Definition der kardiologischen Rehabilitation gemäß NVL
Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2
Prozess, bei dem herzkranke Patient*innen mithilfe eines multidisziplinären Teams darin unterstützt werden, die individuell bestmögliche physische und psychische Gesundheit sowie soziale Integration wiederzuerlangen und langfristig aufrechtzuerhalten.
Die kardiologische Rehabilitation umfasst 4 Bereiche:
somatischer Bereich: Eingangs- und Abschlussuntersuchung, medikamentöse Therapie, Trainingstherapie
edukativer Bereich: Aufklärung und Beratung, Schulung sowie Unterstützung bei der Verhaltensmodifikation
sozialer Bereich: sozialmedizinische Beratung, ggf. Einbindung von Angehörigen.
Ziele und Zielkonflikte der kardiologischen Rehabilitation
Ziele der kardiologischen Rehabilitation
Die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (DGPR) definiert operationalisierbare Ziele, die eine Evaluation des Rehabilitationserfolgs ermöglichen sollen:3
Verbesserung der Lebensqualität durch:
Verbesserung der körperlichen Funktion und Leistungsfähigkeit
Reduktion der Beschwerden
Stabilisierung des psychischen Befindens (Krankheitsbewältigung, Umgang mit der Erkrankung im Alltag, Bewältigung von Angst und Depression etc.)
Sicherstellung der sozialen Wiedereingliederung und Teilhabe (Familie, Beruf, Erhaltung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit)
Vermeidung vorzeitiger Berentung oder Pflege
Verbesserung des klinischen Verlaufs und Prognose durch:
Nachhaltige Senkung des individuellen kardiovaskulären Risikos
Senkung der Mortalität und Morbidität
Reduktion/Verhinderung vermeidbarer Krankenhausaufenthalte und Eingriffe
Zielkonflikte
Die DGPR empfiehlt für einen bestmöglichen Rehabilitationserfolg, in Zusammenarbeit mit den Patient*innen Zielkonflikte anzusprechen, transparent zu machen und so weit wie möglich einer konstruktiven Lösung zuzuführen:3
Individuelle Ebene
Diskrepanz zwischen ärztlichen Anforderungen und Wünschen/Möglichkeiten der Patient*innen
Risikobelasteter Lebensstil ist Teil eines bewussten individuellen Lebenskonzeptes oder dient als Kompensation persönlicher und/oder sozialer Einschränkungen.
Möglichkeiten der beruflichen Wiedereingliederung aus ärztlicher Sicht widersprechen den Wünschen/Möglichkeiten aus Patientensicht.
Gesellschaftliche Ebene
Subjektiv erlebte und/oder reale Zwänge beeinflussen Risikoverhalten, Veränderungs- oder Wiedereingliederungsbereitschaft der Patient*innen.
Berufliche Abhängigkeit und/oder beruflich bedingte Risiken beeinträchtigen die individuelle Risikoreduktion.
Wissenschaftliche Ebene
Gefahr der Vorenthaltung einer kardiologischen Rehabilitation bei unzureichendem Wissen über Möglichkeiten und Wirkung dieser Intervention
Nutzen der Rehabilitation
Ein Nutzen der kardialen Rehabilitation konnte in zahlreichen Studien und Metanalysen belegt werden.4-17
Kardiologische Rehabilitation führt in verschiedenen Bereichen zu Verbesserungen:18
geringere Mortalität
Rückgang der Hospitalisationen
Zunahme der Belastbarkeit
bessere Lebensqualität
Verbesserung des psychischen Befindens.
Inanspruchnahme der Rehabilitation
Patient*innen mit entsprechenden Indikationen sollten nach dem Akutaufenthalt in der Klinik eine kardiologische Rehabilitation erhalten.
Desweiteren kommt eine Rehabilitation auch bei ambulant betreuten Patient*innen in Betracht, z. B. bei schwerer Herzinsuffizienz.
