Zusammenfassung
- Definition:Autosomal-dominant vererbte multisystemische Erkrankung mit multipler Zystenbildung in beiden Nieren sowie variablen extrarenalen Organmanifestationen.
- Häufigkeit:Prävalenz ca. 1/1.000, Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.
- Symptome:Erste Symptome häufig zwischen dem 30. und 50. Lebenjahr: Flankenschmerz, Hämaturie, Symptome von Hanwegsinfekten.
- Befunde:Erhöhte Blutdruckwerte bereits in frühen Stadien der Erkrankung. Evtl. Zeichen extrarenaler Manifestationen wie Mitralklappeninsuffizienz oder Leistenhernie. Im weiteren Verlauf Verschlechterung der eGFR und schließlich terminale Niereninsuffizienz bei ca. 50 % der Patienten.
- Diagnostik:Primäre Diagnosestellung meistens durch Sonografie. MRT oder CT für die genaue Quantifizierung des prognostisch bedeutsamen Nierenvolumens.
- Therapie:Blutdruckkontrolle mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern. Bei hohem Progressionsrisiko ist der Vasopressin-2-Rezeptor-Antagonist Tolvaptan eine kausale Behandlungsoption mit Verlangsamung des Zystenwachstums, allerdings Gefahr der Lebertoxizität. Bei terminaler Niereninsuffizienz Dialyse und/oder Nierentransplantation.
Allgemeine Informationen
Definition
- Multisystemische, monogene Erberkrankung, die durch multiple Zystenbildung in beiden Nieren sowie durch variable extrarenale Organmanifestationen gekennzeichnet ist.1
- häufig als ADPKD bezeichnet (Autosomal Dominant Polycystic Kidney Disease)
Häufigkeit
- ADPKD ist eine der häufigsten familiären Erkrankungen.2
- häufigste monogenetische potenziell letale Erkrankung des Menschen3
- Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung ca. 1:1.0001
- In Deutschland gibt es somit ca. 80.000 Betroffene.
- Bei 2/3 der Patienten sind anamnestisch weitere Familienmitglieder betroffen.4
- Ca. 7–10 % der Dialysefälle sind auf ADPKD zurückzuführen.4
- Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.6
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- Autosomal-dominante Erbkrankheit
- Verursacht durch Mutationen in den Genen PKD1 (85–90 % der Fälle) oder PKD2 (10–15 % der Fälle)7
- Bei den Genprodukten (Polycystin 1 und Polycystin 2) handelt es sich um Membranproteine von Epithelzellen.3
- Die Mutationen führen zu einer Signaldysregulation mit erhöhten Spiegeln von cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat) 6
- Die Folge ist die Bildung und Vergrößerung von Nierenzysten.8
Pathogenese
- Bereits vorgeburtlicher Beginn der Zystenbildung in der Niere3
- Progredienz von Zahl und Größe der Zysten bis ins Erwachsenenalter3
- Gesundes Gewebe wird zunehmend von den Zysten verdrängt.
- Der Verlauf ist bei PKD1-Mutation schwerer als bei PKD2-Mutation.
- terminales Nierenversagen bei PKD1-Mutation 20 Jahre früher4
- Bei PKD2-Mutation tritt die terminale Niereninsuffizienz oft erst nach dem 70. LJ ein.2
- Individuell aber sehr unterschiedlicher Verlauf der Progression2
- Daher ist ein zusätzlicher Einfluss von Umweltfaktoren und modifizierenden Genen wahrscheinlich.3
- Der klinische Verlauf ist trotz eines bereits langjährigen Zystenwachstums lange a- oder oligosymptomatisch.
- Bei den meisten Patienten ist die Nierenfunktion bis zum 4.–6. Lebensjahrzehnt im Normbereich trotz des kontinuierlichen Zystenwachstums.9
- Nicht selten totales Nierenvolumen (Volumen beider Nieren) > 1.000 ml (normal < 400 ml), bevor die Funktion sich verschlechtert.10
- Je schneller sich die Niere vergrößert, desto rascher nimmt die Nierenfunktion ab.11
- Krankheitsbeginn zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, terminale Niereninsuffizienz durchschnittlich zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr2
- Entstehung einer arteriellen Hypertonie zumeist im jungen Erwachsenenalter4
- Bei über 60 % der Patienten entwickelt sich die arterielle Hypertonie vor der Niereninsuffizienz.12
- Die Schwere der Hypertonie korreliert mit dem Zystenvolumen und der Wachstumsgeschwindigkeit.4
- Bei erhöhtem Blutdruck hohe Prävalenz von Endorganschäden (z. B. linksventrikuläre Hypertrophie) und schlechte renale Prognose13
- Die kardiovaskuläre Mortalität bei ADPKD ist im Vergleich zu Patienten mit anderen Ursachen der terminalen Niereninsuffizienz erhöht.14
Extrarenale Manifestationen
- ADPKD betrifft nicht nur die Nieren.
