Allgemeine Informationen
Definition
- Infektion der Haut oder einer Wunde bei Bewohner*innen einer Pflegeeinrichtung
Häufigkeit
- Haut- oder Wundinfektionen machen ca. 28 % der Infektionen bei Bewohner*innen in deutschen Pflegeeinrichtungen aus.1
Ätiologie und Pathogenese
- Eine bakterielle Wundkolonisation kann auch ohne lokale Infektzeichen auftreten.
- Im Bereich einer Wunde ist die natürliche Barrierefunktion der Haut aufgehoben, was zur Infektion prädisponiert.2
- Kommt es während eines Aufenthaltes in einer Pflegeeinrichtung zu einer Wundinfektion, wird diese als nosokomiale Infektion angesehen.3
- Faktoren, die bei Pflegeheimbewohner*innen das Auftreten von Wundinfektionen begünstigen:
- erhöhtes Risiko eines Dekubitus
- gehäuftes Auftreten von Versorgungssystemen wie Stoma, Katheter, Infusionen u. Ä.
- Dies kann als Eintrittspforte für Weichteilinfektionen dienen.
- Auch postoperative Wundinfektionen (Surgical Site Infections, SSI) sind ein Problem in Pflegeeinrichtungen.4
- Gehäuftes Vorkommen von Läsionen/Wunden mit erhöhtem Risiko für Infektionen:
- Die häufigsten Erreger pyogener Wundinfektionen sind Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Staphylococcus epidermidis, Enterokokken, Pseudomonas aeruginosa, Klebsiella pneumoniae, oder Proteus mirabilis.5
- gehäuftes Vorkommen multiresistenter Erreger
- Auch anaerobe Erreger wie Bacteroidis fragilis, anaerobe Kokken, Clostridien und Fusobakterien kommen vor. 5
- Bei den meisten Bewohner*innen von Pflegeinrichtungen besteht wegen Multimorbidität und hohem Alter ein größeres Risiko, durch eine Wundinfektion eine Sepsis zu entwickeln.
Prädisponierende Faktoren
- Der Abschnitt basiert, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf dieser Referenz.6
- Hohes Alter
- Reduzierter Allgemeinzustand
- Geschwächtes Immunsystem
- Diabetes mellitus
- Durchblutungsstörungen
- Beeinträchtigung der Wundheilung
- reduzierte lokale Antibiotikakonzentration im Wundgewebe
- Operationswunden
- Wunden im Rahmen einer Hauterkrankung
- Trockene Haut und Juckreiz
- Bettlägerigkeit2
- Malnutrition2
- Inkontinenz
- Wiederholte Antibiotikatherapien
- Häufige Krankenhausaufenthalte
- Invasive Maßnahmen (Gefäßkatheter, Blasenkatheter, Ernährungssonden, Trachealkanülen)
ICPC-2
- S76 Hautinfektion, andere
ICD-10
- L01 Impetigo
- L02 Hautabszess, Furunkel und Karbunkel
- L03 Phlegmone
- L08 Sonstige lokale Infektionen der Haut und der Unterhaut
- L08.0 Pyodermie
- A46 Erysipel [Wundrose]
- L97 Ulcus cruris, anderenorts nicht klassifiziert
- T81.4 Infektion nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.7
- Klinische Anzeichen
- eitrige Sekretion
- Pusteln
- Bläschen
- Furunkel (außer Akne)
- Schmerz
- Empfindlichkeit
- lokalisierte Schwellung
- Rötung
- Überwärmung – plus –
- Erregernachweis
- kultureller Nachweis von Erregern in kulturellen oder nicht-kulturellen Verfahren im Aspirat oder Sekret der betroffenen Region – oder –
- mikroskopischer Nachweis von vielkernigen Riesenzellen im befallenen Gewebe
- diagnostischer Einzelantikörper-Titer (IgM) oder vierfacher Titeranstieg (IgG) in wiederholten Serumproben für den betreffenden Krankheitserreger
Anamnese
- Rötung, Schwellung, evtl. Schmerzen im Bereich der Wunde
- Bei starken Schmerzen an tiefe nekrotisierende Weichgewebsinfektion denken.