Tatsächlich wird die Rehabilitation aber nur für einen Teil der in Betracht kommenden Patient*innen eingeleitet.19
Auf europäischer Ebenen profitiert in den meisten Ländern weniger als die Hälfte der Patient*innen von einer indizierten kardiologischen Rehabilitation.20
Eine kardiologische Rehabilitation nach ACS soll möglichst früh, spätestens jedoch 3 Monate nach Entlassung begonnen werden.3
Große Metaanalysen ergaben einen günstige prognostische Wirkung der kardialen Rehabilitation nach ACS und/oder Bypassoperation auch für den Zeitraum moderner Behandlung mit Revaskularisation und Statinen.11,24
bei besonderer psychosozialer Risikokonstellation (z. B. Depressivität)
bei besonderem Schulungsbedarf
bei Problemen mit der Adhärenz (bezüglich Medikation oder Verhaltensumstellung)
Chronisches Koronarsyndrom (früher stabile KHK): die Patient*innen sollen zu einer Teilnahme an langfristigen Nachsorgeprogrammen (wie z. B. ambulante Herzgruppe) mit regelmäßigem körperlichem Training oder zu einem individuell gleichwertigen Training motiviert werden.3
Operativer oder interventioneller Herzklappenersatz3
Zu beachten ist, dass es sich um ein sehr heterogenes Patientenkollektiv handelt (Alter, Schweregrad der Erkrankung, kardiale Funktion, körperliche Fähigkeiten).3
Nach Operationen, Interventionen oder Komplikationen im Rahmen der Grunderkrankung
Weitere Erkrankungen des kardiovaskulären Systems
Neben den Herzerkrankungen im engeren Sinn kommt eine kardiale Rehabilitation auch bei weiteren Erkrankungen des kardiovaskulären Systems in Betracht:3
Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter
Durchführung einer familienorientierten Reha im Kindes- und Jugendalter bzw. spezieller Reha im Jugend- und jungen Erwachsenenalter26
Leitlinie: Indikationen zur Kardiologischen Rehabilitation gemäß DGPR3
Herzerkrankungen
Nach akutem Koronarsyndrom (STEMI, NSTEMI oder instabile AP) soll eine kardiologische Rehabilitation durchgeführt werden, da hierdurch eine Verbesserung der Prognose (Senkung der Gesamtmortalität, der kardiovaskuären Mortalität) und der Re-Infarktrate erzielt wird.
Nach koronarer Bypass-Operation (CABG) soll eine kardiologische Rehabilitation durchgeführt werden, da sie zu einer Verbesserung der Prognose (Senkung der Gesamtmortalität) führt.
Bei Patient*innen mit chronischer Herzinsuffizienz (NYHA I–III) und bei stabilisierten Patient*innen nach Dekompensation soll eine kardiologische Rehabilitation durchgeführt werden, da hierdurch eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, der funktionalen Kapazität und der Lebensqualität erzielt wird.
Patient*innen nach einem operativen Herzklappenersatz oder einer operativen Herzklappenkorrektur sollen an einer kardiologischen Rehabilitation teilnehmen.
Patient*innen nach einem interventionellen Herzklappenersatz sollen an einer kardiologischen Rehabilitation teilnehmen.
Patient*innen nach ICD-, CRT- und WCD-Implantation sollen an einer kardiologischen Rehabilitation teilnehmen.
Patient*innen mit abheilender (subakuter), ausgeheilter oder „Zustand nach" Myokarditis – sollten an einer kardiologischen Rehabilitation teilnehmen.
Nach VAD (Ventricular Assist Device) Implantation soll eine multidisziplinäre kardiologische Rehabilitation in einer dafür spezialisierten Einrichtung durchgeführt werden.
Patient*innen nach Herztransplantation (HTX) sollen an einer kardiologischen Rehabilitation teilnehmen.
Bei erwachsenen Patient*innen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) sollte nach Operationen oder Interventionen sowie nach Komplikationen im Zusammenhang mit der Grundkrankheit eine kardiologische Rehabilitation durchgeführt werden.
Erkrankungen der Aorta
Patient*innen mit operierten, stentversorgten oder konservativ behandelten Erkrankungen der Aorta sollen an einer kardiologischen Rehabilitation teilnehmen.
Patient*innen mit Lungenarterienembolie (LAE) mit/ohne tiefe Venenthrombose (TVT) sollten an einer kardiologischen Rehabilitation teilnehmen.
Patient*innen mit medikamentös optimal behandelter, schwerer pulmonaler Hypertonie (PH) und Dyspnoe bei geringer Belastung sollten an einem eng überwachten körperlichen Training teilnehmen. Das Training sollte stationär im Rahmen einer kardiologischen Rehabilitation erfolgen und durch Ärzt*innen mit Erfahrung für PH angeleitet und überwacht werden.
Durchführung der kardiologischen Rehabilitation
Unterteilung in 3 Phasen
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Phase 1
Frühmobilisation im Akutkrankenhaus
Phase 2
Rehabilitation im Anschluss an die Akutbehandlung
Anschlussheilbehandlung oder Anschlussrehabilitation
Kann ambulant oder stationär durchgeführt werden.
Phase 3
Langzeitrehabilitation
lebenslange Nachsorge und Betreuung am Wohnort
Durchführung durch niedergelassene Ärzt*innen
evtl. Teilnahme an Disease Management Programmen (DMP)
ggf. ergänzt durch Herzgruppen (s. u.)