- Systemerkrankung mit einer Reihe von möglichen extrarenalen Manifestationen2,12,14-15
- zerebrale Aneurysmen (4–6 %)
- Aortenaneurysmen (ca. 5 %)
- Herzklappenveränderungen, vor allem Mitralklappenprolaps (26 %) und Mitralklappeninsuffizienz (13 %)
- Koronaraneurysmen sind beschrieben.
- Leberzysten (80 %)
- Gallenwegszysten
- Pankreaszysten (10 %)
- Samenblasenzysten (40 %)
- Kolondivertikel (20–25 %)
- Leistenhernien
ICPC-2
- U85 Angeborene Anomalie Harnorgane
ICD-10
- Q61 Zystische Nierenkrankheit
- Q61.2 Polyzystische Niere, autosomal-dominant
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Typische Konstellation bei ADPKD2
- Alter zwischen 30 und 50 Jahren
- positive Familienanamnese (ca. 70 %)
- Nieren beidseits vergrößert mit zahlreichen, unregelmäßig angeordneten Zysten
- oft nur gering eingeschränkte Nierenfunktion zum Zeitpunkt der Diagnose
Differenzialdiagnosen
- Neben dem häufigen Auftreten benigner Nierenzysten sind differenzialdiagnostisch seltenere Erkrankungen mit polyzystischen Veränderungen abzugrenzen:2
- autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung
- tuberöse Sklerose
- Von-Hippel-Lindau-Syndrom
- Nephronophtise
- medulläre zystische Nierenkrankheit
Anamnese
- Lange symptomfrei, mögliche Symptome sind:
- abdominelle Schmerzen oder Flankenschmerzen (60 %)2,16-17
- Makrohämaturie (40 %)6
- Symptome eines Harnwegsinfekts
- Vorgeschichte
- arterielle Hypertonie (> 80 %, 30–60 % bei normaler Nierenfunktion)2
- rezidivierende Harnwegsinfektionen
- Nephrolithiasis (Prävalenz im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 2-fach erhöht)6
- Familienanamnese auf ADPKD positiv?
Klinische Untersuchung
- Keine spezifischen klinischen Zeichen der ADPKD
- Erhöhter Blutdruck
- Evtl. Palpationsbefund
- Evtl. Zeichen extrarenaler Manifestationen:
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Sonografie
- Wichtigstes Bildgebungsverfahren im Rahmen der Primärdiagnostik
- Folgende Kriterien definieren ADPKD bei Patienten mit positiver Familienanamnese:4,8
- < 40 Jahre: ≥ 3 Zysten (unilateral oder bilateral)
- 40–60 Jahre: ≥ 2 Zysten in jeder Niere
- > 60 Jahre: ≥ 4 Zysten in jeder Niere.
- Bei positiver Familienanamnese: positiver prädiktiver Wert nahezu 100 %, negativer prädiktiver Wert 97–100 %3
- Bei Patienten > 40 Jahre und < 2 Zysten kann ADPKD nahezu ausgeschlossen werden.3
- Bei jüngeren Patienten weist eine Länge der Niere > 16,5 cm auf eine progressive Erkrankung hin.4
- Eine ungefähre Bestimmung des totalen Nierenvolumens (TKV = Total Kidney Volume) ist möglich.
