Definition:Erkrankung heterogenen Ursprungs (idiopatisch, erworben, angeboren), die durch einen Mangel an dem antidiuretischen Hormon (ADH/Vasopressin) oder aufgrund einer Resistenz gegenüber ADH verursacht wird (zentraler bzw. renaler Diabetes insipidus).
Häufigkeit:Selten.
Symptome:Polydipsie, Polyurie, Nykturie.
Befunde:Erhöhte Urinmenge im 24-Stunden-Sammelurin, erniedrigte Urinosmolalität,erhöhte Serumosmolalität, evtl. Hypernatriämie.
Diagnostik:Erfolgt anhand von Labordiagnostik (Urinmenge im 24-Stunden-Sammelurin, Urinosmolalität, Serumosmolalität, Elektrolyte) , evtl. Durstversuch, Desmopressin-Test, evtl. MRT des Gehirns und molekulargenetische Tests.
Therapie:Desmopressin beim zentralen Diabetes insipidus, Thiaziddiuretika beim renalen Diabetes insipidus, evtl. Behandlung des zugrunde liegenden Krankheitsbildes.
Die Osmolalität im Serum wird durch ein komplexes System genau kontrolliert.
Wichtiger Akteur ist hier ADH, ein Hormon der Neurohypophyse, das im Hypothalamus gebildet, in den sekretorischen Vesikeln des Hypophysenhinterlappens gespeichert und bei Bedarf freigesetzt wird.
Eine erhöhte Serumosmolalität z. B. durch Dursten löst im Normalfall die Freisetzung von ADH aus. Dies führt zu einer Wasserretention und folglich einer Urinkonzentrierung.5
Die Osmolalität wird relativ konstant zwischen 280 und 290 mosm/l gehalten.5
Bei einer Osmolalität unter 280 mosm/l wird so gut wie kein Vasopressin (ADH) ausgeschüttet, während die Sekretion sich kräftig erhöht, wenn die Osmolalität Werte von bis zu 280 mosm/l erreicht.
Das Durstgefühl stellt sich erst ein, wenn die Osmolalität ca. 293 mosm/l erreicht. Dank dieses Mechanismus bleibt uns meist ein Durstgefühl erspart; das Vasopressin erledigt die Arbeit für uns.5
Ätiologie und Pathogenese
Die Einteilung erfolgt hauptsächlich in 2 Ursachengruppen:
zentraler Diabetes insipidus
renaler Diabetes insipidus.
Zentraler Diabetes insipidus (ADH-Mangel)
Primärer Diabetes insipidus
ohne nachweisbare Läsion der Hypophyse und des Hypothalamus im MRT
Kann familiär (meist dominante Vererbung einer gestörten ADH-Biosynthese) oder idiopatisch (ca. 30–50 % der Fälle eines zentralen Diabetes insipidus1) auftreten.6
DIDMOAD (Wolfram-Syndrom) ist eine seltene, autosomal rezessiv vererbte Krankheit mit Diabetes insipidus, Diabetes mellitus, Optikusatrophie und Taubheit.7
Sekundärer Diabetes insipidus
Wird durch Schäden an Hypophyse oder Hypothalamus verursacht.
Die Gründe können Tumoren (z. B. Germinome, Kraniopharyngeome, Hypophysenadenome, Metastasen), Anoxie, iatrogen (Strahlentherapie, operativ) oder traumatisch sein; auch Infektion und seltene Systemerkrankungen (z. B. Sarkoidose, autoimmun-bedingte Vaskulitiden, Langerhans-Histiozytosen) können eine solche Schädigung bewirken.1
Renaler Diabetes insipidus
Die Erkrankung wird durch einen Defekt in den Nierentubuli mit Störung der Wasserreabsorption verursacht.
Die ADH-Sekretion ist hier nicht gestört.
Die Erkrankung kann erblich auftreten (in 90 % der Fälle Mutation im Vasopressin2-Rezeptor-Gen (AVPR2-Gen, V2-Rezeptor-Gen, Erbgang X-chromosomal), bei den übrigen Fällen Mutation im Aquaporin2-Gen (AQP2-Gen, Erbgang autosomal-rezessiv).8
Erworbene Formen des ADH-resistenten Diabetes insipidus sind deutlich verbreiteter und kommen vor:8
als Nebenwirkung von einer Vielzahl an Medikamenten wie Antibiotika, Antimykotika, Lithium, Chemotherapeutika
Sonderform Diabetes insipidus in der Schwangerschaft
Entsteht durch eine vermehrte Ausschüttung des Enzyms Vasopressinase aus der Plazenta, wodurch es zu einem schnelleren Abbau von ADH kommt. Zusätzlich kann eine partielle ADH-Resistenz der Nierentubuli auftreten.
