Allgemeine Informationen
Definition
- Unter Ulcus cruris versteht man allgemein einen Substanzdefekt der Haut und Unterhaut des Unterschenkels, der bis zum Knochen reichen kann.1
- Das Ulcus cruris arteriosum im Speziellen ist Folge einer fortgeschrittenen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK).2-3
Häufigkeit
- Prävalenz
- Alter
- Geschlecht
- bei Männern etwas häufiger als bei Frauen3
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- Ursächliche Erkrankung ist die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK).
- Die PAVK wiederum ist zu ca. 95 % atherosklerotisch bedingt, die restlichen 5 % verteilen sich auf seltenere Ursachen wie Vaskulitiden.
- Die wichtigsten Risikofaktoren für das Entstehen einer PAVK sind Rauchen und Diabetes mellitus.6-7
Pathogenese
- Eine arteriell bedingte Ischämie der Haut bis zur Ulzeration kann verursacht werden durch:8
- progrediente Atherosklerose
- arterielle Embolisation.
- Insbesondere im Alter besteht eine leichtere Verletzbarkeit der Haut mit schlechterer Wundheilung, u. a. durch:1
- verringerte antioxidative Kapazität
- Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften des Hautbindegewebes
- Abnahme der dermalen Gefäßdichte und der Gefäßkaliber.
- Das arterielle Ulkus stellt das Endstadium der chronischen PAVK dar.1
- Bei einem Teil der Patient*innen mit PAVK besteht ein Diabetes mellitus mit Neigung zu neuropathischen Ulzera, sodass auch ein gemischtes Ulkus („neuroischämisches Ulkus“) vorliegen kann.9
Klinisches Bild
- Im Rahmen der PAVK häufig Claudicatio intermittens und schließlich Ruheschmerz
- Zunahme der Beschwerden meist nach Hochlagerung der Beine7
- Pulse vermindert oder fehlend10
- Schlanke Füße und Unterschenkel10
- Distale Unterschenkel oft blass und kühl2
- Trockene, glänzende, teilweise haarlose Haut („Tibiaglatze“)1
- durch verminderte Oxygenierung evtl. auch livide-zyanotisch1
- Brüchige, hypertrophe Nägel1
- Häufige Eigenschaften arterieller Ulzera:1
- meist nekrotisch und tief
- keine Granulation
- geringe Blutungsneigung
- schmerzhaft.
- Neigung zur begleitenden Weichteilinfektion1
Prädilektionsstellen
- Prädilektionsstellen für die Ulzera sind Endbereiche arterieller Äste oder Stellen erhöhten lokalen Drucks.1
- Ulzerationen liegen distaler als beim venösen Ulkus.10
- Oft im Bereich der Akren (Zehen, Ferse) oder interdigital1
- Die Bezeichnung Ulcus cruris ist hier streng genommen nicht korrekt.2
- Bei Lokalisation an den Unterschenkeln sind häufig betroffen (insbesondere nach Minimaltrauma):7
- Region um den Außenknöchel
- Schienbeinkante.
Prädisponierende Faktoren
- Rauchen
- Diabetes mellitus
- Hypercholesterinämie
- Arterielle Hypertonie
- Alter
- Schlechte Haut- und Fußpflege
ICPC-2
- S97 Chronische Ulzeration Haut
ICD-10
- I70 Arteriosklerose
- I70.24 Becken-Bein-Typ mit Ulceration
- E10.75 Diabetes mellitus Typ 1 mit diabetischem Fuß
- E11.75 Diabetes mellitus Typ 2 mit diabetischem Fuß
- L97 Ulcus cruris, anderenorts nicht klassifiziert
- L98 Sonstige Krankheiten der Haut und der Unterhaut, anderenorts nicht klassifiziert
- L98.4 Chronisches Ulkus der Haut, anderenorts nicht klassifiziert
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klinischer Befund
- Nachweis einer PAVK
Differenzialdiagnosen
- Ulcus cruris venosum (chronisch-venöse Insuffizienz)
- Neuropathisches Ulkus (Diabetes mellitus)
- Ulcus mixtum (venös-arteriell)
- Druckulkus (Dekubitus)
- Vaskulitis
- Traumatisches Ulkus
- Malignes Ulkus
- Pyoderma gangraenosum
- Exulzeriertes Lymphödem
- Ulcus hypertonicum Martorell
- Ulzerierende Necrobiosis lipoidica
- Kalziphylaxie (chronische Nierenkrankheit)
Anamnese
- Ulzeration
- Lokalisation
- Größe
- erstmaliges Auftreten, Rezidiv
- Progredienz
- Schmerzen
- Symptome der PAVK
- Claudicatio intermittens
- Ruheschmerz
- lageabhängiger Schmerz (Zunahme beim Hochlagern)
- Komorbiditäten, Risikofaktoren
- bekannte PAVK
- Rauchen
- Diabetes mellitus
- Hypercholesterinämie
- arterielle Hypertonie
- Immobilisation
- Vorgeschichte
- Diagnostik auf PAVK
- Therapie einschließlich Interventionen/Operationen hinsichtlich PAVK
- bisherige Wundbehandlung
Klinische Untersuchung
Gefäßstatus
- Zu Details der Beurteilung des Gefäßstatus siehe Artikel PAVK.