- Ellipsoidformel: TKV = 0,5 x Länge (cm) x Breite (cm) x Tiefe (cm)
- Sonografisches Screening
- Bei Patienten mit ADPKD in der Familienanamnese sollte ein Screening mittels Bildgebung durchgeführt werden.6
- Sensitivität der Sonografie bei jungen Patienten zwischen 15 und 29 Jahren > 96 %, ein Ausschluss der Erkrankung ist allerdings nicht möglich.10
Labor
- Urinuntersuchung – Teststreifen zum Screening auf:
- Urinsediment mit Mikroskopie
- Spoturin mit Quantifizerung der Proteinurie (Albumin/Kreatinin-Quotient im Spontanurin)
- Evtl. Bakteriologie
- Blutuntersuchung
24-Stunden-Blutdruckmessung
- Indikation zur ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung sollte großzügig gestellt werden.1
Diagnostik beim Spezialisten
MRT/CT
- Im Vergleich zum Ultraschall ermöglichen MRT oder CT eine noch bessere Gesamtdarstellung des zystisch veränderten Gewebes und der Zystenlast.4
- MRT oder CT sind Methoden der Wahl zur Bestimmung des totalen Nierenvolumens (TKV)18
- TKV ist ein Maß der Zystenlast4
- TKV korreliert mit:4
- Wachstumsgeschwindigkeit der Zysten
-
- Progression des Nierenversagens
- Es sollte daher eine Baseline-Untersuchung zur Bestimmung des TKV durchgeführt werden.10
- Erfassung extrarenaler Veränderungen bei ADPKD, z. B. zerebrale Aneurysmen
- Ein generelles Screening auf zerebrale Aneurysmen wird aber nicht empfohlen.2
- Indikationen zur MRT-Angiografie der zerebralen Gefäße2
- positive Familienanamnese für Aneurysmen der Hirngefäße
- neu aufgetretene Kopfschmerzen
- Risikoberuf (z. B. Pilot)
- elektive Operationen mit möglicher hämodynamischer Instabilität
- Patientenwunsch
Echokardiografie
- Diagnostik im Hinblick auf
- Mitralklappenprolaps/Mitralklappeninsuffizienz
- Aortenaneurysma/Aortenklappeninsuffizienz
Gentest
- Gentest im Allgemeinen nicht notwendig2
- Kann im Einzelfall sinnvoll sein, z. B. bei:4
- der Beurteilung von potenziellen Lebendnierenspendern und nicht eindeutiger Bildgebung
- negativer Familienanamnese und V. a. De-novo-Mutation.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Diagnose oder Verdacht auf ADPKD Überweisung zur Nephrologin/zum Nephrologen
Therapie
Therapieziele
- Progression verlangsamen.
- Dialysepflichtigkeit vermeiden.
- Hypertensive Endorganschäden und sonstige Komplikationen vermeiden und behandeln.
Allgemeines zur Therapie
- Die Therapie der ADPKD besteht aus folgenden Komponenten:
- Allgemeinmaßnahmen/Lebensstilanpassungen
- medikamentöse Therapie
- bis vor kurzem vor allem Blutdruckkontrolle
- Seit 2015 steht mit dem Vasopressin-Rezeptor-2-Antagonist Tolvaptan erstmals eine kausale Therapieoption zur Begrenzung des Zystenwachstums zur Verfügung.8
- Behandlung von Komplikationen.
Allgemeinmaßnahmen/Lebensstil
- Erhöhte Trinkmenge10
- Verzicht auf koffeinhaltige Getränke10
- Sparsame Kochsalzzufuhr4
- Rauchstopp19
- Vermeidung von nephrotoxischen Substanzen
- Vermeidung von östrogenhaltigen Antikonzeptiva, da diese das Wachstum von Leberzysten begünstigen.
Medikamentöse Therapie
Blutdruckkontrolle
- Bevorzugte Substanzen sind ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker2
- Zielblutdruck:
- < 120/80 mmHg bei Patienten mit einer eGFR von > 30 ml/min10
- bei Patienten mit Niereninsuffizienz im Stadium 4 (eGFR < 30 ml/min) < 140 mmHg20
- < 110/70 mmHg bei jungen Patienten mit eGFR > 60 ml/min und hohem Progressionsrisiko10
- große Nieren
- frühes Nierenversagen in der Familienanamnese
- Proteinurie
- Makrohämaturie
- < 120/80 mmHg bei Patienten mit einer eGFR von > 30 ml/min10
Kausale medikamentöse Therapie
- Der Vasopressin-2-Rezeptor-Blocker Tolvaptan hemmt die Bindung von Vasopressin an den V2-Rezeptor des distalen Nephrons8
- Dadurch Hemmung der vasopressinsabhängigen Produktion von cAMP und somit des Zystenwachstums10
- Tolvaptan hemmt die Rückresorption von Wasser aus dem Primärharn ins Blut, dadurch Induktion einer starken Polyurie, insbesondere bei noch erhaltener Nierenfunktion21
- kein Elektrolytverlust im Gegensatz zu herkömmlichen Diuretika21
- Zu beachten ist bei der Tolvaptantherapie ein erhöhtes Risiko für Leberschäden (vor allem Anstieg der Transaminasen)
- Kontrolle der Leberwerte zu Beginn der Behandlung, danach monatlich für 18 Monate, dann alle 3 Monate4
- Weitere unerwünschte Nebenwirkungen: Polyurie (5–6 l/Tag), Pollakisurie, Nykturie, Mundtrockenheit, Schwindel und Durst1
- Tolvaptan kann bei Patienten mit hohem Progressionsrisiko eingesetzt werden.