Der Wasserhaushalt normalisiert sich nach der Geburt innerhalb von 1–2 Wochen eigenständig.5
Gewichtsverlust und Wachstumsretardierung bei Auftreten im Kindesalter durch eingeschränkte Kalorienaufnahme bei Polydipsie oder auch gleichzeitig bestehendem Verlust der Hypophysenvorderlappenfunktion.1
Weitere mögliche Symptome bei Kindern sind: Lethargie, Irritabilität, Fieber, Erbrechen oder Diarrhö.4
Klinische Untersuchung
Klinische Anzeichen von Dehydrierung können vorkommen.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Urindiagnostik
Vor jeder aufwändigeren Diagnostik ist es empfehlenswert die Polyurie im 24-Stunden-Sammelurin zu bestätigen:
V. a. Diabetes insipidus bei > 150 ml/kg/24 h bei Neugeborenen, 100–120 ml/kg/24 h bei Kleinkindern und 40–50 ml/kg/24 h bei Adoleszenten und Erwachsenen1
Die Urinmenge kann je nach Flüssigkeitsaufnahme bis zu 10 l am Tag betragen.
Bei Verdachtsmomenten in der Anamnese und einer hoch normalen oder erhöhten Serumosmolalität sowie einer erniedrigten Urinosmolalität ist die Durchführung eines Durstversuchs sinnvoll.1
Der Test wird aufgrund der hohen Belastung für die Testperson in der Regel unter stationären Bedingungen durchgeführt.
Der Test beginnt nach einer möglichst langen Periode von Flüssigkeitsrestriktion (meist sind hier 7 Stunden Flüssigkeitskarenz ausreichend).1
Es werden in regelmäßigen Abständen unter Kontrolle der Vitalparameter und des Körpergewichtes Serum- und Urinosmolaltiät gemessen.
Des Weiteren kann der ADH-Spiegel im Serum oder besser das Copeptin (ct-proAVP) im Serum als stabilerer Surrogatparameter des ADH vor und während des Durstversuches gemessen werden.9
Bei Gesunden kommt es während des Durstversuches zu einem Anstieg der Urinosmolalität.
Ein Diabetes insipidus liegt bei einem submaximalen bis fehlendemfehlenden Anstieg der Urinosmolalität während des Durstversuches vor.
Ein Diabetes insipidus centralis liegt bei erniedrigtem ADH- bzw. Copeptin-Spiegel vor.
Ein Diabetes insipidus renalis liegt bei erhöhten ADH- bzwl. Copeptin-Spiegel vor.9
Bei zu starker Belastung für die Testperson (Gewichtsverlust von > 5–10 % des Körpergewichtes im Testverlauf oder der Entwicklung von Fieber > 38,5 °C) sollte der Durstversuch abgebrochen werden.1
Alternativ kann im Anschluss an einen Durstversuch auch ein DDAVP-Test (auch Desmopressin-Test – Desmopressin entspricht synthetisch hergestelltem Vasopressin) ergänzt werden, wodurch ebenfalls zwischen einem zentralen und renalen Diabetes insipidus unterschieden werden kann.1
Nach Applikation von Desmopressin (s. c., i. v. oder intranasal) wird hier in regelmäßigen Abständen die Urin- und Serumosmolalität sowie das Körpergewicht bestimmt.
Ein fehlender Anstieg der Urinosmolalität nach Desmopressin-Gabe deutet auf einen renalen Diabetes insipidus hin.
Bei zentraler Genese des Diabetes insipidus wird zur Ursachenforschung meist ein MRT von Hypophyse und Hypothalamus durchgeführt.1
Bei Kindern unter 2 Jahren für die ein Durstversuch eine potenzielle Gefährdung darstellen kann oder bei Patienten mit einer positiven Familienanamnese wird in der Regel sogar meist primär ein MRT des Gehirns oder aber auch eine molekulargenetische Diagnostik des Vasopressin-Gens veranlasst.1
Bei zentraler Genese ist die Bestimmung von FT4, TSH, IGF-I, IGFBP-3, Kortisol, ACTH und Prolaktin inklusive entsprechender Stimulationstests zum Ausschluss einer Hypophysenvorderlappeninsuffizienz empfehlenswert (bei ca. der Hälfte der Patienten liegt hier ebenfalls eine Beeinträchtigung vor).1
Indikationen zur Überweisung
Bei Verdacht auf die Erkrankung Überweisung zum (Kinder-)Endokrinologen
Therapie
Therapieziele
Symptome verbessern und Komplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
Zentraler Diabetes insipidus
Medikamentöse Therapieoption: Desmopressin ist das Präparat der 1. Wahl.
synthetische ADH-Analoga mit antidiuretischer Wirkung, aber geringerer Pressorwirkung als ADH
Das Medikament wird meist sublingual oder intranasal gegeben.