- Inspektion der Haut
- Palpation der Pulse
- Auskultation (Aorta, Beckenarterien)
- Ratschow-Test
- Siehe Tabelle Abgrenzung der PAVK von der Neuropathie (klinische Untersuchung).
Ulkus
- Häufigste Lokalisationen sind Füße oder unteres Drittel des Unterschenkels.
- Am Fuß meist über Zehengelenken, Fersenbereich
- Am Unterschenkel ist meist Vorderseite des Unterschenkels (Tibiakante) oder der Malleolus lateralis betroffen.
- Häufig klar umschrieben, wie „ausgestanzt“, relativ tief
- Ulkusgrund blutet in der Regel nicht.
- Oberfläche gelblich-bräunlich bis grau-schwarz, häufig nekrotisch
- In der Regel kein Granulationsgewebe
- Evtl. freigelegte Sehnen, Muskeln, Knochen
- Umgebende Haut kalt und bleich
- Bei rein arteriellen Ulzera kein Ödem
Ergänzende Untersuchungen
Knöchel-Arm-Index (ABI)
- Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI = Ankle Brachial Index)
- Siehe Tabelle ABI-Kategorien zur Abschätzung des PAVK-Schweregrades.
Labor
Diagnostik bei Spezialist*innen
Farbduplex-Sonografie
- Methode der 1. Wahl in der Gefäßdiagnostik der Becken- und Beinarterien11
MR-Angiografie, CT-Angiografie oder digitale Subtraktionsangiografie
- Falls ergänzende Untersuchungen nach Duplex-Sonografie nötig sind.
Transkutane Sauerstoffmessung
- Untersuchung zur Einschätzung des Amputationsrisikos bei kritischer Ischämie11
Therapie
Therapieziele
- Wundheilung
- Verbesserung der Perfusion durch Behandlung der Grunderkrankung, Erhalt der Extremität
Allgemeines zur Therapie
- Zentrale Bestandteile der Therapie sind:
- Ergänzend ist eine adäquate Schmerztherapie elementar.14-15
- Die Versorgung der Patient*innen sollte zentral gesteuert werden (z. B. durch Hausärzt*innen).13
- Insbesondere ältere Patient*innen bedürfen der Versorgung durch ein Netzwerk von Hausärzt*innen, Spezialist*innen und Pflegediensten.3
Spezielle Therapie
Therapie der PAVK
- Zu Details der Therapie siehe Artikel Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK).
- Schwerpunkte der Behandlung sind abhängig vom klinischen Stadium; im Stadium III und IV nach Fontaine steht der Gliedmaßenerhalt im Vordergrund.11
- Bestandteile der PAVK-Therapie sind grundsätzlich:11
- Behandlung der Risikofaktoren
- strukturiertes Gehtraining
- Thrombozytenaggregationshemmung
- vasoaktive Substanzen
- interventionelle/operative Revaskularisation
- Wundbehandlung.
- Bei geriatrischen, insbesondere bettlägerigen, Patient*innen sollten periinterventionelles/-operatives Risiko und der erwartete Nutzen besonders sorgfältig abgewogen werden.1
Lokale Wundbehandlung
- Zu Details der Wundversorgung siehe die Artikel:
- Allgemeine Ziele der Lokalbehandlung sind:13
- Schaffung lokaler Bedingungen, die die Abheilung der Wunde ermöglichen.
- Schaffung eines Wundgrundes, der frei von avitalen Belägen, Fremdkörpern, Belägen und Detritus ist.
