Therapie:Bei stabilen, nicht-dislozierten Frakturen ohne Gelenkstufe meist konservative Therapie. Ansonsten operative anatomische Rekonstruktion und Osteosynthese.
Allgemeine Informationen
Definition
- Frakturen im Kniegelenk1
- Patellafraktur
- Frakturen der Femurkondylen
- Fraktur der Eminentia intercondylaris tibiae
- Die isolierte Fraktur der Eminentia intercondylaris tibiae ist als Abrissfraktur (= Avulsionsfraktur) des Tibiaansatzes des vorderen Kreuzbandes zu verstehen.
- Fraktur der Tuberositas tibiae
- häufige Avulsionsfraktur bei Jugendlichen
- Tibiakopffraktur
- Abrissfraktur am Ligamentansatz; allgemein treten Abrissfrakturen meistens bei Kindern auf, bei denen die Bänder stärker sind als die Knochen (s. o. Fraktur der Eminentia intercondylaris tibiae).
Häufigkeit
- Patellafrakturen, Frakturen der Femurkondylen und Tibiafrakturen treten vor allem bei jüngeren Patient*innen in Verbindung mit sportlichen Aktivitäten oder Verkehrsunfällen auf.
- Avulsionsfrakturen finden sich besonders bei Kindern und Jugendlichen mit noch nicht verknöcherten Apophysen.
Ätiologie und Pathogenese
- Frakturen im Kniegelenk können durch direkte und indirekte Traumata verursacht werden.
- Bei jungen Menschen sind oft Verkehrsunfälle und Sportverletzungen ursächlich, bei älteren Menschen (Stolper-)Stürze.
- Der gleiche Unfallmechanismus kann abhängig vom Alter und der Knochen- sowie Bandstruktur zu unterschiedlichen Verletzungen führen.
- Beispielsweise kann ein Varustrauma am Kniegelenk bei jüngeren Menschen eine Ruptur lateraler Ligamente verursachen, während es bei älteren Menschen eher zur Fraktur der medialen Tibiakondyle kommen kann.
Prädisponierende Faktoren
- Sport mit Gegnerkontakt, Sprints und Sprüngen
- Osteoporose
ICPC-2
- L76 Fraktur, andere
ICD-10
- S72.4 Distale Fraktur des Femurs
- S82.0 Fraktur der Patella
- S82.1 Fraktur des proximalen Endes der Tibia
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Typische Anamnese, klinische Untersuchung und Bestätigung durch Röntgen
Differenzialdiagnosen
- Knieprellung
- Verletzungen der Binnenstrukturen des Kniegelenks
Anamnese
- Beschreibung des Unfallmechanismus
- Aus welcher Richtung und mit welcher Kraft kam das Trauma?
- In welcher Position war das Kniegelenk beim Trauma?
- Vorangegangene Verletzungen des Kniegelenks
- Funktionsanspruch ans Kniegelenk
- berufliche Tätigkeit
- sportliche Aktivitäten
- Symptomatik
- Schmerzen
- Schwellung
- Funktionseinschränkung
- Instabilitätsgefühl?
- Bei offenen Wunden: Tetanusstatus?
Klinische Untersuchung
- Inspektion2
- Prellmarken?
- Hautverletzungen?
- Vorbestehende Narben?
- Muskelstatus (Vergleich rechts/links als Hinweis auf Vorschaden)
- Weichteilschwellung?
- Intraartikulärer Kniegelenkserguss (Hämarthros)?
- Offensichtliche Fehlstellung eines Knochens?
- Palpation der Knochen und Bandverläufe/-ansätze
- Druckschmerz über Frakturstelle, ggf. Krepitation
- Funktionsprüfung2
- pDMS distal der Frakturstelle
- aktive und passive Bewegungsprüfung (soweit schmerzbedingt möglich)
- Untersuchung der Kniebandstabilität (soweit schmerzbedingt möglich)
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Röntgen
- Kniegelenk in 2 Ebenen
- CT
- zur genaueren Darstellung von komplexen Frakturen und präoperativen Planung
- MRT
- bei Verdacht auf Verletzungen von Bändern oder Menisken
- Gelenkpunktion
- sowohl diagnostisch (Hämarthros? Fettaugen als Zeichen für Fraktur) als auch therapeutisch zur Schmerzlinderung
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf eine Fraktur Überweisung an Unfallchirurg*in
Therapie
Therapieziele
- Wiederherstellung der normalen Gelenkanatomie und Funktion des Kniegelenks
Allgemeines zur Therapie
- Die Therapie hängt von der Art der Fraktur und dem Grad der Dislokation ab.
- Generell können einfache Frakturen ohne signifikante Dislokation und ohne Gelenkstufe in der Regel konservativ versorgt werden. In allen anderen Fällen ist eine operative anatomische Rekonstruktion mittels Osteosynthese notwendig.
- Im Verlauf erfolgt eine frühfunktionelle Beübung, um eine Steifheit des Knies und thrombembolische Ereignisse zu verhindern.
Akuttherapie
- PECH-Schema
- Pause
- Eis
- Kompression
- Hochlegen
- Zusätzlich ausreichende Analgesie
- Unterarm-Gehhilfen
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Sowohl bei konservativer als auch operativer Therapie wird eine frühfunktionelle Beübung angestrebt, um Funktionseinbußen und thrombembolische Komplikationen zu vermeiden.
Komplikationen
- Neurovaskuläre Begleitverletzungen
- Arteria poplitea gefährdet bei Trümmerfraktur des distalen Femurs oder des Tibiaplateaus
- Nervus peronaeus gefährdet bei proximaler Fibulafraktur
- Muskellogensyndrom, vor allem bei schweren Weichteilverletzungen
- Infektion des Weichgewebes und/oder Osteomyelitis bei offener Fraktur
- Verletzungen der Kniebinnenstrukturen (Kreuzbänder, Menisken)
- Posttraumatische Gonarthrose
Prognose
- Prognose abhängig von Schweregrad der Fraktur und Begleitverletzungen.
- Bei erhaltener Kongruenz der Gelenkflächen und stabilen Frakturen ist eine gute Prognose zu erwarten.
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Patellafraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 012-017. S2e, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
- Steele M. Knee fracture. Medscape, last updated Apr 13, 2020. emedicine.medscape.com
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Patellafraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 012-017, Stand 2020. www.awmf.org
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).