- Reduzierter Allgemeinzustand, Fieber, Müdigkeit
- Verstärkte Schmerzen bei chronischen Ulzera2
Klinische Untersuchung
- Rötung, Schwellung, Überwärmung, ggf. purulentes Sekret
- Ggf. Pusteln, Bläschen7
- Ggf. Geruch
- Evtl. Fieber und reduzierter Allgemeinzustand
- Lymphknotenschwellung
- Wundinfektionen unter Muskeln, Faszien oder vermehrtem subkutanen Fettgewebe können mitunter erst verspätet erkannt werden.
- Schmerzen u. U. als einziges Symptom bei relativ blanden Hautverhältnissen8
- Verstärkte Wundsekretion und ausbleibende Fortschritte bzw. Rückschritte in der Abheilung chronischer Wunden können Zeichen einer Infektion sein.2
Ergänzende Untersuchungen
- Abstrich zur bakteriologischen Kultur bei klinischem Verdacht auf einen Wundinfekt9
- Vor der Abnahme bakteriologischer Abstriche sollte eine Wundsäuberung mit steriler 0,9-prozentiger NaCl‐Lösung und/oder sterilen Kompressen erfolgen.9
- Siehe auch TrainAMed Wund- und Hautabstrich (Uni Freiburg).
- Biopsien sind meist nicht notwendig, können bei Patient*innen mit tieferen Ulzerationen, diabetischem Fußsyndrom, schweren Weichgewebeinfektionen oder Fistelgewebe sowie zum Nachweis spezifische Erreger wie z. B. Mykobakterien, Leishmanien, Aktinomyzeten, Nokardien oder Schimmelpilzen hilfreich sein.9
- CRP und Leukozyten bei V. a. tiefe Wundinfektion (Phlegmone) oder Sepsis
- Evtl. Bilddiagnostik bei Verdacht auf Osteomyelitis
- Vorzugsweise CT oder MRT; Röntgen kann im frühen Verlauf unauffällig sein.
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Bei V. a. auf Sepsis oder nekrotisierende Weichgewebsinfektion umgehende Krankenhauseinweisung
- Bei Verdacht auf Osteomyelitis Einweisung
- Bei zugrunde liegenden Faktoren, die die Abheilung beeinträchtigen, z. B. entgleiste Stoffwechsellage bei Diabetes mellitus oder PAVK mit Makroangiopathie, Einweisung zur Beseitigung dieser Faktoren.
- Bei Notwendigkeit einer intravenösen Antibiotikagabe
Therapie
Therapieziele
- Wundinfektion sanieren.
- Komplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Initial wird die Wunde mechanisch gereinigt oder chirurgisch debridiert, je nach Ausmaß der Infektion.2
- Die lokale Wundbehandlung hat die Aufrechterhaltung eines feuchten Milieus zum Ziel und richtet sich nach dem Grad der Exsudation.10
- Die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung ist essenziell, um die Abheilung der Wunde zu fördern.11
- Je nach Ausmaß der lokalen Infektion, systemischen Infektzeichen und patientenseitigen Risikofaktoren ist die Indikation für eine systemische Antibiotikatherapie zu überprüfen.