- Geeignet sind daher Patienten mit:4
- Ärzte, die Tolvaptan verschreiben, müssen registriert sein.10
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Schmerz
- Chronische Schmerzen sind die häufigste Komplikation.6
- Kompression durch vergrößerte Nieren
- Zystenruptur/-einblutung
- Zysteninfektion
- Nephrolithiasis
- evtl. Einbindung eines Schmerzzentrums in die Behandlung6
- Chronische Schmerzen sind die häufigste Komplikation.6
- Infektion
- Hämaturie
- Hypertensive Endorganschäden
- LV-Hypertrophie häufig schon früh im Krankheitsverlauf4
- Zerebrale Aneurysmen
- Bei symptomatischen oder rupturgefährdeten Aneurysmen operative oder katheterinterventionelle Ausschaltung
- Terminale Niereninsuffizienz
- Bisher ohne spezifische Therapie Dialysepflichtigkeit bei ca. 50 % der Patienten bis zum 60. Lebensjahr1
- Neben der frühzeitigen Planung einer Nierenersatztherapie sollte auch das Thema Nierentransplantation angesprochen werden.1
- ADPKD-Patienten sind in der Regel geeignete Kandidaten für die Nierentransplantation.1
Verlauf und Prognose
- Der Krankheitsverlauf ist charakterisiert durch Neubildung und Wachstum von Zysten über viele Jahre.
- Zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion kommt es erst im fortgeschrittenen Stadien, sodass die Bestimmung von Kreatinin und eGFR zur Erfassung der Krankheitsprogression in den Frühstadien nicht geeignet ist.
- Sequenzielle Messungen des totalen Nierenvolumens (TKV) erlauben die Erfassung der Progression schon vor Abnahme der eGFR.12
- Einschränkung der Nierenfunktion beginnt etwa ab einem TKV von 1.000 ml.2
- Als einfach und kostengünstig zu erhebenderer prognostischer Parameter für die Nierengröße kann die Messung der Nierenlängsachse verwendet werden.1
- Längenachse von > 16,5 cm prädiktiv für progressiven Nierenfunktionsverlust bei Erwachsenen unter 50 Jahren1
- Bei rund 50 % der Patienten im Krankheitsverlauf besteht die Notwendigkeit der Dialyse und/oder Transplantation.4
- Bei einer PKD1-Mutation wird die terminale Niereninsuffizienz im Mittel mit 54 Jahren erreicht, bei einer PKD2-Mutation im Mittel mit 74 Jahren.10
- Der Eintritt der terminalen Niereninsuffizienz hat sich im Vergleich der Perioden 1985–92 und 1992–2001 um 10 Jahre nach hinten verschoben.5
- möglicherweise eine Folge der Medikation mit ACE-Hemmern5
- Der individuelle Verlauf ist bei ADPKD-Patienten sehr unterschiedlich, neben einem hohen TKV konnten als ungünstige prognostische Faktoren identifiziert werden:4
- frühes (< 35 Jahre) Auftreten einer arteriellen Hypertonie
- frühes (< 35 Jahre) Auftreten von urologischen Komplikationen
- Makrohämaturie
- Zysteninfekt
- Nierensteine
- Entwicklung einer Albuminurie.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Patientenorganisationen
Illustrationen
Quellen
Literatur
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Autoren
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
- Nils Grefberg, med dr och överläkare internmedicin och nefrologi, tidigare vid Medicinkliniken, Centrallasarettet Växjö
- Tor Erik Widerøe, professor, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet og overlege ved Seksjon for nyresykdommer, St. Olavs Hospital, Trondheim