- Prophylaxe von Entzündung und Infektionserkrankung
- Herstellung und Erhaltung eines optimal feuchten Wundmilieus
- Schutz des Wundrandes und der Umgebung (z. B. vor Mazeration).
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Gangrän und Amputation
Prognose
- Chronische Wundheilungsstörungen sind gekennzeichnet durch:3
- hohen Krankheitswert
- große Einbußen an Lebensqualität.
- Die durchschnittliche Abheilungsdauer des Ulcus cruris arteriosum beträgt unter den Bedingungen einer Wundsprechstunde (größtenteils von Hausärzt*innen- und Spezialist*innen zugewiesene Patient*innen) 6,5 Monate.16
- in 3 Monaten abgeheilt 33 %
- in 6 Monaten abgeheilt 44 %
- Längere Abheilungsdauer als beim venösen Ulkus16
- Patient*innen mit Ulcus cruris arteriosum müssen häufiger hospitalisiert werden als Patient*innen mit venösem Ulkus oder Ulkus anderer Ursache.16
Verlaufskontrolle
- In den Leitlinien wird hinsichtlich der Verlaufskontrolle und -dokumentation Folgendes empfohlen:13
- Die Wundbeurteilung im Rahmen des Heilungsverlaufs sollte regelhaft erfolgen und bei jeder Veränderung mit therapeutischer Konsequenz.13
- Die Durchführung der therapeutischen Maßnahmen sollte immer dokumentiert werden.
- Die Intervalle der Verbandwechsel sollten der Grunderkrankung, den Erfordernissen der Wunde und den Bedürfnissen und Zielen der betroffenen Person angepasst werden.
- Die Erhebung von Schmerzen sowie deren Therapie sollten im Verlauf dokumentiert und evaluiert werden.
- Ist 6 Wochen nach Beginn einer leitliniengerechten Behandlung keine Heilungstendenz erkennbar, soll das Vorliegen anderer Ursachen für die fehlende Heilungstendenz differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Hierzu soll im Zweifel eine zweite Meinung eingeholt werden.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V. Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. AWMF-Leitlinie Nr. 065–003. S3, Stand 2015, überarbeitete Langfassung Stand 2016. www.awmf.org
Literatur
- Duschek N, Trautinger F. Ulcus cruris beim alten Patienten. Z Gerontol Geriat 2019; 52: 377-390. doi:10.1007/s00391-019-01567-7 DOI
- Dissemond J. Differenzialdiagnose des chronischen Ulcus cruris. Gefässchirurgie 2017; 22: 505-514. doi:10.1007/s00772-017-0321-4 DOI
- Augustin M, Mayer G, Wild T. Herausforderungen der alternden Haut Versorgung und Therapie am Beispiel des Ulcus cruris. Hautarzt 2016; 67: 160-168. doi:10.1007/s00105-015-3756-0 DOI
- Diener H, Debus E, Herberger S, et al. Versorgungssituation gefäßmedizinischer Wunden in Deutschland. Gefässchirurgie 2017; 22: 548-557. doi:10.1007/s00772-017-0326-z DOI
- Körber A, Jockenhöfer F, Sondermann W, et al. Erstmanifestation eines Ulcus cruris - Analyse der Daten von 1000 Patienten. Hautarzt 2017; 68: 483-491. doi:10.1007/s00105-017-3950-3 DOI
- Fink M. Das arterielle Ulcus cruris – Diagnostik und Therapie. Wiener klinisches Magazin 2010; 6: 28-32. doi:10.1007/s00740-010-0313-4 DOI
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- Rüttermann M, Maier-Hasselmann A, Nink-Grebe B, Burckhardt M: Clinical Practice Guideline: Local treatment of chronic wounds in patients with peripheral vascular disease, chronic venous insufficiency and diabetes. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(3): 25–31. www.aerzteblatt.de
- Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V.: Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz. AMWF-Leitlinien-Nr. 091-001, Stand 12.06.2012. www.awmf.org
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- Baczako A, Fischer T. Das können Sie als Hausarzt tun - Chronische Wunden richtig behandeln. MMW - Fortschritte der Medizin 2019; 5: 48-53. doi:10.1007/s15006-019-0006-x DOI
- Läuchli S, Bayard I, Hafner J, et al. Unterschiedliche Abheilungsdauer und Häufigkeit der Hospitalisation bei Ulcus cruris verschiedener Ursachen. Hautarzt 2013; 64: 917–922. doi:10.1007/s00105-013-2671-5 DOI
Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).