Lokale Behandlung
Abtragung avitalen Gewebes
- Chirurgisches Débridement: radikale Abtragung bis in intakte anatomische Strukturen (z. B. mittels Skalpell)11
- Wundreinigung11
- Abtragung von avitalem Gewebe, Nekrosen, Belägen und/oder Fremdkörpern bis an intakte anatomische Strukturen heran
- aktive periodische Wundreinigung: gezielte, wiederkehrende mechanische Wundreinigung im Rahmen des Verbandswechsels, bevorzugt mit neutralen wirkstofffreien Lösungen (z. B. NaCl 0,9 %)11
- Passive periodische Wundreinigung: Beabsichtigter fortlaufender Reinigungsprozess, der unterhalb des Sekundärverbandes durch Schaffung eines feuchten Wundmilieus und dem Einsatz von Verfahren, die unterhalb einer Wundabdeckung wirken können, z. B. Hydrogel oder Fliegenlarven, stattfindet.11
- Weder zur Wundreinigung per se noch zum chirurgischen Débridement lässt sich aus der bestehenden Studienlage ein Nutzen oder Schaden ableiten.11
- Die Abtragung von avitalem Gewebe wird empfohlen, da davon ausgegangen wird, dass dies die Wundheilung behindert.11
- Dekontamination
- antiseptische Wundbehandlung unter Einsatz von Antiseptika in Kombination mit einer mechanischen Wundreinigung zur weitgehenden Beseitigung einer lokalen Entzündung durch humanpathogene Mikroorganismen und Prävention einer systemischen Infektionserkrankung11
- Der Einsatz von zugelassenen Antiseptika kann bei Verdacht einer erregerbedingten Entzündung erwogen werden.11
-
- z. B. Polyhexanid-haltige Lösungen
- Wundspülungen unter Druck sollten wegen der Gefahr einer toxischen Reaktion und der Gefahr der aseptischen Nekrose unbedingt vermieden werden und sind nach einem fachgerechten Debridement meist nicht notwendig.12
- Ungeeignet für die Wundreinigung sind:13
- lokale Antibiotika
- Wasserstoffperoxid
- Farbstofflösungen
- hypertone NaCl-Lösungen
Wundauflagen
- Das wichtigste Ziel bei der Wahl der Wundauflage ist die Aufrechterhaltung eines feuchten Wundmilieus.10
- Zu trockene Wunden verzögern die Wundheilung.
- Zu nasse Wunden führen zu Mazeration der Wundränder.
- Aufgrund fehlender Evidenz zum Nutzen der verschiedenen Wundauflagen bestehen keine Empfehlungen für bestimmte Wundauflagen.11
- Die Wahl der Wundauflage ist u. a. abhängig von den Erfordernissen der Wundsituation, Zielen der Patient*innen und Wirtschaftlichkeit; Indikation und Kontraindikation sowie Allergie- bzw. Toxizitätspotential sollten berücksichtigt werden.14
Auswahl lokaler Wundmittel
- Die Behandlung infizierter Wunden erfolgt in der alltäglichen Praxis oft uneinheitlich, die Evidenzlage ist gering.11,15-17
- Antiseptische und antiinfektiöse Wundauflagen haben keinen besseren Effekt als andere Wundauflagen.
- Zur Lokalbehandlung postoperativer Wundinfektionen siehe dort.
- Anforderungen an einen guten Wundverband10
- Das feuchte Milieu im Wundbereich aufrechterhalten.
- Überschüssiges Exsudat und toxische Bestandteile aufnehmen.
- Gasaustausch ermöglichen.
- Vor Sekundärinfektionen schützen.
- Einen atraumatischen Verbandswechsel ermöglichen ohne Abgabe von Fasern und anderen Fremdstoffen.
- Zum Spektrum der verfügbaren Wundversorgungsprodukte gehören z. B.:14
- Hydrokolloide
- Hydrogele
- Folien10
- Erhalten Feuchtigkeit, unterstützen die Reepithelialisierung (späte Wundheilungsphase).
- Nicht bei stärker sezernierenden Wunden anwendbar!
- Schaumstoffe
- Mikrofaserverbände
- Alginate18
- Nehmen viel Exsudat auf.
- Eignen sich gut zum Ausfüllen tiefer Wunden.
- auch für infizierte Wunden geeignet13
- physikalisch bakterienbindende Wundauflagen13
- Binden und inaktivieren Bakterien und reduzieren so die Keimlast.
- Silberhaltige Wundauflagen zeigen keinen signifikanten Effekt auf die Wundheilung.18-19
- Jodhaltige Wundauflagen sollten nicht in der Schwangerschaft oder bei Hyperthyreose verwendet werden, darüber hinaus besteht eine zytotoxische Wirkung.20
- Auch für antibiotikahaltige Salben ist kein positiver Effekt auf die Wundheilung nachgewiesen.16
- Für die Anwendung medizinischen Honigs wurde keine schnellere Wundheilung, wohl aber mehr Schmerzen unter Therapie nachgewiesen.11,14
Systemische Antibiotika
- Können indiziert sein bei Zeichen einer ausgebreiteten Infektion oder wenn tieferes Gewebe betroffen ist.