Bestandteile
Ein Rehabilitationsprogramm setzt sich aus einer Reihe von Bausteinen zusammen mit folgenden Kernkomponenten:18,27-28
Die Herzgruppe ist eine Gruppe von Patient*innen mit chronischen Herz-Kreislauf-Krankheiten, die sich auf ärztliche Verordnung unter Überwachung und Betreuung der anwesenden Herzgruppenärzt*innen und dafür qualifizierten Fachkräften regelmäßig trifft. Gemeinsam werden im Rahmen somatisch-funktionaler, psychosozialer und edukativer Zielstellungen u. a. durch Bewegungs- und Sporttherapie, Erlernen von Stressmanagementtechniken, Änderungen im Ess- und Genussverhalten und durch psychosoziale Unterstützung Folgen der Herzkrankheit kompensiert und nachhaltige Sekundärprävention angestrebt.
Teilnahme an Herzgruppen (und/oder Disease-Management-Programmen) empfohlen für Patient*innen nach STEMI, NSTEMI, chirurgischen und interventionellen Koronareingriffen, KHK-Patient*innen mit ausgeprägtem Risikoprofil und Compliance-Problemen, Herzinsuffizienz-Patient*innen1-2,27
Heimbasierte Reha-Programme führen möglicherweise zu einer höheren Teilnahmequote.36
klinische Verbesserung durch heimbasierte RehaprogrammeReha-Programme vergleichbar mit stationärer Reha36
Eine Cochrane-Analyse ergab keine signifikanten Unterschiede u. a. für:37
Mortalität
körperliche Belastbarkeit
Lebensqualität.
Telemedizin
Rehabilitationsprogramme können telemedizinisch unterstützt werden.38
Einbindung ins heimische Umfeld und Unterstützung frühzeitiger beruflicher Integration als mögliche Vorteile38
Hausärztliche Langzeitbetreuung
Langzeitbetreuung und Koordination diagnostischer, therapeutischer und rehabilitativer Maßnahmen, z. B. im Rahmen eines strukturierten Behandlungsprogramms, erfolgen durch die Hausärzt*innen.1-2
Regelmäßige Untersuchungen in der Praxis (z. B. viertel- bis halbjährlich bei KHK) unabhängig von Kontakten z. B. wegen Verschlechterung1
Bei Patient*innen mit einem besonders hohen kardiovaskulären Risiko werden die Abstände routinemäßiger kardiologischer Verlaufskontrollen durch Hausärzt*innen und Kardiolog*innen gemeinsam festgelegt.1
Vermittlung einer optimistischen Grundeinstellung und Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung
Organisation periodischer Untersuchungen in der eigenen Praxis
Koordination zwischen den an der Versorgung beteiligten Fachgebieten
Abstimmung von Diagnostik und Therapie zwischen den betreuenden Hausärzt*innen und Fachärzt*innen2
Leitlinie: DGPR-Empfehlungen zur ambulanten Weiterbetreuung3
Nach einer kardiologischen Rehabilitation sollen die Patient*innen weiterhin regelmäßig und langfristig hausärztlich und unter Miteinbeziehung von Fachkardiolog*innen betreut werden.
Zur effektiveren Koordination der langfristigen Patientenbetreuung sollten die Patient*innen an strukturierten „Disease Management" Programmen (z. B. DMP KHK) teilnehmen.
Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Kardiologische Rehabilitation im deutschsprachigen Raum Europas Deutschland, Österreich, Schweiz (D,A, CH). AWMF-Leitlinie Nr. 133-001. S3, Stand 2020. www.awmf.org
Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK. AWMF-Leitlinie nVL-004. S3, Stand 2019. www.awmf.org
Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz. AWMF-Leitlinie nVL-006. S3, Stand 2019. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Deutsche Leitlinie zur Rehabilitation von Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen (DLL-KardReha), Stand 2007. www.dgpr.de
Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Therapiepfad für Patienten mit ACS und Dyslipidämie in der kardiologischen Rehabilitation, Stand 2019. www.dgpr.de
Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Behandlungspfad der DGPR für Patienten mit Typ-2-Diabetes (T2DM) und etablierter arteriosklerotischer kardio-vaskulärer Erkrankung (ASCVD) in der Rehabilitation. Stand 2019. www.dgpr.de
Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Rehabilitationsstandards für die Anschlussheilbehandlung und allgemeine Rehabilitation von Patienten mit einem Herzunterstützungssystem (VAD – ventricular assist device), Stand 2016. www.dgpr.de
Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Herzgruppe der DGPR – Positionspapier, Stand 2013. www.dgpr.de
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Literatur
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
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