Operative Therapieoption: neurochirurgische Eingriffe bei Tumoren1
Ursachenbeseitigung sowie Verzicht auf nephrotoxische Substanzen
Medikamentös
Thiazide (Off-Label-Use) können die Urinmenge um ca. 50 % reduzieren.
Dosierung: 50–100 mg pro Tag bei Erwachsenen und 2–5 mg/kg bei Kindern. Cave: Die relativ hohe Dosis macht oft eine Kaliumsubstitution notwendig.!5
bei nicht ausreichendem Ansprechen: evtl. Kombination mit Indometacin (150 mg/Tag, bei Kindern 2 mg/kg/Tag, verteilt auf 3 Dosen, Off-Label-Use) oder Amilorid (10–20 mg/Tag, bei Kindern 0,1 mg/kg/Tag, verteilt auf 2 Tagesdosen, Off-Label-Use)5
Empfehlungen für Patienten
Es ist sinnvoll, dass Patienten mit Diabetes insipidus einen Notfallausweis bei sich tragen, da diese vital gefährdet sind, wenn keine orale Flüssigkeitszufuhr möglich ist (Unfall, Operation, Bewusstseinsverlust).10
Medikamentöse Therapie
Desmopressin ist das Präparat der 1. Wahl.
z. B. Nasenspray 10 µg/Dosis: 10–20 µg 1- bis 2-mal bei Erwachsenen, 5–10 µg pro Dosis bei Kindern
Dosistitrierung in Abhängigkeit vom Grad der Polyurie – mit niedrigster Dosis beginnen.
Bei einer Entzündung der Nasenschleimhaut (z. B. starker Schnupfen) kann die Wirkung vermindert sein.
z. B.Beispielsweise Desmopressin-Tabletten 0,1 und 0,2 mg: Die passende Anfangsdosis für Kinder und Erwachsene ist 0,1 mg sublingual 3 x tgl., danach Dosierung nach Wirkung.
Potenzielles Risiko ist eine mögliche Verdünnungshyponatriämie (Wasserintoxikation) bei Desmopressin-Einnahme und gleichzeitig sehr hoher Aufnahme von Flüssigkeiten oder Desmopressin-Überdosierung.
Faustregel für die Patienten: Je heller der Urin, desto geringer ist die Desmopressin-Wirkung.
Eine Anpassung der Desmopressin-Dosis an Stress oder körperlicher Aktivität ist in der Regel nicht erforderlich.10
Sekundärbehandlung
Reservemedikamente bei zentralem Diabetes insipidus: Hydrochlorothiazid (Off-Label-Use), Carbamazepin (durch das deutlich höhere Nebenwirkungspotenzial kaum noch Bedeutung in der Therapie des Diabetes insipidus, Off-Label-Use).
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Unter individuell eingestellter Desmopressin-Therapie sind die Patienten asymptomatisch.
MRT-Kontrollen des Gehirns sind in 1- bis 2-jährigen Abständen empfehlenswert, da ein Diabetes insipidus Erstsymptom eines hypothalamisch/hypophysären Tumors sein kann.1
Komplikationen
Ohne ausreichende Flüssigkeitszufuhr führt die Polyurie zu schwerer Dehydrierung.
Zudem können Elektrolytstörungen mit schwerer Hypernatriämie auftreten (vor allem bei Patienten mit gestörtem Durstmechanismus).
Bei Patienten, die eine antidiuretische Behandlung erhalten, besteht die Gefahr einer Verdünnungshyponatriämie (Wasserintoxikation).
Prognose
Der idiopathische Diabetes insipidus centralis hat eine gute Prognose, erfordert aber eine lebenslange Behandlung.3
Wenn bei einem sekundären zentralen Diabetes insipidus die zugrunde liegende Krankheit ungenügend behandelt wird, ist ein letaler Verlauf möglich.3
Ein zentraler Diabetes insipidus, der nach Hypophysenoperationen entsteht, ist möglicherweise reversibel.
Diabetes insipidus, zentraler. Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs. Dr. Stefano Ghirardello, letzte Aktualisierung: Juli 2012. www.orpha.net
Diabetes insipidus, nephrogener. Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs. Pr. Patrick Niaudet, letzte Aktualisierung: Februar 2007. www.orpha.net
Flückiger A. Diabetes insipidus. Pharma-Kritik 1999; 21(3). www.infomed.ch
Definition:Erkrankung heterogenen Ursprungs (idiopatisch, erworben, angeboren), die durch einen Mangel an dem antidiuretischen Hormon (ADH/Vasopressin) oder aufgrund einer Resistenz gegenüber ADH verursacht wird (zentraler bzw. renaler Diabetes insipidus).