- Werden Antibiotika erwogen, sollten Abstriche zur mikrobiologischen Untersuchung gemacht werden, insbesondere bei Patient*innen, die sich kürzlich in einer Umgebung aufgehalten haben (z. B. im Krankenhaus), in der viele multiresistente Bakterien vorkommen.11
Leitlinie: Therapieempfehlungen bei Erwachsenen (gemäß Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft)21
- Indikationen für die parenterale (statt orale), allenfalls sequenzielle Antibiotikagabe
- systemische Infektionszeichen (Leukozytose mit Neutrophilie, Fieber, Anstieg von BSG oder CRP) – oder –
- eingeschränkte Durchblutung oder Resorption
- oberflächlich ausgedehnte Infektionen
- Übergang in tiefer reichende, schwere Phlegmone
- Lokalisation an den Beugesehnen bzw. im Gesicht
- Mittel der 1. Wahl bei unkomplizierten Infektionen:
- Cefazolin 4 x 0,5 g oder 2 x 1 g i. v. – oder –
- Flucloxacillin 3 x 1 g oder 4 x 1 g p. o./i. v.
- Mittel der 2. Wahl bei unkomplizierten Infektionen:
- Clindamycin 3 x 0,9 g tgl. p. o./i. v.
- Schwere lebensbedrohliche Infektionen oder kritische Lokalisation (z. B. Hand- oder Gesichtsbereich):
- Cefazolin 3 x 1–2 g/d i. v. (bis 12 g/d) – oder –
- Cefuroxim 3 x 1,5 g/d i. v.
- Zur Therapie von komplizierten, chronischen Infektionen (z. B. Dekubitus, Ulcus cruris) wird eine Erregerbestimmung und eine gezielte Therapie entsprechend dem mikrobiologischen und klinischen Befund empfohlen.
- Bei dringendem Verdacht oder Nachweis von Vibrionen:
- Doxycyclin 2 x 100 mg/d i. v. plus Ceftriaxon 1 x 1 g/d i. v.
Besiedlung und Infektion mit multiresistenten Erregern
- Als multiresistente Erreger kommen in erster Linie Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter baumannii mit 3MRGN/4MRGN-Status sowie MRSA und Vancomycin-resistente Enterococcus faecium (VRE) vor.21
- Ist eine Antibiotikatherapie indiziert, wird das Antibiotikum auf Grundlage der Resistenzbestimmung gewählt.
Empfehlungen für Patient*innen
- Druck auf die Wunde oder den Bereich um die Wunde vermeiden.
Prävention
- Kompressionsstrümpfe bei bekannter chronische-venöser Insuffizienz
- Dehydrierung vermeiden.
- Das Aufkratzen der Haut vermeiden.
- Druckgeschwüren durch ausreichende Entlastung der betroffenen Hautregionen vorbeugen.
- Allergene Substanzen in der Wunde oder deren Umgebung vermeiden: Lanolin, Parabene, lokale Antibiotika, Propylenglykol, Latex.
- Optimale Einstellung von Risikofaktoren
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Wunde verheilt bei älteren Patient*innen mit reduziertem Allgemeinzustand und evtl. Minderdurchblutung im Wundbereich langsam.
Komplikationen
- Sepsis
- Chronische Wunden
- Phlegmone, Osteomyelitis, nekrotisierende Weichgewebsinfektionen
- Chronische Schmerzen
Prognose
- Eine ursachenorientierte Therapie verbessert die Wundheilung.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Der Wundverband sollte regelmäßig gewechselt werden.
- Die Behandlung bei bestehenden Risikofaktoren ist oft langwierig.
- Bei Verstärkung der Schmerzen, Überwärmung im Wundbereich oder verstärkter Sekretion sollte dem Pflegepersonal Bescheid gegeben werden.
Video
- TrainAMed Wund- und Hautabstrich (Uni Freiburg)
Quellen
Literatur
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Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin und für Viszeralchirurgie
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).